Kapitel 33

Jemand hatte meine zwei dünnen Decken gegen eine wesentlich dickere ausgetauscht. Das Geräusch eines Motors war zu hören und auch mein Bett fühlte sich anders an, als vor meinem Nickerchen. Es war dünner, kürzer und aus Leder. Es fühlte sich nicht mehr wie ein Sofa an. Autositze, ja daran erinnerte es mich. Die Rückbank eines Autos.
Erschöpft machte ich meine Augen auf. Ich lag wirklich in einem Auto. Bei den zwölf Göttern, hatte Sirius ein Auto geklaut? Und warum hatte er das getan? Warum hatte er mich nicht geweckt?
Vorsichtig richtete ich mich auf. Hinter dem Steuer saß nicht mein biologischer Vater. Der Mann war vielleicht in seinem Alter, doch ansonsten hatten sie nichts gemeinsam. Seine braunen Haare waren kurz geschnitten. Seine linke Hand war mit einer Narbe überzogen. Eine lange, dünne Narbe, vermutlich von einem Messer. Ein Dreitagebart zierte sein Gesicht. Er wirkte anders als Sirius nicht abgemagert, sondern ziemlich durchtrainiert. Ich kannte ihn. Auf einem Foto war er zu sehen gewesen. Ich musste wieder an den komischen Traum denken, den ich gehabt hatte. Von meinen Eltern, meiner biologischen Mutter und Sirius Bruder.
„Guten Morgen, Welpe. Ich bin Marlon. Ich bin dein Onkel, sozusagen. Oder dein Stiefvater... oder gar nichts. Es ist kompliziert." Er betrachtete mich mit einem breiten Grinsen im Rückspiegel des Wagens.
„Wie hast du mich gefunden?"
„Habe ich nicht. Sirius bat mich, ein wenig auf dich aufzupassen. Er sagte mir, wo ich dich finde." Ich schluckte schwer. Der Flüchtige hatte mich verraten. Er hatte mich verstoßen, so wie es alle taten.
„Er hat sich Sorgen gemacht, weil dein Fieber immer weiter gestiegen ist. Alles, was er versuchte, hat nicht geholfen. Er wusste, dass ich dir Medikamente besorgen kann, die bei dir auch wirken. Ich hoffe, es geht dir schon ein bisschen besser." Tatsächlich ging es mir schon wieder viel besser. Fast so als wäre ich über Nacht geheilt worden. Was ich wahrscheinlich auch war. Ich fühlte mich nur noch ein wenig müde und ausgelaugt.
„Bin nur noch müde."
„Dann versuch noch mal, ein wenig zu schlafen. Du siehst ziemlich ausgelaugt aus." Wir verfielen wieder ins Schweigen.
„Wo ist eigentlich, Bärchen?", durchbrach ich es schließlich.
„Schläft auf dem Beifahrersitz." Der Blick des Mannes glitt zu dem besagten Autositz. Ich setzte mich richtig auf, um mich ebenfalls dorthin vorzulehnen. Tatsächlich lag der kleine Hund dort zusammengerollt drauf. Ein Brief klemmte zwischen seinen Pfoten.
„Der Brief ist von Sirius für dich. Willst du ihn haben?" Etwas unsicher sah ich zu dem Schriftstück. Man konnte erkennen, dass irgendein Wort mit krakeliger Schrift daraufgeschrieben worden war. Vermutlich mein Name, doch es war zu viel verdeckt, um es wirklich sagen zu können. Jedenfalls für mich. Jemandem, der wirklich lesen konnte, würde es vielleicht reichen.
„Willst du ihn lesen? Ich glaube, ich kriege ihn aus Bärchens Pfoten ohne ihn zu wecken." Ich schnaubte leise. Lesen konnte ich ihn so oder so nicht, dann konnte das blöde Ding auch weiter dem kleinen Hund als Kopfkissen dienen. Ich wurde weiter im Rückspiegel gemustert.
„Bist du sauer auf Sirius?" Ein wenig war ich es wohl. Und enttäuscht gleich noch dazu.
„Welpe, er hat dich sehr sehr gerne. Deshalb hat er dich auch mir anvertraut. Damit du gesund wirst. Ich bin mir sehr sicher, sobald du wieder richtig auf den Beinen bist, kannst du sofort wieder zu ihm zurück. Ich werde dich auch gerne zu ihm fahren."
„Das heißt, du weißt, dass Sirius unschuldig ist." Ich sah neugierig zu dem Autofahrer. Ob er wohl mit dem Flüchtigen geredet hat, als er mich abholte?
„Ja, ich weiß es. Schon ziemlich lange sogar."
„Hast du mit Sirius geredet?" Leichtes Kopfschütteln war die Antwort.
„Nein, er ist gegangen, bevor ich bei euch eingetroffen bin. Wahrscheinlich hatte er Angst, ich würde ihn ansonsten bei den Dementoren abliefern. Aber er hat auch für mich einen Brief dagelassen, um mich zu bitten, ein bisschen auf dich aufzupassen. Bis er seine Unschuld bewiesen hat."
Ich biss mir auf der Unterlippe herum. Hin und hergerissen zwischen dem Gefühl von Sirius abgeschoben zu sein, meiner Neugierde was jetzt genau in diesem Brief stand und der Sympathie gegenüber meinen biologischen Vater. Auch hatte ich keine Ahnung, was ich jetzt genau von meinem neuen Babysitter halten sollte. Ich fragte mich noch immer, woher er nun von Sirius Unschuld wusste oder wohin wir fuhren.
„Was beschäftigt dich, Patricia? Nein, du wirst jetzt Rona genannt, richtig?" Ich nickte leicht.
„Werde ich wohl." Ich wurde noch einmal nachdenklich angesehen. Bevor der Mann anfing, mich anzulächeln.
„Hast du Hunger? In zehn Kilometer kommt ein Rasthof mit Restaurant. Ich habe Lust auf einen leckeren Burger. Und für dich, du kleiner Teddy, holen wir ein leckeres Steak. Also ein zehn Gramm Steak, dann bist du schließlich satt." Man hörte meinen kleinen Hund, welcher offensichtlich aufgewacht war, zustimmend bellen. Eine Hand verschwand vom Lenkrad und glitt zum Beifahrersitz.
„Glaubst du, deine Besitzerin hat auch hunger? Ein leckerer Burger für sie? Oder ist sie auch Fastvegetarierin? Fast die ganze Familie ernährt sich die meiste Zeit so. Das muss in den Genen der Tiernymphen liegen. Ich weiß nur nicht, ob sie vielleicht genug Kriegsnymphe in sich hat, um diese Gene nicht ins sich zu tragen. Oder genug Sirius Black."
„Ich mag immer Burger. Kriege ich auch Pommes und einen Milchshake?" Ein breites Grinsen erschien auf dem Gesicht des Mannes.
„Klar, auch wenn ich nicht weiß, wie du das alles runter bekommen willst. In deinem Bauch ist dafür jedenfalls kein Platz."

Das Restaurant war klein und ein wenig schäbig, doch irgendwie auch sehr gemütlich. Die Farbe der Holztäfelung an den Wänden war an vielen Stellen abgeblättert. Auch die an den Stühlen sah schon einmal besser aus. Die alten Lampen verbreiteten ein flackerndes Licht. Marlon saß mir gegenüber. Wir hatten beide einen Bürger und Pommes vor uns. Ich dazu meinen Milchshake, mein Babysitter ein Bier.
„Also Rona, wo fahren wir denn jetzt überhaupt hin?"
„Ich dachte, du als Fahrer weißt das. Ansonsten sind wir Ewigkeiten planlos durch die Gegend gefahren."
„Nur weil man kein Ziel hat, ist man noch nicht planlos." Wieder mal das breite Grinsen auf dem Gesicht des Mannes. Warum fiel mir gerade nur ein Grund ein, warum wir ziellos durch die Gegend fuhren? Wahrscheinlich sogar öfter Mal im Kreis.
„Wen wollen wir abschütteln?" Ein leises Seufzen war zu hören. Dieses Thema schien ihm ein wenig auf die Laune zu schlagen.
„Meine Familie und ich haben im Moment ein paar Differenzen. Daher gehe ich ihn aus dem Weg. Allerdings musste ich sie nach dem Trank fragen und ihnen schien es ziemlich wichtig zu sein, dass wir beide jetzt entweder in Richtung Hogwarts oder Frankreich fahren. Da ich das nicht gemacht habe und, wenn du es nicht willst, nicht machen werde, suchen sie wahrscheinlich bald nach uns." Ich sah den Mann vor mir nachdenklich an. So wie er das ganze erzählte, schien es sich bei seiner Familie um die Kriegsnymphenfamilie zu handeln. Diese hatte mit Sicherheit großes Interesse daran, mich nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren.
„Was gab es denn für Differenzen?"
„Lange Geschichte." Er sah nachdenklich ins Leere. Gespannt sah ich zu dem Mann herüber. Ob er mir wohl noch erzählen würde, was zwischen ihm und seiner Familie stand.
„Ich erzähle dir später im Auto davon. Aber erst musst du mir verraten, wohin du willst. Also wohin fahren wir?" Ich wurde neugierig angesehen. Die Antwort auf diese Frage schien ihm wirklich wichtig zu sein.
„Woher soll ich wissen, wohin wir fahren sollten?"
„Jeder hat irgendeinen Ort oder irgendeine Person, zu der er weglaufen will. Vorausgesetzt man versucht wegzulaufen. Du hast es ziemlich oft versucht, also musst du eine sehr gute Motivation haben. Da du mehrmals an irgendwelchen Häfen oder Flughäfen aufgegabelt wurdest, willst du England wohl gerne verlassen."
Dieses Mal starrte ich nachdenklich mein Essen an. Ich hatte noch nie jemand erzählt, was mein wirkliches Ziel bei meinen Ausflügen war. Nicht einmal Jamie hatte eine Ahnung davon. Marlon schien zu spüren, dass er die Antwort auf diese Frage noch nicht bekommen würde, jedenfalls fing er wieder an zu reden.
„Dann fliegen wir nach Belize. Ich wollte immer gerne dahin und eine Strandbar aufmachen. Und Schokolade essen. Da es dort so viel Kakao gibt, dachte ich früher, da gäbe es auch eine Menge davon und deshalb natürlich auch günstig. Im Nachhinein hat es sich als Irrtum herausgestellt. Durch meine Recherche habe ich erfahren, dass Schokolade dort furchtbar teuer ist. Eine Enttäuschung, aber der Plan, dort eine Unmenge Cocktails zu trinken, gefällt mir noch immer." Ein verträumter Blick war auf dem Gesicht des Mannes zu sehen. Er schien sich mit dieser Aktion wirklich eine Art Lebenstraum erfüllen zu wollen. Schließlich wurde ich wieder angesehen.
„Du kriegst nur alkoholfreie Cocktails in meiner Strandbar. Obwohl du verarbeitest Alkohol so schnell, deinem Körper ist das sowieso egal. Ich denke nochmal darüber nach, ob ich dir irgendeinen Drogenkonsum erlaube. Gibt es einen Erziehungsratgeber für Kriegsnymphen, in dem die Antwort auf diese Frage steht?"
„Ich fürchte, du musst ihn selber schreiben."
„Ich glaube, ich schreibe lieber ein Buch, wie man es nicht macht. Liegt mir wahrscheinlich näher." Ich musste leise lachen. Wenn schon mein aktueller Babysitter über sich selber sagte, er würde wahrscheinlich das Negativbeispiel für Erziehung vorlegen, konnte nur interessant werden.
„Darf ich Kontakt zu Sirius halten?"
„Natürlich. Wir können ihn auch einfangen und als unseren Kuschelhund mitnehmen. Könnte ihm allerdings auf die Laune schlagen. Und wie gesagt, wenn du es willst, kannst du auch jeder Zeit zu Sirius nach Hogwarts zurückkehren. Ein Wort und ich bringe dich dahin. Und wenn du weder zu Sirius noch nach Belize willst, dann sag einfach, wohin du willst. Vielleicht an einen Ort mit günstigerer Schokolade." Mir wurde zugezwinkert. Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf.
„Wäre ein kurzer Zwischenstopp in Irland in Ordnung?"
„Natürlich. Ein Langer wäre es auch."
„Und wäre auch ein Urlaub in New York irgendwann mal drin?"
„Es wäre auch eine Bar in New York drin. Zwar ist es dann nicht so schön sonnig und ich kann auch nicht surfen lernen, aber dafür kriege ich günstige Schokolade." Ich merkte, wie ich rot anlief. Meine Suche nach meiner kleinen Schwester sollte auf keinen Fall den Lebenstraum des Mannes in irgendeiner Weise beeinflussen.
„Erstmal fahren wir nach Irland. Bis wir von da aus weiterfahren hast du Zeit, dir zu überlegen, wie wir weiterfahren. Solange ich meine Bar aufmachen kann, bin ich glücklich. Du solltest auch noch gesund und glücklich sein. Sirius macht mir Angst, wenn es um seine Frauen geht. Wenn ich zulasse, dass dir irgendetwas passiert, muss er danach wohl doch wegen Mordes nach Askaban. Dieses Mal aber zurecht." Ich kratzte mir verlegen am Hinterkopf. Wie Marlon von Sirius Mordplänen erzählte, schien er sie eigentlich als etwas Gutes anzusehen. Auch wenn ich es nicht als Gut ansah, wenn jemand für einen ein Verbrechen begehen würde.
Ich hatte es mir dieses Mal auf dem Beifahrersitz gemütlich gemacht. Dafür hatte sich Bärchen jetzt auf der Rückbank breitgemacht. Der kleine Hund gab sich große Mühe, dort möglichst viel Platz einzunehmen. Auch wenn kaum ein Sitzplatz belegt wurde. Der Brief lag mittlerweile im Handschuhfach. Ich würde mich später in Ruhe mit ihm befassen. Wenn ich irgendwann einmal alleine war. Jetzt würde ich mir nicht die Blöße geben, dem Mann zu verraten, dass ich nicht gut lesen konnte. Stattdessen wollte ich endlich erfahren, warum wir nicht zu der Kriegsnymphenfamilie fuhren. Nicht dass ich wirklich scharf darauf war, gleich in eine neue Großfamilie zu kommen, in der ich so tun sollte, als würde ich dazugehören.
„Die Differenzen?" Ich sah zu dem Mann herüber, welcher anfing, auf seiner Unterlippe herum zu beißen. Schließlich seufzte er leise.
„Du musst wissen, ich wurde nicht in die Kriegsnymphenfamilie hereingeboren, sondern wurde, als ich fünfzehn Jahre alt war, adoptiert."
„Du bis ein Waisenkind?" Ich sah neugierig zu dem Fahrer herüber. Ein breites Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.
„Oh ja, und im Blödsinn machen, stand ich dir nichts nach. Ich habe meine Adoptiveltern bei einem Einbruch kennengelernt. In ihr Schloss." Er bekam einen ganz verträumten Gesichtsausdruck. Offensichtlich erinnerte er sich gerne an das Kennenlernen mit seiner Adoptivfamilie zurück. Dann schien er sie doch noch irgendwie gerne zu haben, auch wenn momentan irgendetwas zwischen ihnen stand.
„Und warum wohnst du nicht mehr bei ihnen?"
„Ich bin mit Maélys, deiner Vorgängerin, zusammengewesen. Wir waren sogar verlobt. Nachdem sie gestorben ist, brauchte ich einfach ein wenig Abstand zu diesem ganzen Magie- und Nymphenzeug." Abstand zu dem Magie und Nymphenzeug?
„Bist du ein Muggel?" Auf Marlons Gesicht, welches bei der Erzählung von meiner Vorgängerin echt traurig ausgesehen hatte, schlich sich ein kleines Lächeln.
„Ja, bin ich."
„Das heißt, du hast seit zwölf Jahren kein Kontakt mehr zu ihnen?" Ein entsetztes Kopfschütteln war die Antwort.
„Bei den zwölf Göttern, nein. Natürlich nicht. Ich bin nur ausgezogen. Mit dem Motorrad durch Europa gefahren. Einfach raus, aber wir haben immer geschrieben und ich war zu sämtlichen Feiertagen da. Ich habe dann eine neue Freundin in Belgien kennengelernt. Am Anfang war es echt super, aber wahrscheinlich ging es auch ein wenig schnell. Ich bin nach einer Woche bei ihr eingezogen, das konnte einfach nur schiefgehen. Dann gab es Streit und wir haben uns getrennt. Danach hatte ich es allerdings satt, alleine weiter durch Europa zu fahren oder alleine irgendwo zu wohnen. Ich wollte zurück zu meiner Familie fahren. Auf dem Weg hatte ich einen ziemlich heftigen Autounfall. Ohne Magie würde ich wahrscheinlich noch immer Schäden davon tragen. Na ja, mein Zustand war ziemlich schlecht und ich war in der Zwischenwelt. Ich habe dort Maélys wiedergesehen." Ein trauriges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er schien sie noch ziemlich zu vermissen.
„Liebst du sie noch?"
„Ich liebe die Maélys von vor zwölf Jahren. Und die von vor neun Jahren mochte ich auch noch so gerne. Ein Teil von mir wird sie immer lieben und vermissen. Deshalb habe ich mich auch ziemlich gefreut, als ich sie dort wiedergetroffen habe. Ein Teil von mir wollte einfach dort bei ihr bleiben. Aber ich wurde auf magische Weise geheilt, also blieb mir die Wahl gar nicht. Ich habe ein paar Jahre wieder bei meiner Familie gewohnt, noch einmal eine Frau kennengelernt und dieses Mal war es auch etwas festeres. Wir haben über gemeinsame Kinder und heiraten nachgedacht. Also habe ich versucht, ihr die magische Seite meiner Familie etwas näher zu bringen. Sie hatte zwar schon sehr viel mitbekommen, aber die magische Seite halt noch nicht. Das sich kleine Kinder mit Messern und Schwertern bekriegen, war auch ziemlich schwer zu übersehen. Wir haben ihr erklärt, wir seien eine Art Kopfgeldjäger. Was auch ziemlich gut beschreibt, wie wir unser Geld dort verdienen. Dann habe ich versucht, ihr noch die magische Seite beizubringen. Und mit der Aussage, sie sei in die Kriegsnymphenfamilie geraten, wurde ihr bewusst, dass ich niemals mit ihr in einem kleinen Häuschen und Kinder wohnen würde, vielleicht sogar einen normalen Job annehmen würde, sondern mich nun einmal für ein anderes Leben entschieden habe. Dass meine Kinder in dieses Leben hereinwachsen würden und sie sich in diesem Bereich anpassen muss. Ich habe zwar von Anfang an gesagt, aber sie hat wohl die ganze Zeit gehofft, sie könnte mich umstimmen, wenn es so weit ist." Die Frau war selber Schuld, wenn sie es nicht ernst nahm, was ihr gesagt wurde.
„Aber etwas hat dich umgestimmt." Wahrscheinlich Frau nach Maélys Nummer drei. Frauen scheinen auf ihn irgendwie einen großen Einfluss zu haben. Frau Nummer eins führte zur Adoption der Kriegsnymphenfamilie, Frau Nummer zwei führte dazu, dass er zurück zu seiner Familie fand, Frau Nummer drei brach ihm nur das Herz, dann konnte Frau Nummer vier gut für die Differenzen zwischen ihm und seiner Familie geführt haben.
„Ich habe versucht, mich mit dem abzulenken, was noch eine große Rolle in meinem Leben spielte. Dem Kämpfen und der Kopfgeldjagd. Das ging irgendwann schief. Und zwar wieder ziemlich ordentlich. Ich landete wieder in der Zwischenwelt und traf Maélys wieder. Dann wurde ich wieder geheilt, habe wieder mit dem Kämpfen weitergemacht und landete erneut da. Es passierte ein paar Mal. Ich kam auf den Geschmack meine Ex-Verlobte dort zu besuchen. Nachdem meine Familie es unterband, dass ich mein Leben bei der Kopfgeldjagd nach irgendwelchen Schwerverbrechern aufs Spiel setze, habe ich es dann auf andere Weise gemacht. Mittlerweile sehe ich ein, es war eine ziemliche Scheißaktion, aber damals erschien es wie eine ziemlich gute Idee. Meine eigene Art der Fernbeziehung. Maélys hat mir auch erzählt, dass Sirius nicht der Verräter war. Irgendwann hatte dann sowohl Maélys als auch meine Familie die Nase voll davon. Zwischen meiner Familie und mir gab es ständig Streit, also zog ich wieder aus. Maélys versuchte, mir auch ständig auszureden, noch einmal zu ihr in die Zwischenwelt zu kommen. Nachdem ich dann ausgezogen war, hat sie mich dort also einfach nicht mehr besucht. Deine Mutter, Carolin, hat mir dann gesagt, Maélys will mich nur noch sehen, wenn ich aus Versehen dort lande. Und ich solle meinen Arsch zurück zu meiner Familie bewegen. Zitat von Maélys, nicht von Carolin, die würde so etwas niemals sagen. Ich schweife ab. Also, ich habe darüber nachgedacht zurückzugehen. Na ja, dann kam die Nachricht, dass unsere verschollene Kriegsnymphe in Hogwarts aufgetaucht ist." Ich schluckte schwer. Das hörte sich gerade sehr danach an, dass ich der ausschlaggebende Grund für seinen Auszug war. Oder besser gesagt, den fehlgeschlagenen Wiedereinzug.
„Ich war der Meinung, es würde schiefgehen, wenn du mit deiner leiblichen Familie dort aufeinander hockst. Vor allem, weil keiner von ihnen eine Ahnung hat, wie es ist, nicht von einer liebevollen Familie verhätschelt zu werden. Langsam annähern wäre mit Sicherheit erfolgversprechender als reinwerfen und abwarten. Das ist wie beim Schwimmenlernen. Die Kinder, denen es langsam beigebracht wird, die können es am Ende alle. Bei den Kindern, die es durch reinwerfen lernen sollen, führt es dazu, dass sie möglichst schnell rausspringen wollen. Dass sie tatsächlich irgendwie geschwommen sind, fällt ihnen erst draußen auf und dann sind sie meistens so schwer traumatisiert, man bekommt sie nie wieder ins Wasser. Meine Familie war der Meinung, du bist nun einmal Carolins und nicht Maélys Kind, also lassen wir die Finger fürs Erste aus deinem Leben raus und überlassen es deiner leiblichen Familie. Das brachte dann das Fass zum Überlaufen. Ich bin gegangen und nach England rüber. In der Hoffnung Sirius zu finden und seine Unschuld zu beweisen. Oder dich aufzugabeln, wenn du Reißaus nimmst." Ich sah unsicher zu dem Mann herüber. Er wirkte ziemlich traurig auf Grund der momentanen Situation zwischen sich und seiner Familie.
„Das heißt aber, dass du wegen mir Streit mit deiner Familie hast."
„Welpe, nein. Momentan ist es einfach wieder kompliziert zwischen meiner Familie und mir. Wenn du nicht aufgetaucht wärst, hätten wir uns zwei Tage später wegen irgendetwas anderem wieder verkracht. Momentan brauchen wir einfach wieder ein bisschen Abstand voneinander. Das legt sich auch wieder. Ich weiß, ich kann jeder Zeit zu ihnen zurück. Das ist das wichtigste." Ich nickte leicht. Wirklich wohl fühlte ich mich mit dieser Information immer noch nicht. Das Gefühl, es wäre doch nicht zum letzten Streit gekommen, wenn ich nicht gewesen wäre, hatte mich fest im Griff.
„Gucke nicht so traurig, Welpe. So ist nun einmal Familie. Mal hat man sie lieb, mal will man sie umbringen. Ich muss einfach noch ein bisschen Rebellion gegen meine Eltern aus der Pubertät nachholen. Konnte ich damals schließlich nicht." Er zwinkerte mir zu. Er schien mir den Streit mit seiner Familie wirklich nicht übel zu nehmen.
Es entstand wieder Schweigen im Auto. Ich spielte unsicher mit meinen Fingern, während Marlon konzentriert auf die Straße sah. Mein Fragenkatalog war noch lange nicht zu Ende, doch ich hatte ziemliche Angst vor den Antworten, die ich von meinem Begleiter wahrscheinlich bekommen würde. Meine letzte Fragerei hatte schließlich auch zu ziemlich unangenehmen Antworten geführt.
„Rona, wir haben noch eine ziemlich lange Autofahrt vor uns. Mal abgesehen davon, dass wir wohl die nächste Zeit zusammen wohnen werden. Also rattere einfach deinen Fragenkatalog runter. Es wird dir doch eh keine Ruhe lassen und ich kann es aushalten, wenn man mich durchlöchert. Mit Fragen. Nicht mit irgendwelchen anderen Dingen." Mir wurde aufmunternd zugelächelt.
„Willst du mich denn gar nichts Fragen?"
„Doch eigentlich schon, aber ich glaube, es ist besser, wenn du von dir aus mir irgendwann einmal die Antworten verrätst." Damit konnte er recht haben. Ich mochte es überhaupt nicht, wenn man mich mit Fragen löcherte. Ich erzählte die Dinge, die ich erzählen wollte. Nicht die Informationen, die jemand anderes von mir haben wollte.
„Gib mir erst ein Beispiel für eine deiner Fragen."
„Na gut, eine der Einfacheren. Als ich gemeint habe, du wirst jetzt Rona genannt, meintest du, das ist wohl so. In Hogwarts hast du noch ziemlich drauf bestanden, mit diesem Namen angesprochen zu werden. Also wie willst du angesprochen werden?" Ich zuckte mit den Schultern. Das wusste ich momentan selber nicht mehr. Rona war immer der Name gewesen, den ich aus Liebe zu den Howarth getragen habe. Patricia Prim hingegen war der Name, den Sirius mir gegeben hatte. Irgendwie hatte ich jetzt beide Parteien ins Herz geschlossen.
„Weißt du, warum du Patricia Primrose von Carolin und Sirius genannt wurdest?"
„Weil sie sich nicht zwischen den beiden Namen entscheiden konnten?", scherzte ich. Marlon fing an zu lachen.
„Ja, das war einer der ausschlaggebenden Gründe." Ich zog meine Füße an meinen Oberkörper heran.
„Patricia bedeutet die Edle, die Vornehme, die Patrizierin. Wusstest du, dass die Patrizier die Oberschicht im antiken Rom war? Sie haben zuerst das Gebiet dort besiedelt, weshalb ihnen das ganze Land gehörte. Die zugezogene Unterschicht, Plebejer genannt, musste es anmieten. Sie waren daher ziemlich abhängig von ihnen. Oh und die Söhne waren lange Zeit bis zum Tod des Vaters von diesem abhängig. Sie gehörten zu seiner patria-" Der Mann neben mir lachte leise.
„Woher weißt du das alles?"
„Das war eine von Ares Gute-Nacht Geschichten. Er hat mir meistens von großen Kriegsmächten und Schlachten erzählt. Kein Wunder, dass ich verkorkst bin."
„Für deine Vergangenheit bist du ziemlich normal geraten, Welpe. Kennst du denn auch die Bedeutung von Primrose?" Ich wurde neugierig von der Seite her angesehen. Natürlich kannte ich die Bedeutung. In diese Angelegenheit hatte ich schon sehr früh meine Nase hereingesteckt. Ich war nicht nur bei fremden Angelegenheiten neugierig, sondern auch bei vielen von meinen. Nicht bei allen, ansonsten hätte ich schließlich von meiner leiblichen Familie gewusst.
„Primrose bedeutet die Primel. Eine Blume, dessen Blüten an einen Schlüssel erinnern. Sie wird auch Himmelsschlüssel oder Schlüsselblume genannt. Sie steht für Frühling, Hoffnung, Jugend, Unschuld, Heilkraft des Frühlings und Öffnung des Himmels. Es gibt eine Legende, die besagt, dass Petrus einst der Schlüsselbund zur Himmelspforte auf die Erde fiel. Dort wo die Schlüssel die Erde berührten, wuchs die erste Schlüsselblume. Die Engel holten den Bund zurück und nur die Blume blieb. Ares meint aber, das ist vollkommener Blödsinn. Ist eigentlich auch egal. Ich bin weder eine adelige aus dem antiken Rom, noch verbreite ich Hoffnung oder Heilung. Unschuldig bin ich schon mal gar nicht. Ich habe drei Menschen getötet."
„Das war Notwehr. Da brauchst du kein schlechtes Gewissen haben." Ich sah mit gerunzelter Stirn zu dem Mann herüber. Ich hatte ihm definitiv nicht davon erzählt.
„Ich habe mir deine Akte geklaut. Die Vollständige. Auch von vor dem Zeugenschutzprogramm." Man konnte sein schlechtes Gewissen sehen, weil er sich die Akte besorgt hatte. Verständlich. Es war wohl das persönlichste eines Waisenkindes dessen Akte zu lesen.
„Wann wolltest du es mir sagen?"
„Wenn wir uns ein bisschen kennengelernt haben. Ich wollte wissen, wohin du wahrscheinlich hingehen würdest, nachdem du von den Cunninghams weggelaufen bist." Ich seufzte leise.
„Ich denke, es ist in Ordnung."
„Ok. Und Welpe. Ich finde, der Name Patricia Primrose passt von der Bedeutung genauso gut zu dir, wie es Rona tut. Das wirst du auch irgendwann erkennen. Aber deshalb haben deine Eltern dich nicht so genannt. Carolins Familie wurde ermordet, als sie siebzehn Jahre alt war. Darunter waren auch zwei kleine Mädchen Patricia, die kleine Schwester von Samuel, und Primrose, die ältere Schwester von Elaina. Ich habe Carolin erst danach kennengelernt, doch sie müssen immer sehr viele Streiche gespielt und alle damit zum Lachen gebracht haben. Carolin hat mal gemeint, sie wären die jüngeren Versionen von Sirius und James. Noch als du in ihrem Bauch gewesen warst, hat sie gemeint, du wärst ihnen sehr ähnlich. Also bekamst du ihre Namen. Weil sie daran geglaubt haben, du würdest genauso viel Freude in die Welt bringen, wie sie es getan haben. Ich bin wohl nicht der Einzige, der sehr viel Gutes in dir sieht."
Ich schluckte schwer. Carolin schien eine wirklich nette Person gewesen zu sein. Jedenfalls nach den Erzählungen aller und meinen 10 Minuten mit ihr. Doch ich hatte mich bisher noch nie wirklich mit ihr beschäftigen wollen.
„Marlon, darf ich dich mal etwas sehr persönliches Fragen?"
„Persönlicher als dass ich mich mehrmals fast umgebracht hätte?"
„Hast du jemals nach deinen Erzeugern gesucht?" Der Gesichtsausdruck des Mannes entglitt ihm. Diese Frage war eindeutig wesentlich persönlicher als meine sonstigen Fragen. Es dauerte fast fünf Minuten, bis die Antwort kam.
„Ja." Die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Ja, das habe ich. Damals war ich siebzehn Jahre alt. Ich habe mich so wohl bei der Kriegsnymphenfamilie gefühlt, da hatte ich wohl die rosarote Familienbrille auf. Ich dachte, wenn es völlig Fremde schaffen, mich zu lieben, dann müssen es meine leiblichen Eltern erst recht." Er schluckte schwer.
„Ich habe mich geirrt. Sie haben mich nach der Geburt weggegeben, weil sie keine Kinder haben wollten und es für Abtreibung zu spät war. Sie waren Drogenabhängige. Mein Erzeuger ist es wahrscheinlich immer noch, wenn er sich nicht den goldenen Schuss gegeben hat. Meine Erzeugerin machte einen Entzug und heiratete einen neuen Mann. Sie spielt jetzt Vorzeigehausfrau in irgendeiner Kleinstadt. Als ich dort hinkam, wollte sie gerade meinen siebenjährigen Halbbruder von der Schule abholen. Aber mich wollte sie immer noch nicht. Ich erinnere sie nur an ihre schlimme Vergangenheit." Eine einzelne Träne rollte über seine Wange. Ich sah beschämt auf meine Hände. Ich hätte auf gar keinen Fall mit diesem Thema anfangen dürfen. War doch klar gewesen, dass ich damit bei Marlon alte Wunden aufriss.
„Wolltest du deine Eltern mal finden?" Ich schluckte schwer. Es war klar, dass diese Frage kommen würde, doch trotzdem fühlte ich mich irgendwie überrumpelt. Sie war noch ein Grund, warum ich niemals mit diesem Thema hätte anfangen sollen.
Ich hatte mich nie nach ihnen gesehnt, nie darüber nachgedacht sie zu suchen. Meine ganzen Gedanken hatten sich immer nur darum gedreht, Natasha wieder zu finden. Ich wollte noch einmal zu meinen Großeltern fahren. Noch einmal gucken, wie es ihnen ging. Vielleicht würde ich ihnen sogar sagen, dass ich noch lebte. Dass wir beide noch lebten. Doch obwohl ich so viele Gedanken daran verschwendet hatte, wie ich noch einmal meine Großeltern sehen konnte oder wie ich nach New York kommen konnte, um dort auf magische Art und Weise meine jüngere Schwester zu finden, was kompletter Blödsinn war, weil sie überall auf der Welt sein konnte, nach meinen biologischen Verwandten hatte ich nie gefragt und auch nie gesucht. Nicht einmal als sie direkt vor meiner Nase gestanden haben. Mit Ausnahme von meiner kurzen Suche nach Sirius natürlich.
„Du hast sie wohl nie kennenlernen wollen."
„Ich bin ein schlechter Mensch deshalb, oder?" Dieses Mal liefen mir Tränen über die Wange. Ich merkte, wie das Auto langsamer wurde und schließlich stoppte.
„Kleiner Welpe, du bist verdammt vieles, aber kein schlechter Mensch."
„Woher weißt du das?"
„Jamie Parsons, von dir Jay Jay genannt. Du hättest dir jeden als Freund aussuchen können, wen du willst. Jeder andere wäre taktisch klüger gewesen. Aber du hast deine Position im Waisenhaus aufs Spiel gesetzt und hast für ihm den Arsch hingehalten. Weil du ein guter Mensch bist. Darauf kommt es am Ende des Tages an. Jetzt komm her und lass dich einmal feste Drücken." Dankbar kuschelte ich mich an den Mann.
„Wie wäre es, wenn wir uns mal eine Bleibe für die Nacht suchen. Dann gehen wir noch neue Klamotten für dich kaufen und Abendessen. Ich glaube, der Tag heute war für uns beide aufwühlend genug."
„Neue Klamotten?"
„Ist ein bisschen auffällig, wenn wir herumfahren und du nicht einmal Wechselklamotten dabei hast. Mal abgesehen davon, ich will keine müffelnde Kriegsnymphe neben mir im Auto sitzen haben."

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