Kapitel 8

Schlecht gelaunt rührte ich in meiner Kaffeetasse herum. Auch wenn Draco es tatsächlich durchgezogen hatte, Harry im Hogwartsexpress anzugreifen, hatte es unterm Strich sehr wenig gebracht. Er war leider nicht mit dem Zug zurück nach London gereist, sondern war nur verspätet zur Schule gebracht worden. Zugegeben, die blutige Nase hatte mir gefallen, doch das, was ich eigentlich wollte, war nicht eingetreten.
Potter war nicht einmal eine Nacht weniger in Hogwarts. Ich hatte gehofft, er würde etwas länger unfreiwillig von der Schule wegbleiben. Wenigstens für ein paar Stunden, aber nein, dieser verdammte Glückspilz kam einfach zum Nachtisch herein. Wenigstens das richtige Abendessen verschwand einfach, als er sich etwas nehmen wollte. Ein wenig Genugtuung, aber viel zu wenig, wenn man bedachte, dass er Patricia ihren Vater, ihr zu Hause, genommen hatte.
Hinter mir räusperte sich jemand. Neugierig sah ich dorthin, nur um Snape zu erblicken. Es wunderte mich etwas, dass der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste mich einfach so bei meinen Gedanken unterbrach. In Malfoy Manor hatte das eigentlich nie jemand gewagt, außer es gab einen wirklich sehr guten Grund dafür. Allerdings war ich hier wieder einfach nur Schülerin, nicht mehr die Basílissa. Jedenfalls würde ich so tun müssen, also gehörte es wohl zu meiner Rolle diese Unterbrechung zu dulden.
„Sie müssen ihre Fächer wählen", stellte mein Hauslehrer mit seiner üblichen schnarrenden Stimme fest. In seinem Blick konnte man keine Spur von Angst erkennen. Faszinierend. Das hatte ich schon lange nicht mehr bei Leuten gesehen, mit denen ich sprach. Vor allem wenn man noch bedachte, dass Adina neben mir so aussah, als würde sie denken, ich würde für die Unterbrechung gleich den Lehrer töten.
„Muss ich wohl", erwiderte ich, während ich fieberhaft darüber nachdachte, was denn nun meine Wahl war. Bisher war ich noch nicht zu einem Schluss gekommen, ob ich Kira und Mary möglichst oft mit meiner Anwesenheit quälen wollte oder lieber nur ein Fach weiter belegen wollte. Ich sah zum Gryffindortisch herüber, wo gerade mein Zwilling und ihre Cousine zusammen mit Neville aßen. Erneut brodelte die Wut in meinem Bauch, weil sie die Kindheit hatten, die Patricia verwehrt geblieben war. Ich würde mir bestimmt keine Gelegenheit entgehen lassen, um die beiden mit meiner Anwesenheit zu wählen.
„Zaubertränke, Zauberkunst, Verwandlung, Verteidigung gegen die dunklen Künste und Kräuterkunde", sprudelten die wahrscheinlichsten Fächer von den beiden Mädchen aus mir heraus.
Snape nickte leicht, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Er tippte kurz auf ein Blatt Pergament. Schwarze Tintenstriche breiteten sich von dem Berührungspunkt aus. Sie formten sich zu Wörtern und einer Tabelle. Keine zwei Sekunden später wurde mir auch schon ein fertiger Stundenplan überreicht. Der Lehrer wandte sich an Adina, während ich kurz auf den Plan sah. Als erstes hätte ich eine Freistunde und danach Verteidigung gegen die dunklen Künste. Das hieß, ich konnte gleich erstmal in Ruhe nach Helena Ravenclaw alias der grauen Dame suchen gehen.

Bis zum Unterricht war meine Laune im Keller. Ich hatte den Hausgeist von Ravenclaw nicht gefunden und jetzt musste ich auch noch meine Suche unterbrechen, weil ich ja unbedingt als Schülerin in Hogwarts leben sollte. Was für eine Zeitverschwendung. Nicht einmal als ich Kira, Mary und Harry in der Schlange vor dem Klassenraum entdeckte, verbesserte sich meine Laune wesentlich. Dabei wurden sie alle brav ein wenig blasser, als ich auftauchte.
Kaum hatte ich mich in die Schlange aufgereiht, ging die Tür zum Klassenzimmer auch schon auf. Wenigstens musste ich meine kostbare Zeit nicht mit unnötigem Warten verschwenden. Snape kam auf den Korridor getreten, weshalb die Gespräche um mich herum schlagartig verstummten.
„Eintreten", wurden wir mit der üblichen schnarrenden Stimme des Lehrers angewiesen.
Der Klassenraum hatte sich mal wieder komplett verändert. Er war viel düsterer als früher, das nun Vorhänge die Fenster verdeckten. Anstelle des Sonnenlichts verbreiteten ein Haufen Kerzen ihr flackerndes Licht. Bilder – die meisten von ihnen zeigten verfluchte Menschen, die entweder unter Schmerzen litten, grässliche Verletzungen oder seltsam verrenkte Körperteile hatten – zierten die Wand. Die meisten Schüler sahen sie ziemlich verängstigt an, während sie sich leise auf ihre Plätze setzen.
Ich selbst machte es mir in der letzten Reihe bequem. Adina setzte sich eher automatisch neben mich, schenkte mir ein kleines Lächeln, bevor sie neugierig zu Snape sah.
„Ich habe Sie nicht aufgefordert, die Bücher herauszuholen", verkündete dieser, während er die Tür schloss. Ganz automatisch sah ich mich im Raum um, um die Person ausfindig zu machen, die mehr getan hatte, als uns befohlen worden war. Natürlich war es Hermine Granger, wer auch sonst. Sie ließ ihr Buch hastig in ihre Tasche fallen, nur um diese dann unter ihren Stuhl zu schieben.
„Ich will Ihnen etwas sagen und ich erwarte Ihre volle Aufmerksamkeit", erklärte der Lehrer, welcher mittlerweile hinter dem Pult stand. Er ließ seinen Blick kurz über die aufmerksame Klasse gleiten. Ich konnte schwören, bei Harry blieb er etwas länger als bei den anderen.
„Sie hatten bislang fünf Lehrer in diesem Fach, meine ich. Natürlich haben all diese Lehrer ihre eigenen Methoden und Schwerpunkte gehabt. Ich bin überrascht, dass so viele von Ihnen trotz dieses Durcheinanders einen ZAG in diesem Fach geschafft haben. Noch mehr wird es mich überraschen, wenn Sie alle mit dem UTZ-Pensum zurechtkommen, das noch viel anspruchsvoller sein wird."
Snape begann, das Zimmer an den Wänden entlang abzuschreiten, und sprach mit leiserer Stimme. Die meisten Schüler machten lange Hälse, um ihn im Blick zu behalten. Ich allerdings schaltete ab und ging lieber im Kopf noch einmal durch, was ich über die graue Dame wusste. Die meisten Menschen waren Gewohnheitstiere und das galt auch für Geister. Damit sollte sie sich doch in diesem Schloss finden lassen.
Erst als Parvati Patil mit schriller Stimme fragte: „Ist etwa ein Inferius gesichtet worden? Ist es sicher, setzt er sie ein?", wurde ich aus meinen Gedanken über den verdammten Hausgeist gerissen.
„Der Dunkle Lord hat in der Vergangenheit schon Inferi eingesetzt", stellte Snape fest, „das heißt, Sie täten gut daran, wenn Sie davon ausgehen würden, dass er sie wieder einsetzen könnte. Nun ..."
Er schritt jetzt mit wehendem dunklem Umhang die andere Seite des Klassenzimmers entlang auf sein Pult zu, und wieder folgten ihm die Schüler mit ihren Blicken.
„... Sie sind mit wenigen Ausnahmen, im Gebrauch von ungesagten Zaubern völlige Anfänger. Was ist der Vorteil eines ungesagten Zaubers?"
Natürlich schoss Hermines Hand sofort in die Höhe. Diese kleine elendige Streberin, natürlich hatte sie mal wieder das Lehrbuch auswendig gelernt. Wie immer nahm Snape die Schülerin nicht dran, sondern sah lieber noch dreimal nach, ob nicht jemand anderes die Antwort geben wollte. Kurz dachte ich darüber nach, meine Hand zu heben, um ihr die Punkte streitig zu machen. Allerdings würde Snape ihr eh keine geben, sondern einen Weg finden, ihr einen Spruch reinzuwürgen. Also wofür die Mühe?
„Nun gut - Miss Granger?"
„Unser Gegner ist nicht gewarnt, welche Art von Zauber wir einsetzen werden", erklärte Hermine, „was uns einen Vorteil von einer knappen Sekunde einbringt."
„Eine Antwort, die fast wortwörtlich aus dem Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 6, übernommen wurde", erwiderte Snape geringschätzig, weshalb Draco – er saß einen Tisch weiter – und ich anfingen zu kichern, „aber im Wesentlichen korrekt ist. Ja, wem es gelingt, Magie einzusetzen, ohne Beschwörungsformeln auszurufen, der gewinnt beim Zaubern ein Überraschungsmoment. Natürlich sind nicht alle Zauberer dazu in der Lage; es ist eine Frage der Konzentration und der mentalen Stärke, die manchen", und sein Blick ruhte erneut feindselig auf Harry, „fehlt."
Vermutlich dachte Snape an die katastrophalen Okklumentikstunden mit dem Schüler. Dabei war er nicht durch seine mentale Stärke und seine Konzentration aufgefallen. Hätte er beides gehabt, würde nämlich noch Patricias Vater leben.
„Sie werden sich nun aufteilen", fuhr Snape fort, „und paarweise zusammengehen. Der eine Partner wird versuchen, den anderen ohne zu sprechen zu verhexen. Der andere wird versuchen, den Fluch ebenso stumm abzuwehren. Nun los."
Brav standen alle auf. Ich nur ziemlich widerwillig. Zum Glück waren wir eine ungerade Anzahl im Kurs, weshalb ich am Ende eine Dreier-Gruppe mit Draco und Adina bildete. Das hieß unterm Strich, die beiden Malfoys machten die Aufgabe, während ich mich auf den nächsten Tisch setzte und ihnen zusah. Adina bekam die ungesagten Zauber tatsächlich auch relativ gut hin. Patricia war wohl eine ganz passable Lehrerin für sie gewesen. Draco hingegen schien noch keine Ahnung zu haben, wie er es nun hinkriegen sollte. So wie eigentlich die meisten hier im Raum. Mal abgesehen von Kira und Mary, die hatten sich aber schließlich ebenfalls von der Kriegsnymphenfamilie trainieren lassen. Für das viele Training versagten sie allerdings ziemlich oft. Es konnte aber auch daran liegen, dass sie eher zu mir herübersahen, als sich auf ihren Kampf zu konzentrieren.
Es dauerte ganze zehn Minuten, bis jemand ohne Vorkenntnisse den ersten ungesagten Zauber hinkriegte. Genauer gesagt war es Hermine. Immer diese kleine Streberin. Snape ignorierte es allerdings einfach und schritt weiter zwischen den Schülerpaaren hin und her, wobei er wie eine übergroße Fledermaus wirkte.
Schließlich blieb er stehen, um Harry und Ron dabei zu beobachten, wie sie sich mit der Aufgabe quälten. Der Weasley war mittlerweile puterrot im Gesicht angelaufen, während seine Lippen gleichzeitig blutleer waren, weil er sie so stark aufeinanderpresste, vermutlich um die Beschwörungsformel des Zaubers nicht aus Versehen zu murmeln. Harry hatte seinen Zauberstab erhoben, doch sobald würde wohl kein Fluch zum Abwehren kommen.
„Erbärmlich, Weasley", kommentierte Snape nach einer Weile. „Hier - ich will es Ihnen zeigen -"
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sah ich dabei zu, wie er mit dem Zauberstab auf Harry zielte. Potter würde niemals einen unausgesprochenen Schildzauber hinkriegen. Also entweder würde er gleich gegen die Aufgabe verstoßen und ärger kriegen oder von dem ungesagten Fluch getroffen werden. Beides würde mir sehr gut passen. Vor allem weil auf beides wahrscheinlich noch Nachsitzen folgen würde, schließlich konnte man ihn mit solchen Dingen so leicht provozieren.
Tatsächlich schrie Harry keine Millisekunde später „Protego!"
Der Schildzauber wirkte und war sogar stark genug, dass Snape aus dem Gleichgewicht gerissen wurde und gegen ein Pult prallte. Die ganze Klasse hatte sich umgedreht und beobachtete nun, wie Snape sich mit finsterem Blick aufrichtete. Das würde eindeutig eskalieren, denn jetzt waren sie beide auf hundertachtzig.
„Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass wir ungesagte Zauber üben, Potter?", fragte der Lehrer mit unterdrückter Wut in der Stimme nach.
„Ja", erwiderte Harry steif.
„Ja, Sir."
„Sie brauchen mich nicht ›Sir‹ zu nennen, Professor."
„Nachsitzen, Samstagabend, mein Büro", sagte Snape. „Ich lasse es nicht zu, dass mir einer frech kommt, Potter ... nicht einmal der Auserwählte."
Ich musste grinsen. Das war so klar gewesen. Hoffentlich würde Potter für den Rest des Schuljahres noch jedes Jahr nachsitzen müssen. Am besten zusammen mit Quidditchverbot. Oh, er würde bestimmt nie wieder glücklich werden, wenn er das Kapitänsabzeichen von Gryffindor wieder abgeben musste.

Meine gute Laune durch Harrys Nachsitzen wurde auch nicht dadurch betrübt, dass mir die graue Dame bis zur Doppelstunde Zaubertränke, die erst nachmittags lag, nicht über den Weg lief. Auch als ich an dem Klassenraum ankam und bemerkte, dass nur Kira bei den Gryffindors stand, trübte das meine Freunde nur ein wenig.
Erneut ging die Tür auf, kaum dass ich angekommen war. Dieses Mal sah man nur Slughorns dicken Bauch im Türrahmen, während wir fröhlich hereingebeten wurden. Der Lehrer strahlte förmlich, als er sah, welche Leute sein Fach weitergewählt hatten. Die Leute, die er auch schon zum Essen im Hogwarts-Express eingeladen hatte, wurden von ihm besonders entzückt begrüßt.
Anders als früher war der Kerker von Dämpfen und seltsamen Gerüchen erfüllt. Ungefähr so stellte ich mir Trelawneys Klassenraum vor. Die Ursache dafür war auch schnell ausgemacht. Vier große, brodelnde Kessel. Im Vorbeigehen sah ich kurz herein. Die ersten beiden waren eindeutig Veritaserum und Vielsafttrank. Beides hatte die Kriegsnymphenfamilie immer auf Vorrat, weshalb ich diese Träne schon oft durch Patricias Augen gesehen hatte. Bei den anderen beiden war ich mir nicht so sicher, doch wahrscheinlich handelte es sich dabei um Amortentia und Felix Felicis.
Ich steuerte einen Tisch an. Tatsächlich kamen mir die anderen drei Slytherins meines Jahrganges sofort nach. Draco setzte sich direkt neben mich, während Pansy voller stolz auf seiner anderen Seite Platz nahm. Anscheinend dachte sie, dass nicht Blaise auf den Platz bestanden hatte, war ein gutes Zeichen. Ich vermutete allerdings eher, dass es dabei nicht um eine mögliche Beziehung zwischen ihr und Draco ging, sondern eher um die nicht existierende zwischen Blaise und mir. Patricias Ex-Freund schien jedenfalls froh über den Abstand zu sein.
Ich schielte zu den Gryffindors herüber, welche auf der anderen Seite des Klassenraumes saßen. Sie grinsten alle etwas träge, was meine Vermutung bestärkte, dass in dem Kessel ihnen am nächsten Amortentia war.
„Nun denn, nun denn, nun denn", sagte Slughorn, dessen gewaltige Umrisse durch die vielen schimmernden Dämpfe waberten. „Bitte alle die Waagen hervorholen und Trankzutaten, und vergessen Sie Zaubertränke für Fortgeschrittene nicht ..."
„Sir?", meldete sich Harry.
„Harry, mein Junge?"
„Ich habe kein Buch und keine Waage oder sonst was -und Ron auch nicht - wir wussten nicht, dass wir den UTZ doch machen Können, verstehen Sie –"
„Ah, ja, Professor McGonagall hat das erwähnt ... kein Problem, mein lieber Junge, gar kein Problem. Sie können heute Zutaten aus dem Vorratsschrank nehmen, und wir können Ihnen sicher eine Waage leihen und haben auch einen kleinen Bestand an alten Büchern hier, das wird reichen, bis Sie an Flourish & Blotts schreiben können ..."
Slughorn ging zügig hinüber zu einem Eckschrank und nach kurzem Stöbern tauchte er mit zwei sehr lädiert wirkenden Exemplaren Zaubertränke für Fortgeschrittene auf. Zusammen mit zwei angelaufenen Waagen wurden diese an Harry und Ron überreicht.
„Nun denn", sagte Slughorn, kehrte vor die Klasse zurück und blähte seine ohnehin schon gewölbte Brust, dass die Knöpfe an seiner Weste abzuspringen drohten, „ich habe ein paar Zaubertränke für Sie vorbereitet, nur mal zum Anschauen, rein aus Interesse, verstehen Sie? Diese Art von Tränken sollten Sie herstellen können, wenn Sie Ihren UTZ abgelegt haben. Auch wenn Sie sie noch nicht selbst gemacht haben, dürften Sie von ihnen gehört haben. Kann mir jemand sagen, was das hier für einer ist?"
Er zeigte auf den Kessel neben unserem Tisch. Das Veritaserum, welches eher an klares Wasser als an einen magischen Trank erinnerte.
Wie immer fuhr Hermines Hand so schnell in die Höhe, dass niemand anderes sonst die Chance hatte sich zu melden. Ich war mir sicher, Harry, der seinen Hals reckte, hatte nicht einmal genug Zeit den Inhalt wirklich zu sehen. Anders als Snape war Slughorn allerdings mehr als gewillt, meine übereifrige Klassenkameradin dran zu nehmen. Er deutete auf sie, weshalb sie auch schon anfing, sämtliche Informationen auszuspucken.
„Das ist Veritaserum, ein farbloser, geruchloser Zaubertrank, der den Trinkenden zwingt, die Wahrheit zu sagen", erklärte die Muggelstämmige.
„Sehr gut, sehr gut!", erwiderte Slughorn hochzufrieden. „Nun", fuhr er fort und wies auf den nächsten Kessel, der dieses Mal bei dem Ravenclaw-Tisch stand, „dieser hier ist recht bekannt ... wurde kürzlich auch in einigen Merkblättern des Ministeriums erwähnt ... wer kann -?"
Hermines Hand war wieder die schnellste.
„Es ist der Vielsaft-Trank, Sir", sagte sie.
Langsam ging es mir auf die Nerven. Slughorn schien das kleine wandelnde Lehrbuch zu mögen und das störte mich. Schließlich wollte ich gerne Informationen aus ihm herauskriegen. Andere Lieblinge konnten dabei nur stören.
„Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Nun, dieser hier ... Ja, meine Liebe?" Slughorn blickte nun leicht verwirrt, als Hermines Hand erneut in die Luft schoss.
„Das ist Amortentia!"
„In der Tat. Es scheint fast töricht zu fragen", sagte Slughorn, der schwer beeindruckt aussah, „aber ich nehme an, Sie wissen, was er bewirkt?"
„Er ist der mächtigste Liebestrank der Welt!", antwortete Hermine.
„Völlig richtig! Wie ich annehme, haben Sie ihn aufgrund seines charakteristischen Perlmuttschimmers erkannt?"
„Und wegen des Dampfes, der ganz typisch in Spiralen aufsteigt", erklärte die Gryffindor schwärmerisch, „und der angeblich für jeden von uns anders riecht, je nachdem, was wir anziehend finden - ich kann frisch gemähtes Gras und ein neues Pergament und ..."
Hermien lief leicht rosa an und beendete den Satz nicht mehr. Was immer der dritte Geruch war, er war ihr peinlich. Auf wen der wohl hindeuten würde? Etwa auf den Typ, den sie liebte? Na hoffentlich würde der nicht auch schon wieder ein Drama in dem Trio auslösen, so wie damals als sie mit Krum zum Ball gegangen war.
„Darf ich Ihren Namen erfahren, meine Liebe?", fragte Slughorn, ohne Hermines Verlegenheit zu beachten.
„Hermine Granger, Sir."
„Granger? Granger? Sind Sie womöglich verwandt mit Hector Dagworth-Granger, der die extraordinäre Zunft der Trankmeister gegründet hat?"
„Nein, ich glaube nicht, Sir. Ich stamme von Muggeln ab, wissen Sie."
„Das dreckige Schlammblut sollte ihre Zeit hier noch solange genießen, wie sie es kann", flüsterte Draco eher in Parkinsons Richtung als in meine, doch ich bekam es trotzdem mit. Meine Klassenkameradin kicherte, als hätte der Slytherin gerade etwas Lustiges gesagt, und er machte nach ein paar Sekunden mit.
Slughorn hingegen schien es gar nicht zu stören, dass Hermine von Muggeln abstammte. Er strahlte nun noch mehr und sah zu Harry herüber.
„Oho! Eine sehr gute Freundin von mir ist muggelstämmig und Sie ist die Beste in unserem Jahrgang! Ich nehme an, das ist diese Freundin, von der Sie sprachen, Harry?"
„Ja, Sir", antwortete Harry.
„Schön, schön, nehmen Sie zwanzig wohlverdiente Punkte für Gryffindor, Miss Granger", meinte Slughorn liebenswürdig. Sofort verdunkelte sich meine Laune ein wenig. Ab jetzt würde ich die kleine Streberin halt gar nicht mehr zu Wort kommen lassen. Solche Erfolgserlebnisse würde ich Harry definitiv nicht mehr gönnen.
„Amortentia erzeugt natürlich nicht wirklich Liebe", machte Slughorn mit seinem Vortag weiter. „Es ist unmöglich, Liebe herzustellen oder nachzubilden. Nein, er verursacht nur starke Schwärmerei oder Besessenheit. Es ist der wohl gefährlichste und stärkste Zaubertrank in diesem Raum - o ja", sagte er und nickte ernst zu Draco und mir herüber, weil wir wohl beide mehr als skeptisch aussahen. Aber was erwartete er auch? Dass ich ihm glaubte? Mal sehen, wie stark die Nymphe von Aphrodite war, wenn ich die Kräfte einforderte. Ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass er als Sieger hervorgehen würde.
„Wenn Sie so viel vom Leben gesehen haben wie ich, werden Sie die Macht besessener Liebe nicht unterschätzen ... Und nun", fuhr Slughorn fort, „ist es an der Zeit, dass wir mit der Arbeit beginnen."
„Sir", meldete sich nun Ernie Macmillan zu Wort, „Sie haben uns nicht gesagt, was in dem dort drin ist." Er deutete auf den schwarzen Kessel, welcher auf Slughorns Pult stand, dessen Inhalt ich für Felix Felicis hielt. Der Trank darin spritzte munter umher; er hatte die Farbe von geschmolzenem Gold und große Tropfen hüpften wie Goldfische über die Oberfläche, aber kein Bisschen war bisher verschüttet worden.
„Oho", machte Slughorn erneut, weshalb ich sofort das Gefühl bekam, der Lehrer hätte den Trank nicht wirklich vergessen. Es war nur Teil seiner Inszenierung. „Ja. Dieser. Nun, dieser hier, meine Damen und Herren, ist ein höchst kurioser kleiner Trank namens Felix Felicis. Ich nehme an", und er wandte sich lächelnd Hermine zu, die hörbar nach Luft schnappte, „dass Sie wissen, was Felix Felicis bewirkt, Miss Granger?"
Ich schnaubte leise. Jetzt war es also schon so weit, dass der Lehrer uns anderen nicht einmal mehr die Chance gab zu antworten?
„Es ist flüssiges Glück", meinte Hermine aufgeregt. „Es bewirkt, dass man Glück hat!"
Die ganze Klasse schien sich ein wenig aufzurichten, um den Trank besser sehen zu können. Alle schienen wohl gerne ein Schluck von dem Gebräu zu kosten. Allerdings half es mir vielleicht dabei, das blöde Diadem von Ravenclaw zu finden.
„Völlig richtig, nehmen Sie weitere zehn Punkte für Gryffindor. Ja, das ist ein merkwürdiger kleiner Trank, Felix Felicis", erzählte Slughorn. „Furchtbar kompliziert, ihn herzustellen, und eine Katastrophe, wenn er nicht gelingt. Wenn er allerdings richtig gebraut wird, wie dieser hier, dann werden Sie feststellen, dass alle Ihre Unternehmungen dazu neigen, zu gelingen ... zumindest, bis Die Wirkung nachlässt."
„Warum trinken die Leute ihn nicht die ganze Zeit?", fragte Terry Boot begierig.
„Weil er, wenn man ihn im Übermaß zu sich nimmt, ein Schwindelgefühl, Leichtsinn und gefährlich übersteigertes Selbstvertrauen verursacht", sagte Slughorn. „Zu viel des Guten, verstehen Sie ... höchst giftig in großen Mengen. Aber in Maßen eingenommen, und ganz selten ..."
„Haben Sie ihn jemals genommen, Sir?", fragte Michael Corner äußerst interessiert.
„Zweimal in meinem Leben", gab Slughorn zu. „Einmal, als ich vierundzwanzig war, und das andere Mal mit siebenundfünfzig. Zwei Esslöffel zum Frühstück. Zwei perfekte Tage."
Er blickte dazu auch noch träumerisch ins Leere, weshalb die Schüler nur noch begieriger auf den Trank schienen.
„Und das", meinte Slughorn und kehrte offensichtlich wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück, „setze ich in der heutigen Stunde als Preis aus."
Eine Stille trat ein, in der jedes Blubbern und Glucksen der Zaubertränke rundum zehnfach verstärkt wirkte.
„Ein Fläschchen Felix Felicis", fuhr Slughorn fort, nahm eine winzige verkorkte Glasflasche aus seiner Tasche und zeigte sie überall herum. „Genug für zwölf Stunden Glück. Von morgens bis abends wird Ihnen alles, was Sie unternehmen, gelingen. Allerdings muss ich Sie warnen, Felix Felicis ist bei Wettbewerbsveranstaltungen eine verbotene Substanz ... bei Sportereignissen zum Beispiel, Prüfungen oder Wahlen. Der Gewinner darf es also nur an einem gewöhnlichen Tag benutzen ... und wird erleben, wie ein gewöhnlicher Tag zu einem außergewöhnlichen wird!
Also", sagte Slughorn auf einmal energisch, „wie können Sie meinen sagenhaften Preis gewinnen? Nun, indem Sie die Seite zehn von Zaubertränke für Fortgeschrittene aufschlagen. Wir haben noch eine gute Stunde, das sollte Ihnen genügen, einen ordentlichen Versuch zu machen, den Sud des lebenden Todes hinzubekommen. Ich weiß, dass er komplizierter ist als alles, was Sie bisher in Angriff genommen haben, und ich erwarte von keinem einen perfekten Trank. Wer sich aber am geschicktesten anstellt, wird den kleinen Felix hier gewinnen. Und los geht's!"
Sofort machten sich alle an die Arbeit. Ein Scharren ertönte, als alle ihre Kessel heranzogen. An manchen stellen hörte man auch noch das Klappern, als die Waagen mit Gewichten beschwert wurden, doch niemand redete. Alle wollten unbedingt dieses Fläschchen haben. Draco neben mir durchblättere fieberhaft sein Zaubertränkebuch. Ob er das Fläschchen wohl für seinen Mordauftrag verwenden wollte?
Ich schob den Gedanken bei Seite. Es war vollkommen egal, wofür er ihn haben wollte. Ich würde ihn gewinnen. Bisher war ich immer sehr gut in Zaubertränke gewesen, wesentlich besser als er. Also sollte das wohl kaum kein Problem werden.
Ich las mir kurz die Seite durch, um mir das ganze Rezept zu merken, dann machte ich mich an schneiden. Die Baldrianwurzel war schnell zerhackt und sogar noch vor Hermine hatte ich einen Trank, der dem Zwischenziel einer „glatten Flüssigkeit von der Farbe Schwarzer Johannisbeeren", ähnelte.
Als Nächstes machte ich mich an die Schlafbohne. Auch diese waren in sekundenschnelle zerkleinert und im Kessel. Ein Blick zu den anderen verriet mir, dass ich mittlerweile mit Hermine gleich auf lag. Jedenfalls, was die Geschwindigkeit anging.
Slughorn ging an unserem Tisch vorbei und nickte mir nach einem Blick in den Kessel kurz anerkennend zu. Bisher schien es also ganz gut zu laufen.
„Sir, ich glaube, Sie kannten meinen Großvater, Abraxas Malfoy?", sprach nun Draco neben mir den Professor an. Vermutlich war das sein verzweifelter Versuch, auch bald zu den Lieblingen des Zaubertranklehrers zu gehören. Es entsprach vermutlich nicht den Vorstellungen eines Malfoys, nicht von jemanden gemocht zu werden, der eigentlich nur auf den Geldbeutel und den Status einer Person achtete.
„Ja", sagte Slughorn, ohne Malfoy anzublicken, „zu meinem Bedauern hörte ich, dass er verstorben ist, auch wenn es natürlich nicht unerwartet kam, Drachenpocken in seinem Alter ..."
Und er ging weiter. Draco sah ihm etwas empört nach. Das war nicht nach seiner Vorstellung gelaufen. Jetzt musste er sich definitiv ganz alleine auf seine Fähigkeiten verlassen, um den Trank zu gewinnen. Zu blöd, denn mich schlagen würde er definitiv nicht.
Ich spähte erneut zum Gryffindortisch. Harry war gerade dabei seine Bohne mit einem silbernen Dolch zu zerdrücken. Anscheinend war er nicht in der Lage, die Anweisungen zu lesen.
Ich begann meinen Zaubertrank brav in Uhrzeigersinn zu rühren. Aus irgendeinem Grund wurde er aber nicht klarer, sondern blieb bei seiner purpurnen Farbe. Ich rührte etwas schneller und endlich wurde er etwas blasser. Erneut spähte ich zu Hermine, doch auch sie schien beim Rühren nicht so voran zu kommen, wie sie wollte.
„Und die Zeit ist ... um!", rief Slughorn. „Nicht mehr rühren, bitte!"
Ich sah unzufrieden in meinen Trank, der noch immer viel zu dunkel war. Leider konnte ich nicht sehen, wie der von Hermine aussah. Wenn meiner auch nur ein wenig heller war, war mir die Flasche Felix Felicis sicher.
Slughorn ging langsam zwischen den Tischen durch und lugte in die Kessel. Er gab keine Kommentare ab, rührte nur hin und wieder in einem Trank oder schnupperte daran. Mir nickte er noch einmal anerkennend zu, was mich dazu brachte, zufrieden zu grinsen. Das war ein gutes Zeichen.
Schließlich kam er bei dem Tisch von Harry, Ron, Hermine und Kira an. Er lächelte mitleidig über den Trank von Ron, Kiras Trank überging er doch tatsächlich komplett und nur Hermine schenkte er ebenfalls ein anerkennendes Nicken. Anscheinend schien er es spannend machen zu wollen. Dann sah er Harrys Trank, und sehr zu meiner Überraschung breitete sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck ungläubiger Freude aus.
„Der klare Sieger!", rief er durch den Kerker. „Ausgezeichnet, ausgezeichnet, Harry! Mein Gott, Sie haben eindeutig das Talent Ihrer Mutter geerbt, sie war ein richtiges Ass in Zaubertränke, unsere Lily! Also, hier, bitte sehr, bitte sehr - eine Flasche Felix Felicis, wie versprochen, und verwenden Sie es mit Bedacht!"
Das konnte wohl nicht mit rechten Dingen zu sich gehen! Hermine und ich waren immer um Welten besser gewesen als Harry. Er hatte eindeutig bei der Herstellung einen Fehler gemacht und trotzdem hatte er gewonnen. Irgendetwas war hier faul und ich würde herausfinden was. Zum Glück wusste ich auch schon genau, wer der richtige Ansprechpartner dafür war.

Ohne anzuklopfen, stürmte ich in Snapes Büro. Mein Hauslehrer sah verärgert von seinem Buch auf, schluckte sich aber jegliche Kommentare herunter, als er merkte, wer hereingekommen war. Stattdessen zeigte er nur wortlos auf einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Mit einem Wink von seinem Zauberstab fiel die Tür auch schon wieder zu.
„Haben sie Harry jemals wirklich Nachhilfe in Zaubertränke gegeben?", fragte ich den Mann verärgert.
„Gewiss nicht, Basílissa", wurde mir noch immer seltsam ruhig geantwortet.
„Und warum ist er über die Sommerferien besser als ich geworden? Wir haben heute den Trank der lebenden Toten gebraut. Ich habe mich genau an das Rezept gehalten, Harry nicht, aber er hatte den besseren Trank!", schnauzte ich den Mann an. Er hatte dem Gryffindor also zumindest aus Versehen viel mehr beigebracht, als er es hätte tun sollen.
„Sich ans Rezept zu halten, war Ihr Fehler", kam die ziemlich überraschende Antwort des Lehrers. „Sie beschreiben einen sehr mühseligen Weg zum Brauen der Tränke. Im Klassenraum liegen ein paar alte Exemplare von dem Lehrbuch. Eines gehörte mal mir. Dort habe ich Anmerkungen hereingeschrieben."
Ich horchte auf. Anmerkungen bei Rezepten, damit sie effektiver wurden? In einem alten Zaubertränkebuch? Hatte Harry etwa das Alte von Snape heute bekommen?
„Haben sie zufällig den Tipp hereingeschrieben, die Schlafbohne beim Trank der lebenden Toten mir einem silbernen Messer zu zerdrücken?", hakte ich weiter nach.
„Dann tritt der Saft besser aus", wurde mir mitgeteilt, was mir nur ein wütendes Schnauben entlockte.
„Harry hat das Buch. Ich werde es mir holen. Wenn einer im Unterricht betrügt, dann bin ich es!", knurrte ich.


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