Kapitel 10
Mit gerunzelter Stirn sah ich zu Professor Dumbledores mal wieder leeren Sitzplatz. In der letzten Woche hatte ich ihn gar nicht mehr gesehen. Anscheinend hatte er es vorgezogen, die Schule zu verlassen. Ob er wohl neue Erkenntnisse gefunden hatte, die er vor mir verheimlichen wollte? Oder würde er sich nach seiner Rückkehr wieder an unseren Deal halten und mich einweihen?
Zugegebenermaßen, ich hielt mich momentan auch nicht mustergültig an unsere Abmachung. Von meinem Verdacht, das Diadem von Ravenclaw könnte ein Horkrux sein, hatte ich ihm natürlich auch nicht erzählt. Allerdings hatte ich natürlich auch nichts Stichfestes. Die Frage war, hatte Dumbledore etwas? Und wenn ja, wie kam ich an die Information? Der beste Ort zum Suchen wäre wohl wahrscheinlich sein Büro und da ich das Passwort hatte, wäre es wohl ein Leichtes, dort hereinzukommen. Ein neuer Tag, ein neuer Einbruch und hoffentlich daraus folgend einen Horkrux weniger.
Das übliche Flügelschlagen der Eulen war zu hören und kündigte das Ankommen der morgendlichen Post an. Wie immer wurde zu Draco eine Ausgabe des Tagespropheten gebracht. Er überflog kurz die Titelseite. Ausnahmsweise machte sich danach ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit. Normalerweise sah er eher wütend oder besorgt aus, weil das Ministerium irgendetwas gegen Todesser und über ihre Verfolgung schrieb.
Mir wurde der Zeitungsartikel hingehalten. Kurz überflog ich ihn ebenfalls:
Stanley Shunpike, Schaffner des beliebten magischen Transportmittels der fahrende Ritter, wurde wegen Verdacht auf Betätigung als Todesser festgenommen. Mr Shunpike, 21, wurde gestern spät in der Nacht nach einer Razzia in seiner Wohnung in Clapham verhaftet ...
Das sprach definitiv für Verzweiflung. Der Kerl war vieles aber sicherlich kein Todesser. Eigentlich sollte das schon klar sein, weil er anscheinend in einem Pub über die geheimen Pläne gesprochen hatte. Als würde das ein wirklich Anhänger von Voldemort machen. Das würde ihn nur auf die ein oder andere Art den Kopf kosten.
Zu dem Schluss, dass das Ministerium kurz vor dem endgültigen Verzweifeln zwar, kam wohl auch Draco aufgrund des Artikels. Ansonsten würde er kaum so grinsen, sondern nur sein übliches sorgenvolles Gesicht aufsetzen. Das hatte er in letzter Zeit tatsächlich oft. Anscheinend verlief es mit seinen Plänen, Dumbledore zu töten nicht so, wie er wollte. Kein Wunder schließlich war der Schulleiter aktuell nie da. Womit wir wieder zu meinen Einbruchsplänen und der perfekten Zeit dafür kämen.
In der Schule herrschte Totenstille. Selbst mein eigener Atem schien laut durch den leeren Flur zu hallen und noch mehrere Gänge weit hörbar zu sein. Natürlich war niemand in der Nähe, um mich zu hören. Es waren keine Schritte in der Ferne zu hören, die irgendjemand ankündigten, der gerade in der Nähe war. Anscheinend war Tyche auf meiner Seite und hatte keine Patrouille hierher geschickt.
Ich löste mich aus dem Schatten der Statue, welcher mir bisher als Versteck gedient hatte. Wie ein schwarzer Schatten glitt ich durch den Gang bis zum Wasserspeier, welcher Dumbledores Büro bewachte.
„Säuredrops", flüsterte ich, damit mich nicht doch noch jemand hörte, der ein paar Gänge weiter war. Tatsächlich wurde mir Einlass gewährt. Weil Umbridge letztes Jahr der Zutritt verweigert worden war, hatte ich doch etwas Zweifel gehabt, ob ich wirklich hereinkommen würde. Doch der Wasserspeier trat bei Seite, sodass ich die Wendeltreppe hinaufsteigen konnte. Die Bürotür selbst war nicht einmal abgeschlossen worden, weshalb das Herunterdrücken der Klinke reichte, um hereinzukommen.
Die Bilder, der früheren Schulleiter waren fast alle leer. Nur in zweien schliefen die Leute. Es wäre mir auch herzlich egal, wenn sie mich bei diesem Einbruch entdeckten. Zwar wäre es mir lieber, wenn Dumbledore davon nicht erfuhr, aber da unsere Zusammenarbeit bisher noch nicht sehr hilfreich war, konnte es mir auch egal sein, wenn er sie aufgrund dieses Einbruches frühzeitig auflöste. Sie war nur als Erleichterung für meinen Plan Voldemort zu töten gedacht.
Mit wachsamen Blick sah ich mich hier im Raum um. Seit Patricias letzten Besuch hier hatte er sich nicht wirklich verändert. Der große, runde Raum war noch immer mit allerlei merkwürdigen, silbernen Instrumenten und zimmerhohen Bücherregalen gefüllt. Um mich herum surrte es leise, während ich auf den gewaltigen klauenfüßigen Schreibtisch zu schlich. Neugierig begann ich die Schubladen zu durchwühlen. In der obersten rechts war ein anständiger Süßigkeitenvorrat, darunter Pergament und Federn. Ich wandte mich den Linken zu. Dort lagen in der mittleren genau zwei Gegenstände: Zum einen ein plumper Goldring mit schwarzen Stein, in welchem eine Art Wappen eingraviert worden war. Ein Dreieck, welches durch einen Strich halbiert wurde und in dem ein Kreis war. Das andere war das fünfzig Jahre alte Tagebuch, welches Patricia schon letztes Jahr als Horkrux präsentiert worden war. Das hier waren also die zwei zerstörten.
Ich schloss die Schublade wieder und sah mich im Raum um. Zwar war es interessant, nun zu wissen, wie der Ring ausgesehen hatte, doch das verriet noch nichts über Dumbledores aktuelle Suche. Mein Blick blieb an dem Schrank mit dem Denkarium hängen. Vielleicht hatte der Schulleiter ja dort etwas Interessantes aufbewahrt.
Ohne zu zögern, lief ich dorthin und öffnete den Schrank. Das Steinbecken mit den kunstvollen Gravuren stand noch immer an seinem angestammten Platz. Sehr zu meiner Überraschung war noch eine Erinnerung in dem Becken enthalten. Wollte der Schulleiter etwa, dass ich diese sah, so wie er mich nach Hogwarts gelockt hatte? Oder hatte er sie vielleicht einfach nur vergessen? Eigentlich war es auch egal, ich würde sie mir auf jeden Fall ansehen.
Ich tauchte mich den Kopf in das Steinbecken. Meine Füße hoben sich vom Boden des Büros ab. Ich fiel durch schwirrende Dunkelheit, bis diese ganz plötzlich durch blendendes Sonnenlicht ersetzt wurde. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, bis sie sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten, doch dann konnte ich mich endlich umsehen.
Dieses Mal stand ich auf einer Landstraße. Hohe, verschlungene Hecken säumten den Weg. Es war anscheinend ein wirklich schöner Sommertag, jedenfalls war über mir nichts als strahlendblauer Himmel. Ungefähr der Meter vor mir stand ein kleiner, rundlicher Mann mit enorm dicken Brillengläsern, die Seine Augen zu leberfleckartigen Pünktchen verkleinerten. Er blickte auf ein hölzernes Straßenschild, das aus den Brombeersträuchern am linken Straßenrand ragte. Es musste seine Erinnerung sein, wer auch immer er war, denn weit und breit war niemand anderes zu sehen. Anscheinend war der Mann ein Zauberer, der möglichst unbemerkt durch die Muggelwelt reisen wollte, denn er trug ein wildes Durcheinander an Kleidung. Ein Gehrock und Gamaschen über einem gestreiften Badeanzug.
Der Unbekannte ging mit zügigen Schritten die Straße entlang. Ich folgte ihm. Schließlich kamen wir an einem hölzernen Wegweiser vorbei. Ein Arm zeigte in die Richtung, aus der wir gerade kamen, und verkündete: „Great Hangleton, 5 Meilen". Unser Weg würde nach Little Hangleton führen, dem Ort, wo Voldemorts Vater begraben lag. Das konnte kein Zufall sein.
Wir folgten noch etwas weiter den Weg. Schließlich machte er eine Kurve nach links, neigte sich und führte sehr steil einen Hügel hinunter. In dem Tal war Little Hangleton zu sehen. Es lag gemütlich zwischen zwei steilen Hügeln. Seine Kirche und der Friedhof, wo Patricia das erste Mal Voldemort begegnet war, waren deutlich zu sehen. Auf dem Hügel gegenüber stand ein wunderschönes Gutshaus, inmitten einer weitläufigen, samtig grünen Wiese.
Aufgrund des steilen Gefälles war der Unbekannte in einen unfreiwilligen Trab verfallen. Wir näherten uns immer weiter Little Hangleton, weshalb ich mich schon fragte, was der Unbekannte wollte. So weit ich wusste, war Voldemort in einem Londoner Kinderheim aufgewachsen.
Doch dann bog die Straße nach rechts und der Unbekannte verließ sie. Er lief durch eine Lücke in der Hecke über einen schmalen, wesentlich schlechter gepflegten Feldweg. Noch höhere und wildere Hecken wuchsen am Wegesrand, während ein Schlagloch nach dem anderen den unebenen und steinigen Weg zierte. Auch jetzt ging es weiter hügelabwärts, allerdings nicht zum Dorf sondern zu einem Wald aus dunklen Bäumen.
Als der Mann die ersten dunklen Schatten des Waldes erreichte, zog er seinen Zauberstab. Erneut brauchten meine Augen ein paar Sekunden, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen, doch dann erkannte ich das halb im Dickicht verborgene Gebäude. Auch dieses wirkte schon ziemlich herunterkommen und eigentlich verlassen. Pflanzen versperrten die Sicht aus den Fenstern, während Moss die Mauern hinauswuchs. Vom Dach waren schon einige Ziegel heruntergefallen.
Ein Fenster wurde klappernd aufgeworfen. Von drinnen kamen nun eine dünne Damp- oder Rauchfahne heraus, fast als sei gerade jemand am Kochen. Der Unbekannte ging weiter auf das Haus zu, doch mit jedem Schritt wirkte er ein wenig vorsichtiger. Als er ganz zwischen den Bäumen stand, blieb er stehen. Mit Adleraugen beobachtete er die Haustür, an welche man doch tatsächlich eine tote Schlange genagelt hatte.
Es war ein Rascheln und Knacken zu hören. Ein Mann in Lumpen fiel vom nächsten Baum und landete direkt vor dem Unbekannten auf beiden Füßen. Letzterer sprang so schnell rückwärts, dass er auf die Schöße seines Gehrocks trat und strauchelte.
Der Mann vom Baum sah genauso ungepflegt aus wie das Haus und die Straße hierher. Sein dichtes Haar war ganz verfilzt vom vielen Schmutz. Die richtige Farbe konnte man gar nicht mehr erkennen. Sämtliche seiner Zähne fehlten ihm. Seine Augen waren klein und dunkel und starrten in entgegengesetzte Richtungen. Er wirkte wie ein ziemlich ungepflegter und gruseliger Landstreicher, den man am besten mit großen Bogen auswich.
Anstelle von wirklichen Worten gab der Baummann nur Zischlaute wie die einer Schlange von sich. Konnte er Parsel sprechen oder macht er es nur, weil er so durchgeknallt war? Ich konnte mir beides sehr gut vorstellen.
„Ähm - guten Morgen. Ich bin vom Zaubereiministerium -", meinte der Mann, dessen Erinnerung ich mir gerade ansah, sichtlich verunsichert.
Erneut wurde mit diesen Zischlauten geantwortet.
„Ähm - Verzeihung - ich verstehe Sie nicht", gestand nun der Zauber an, den ich verfolgte.
Der Mann in Lumpen ging nun auf ihn zu, das Messer in der einen, den Zauberstab in der anderen Hand.
„Nun hören Sie -", fing der als Muggel verkleidete Zauberer an, aber zu spät: Ein Knall ertönte, er lag am Boden und hielt sich krampfhaft die Nase, und eine ekelhafte gelbliche Schmiere spritzte zwischen seinen Fingern hervor.
„Morfin!", sagte eine laute Stimme.
Ein älterer Mann war aus dem Haus gehastet und hatte die Tür so heftig hinter sich zugeschlagen, dass die tote Schlange kläglich hin und herschwang. Dieser Mann war kleiner als der erste und hatte seltsame Proportionen; seine Schultern waren sehr breit und seine Arme überlang, was ihm zusammen mit seinen hellbraunen Augen, dem kurzen Stoppelhaar und dem runzligen Gesicht das Aussehen eines kräftigen, in die Jahre gekommenen Affen verlieh. Er blieb neben dem Mann mit dem Messer stehen, der angesichts des am Boden liegenden Ogden in keckerndes Gelächter ausgebrochen war, genauso wie ich.
„Ministerium, ja?", sagte der ältere Mann und sah zu dem Ministeriumsangestellten hinunter.
„Korrekt", erwiderte der Angestellte zornig und tastete sein Gesicht ab. „Und Sie sind, wie ich annehme, Mr Gaunt?"
„Richtig", sagte Gaunt. „Er hat Sie wohl im Gesicht erwischt, was?"
„Ja, hat er!", kam die fauchende Antwort auf die wirklich unnötige Frage.
„Sie hätten sich ankündigen sollen, oder?", erwiderte Gaunt angriffslustig. „Das hier ist Privatgelände. Können nicht einfach hier reinspazieren und erwarten, dass mein Sohn sich nicht verteidigt."
„Gegen was verteidigt, Mann?", fragte der Ministeriumsangestellte und rappelte sich hoch.
„Topfgucker. Eindringlinge. Muggel und Abschaum."
Der Verletzte richtete seinen Zauberstab auf seine eigene Nase, aus der immer noch große Mengen einer gelben, eiterartigen Masse hervorquollen, und der Strom versiegte augenblicklich. Mr Gaunt redete aus dem Mundwinkel mit Morfin. Oder besser gesagt, er machte Schlangenlaute. Anscheinend waren beide dem Parsel mächtig.
Morfin schien gerade im Begriff zu sein zu widersprechen, doch als sein Vater ihm einen drohenden Blick zuwarf, besann er sich anders, schleppte sich in einem merkwürdigen wiegenden Gang zum Haus hinüber und schlug die Tür hinter sich zu, so dass die Schlange erneut traurig hin- und herschwang.
„Ich bin wegen Ihres Sohnes hier, Mr Gaunt", sagte Ogden, während er den letzten Rest Eiter vom Revers seines Gehrocks wischte. „Das war Morfin, nicht wahr?"
„Ah, das war Morin", sagte der alte Mann gleichgültig. „Sind Sie Reinblüter?", fragte er, mit einem Mal aggressiv.
„Das spielt keine Rolle", sagte der Besucher nüchtern.
Gaunt empfand eindeutig sehr anders darüber. Er starrte den Ministeriumsangestellten mit zusammengekniffenen Augen an und murmelte in einem Ton, der offensichtlich beleidigend klingen sollte: „Wenn ich's mir recht überlege, hab ich Nasen wie Ihre schon unten im Dorf gesehen."
„Das bezweifle ich nicht, wenn Ihr Sohn auf sie losgelassen wurde", sagte der Besucher. „Vielleicht können wir diese Unterhaltung drinnen fortsetzen?"
„Drinnen?"
„Ja, Mr Gaunt. Ich habe es Ihnen bereits gesagt. Ich bin wegen Morfin hier. Wir haben eine Eule geschickt -"
„Ich kann mit Eulen nichts anfangen", sagte Gaunt. „Ich öffne keine Briefe."
„Dann können Sie sich wohl kaum beschweren, dass Ihre Besucher sich nicht ankündigen", sagte der Besucher scharf. „Ich bin hier infolge einer schwer wiegenden Verletzung des Zaubereigesetzes, die heute in den frühen Morgenstunden hier verübt -"
„Schon gut, schon gut, schon gut!", bellte Gaunt. „Dann kommen Sie eben in das verdammte Haus und sehen, was es Ihnen nützt!"
Das Haus hatte offenbar drei kleine Räume. Zwei Türen führten vom Hauptraum weg, der gleichzeitig als Küche und Wohnzimmer diente. Morfin saß in einem schmutzigen Sessel neben dem rauchenden Kaminfeuer, ließ eine lebendige Natter durch seine dicken Finger schlängeln und sang ihr leise auf Parsel zu.
Aus der Ecke neben dem offenen Fenster kam ein schlurfendes Geräusch, und ich bemerkte, dass noch jemand im Raum war. Ein Mädchen, dessen verschlissenes graues Kleid genau die gleiche Farbe hatte wie die schmutzige Steinmauer hinter ihm. Das Mädchen stand an einem verrußten schwarzen Herd, auf dem ein Topf dampfte, und machte sich an dem Regal mit verwahrlost wirkenden Töpfen und Pfannen darüber zu schaffen. Ihr Haar war dünn und stumpf und sie hatte ein unscheinbares, blasses, recht plumpes Gesicht. Ihre Augen starrten wie die ihres Bruders in entgegengesetzte Richtungen. Sie schien ein wenig gepflegter als die beiden Männer, aber trotz allem wirkte sie noch immer wie eine wirklich erbärmliche Obdachlose. Nicht einmal Patricia sah in ihren schlimmsten Zeiten so aus.
„Meine Tochter, Merope", sagte Gaunt widerwillig, als der Besucher fragend zu ihr hinüberblickte.
„Guten Morgen", sagte der Minsteriumsangestellte.
Sie gab keine Antwort, sondern warf ihrem Vater einen erschrockenen Blick zu, wandte sich ab und schob wieder die Töpfe auf dem Regal hinter ihr hin und her.
„Nun, Mr Gaunt", sagte der Besucher, „um gleich zur Sache zu kommen, wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Sohn Morfin gestern spät in der Nacht vor einem Muggel Zauber ausgeführt hat."
Ein ohrenbetäubendes Scheppern war zu hören. Merope hatte einen der Töpfe fallen lassen.
„Aufheben!", brüllte Gaunt sie an. „Ja, genau, grapsch auf dem Boden rum wie ein dreckiger Muggel, wozu hast du deinen Zauberstab, du nutzloser Mistsack?"
„Mr Gaunt, bitte!", rief der Ministeriumsangestellte und klang schockiert. Merope, die den Topf schon aufgehoben hatte, bekam scharlachrote Flecken im Gesicht, sie ließ den Topf wieder fallen, zog bebend ihren Zauberstab aus der Tasche, richtete ihn auf den Topf und murmelte einen hastigen, unhörbaren Zauberspruch, worauf der Topf von ihr weg über den Boden schlitterte, an die Wand gegenüber schlug und entzweibrach. Aufgrund der Szenerie musste ich erneut lachen. Ich hatte noch keine Ahnung, ob diese Erinnerung mich irgendwie weiterbringen würde, doch bisher war sie ganz amüsant.
Morfin ließ ein verrücktes keckerndes Lachen los. Gaunt schrie: „Mach ihn wieder ganz, du nichtsnutziges Stück, mach ihn wieder ganz!"
Merope wankte durch den Raum, doch ehe sie ihren Zauberstab heben konnte, hatte der Besucher bereits seinen gezückt und sagte entschlossen: „Reparo." Der Topf setzte sich augenblicklich wieder zusammen.
Gaunt machte kurz den Eindruck, als wollte er den Ministeriumszauberer gleich anschreien, dann aber überlegte er es sich offenbar anders; er verhöhnte stattdessen seine Tochter: EEin Glück, dass der nette Mann vom Ministerium da ist, oder? Vielleicht holt er dich von mir weg, vielleicht hat er nichts gegen dreckige Squibs ..."
Ohne jemanden anzusehen oder sich für die Hilfe zu bedanken, hob Merope den Topf auf und stellte ihn mit zitternden Händen wieder auf sein Regal. Dann stand sie völlig reglos da, den Rücken an die Wand zwischen dem schmutzigen Fenster und dem Herd gelehnt, als wäre es ihr sehnlichster Wunsch, in den Stein zu versinken und zu verschwinden.
„Mr Gaunt", begann der Besucher erneut, „wie bereits gesagt: Der Grund für meinen Besuch -"
„Das hab ich schon verstanden!", fauchte Gaunt. „Na und wenn schon? Morin hat einem Muggel ein bisschen verpasst, was er ohnehin verdient hat - was ist schon dabei?"
„Morfin hat das Zaubereigesetz gebrochen", erklärte der Ministeriumszauberer streng.
„Morfin hat das Zaubereigesetz gebrochen", äffte Gaunt seine Stimme nach und machte daraus einen schwülstigen Singsang. Morfin lachte wieder keckernd. „Er hat einem dreckigen Muggel eine Lektion erteilt, und das soll jetzt gesetzwidrig sein?"
„Ja", sagte Ogden. „Ich fürchte, das ist so." Er zog eine kleine Pergamentrolle aus einer Innentasche und breitete sie aus.
„Was ist das denn, sein Urteilsspruch?", fragte Gaunt mit zornig anschwellender Stimme.
„Es ist eine Vorladung ins Ministerium zu einer Anhörung -"
„Vorladung! Vorladung? Für wen halten Sie sich eigentlich, dass Sie meinen Sohn irgendwohin vorladen könnten?"
„Ich bin der Leiter des magischen Strafverfolgungskommandos", erklärte der Besucher.
„Und Sie denken, wir sind Abschaum, ja?", schrie Gaunt, näherte sich jetzt dem Besucher und richtete einen schmutzigen Finger mit gelbem Nagel auf seine Brust. „Abschaum, der angelaufen kommt, wenn das Ministerium es ihm befiehlt? Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie reden, Sie dreckiger kleiner Schlammblüter, wissen Sie das?"
„Ich hatte bisher den Eindruck, mit Mr Gaunt zu sprechen", sagte der Leiter des Magischen Strafverfolgungskommandos, der vorsichtig wirkte, aber nicht zurückwich.
„Das ist richtig!", donnerte Gaunt. Für einen Moment wuchtelte er komisch mit der Hand bis mir klar wurde, dass er dem Besucher den Ring an seinem Mittelfinger zeigte. Genauer gesagt der Ring, welcher heutzutage in Dumbledores Schreibtischschublade lag. Warum hatte Voldemort ausgerechnet diesen als Horkrux gewählt?
„Sehen Sie den? Sehen Sie den? Wissen Sie, was das ist? Wissen Sie, woher der kommt? Jahrhundertelang war er im Besitz unserer Familie, so weit zurück reicht unser Stammbaum, und wir haben immer das reine Blut bewahrt! Wissen Sie, wie viel man mir dafür geboten hat, mit dem Peverell-Wappen, das in den Stein graviert ist?"
„Ich habe wirklich keine Ahnung", sagte der Ministeriumszauberer und blinzelte, während der Ring wenige Zentimeter vor seiner Nase herumschwebte, „und das tut hier überhaupt nichts zur Sache, Mr Gaunt. Ihr Sohn hat sich -"
Mit einem wütenden Schrei rannte Gaunt auf seine Tochter zu. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, er wäre komplett durchgedreht und würde sie nun erdrosseln, da er ihr mit der Hand an die Gurgel fuhr, doch gleich darauf zerrte er sie an einer Goldkette, die um ihren Hals hing, zu dem Besucher hin.
„Sehen Sie das?", brüllte er Ogden an und schüttelte ein schweres goldenes Medaillon in seine Richtung, während Merope würgte und nach Atem rang. Mir stockte der Atem. Nein, das war nicht irgendein Medaillon. Ich hatte es schon einmal gesehen oder besser gesagt, Patricia hatte es. Als sie das Haus der Blacks renovierten, ist es im Müll gelandet, doch Kreacher hatte es wieder herausgefischt. Das konnte kein Zufall sein.
Regulus hatte erzählt, er hatte den einen Horkrux nicht zerstören können. Stattdessen bekam Kreacher zusammen mit dem Auftrag, ihn zu zerstören. Daher war Patricia einfach davon ausgegangen, das wäre auch geschehen. Aber was wenn nicht? Wenn der Hauself bei seiner Aufgabe versagt hatte? Was war, wenn Regulus Horkrux noch immer existierte? An den wäre dann wenigstens einfach heranzukommen, schließlich war ich Sirius Erbe.
„Ich sehe es, ich sehe es!", rief der Leiter des Magischen Strafverfolgungskommandos hastig.
„Von Slytherin!", rief Gaunt. „Von Salazar Slytherin! Wir sind seine letzten lebenden Nachfahren, was sagen Sie dazu, he?"
Mir stockte der Atem. Das Medaillon war von Slytherin, ein anderer Horkrux war vermutlich Ravenclaws Diadem. Hatte Voldemort etwa Artefakte der Gründer gesammelt und als Versteck für seine Seele genutzt? Gab es denn noch weitere? Anscheinend hatte ich neue Dinge, die ich in der Bibliothek recherchieren musste.
„Mr Gaunt, Ihre Tochter!", sagte der Besucher in heller Aufregung, aber Gaunt hatte Merope schon losgelassen; sie taumelte von ihm weg, zurück in ihre Ecke, rieb sich den Hals und schnappte nach Luft.
„Also!", meinte Gaunt triumphierend, als hätte er soeben einen komplizierten Sachverhalt unstrittig bewiesen. „Sprechen Sie nicht weiter mit uns, als ob wir Dreck an Ihren Schuhen wären! Generationen von Reinblütern - allesamt Zauberer - mit Sicherheit mehr, als Sie von sich behaupten können!"
Er spuckte auf den Boden vor den Füßen des Besuchers. Morfin keckerte erneut. Merope, die mit gesenktem Kopf, das Gesicht von ihrem dünnen Haar verborgen, neben dem Fenster kauerte, sagte nichts.
„Mr Gaunt", sagte der Ministeriumszauberer hartnäckig, „ich fürchte, weder Ihre noch meine Vorfahren haben mit der anhängigen Sache etwas zu tun. Ich bin wegen Morfin hier, wegen Morfin und des Muggels, den er gestern spät in der Nacht angepöbelt hat. Unseren Informationen nach", er warf einen Blick auf seine Pergamentrolle, „hat Morfin einen Fluch oder Zauber gegen besagten Muggel ausgeführt, wodurch dieser einen höchst schmerzhaften Nesselausschlag bekam."
Morfin kicherte.
Der alte Gaunt knurrte etwas auf Parsel, weshalb sein Sohn wieder verstummte.
„Und was, wenn er es tatsächlich getan hätte"«, sagte Gaunt herausfordernd zu seinem Besucher. „Ich schätze, Sie haben dem Muggel sein dreckiges Gesicht sauber gewischt, und sein Gedächtnis noch dazu -"
„Darum geht es wohl kaum, nicht wahr, Mr Gaunt?", erwiderte der Ministeriumszauberer. „Dies war ein nicht provozierter Angriff auf einen wehrlosen -"
„Ach, ich hab doch gleich gesehen, dass Sie ein Muggelfreund sind", höhnte Gaunt und spuckte wieder auf den Boden.
„Diese Diskussion bringt uns nicht weiter", erklärte der Besucher bestimmt. „Aus dem Verhalten Ihres Sohnes geht eindeutig hervor, dass er keine Reue für seine Taten empfindet." Er warf noch einen Blick auf seine Pergamentrolle. „Morfin wird am vierzehnten September zu einer Anhörung erscheinen und zu der Anklage Stellung Nehmen, dass er in Anwesenheit eines Muggels Magie eingesetzt hat und besagtem Muggel Schaden und Leid -"
Der Leiter des Magischen Strafverfolgungskommandos brach ab. Das Klirren und Getrappel von Pferden und laute, lachende Stimmen wehten durch das offene Fenster herein. Anscheinend führte die gewundene Straße zum Dorf ganz dicht an dem Wäldchen vorbei, in dem das Haus stand. Gaunt erstarrte und lauschte mit aufgerissenen Augen. Morfin zischte und wandte sich mit gieriger Miene in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Merope hob den Kopf, weshalb man ihr ganz weißes Gesicht sehen konnte.
„Mein Gott, was für ein Schandfleck!", erklang die Stimme eines Mädchens, die so deutlich durch das offene Fenster zu hören war, als hätte das Mädchen neben ihnen im Raum gestanden. „Hätte dein Vater diese Bruchbude nicht abreißen lassen können, Tom?"
„Die gehört nicht uns", sagte die Stimme eines jungen Mannes.
„Alles auf der anderen Seite des Tals gehört uns, aber dieses Haus gehört einem alten Landstreicher namens Gaunt und seinen Kindern. Der Sohn ist völlig verrückt, du solltest mal hören, was sie im Dorf so erzählen -"
Das Mädchen lachte. Das Klirren und Getrappel wurde immer lauter. Morfin machte Anstalten, aus seinem Sessel aufzustehen. Sein Vater zischte allerdings wieder etwas auf Parsel, weshalb er es doch nicht machte.
„Tom", sagte die Mädchenstimme erneut, jetzt so nahe, dass sie offenbar direkt am Haus waren, „vielleicht täusche ich mich - aber hat da jemand eine Schlange an die Tür genagelt?"
„Guter Gott, du hast Recht!", erwiderte die Stimme des Mannes.
„Das wird der Sohn gewesen sein, ich hab dir ja gesagt, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Sieh nicht hin, Cecilia, Liebling."
Das Klirren und Getrappel wurde nun wieder schwächer.
Nun entstand eine Unterhaltung zwischen den Familienmitgliedern auf Parsel. Auch wenn ich kein Wort verstand, schien Morfin am Anfang seine Schwester mit etwas aufzuziehen. Etwas, was seinem Vater gar nicht gefiel. Dem veränderten Gesichtsausdruck von Merope als sie die Stimme von diesem Tom hörte, schien sie ihn irgendwie zu mögen. Vielleicht ging es ja darum. So wie sich Gaunt über Muggel geäußert hatte, würde es ihm bestimmt gar nicht gefallen, wenn seine Tochter auf einen stand.
Ob der Tom wohl der Vater von Voldemort war? Namenstechnisch würde es auf jeden Fall passen und so viele Toms würden sicherlich nicht in Little Hangleton wohnen. Hatte Voldemort deshalb so viele Horkruxe von dieser Familie genommen? Weil er sich an ihnen Rächen wollte? Oder würde Merope ein Märchen erleben und von ihrem Prinzen, in diesem Fall wohl Tom, von hier gerettet werden? War der dunkle Zauberer einfach stolz auf seine reinblütige Herkunft, weshalb er die Erbstücke genommen hatte?
In diesem Moment begann Gaunt irgendetwas auf Parsel zu brüllen. Seine Hände umschlossen dieses Mal wirklich die Kehle seiner Tochter.
„Nein!", schrie der Ministeriumszauberer und hob seinen Zauberstab. „Relaschio!"
Gaunt wurde rücklings von seiner Tochter weggerissen. Er stolperte über einen Stuhl und fiel flach auf den Rücken. Brüllend vor Zorn sprang Morfin aus seinem Sessel und stürmte auf den Leiter des Magischen Strafverfolgungskommandos zu. Dabei schwang er sein blutiges Messer und feuerte wahllos Flüche aus seinem Zauberstab ab. Der Ministeriumsangestellte rannte um sein Leben. Ich folgte ihm, auch wenn der interessante Teil wohl vorbei war.
Der Mann stürmte den Feldweg hoch und sprang, die Arme über dem Kopf, auf die Landstraße, wo er mit einem glänzenden, fuchsroten Pferd zusammenstieß, auf dem ein sehr gut aussehender, dunkelhaariger junger Mann saß. Der Mann und das hübsche Mädchen, das auf einem grauen Pferd an seiner Seite ritt, brachen in Gelächter aus, als sie Ogden sahen, der von der Flanke des Pferdes abprallte, sich wieder aufmachte und mit wehendem Gehrock und von Kopf bis Fuß voller Staub überstürzt die Straße hochrannte.
Ich wartete noch kurz, doch um mich herum verschwand die Szene, weshalb ich schwerelos durch die Dunkelheit schwebte. Schließlich landete ich wieder in Dumbledores dunklen und noch immer leeren Büro. Im ersten Moment wollte ich sofort anfangen, nach Kreacher zu brüllen, doch dann überlegte ich es mir anders. Die zwei Schulleiter schliefen noch immer in ihren Rahmen. Ich würde sie nicht wecken und damit unnötig meinen Einbruch offen legen.
Fünf Minuten später stand ich sicher in einem verlassen Geheimgang, nicht unweit vom Slytherin-Gemeinschaftsraum entfernt. Der Gang war gut schallisoliert, weshalb auch niemand, der gerade vor dem Ausgang herlief, mich hören würde.
„Kreacher!", rief ich laut und deutlich. Es passierte rein gar nichts.
In mir kochte schon wieder die Wut hoch. Jessica hatte behauptet, Dumbledore würde mich suchen, weil ich etwas von Sirius geerbt hatte. Warum also kam der blöde Hauself jetzt nicht zu mir? Ich war die Tochter seines früheren Herren und sein Erbe. Er war damit nun mein verdammter Elf und hatte meinen Befehlen folge zu leisten.
„Kreacher, komm her!", versuchte ich es erneut, doch wieder passierte nichts. Vielleicht konnte mich der Hauself einfach nicht hören. Oder Dumbledores Sicherheitsmaßnahmen umfassten nicht nur das Durchsuchen von Gepäck und Post, sondern sie verhinderten auch das Erscheinen von diesen Wesen. Auch wenn Zauberer in aller Regel vergaßen, Hauselfen auszusperren, der Schulleiter war vielleicht klug genug, um daran zu denken.
„Sirius hat dir etwas vererbt", hörte ich wieder Jessicas Stimme in meinem Kopf, weshalb ich angewidert das Gesicht verzog. Es gab noch eine weitere Möglichkeit, warum Kreacher nicht zu mir kam. Ich hatte nur etwas geerbt, nicht alles. Vielleicht hatte Patricias Vater entschieden, ihr nicht den Hauself zu überlassen.
Je länger ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher wurde es sogar. Patricia hatte das Wesen nicht unbedingt geliebt und es wusste eine Menge Dinge über den Orden. Auch wenn seine Tochter nur so tun wollte, als würde sie eine Todesserin sein, hätte sie, um glaubwürdig zu sein, den Hauselfen alle Geheimnisse hätte verraten lassen müssen. Es wäre also klüger gewesen, ihn an jemand anderes zu vererben.
Ich seufzte frustriert. Das hieß, ich musste mich nicht nur mit Artefakten der Hogwartsgründer, sondern auch mit dem Testament von Sirius Black befassen, um herauszufinden, wie ich am besten an das verdammte Medaillon herankam. Vielleicht war Tyche ja auf meiner Seite und der Hauself war mein Eigentum. Dann musste ich ihn nur noch irgendwie zu mir kriegen.
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