Kapitel 38

Das Schloss der Kriegsnymphenfamilie war mal wieder in Weihnachtsdekoration begraben. Egal, wo man hinsah, überall hingen Lichterketten, Christbaumkugeln, Lametta und Tannenzweige. Aus dem Salon hörte man schon das fröhliche Quietschen der jüngeren Kinder dieser Familie gemischt mit dem Stimmengewirr der Erwachsenen. Sirius und ich waren wohl einer der letzten, die zu der großen Truppe dazustießen.
Als wir in den Salon traten, wurden auch schon fast von Hestias Kindern umgerannt, welche sich gegenseitig durch den Raum jagten. Ich sah mich neugierig nach meinem Onkel-Vater um, welchen ich schließlich auf einem Sofa entdeckte. Er wirkte noch immer ziemlich geschwächt und dass niemand ein Teil der Sitzgelegenheit für sich eingefordert hatte, sagte auch schon alles. Yasmine saß auf einem Stuhl daneben, damit ihr Freund seine Füße hochlegen konnte.
Ich eilte zu dem Pärchen herüber, um meinem ihnen Hallo zu sagen. Sirius hielt vorher schon bei Frédéric und Claire an, um die beiden zu begrüßen.
„Wie geht es dir?", fragte ich Marlon, nach der Begrüßung.
„Jeden Tag ein klein wenig besser", wurde mir mit ziemlich erschöpfter Stimme mitgeteilt.
„Bist du denn gut heruntergekommen?", hakte ich weiter nach.
„Mit entsprechend vielen Pausen", wurde mir gestanden, weshalb sich mein Magen unangenehm zusammenzog. Diese Antwort gefiel mir ganz und gar nicht. Ich fragte mich wirklich, wann er wieder fitt genug war, um an einem Stück die Treppen herunterzulaufen.
„Das wird wieder, Patricia. Man merkt jeden Tag, dass er wieder fitter wird", versicherte mir Yasmine, weshalb ich ein leises, langes Seufzen von mir gab. Es ging mir halt viel zu langsam.
„Bis zu Silvester bin ich wieder fitt genug, damit ich mit dir und Yasmine zur Feier der kanadischen Botschaft kann", versprach mein Onkel-Vater.
Ich legte meine Stirn in Falten. Von dieser Feier erfuhr ich gerade das erste Mal.
„Wir hatten mit ihr noch nicht darüber gesprochen, Marlon", stellte meine potentielle Stiefmutter belustigt fest und strich ihrem Freund liebevoll über die Wange. „In der kanadischen Botschaft wird eine Silvesterfeier stattfinden, Patricia. Marlon und ich werden hingehen, auch wenn Umbridge dann leider erfährt, dass die Untersuchung gegen Marlon vielleicht nicht ganz objektiv gelaufen ist. Wir würden uns freuen, wenn du uns begleiten würdest."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Eigentlich wollte ich Sirius nicht auch noch an dem Tag alleine feiern lassen, wo ich mich schon für morgen ausgeklinkt hatte. Außerdem was sollte ich auf der Botschaftsfeier? Hohe Politiker und ich waren nicht wirklich zwei Dinge, die gut zusammenpassten. Ich hatte keine Lust an Silvester in Blaises Rolle bei der Verlobung seiner Mutter zu übernehmen, brav neben Marlon und Yasmine zu stehen und die Hände von Politikern zu schütteln, die mich nicht ausstehen konnten.
„Du musst dich nicht jetzt entscheiden, Welpe", wurde mir von Marlon versichert. „Denke in Ruhe darüber nach, spreche mit Sirius darüber und entscheide dich dann. Wir wollten dich nur gerne einladen."
Ich nickte leicht. Ich würde mich definitiv ganz in Ruhe entscheiden, die Pros und Kontras ganz in Ruhe abwägen, bevor ich mich schließlich endgültig entschied.
„Wie geht es deinen Freunden in Hogwarts?", schnitt Marlon ein neues Thema an.

Marlon hatte es tatsächlich nach dem Festmahl und dem Austausch von Geschenken bis in sein Schlafzimmer geschafft. Zwischenzeitlich hatte ich gedacht, er müsse wirklich unten auf dem Sofa im Salon schlafen, weil er nur ziemlich mühevoll und mit Krücken einen Schritt nach dem anderen machen konnte.
Auch Yasmine wirkte noch nicht ganz überzeugt, dass ihr Freund es bis in sein Bett schaffen würde, weshalb sie ihn tatsächlich noch mit mir nach oben gebracht hatte, bevor sie zu ihrer Familie nach Kanada appariert war.
Ich hatte mich bei meinem Onkel-Vater im Bett zusammengerollt, in der Hoffnung den 25. Dezember einfach zu verschlafen. Doch natürlich tat ich es nicht. Gerade einmal nach fünf Stunden Schlaf, beschloss mein Körper, das würde für heute reichen, weshalb ich hellwach neben Marlon lag. Er schlief natürlich noch tief und fest.
Fast eine Stunde lang drehte ich mich nervös von links nach rechts. Nach den ersten zehn Minuten kam Antiope zu mir, um sich an mich zu kuscheln, doch irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Jedes Mal, wenn ich mich zu Marlon drehte, blitzte wieder das Bild meines Sorgeberechtigten vor meinem inneren Auge auf, wie er noch vor wenigen Tagen ausgesehen hatte. Die dicken Verbände, welche die von den Blitzen verbrannte Haut bedeckte.
Ich musste hier raus und mein Wuschelhund hatte sicherlich auch nichts gegen einen ausgedehnten Spaziergang mit mir zu unternehmen, um mich ein wenig von den düsteren Gedanken abzulenken.
„Na komm, Antiope", flüsterte ich leise in Richtung meines Hundes. „Wir gehen etwas spazieren."
Ich befreite mich von der Decke und steuerte auf die Schlafzimmertür zu. Duschen würde ich nebenan. Dort konnte ich auch bei Licht einen Zettel schreiben, in dem ich Marlon mitteilte, wo ich gerade unterwegs war. Die Frage war nur, wo würde ich spazieren gehen? Einfach um das Schloss eine Runde? Oder wollte ich woanders hin? Zum Beispiel zum Friedhof, um Tashas Grab zu besuchen?
Vielleicht kam sie ja auch heute. Wenn sie rannte, würde sie bestimmt problemlos über das Wasser kommen. Sie könnte einfach nach Nordirland zum Grab rennen.
Ich schüttelte bestimmt den Kopf. Ich sollte wirklich nicht albern sein. Heute würde nur die Familie von Mama und Papa zum Grab kommen, nicht meine kleine Natasha. Ansonsten würde meine kleine Schwester doch schon längst wieder bei unseren Großeltern wohnen, nicht alleine durch die Weltgeschichte stromern.
Aber trotzdem war es eine schöne Idee, Mama und Papas Grab zu besuchen. Ob ich wohl irgendwo Blumen herbekommen würde? Allerdings war das an Weihnachten wohl eher nicht möglich. Vielleicht sollte ich einmal die Hauselfen fragen, also falls von ihnen schon jemand wach war.

Vorsichtig legte ich den Strauß Blumen neben mich auf den Boden. Der Himmel über den Grab meiner leiblichen Eltern, meiner Schwester und mir war noch ganz dunkel, weshalb mit den Grabstein und auch die Gravur darin, kaum erkennen konnte. Trotzdem hatte ich ihn sofort wiedergefunden.
Ich befreite den Sockel des größeren Grabsteins vom Schnee, um die Blumen, welche mir tatsächlich die Hauselfen gegeben haben, vorsichtig darauf zu legen. Ich hatte keine Ahnung, wo sie um sechs Uhr morgens an Weihnachten den Strauß herbekommen hatten, doch unterm Strich war es auch egal.
Antiope schnüffelte derweil um das Grab herum. Sie lief immer mal wieder ein paar Meter von mir weg, hob dann ihren Kopf, schnüffelte noch ein wenig herum und kam dann doch wieder lieber zurück.
„Ich hoffe, wir sehen uns alle bald wieder", murmelte ich, während ich auch noch das Foto und den Schriftzug im Steinbuch vom Schnee befreite.
Antiope kam wieder zu mir getrapst und sah neugierig dabei zu, was ich da eigentlich gerade machte. Nachdem sie verstanden hatte, dass ich das Grab von der dicken Schneeschicht befreien wollte, begann sie ebenfalls in der weißen Masse zu buddeln.
Erst als die gesamte Grabdekoration befreit war, hörte ich wieder auf. Stattdessen setzte ich mich in den Schnee, ignorierte meine Hose, die langsam nass wurde, und auch die Kälte, die durch den Stoff drang. Antiope kam zu mir gelaufen, legte ihren Kopf in meinen Schoß und schien darauf zu warten, dass ich beschloss, doch noch einmal aktiver zu werden.
So blieben wir beide sitzen, sahen dabei zu, wie sich langsam das erste Rot des Tages an den Himmel kämpft, gefolgt von den ersten Sonnenstrahlen und schließlich auch dem ersten Teil der Sonne. Erst als von der Straße öfter das Rauschen der Autos zu mir herüberdrang, gab ich meinem Haustier das Zeichen, wir würden weitergehen. Ich war mir ziemlich sicher, auch heute würde das Grab von meinen Großeltern besucht werden und da ich nicht vorhatte, ihnen ausgerechnet jetzt von Natashas und meinem Überleben zu berichten, sollte ich mich zumindest außer Sichtweite aufhalten.
Tatsächlich kam ich gerade rechtzeitig auf die Idee, das Grab hinter mir zu lassen. Ich hatte gerade das nächste Friedhofstor erreicht – es führte in ein Wäldchen, von wo aus man das Grab meiner Eltern beobachten konnte – als auch schon die zwei Autos vorfuhren, welche zu meiner Adoptivfamilie gehörten.
Das Tor in Richtung des kleinen Wäldchens quietschte leise, als ich dort durchschlüpfte. Mein Blick glitt noch einmal zu der Familie, welche gerade den Friedhof betrat. Großeltern, Tante, Onkel und meine beiden jüngeren Cousinen. Keiner von ihnen schenkte mir wirklich Beachtung oder zeigten eine Reaktion auf das quietschende Tor.
Allerdings warum auch? Sie können schließlich nicht ahnen, dass ich es war, die gerade mal wieder still und heimlich aus ihrem Leben verschwand, um ihnen nicht mitteilen zu müssen, dass Natasha irgendwo in Amerika verschollen ist.
Ich erreichte das kleine Wäldchen und schob mich dort hinter die erste Baumgruppe. Dann drehte ich mich wieder zu der Familie, welche mittlerweile am Grab angekommen war. Sie hatten meinen Blumenstrauß gefunden. Ich sollte mir wirklich abgewöhnen, dort Spuren zu hinterlassen. Ansonsten würden sie irgendwann doch noch darauf kommen, wer ständig hier war, und dann würden sie bestimmt auch darunter leiden.
Ein kleiner Teil von mir wollte sich doch aus meinem Versteck lösen, jetzt zu ihnen laufen, um ihnen zu sagen, dass ich noch lebte. Ich könnte in zehn Minuten bei ihnen unter dem Weihnachtsbaum sitzen und ihnen erzählen, wie es mir die letzten Jahre ergangen war.
Doch der stärkere Drang hielt mich in meinem Versteck. Mit ihnen in meinem Leben konnte ich nicht mehr zum dunklen Lord. Also konnten sich unsere Wege noch nicht wieder treffen. Noch musste jeder alleine gehen.
Ich merkte, wie sich eine Träne aus meinem linken Augenwinkel löste. Eigentlich wollte ich gerade wirklich zurück zu ihnen. Ich wollte bei ihnen mit Natasha sitzen, mit ihnen Weihnachten feiern und Spaß haben. Ob ich wohl wirklich wieder an diesem Tag dabei sein wollte, wenn meine kleine Schwester zurück war? Oder hatte ich es mir bis dahin so sehr angewöhnt, diesen Tag alleine zu verbringen, das ich dann keine Lust mehr hatte?
In diesem Moment war hinter mir das leise Knacken eines Astes zu hören. Auch wenn meine Instinkte mich noch nicht vor einer Gefahr gewarnt hatten, wirbelte ich erschrocken und mit meinem Messer in der Hand herum.
„Ich ergebe mich, mein kleiner Welpe", hörte ich Marlon hinter mir sagen. Obwohl, ich sollte wohl besser sagen, jemand mit seinem Gesicht sagte es zu mir. Mein Sorgeberechtigter würde kaum hier stehen, schließlich kam er kaum von seinem Zimmer bis in den Salon.
Da ich nur eine Person kannte, die sich hin und wieder als mein Sorgeberechtigter ausgab, musste gerade Sirius vor mir stehen. Das hieß aber auch, er feierte gerade nicht mit den anderen Weihnachten. Dazu würde es auch passen, dass er mich „mein kleiner Welpe" nannte. Das machte üblicherweise nur mein leiblicher Vater.
Der Mann vor mir musterte mich noch kurz, bis er schließlich die Arme ausbreitete, als stille Aufforderung, ich solle mit ihm kuscheln.
„Komm her, mein kleiner Welpe. Du siehst traurig aus."
Nur etwas zögerlich kuschelte ich mich an meinem Vater. Eigentlich sollte er doch ein wunderschönes Fest mit Harry und den Weasleys verbringen. Er sollte nicht mir hinterherlaufen, weil er sich Sorgen um mich machte. Genauer genommen sollte er mir heut gar nicht nachlaufen, egal aus welchen Grund.
„Was machst du hier?", fragte ich vorsichtig nach.
„Ich hatte fragen wollen, wie es dir geht und da hat mit Marlon gestanden, dass du heute Morgen ganz früh hierhergekommen und bisher noch nicht wieder aufgetaucht bist. Er wollte dir noch etwas Zeit lassen und erst zum Mittagessen Vivienne dir hinterherschicken, aber mir war nicht wohl dabei. Daher bin ich selbst losgegangen."
„Ich wollte dir nicht Weihnachten kaputt machen", murmelte ich beschämt.
„Das hast du nicht, mein kleiner Welpe. Ich hätte von Anfang an heute bei dir sein sollen. Ich habe es unterschätzt, wie sehr dich Weihnachten noch immer belastet. Wir feiern morgen. Jetzt apparieren wir erstmal in den Grimmauldplatz und du kriegst etwas zu essen." Mir wurde ein Kuss auf die Schläfe gedrückt, weshalb ich leise zufrieden seufzte. Davon würde ich heute noch ein paar mehr nehmen. Und seien wir mal ehrlich, an allen anderen Tagen auch.
Ich drehte mich noch einmal zum Friedhof um. Durch die Bäume sah man noch immer das Grab meiner Eltern, vor dem die restliche Familie stand. Betty und ihre ältere Schwester hatten wieder angefangen, einen Schneemann zu bauen.
Sirius sah ebenfalls dorthin.
„Bist du wegen der Familie traurig?", wurde ich vorsichtig gefragt.
„Das sind meine Großeltern, meine Tante, ihr Ehemann und ihre gemeinsamen Kinder. Sie sind am Grab von Mama, Papa, Natasha und mir", berichtete ich meinem Vater.
„Willst du zu ihnen gehen? Ich würde dich begleiten", wurde ich vorsichtig gefragt.
Ich schüttelte bestimmt den Kopf. Nein, es war nicht an der Zeit zu ihnen zurückzukehren. Ein anderes Mal, zusammen mit meiner kleinen Tasha.
Ich griff nach Sirius Hand.
„Apparieren wir nach Hause?", fragte ich vorsichtig nach.
„Wenn du das gerne willst, natürlich, mein kleiner Welpe."

Etwas lustlos stocherte ich in meinem Plumpudding herum. Wirklich Appetit hatte ich nicht, doch Sirius besorgter Blick hielt mich davon ab, den Teller von mir wegzuschieben. Stattdessen zwang ich mich dazu, immer mal wieder einen Bissen herunterzuwürgen. Ein Prozedere, was die Weihnachtsstimmung am Tisch wahrscheinlich etwas trübte.
Ich war sehr dankbar dafür, dass Mrs. Weasley das letzte Geschenk noch ein Stück weiter unter den Tisch schob, als ich kam. Auch das Fred George einmal gegen das Bein trat, als ein „fröhliche Weihnachten" über seine Lippen kommen wollte, verschaffte mir ein bisschen Genugtuung.
„Molly, wisst ihr schon, wie ihr später zum St. Mungos kommt? Schließlich fährt die U-Bahn nicht", fragte mein Vater schließlich.
„Moody meinte, Mundungus kann ein Auto besorgen", teilte uns die Mutter der Großfamilie mit, während sie mit gerunzelter Stirn dabei zusah, wie ich weiter auf meinen Plumpudding mit der Gabel einstach.
Sirius griff nach meiner Hand und hielt mich davon ab, weiter auf mein Essen einzustechen. Mir wurde mein Besteck abgenommen. Mein Vater begann etwas von dem Plumpudding darauf zu laden und hielt es mir dann vor den Mund. Ich sah ihn empört an. Man musste mich wirklich nicht füttern. Vor allem nicht, wenn Ron Weasley dabei war.
„Kann einer von euch fahren?", fragte Sirius weiter nach.
Ich sah meinen Vater etwas verstört an. Wenn Mundungus ein Auto besorgen konnte, hatte er wohl hoffentlich auch eine Idee, wie er es hierherbringen konnte und vor allem, wie sie damit alle sicher ins St. Mungos kommen würden. Oder war das Gespräch gerade der Wink mit dem Zaunpfahl, ich solle mich als Fahrer anbieten?
„Ich habe einen nicht gefälschten Führerschein", berichtete ich, während ich nun mit Sirius Gabel meinen Plumpudding über den Teller schob.
„Hättest du denn die Nerven dafür, alle ins St. Mungos zu fahren?", fragte mich mein Vater ziemlich misstrauisch.
Ich zuckte leicht mit den Schultern. Das wusste ich auch noch nicht. Wirklich etwas Besseres zu tun hatte ich definitiv nicht, allerdings würde ich mir auch da ziemlich fehl am Platz vorkommen. Außerdem, wenn alle weg waren, hatte ich Zeit mit Sirius alleine.
„Es wäre sehr lieb, wenn du sie fahren würdest", stellte Sirius fest, womit klar war, er würde mich überreden wollen. Vermutlich dachte er, das Autofahren würde mich von den Gedanken an meine Adoptivfamilie ablenken.
„Denk in Ruhe darüber nach. Samuel hat heute auch im St. Mungos Dienst. Du kannst also auch bei ihm vorbeigehen, wenn du willst. Heute hat er bestimmt nicht viel zu tun."
Ich seufzte resigniert. Ich hatte keine Lust, schon wieder mit meinem Vater zu diskutieren. Aber dann sollte er mich wenigstens jetzt in den Arm nehmen. Ich stand von meinem Stuhl auf, nur um mich auf seinen Schoß zu kuscheln. Sirius nahm mich in den Arm.
„Ich habe dich lieb, mein Welpe", wurde mir ins Ohr geflüstert.

Jetzt bereute ich es doch, mit ins St. Mungos gefahren zu sein. Irgendwie kam ich mir vollkommen fehl am Platz vor, als wir gemeinsam die festlich geschmückten Treppen hoch zur richtigen Station heraufstiegen. Alle freute sich auf Mr. Weasley und ich hatte keine Ahnung, welche Rolle ich jetzt in diesem Szenario spielen sollte. Vermutlich sollte ich wirklich einfach ganz schnell bei Samuel im Büro nachschauen, ob er ein wenig Zeit für mich hätte.
Wir kamen am richtigen Zimmer an. Die Familie betrat zielsicher den Raum, während ich eigentlich im Flur zurückbleiben wollten. Fred und George schnappten sich allerdings jeweils einen Arm von mir und zogen mich mit zu ihren Vater ans Bett.
„Alles in Ordnung, Arthur?", fragte Mrs. Weasley, nachdem alle den Verletzten begrüßt hatten und er einen Haufen Geschenke bekommen hatte, weshalb ich schon wieder den Drang hatte, wegzulaufen. Definitiv zu viel Weihnachten.
„Bestens, bestens", berichtete Mr. Weasley ein wenig zu überschwänglich. Gleichzeitig signalisierten mir auch schon die Alarmglocken in meinem Kopf, dass er log. „Ihr - ähm - habt nicht zufällig Heiler Smethwyck gesehen, oder?"
„Nein", sagte Mrs. Weasley argwöhnisch. „Warum?"
„Nichts, nichts", antwortete Mr. Weasley beiläufig und begann seinen Stapel Geschenke auszupacken. „Nun, alle einen schönen Tag gehabt? Was habt ihr denn zu Weihnachten gekriegt? Oh, Harry - das ist ja absolut wunderbar!"
Gerade hatte Mr Weasley Harrys Geschenk aufgemacht, ein Schraubenzieherset und Sicherungsdraht.
Mrs. Weasley schien ebenfalls zu merken, dass ihr Mann log, jedenfalls spähte sie auf die Verbände unter seinem Nachthemd, als er sich vorlehnte, um Harry die Hand zu schütteln.
„Arthur", rief sie und es klang wie das Zuschnappen einer Mausefalle, „man hat dir den Verband gewechselt. Warum hat man dir einen Tag früher den Verband gewechselt, Arthur? Man hat mir gesagt, das wäre erst morgen nötig."
„Was?", sagte Mr. Weasley. Er sah recht verängstigt aus und zog sich die Bettdecke höher über die Brust. „Nein, nein - nicht der Rede wert - es ist - ich -"
Er schien unter Mrs. Weasleys bohrendem Blick zu schrumpfen. War das in Ordnung, dass man so reagierte? Ich kannte so ein unterwürfiges Verhalten nur in Beziehungen, die ich nicht als glücklich und gut bezeichnen würde.
„Also -jetzt reg dich nicht auf, Molly, aber Augustus Pye hatte da so eine Idee ... er ist der Heiler im Praktikum hier, weißt du, netter junger Mann und sehr interessiert an ... ähm ... alternativer Medizin ... ich meine, manche von diesen alten Muggelheilmethoden ... also, es heißt Fäden, Molly, und sie wirken sehr gut bei - bei Muggelwunden –"
Mrs. Weasley machte ein unheilschwangeres Geräusch, etwas zwischen einem Schrei und einem Knurren. Bill murmelte etwas von wegen, er könne eine Tasse Tee vertragen, und Fred und George sprangen grinsend auf und schlossen sich ihm an. Damit blieb ich alleine und völlig überfordert auf den mittleren Stuhl zurück. Ehestreitigkeiten mochte ich wirklich nicht, vor allem nicht heute.
„Willst du mir etwa sagen", legte Mrs. Weasley los und ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter; sie bemerkte offenbar nicht, dass wir anderen eilends Deckung suchten, „dass du mit Muggelheilverfahren herumgestümpert hast?"
„Nicht rumgestümpert, Molly, Liebling", sagte Mr. Weasley flehend, „es war nur - nur etwas, von dem Pye und ich meinten, wir könnten es ausprobieren - nur, es ist jammerschade - aber gerade bei diesen Wunden - scheint es nicht so gut zu wirken, wie wir gehofft hatten -"
„Das heißt?"
„Nun ... ja, ich weiß nicht, ob du weißt, wie - wie das mit den Fäden geht."
„Klingt ganz so, als ob ihr versucht hättet, deine Haut wieder Zusammenzunähen", sagte Mrs. Weasley und lachte schnaubend und freudlos, „aber selbst du, Arthur, wärst doch nicht so dumm -"
Was war daran denn bitte dumm? Bei mir wurden schon wirklich oft Wunden genäht. Gut, es dauerte länger als die magische Heilung, aber die Methode hatte durchaus ihre Berechtigung. Sie war inefizient, nicht dumm.
„Mir ist auch nach 'ner Tasse Tee", sagte Harry und schnellte hoch. Hermine, Ron und Ginny stürzten ihm nach zur Tür. Die Muggelstämmige aus der Gruppe war aber so geistesgegenwärtig mich ebenfalls mit auf die Beine zu ziehen, weshalb ich ihr noch immer mit der Situation überfordert hinterher stolperte.
Als die Tür hinter uns ins Schloss viel, hörten wir noch Mrs. Weasley kreischen: „WAS SOLL DAS HEISSEN, DAS IST SO UNGEFÄHR DER GEDANKE?"
„Typisch Dad", meinte Ginny kopfschüttelnd, als wir uns auf den Weg den Gang entlang machten. „Fäden ... ich bitte euch ..."
„Ach, weißt du, bei nichtmagischen Wunden wirkt das ganz gut", stellte Hermine fest. „Ich vermute, irgendwas in diesem Schlangengift löst die Fäden auf oder so was. Wo ist hier eigentlich die Cafeteria?"
„Fünfter Stock", ratterte ich die Information vom Wegweiser über dem Pult der Empfangshexe herunter.
Wir gingen den Korridor entlang, durch einige Schwingtüren und kam schließlich zu einer baufälligen Treppe, die mit einer Menge Porträts brutal wirkender Heiler gesäumt war. Während wir treppauf stiegen, riefen sie uns die verschiedensten Diagnosen merkwürdiger Leiden zu und schlugen uns gruslige Heilverfahren vor, die Fäden zum Wunden schließen definitiv übertrumpfen.
Ron war schwer beleidigt, als ein mittelalterlicher Zauberer verkündete, er leide offensichtlich unter einem schweren Fall von Griselkrätze.
„Und was soll das sein?", fragte er zornig, als der Heiler ihm durch sechs weitere Porträts folgte und deren Insassen aus dem Weg schubste.
„Es handelt sich um ein ganz fürchterliches Hautleiden, junger Herr, das noch grausigere Pockennarben hinterlassen wird, als Ihr ohnehin schon Euer Eigen nennt."
„Pass auf, wen du hier grausig nennst!", rief Ron und seine Ohren liefen rot an.
„- Heilung könnt Ihr nur erwarten, wenn Ihr die Leber einer Kröte nehmt, sie fest um den Hals bindet und Euch bei Vollmond nackt in ein Fass voll Aalaugen stellt -"
Das war eine wirklich ekelige Heilmethode.
„Ich hab keine Griselkrätze!", rief Ron erneut.
„Aber die unansehnlichen Male auf Eurem Antlitzjunger Herr -"
„Das sind Sommersprossen!", sagte Ron fuchsig, während ich mir genauso wie die anderen ein Lachen verkneifen musste. „Und jetzt marsch zurück in dein Bild und lass mich in Ruhe!"
Er drehte sich zu uns um, weshalb alle Anwesenden eine betont gleichmütige Miene machten. Na ja, alle außer mir.
„Das findest du witzig, was, Black?", wurde ich angeschnauzt.
„Ron!, kam es sofort mahnend von Hermine.
„In welchem Stock sind wir?", fragte der jüngste Weasley-Sohn patzig.
„Ich glaub, im fünften", meinte die Muggelstämmige.
„Nein, im vierten", erklärte Harry, weshalb ich die Gryffindor nicht korrigieren musste, „noch eine -"
Er beendete den Satz nicht. Gerade als er auf den Treppenabsatz trat, blieb er plötzlich stehen und starrte auf das kleine Fenster in der Schwingtür am Anfang des Korridors, der mit FLUCHSCHÄDEN beschildert war. Ein Mann hatte die Nase gegen die Scheibe gedrückt und spähte zu uns heraus. Er hatte gewelltes blondes Haar, hellblaue Augen und ein breites, leeres Lächeln, das strahlend weiße Zähne zeigte. Keine Ahnung, was Harry an dem Anblick zum stehen bleiben bewegte.
„Meine Fresse!", rief Ron und starrte ebenfalls den Mann an.
„Ach du meine Güte", stieß auch Hermine plötzlich atemlos hervor. „Professor Lockhart!"
Professor Lockhart? Der musste definitiv von vor meiner Zeit gewesen sein, jedenfalls konnte ich mich an keinen Lehrer mit diesem Namen erinnern.
„Wer ist das?", flüsterte ich Hermine leise zu.
„Unser Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste im zweiten Schuljahr. Er wollte das Gedächtnis von Ron und Harry löschen. Dafür hat er aber Rons damals defekten Zauberstab genutzt und der Zauber ging wortwörtlich nach hinten los. Sein Gedächtnis war danach so schwer beschädigt, dass man ihn hierherbrachte", wurde mir geantwortet.
Der Mann drückte die Tür auf und kam in einem langen lila Morgenrock auf uns zu. Ganz automatisch spannten sich meine Muskeln an.
„Aber hallöchen!", wurden wir von ihm begrüßt. „Ich vermute mal, ihr wollt ein Autogramm von mir, richtig?"
Warum sollten wir ein Autogramm von ihm haben wollen?
„Hat sich nicht groß verändert, oder?", murmelte Harry der grinsenden Ginny zu.
„Ähm - wie geht es Ihnen, Professor?", fragte Ron mit einem Anklang von schlechtem Gewissen.
„Es geht mir ganz hervorragend, danke sehr!", sagte Lockhart überschwänglich und zog einen recht ramponierten Pfauenfederkiel aus der Tasche. „Nun, wie viele Autogramme wollt ihr haben? Ich kann jetzt auch in Schreibschrift, wisst ihr!"
„Ähm - wir wollen im Moment keine, danke", sagte Ron und sah Harry mit hochgezogenen Brauen an.
„Professor", fragte Harry, „dürfen Sie denn auf den Korridoren herumspazieren? Sollten Sie nicht auf einer Krankenstation sein?"
Das Lächeln auf Lockharts Gesicht erstarb langsam. Er starrte Harry einige Augenblicke lang unverwandt an, dann sagte er: „Kennen wir uns nicht?"
„Ähm ... ja, allerdings", meinte Harry. „Sie haben uns in Hogwarts unterrichtet, wissen Sie noch?"
„Unterrichtet?", wiederholte Lockhart und schien ein wenig aus der Spur zu geraten. „Ich? Tatsächlich?"
Und dann, so plötzlich, dass es beunruhigend war, trat wieder ein Lächeln auf sein Gesicht.
„Hab euch alles beigebracht, was ihr wisst, nehm ich mal an, was? Nun, wie steht's jetzt mit diesen Autogrammen? Sagen wir ein rundes Dutzend, dann könnt ihr sie all euren kleinen Freunden schenken und keiner geht leer aus!"
Zum Glück ging in diesem Moment die Tür am Ende des Korridors auf. Jemand streckte seinen Kopf heraus und rief: „Gilderoy, du ungezogener Junge, wo treibst du dich wieder herum?"
Eine mütterlich wirkende Heilerin mit einem Lamettakranz in den Haaren kam den Korridor entlanggewuselt und lächelte uns alle warmherzig zu.
„Oh, Gilderoy, du hast Besuch! Wie wunderbar, und auch noch am Weihnachtstag! Wisst ihr, er bekommt wie Besuch, das arme Lämmchen, und ich versteh einfach nicht, warum, er ist doch so ein Süßer, nicht?"
Ich konnte es schon verstehen, warum er kein Besuch hat. Ich meine, wenn einem das Gedächtnis zerschossen wurde und man sich am Ende nur noch ans Autogramme geben erinnern konnte – wenn das so wichtig im alten Leben war, dass das geblieben war, hatte er sicherlich nicht viele Freunde gehabt.
„Wir sind gerade bei den Autogrammen!", erklärte Lockhart der Heilerin und setzte wieder sein strahlendes Lächeln auf. „Sie wollen eine ganze Ladung und lassen sich partout nicht abwimmeln! Ich hoffe nur, wir haben genügend Fotos!"
Sein Gedächtnis war wohl wirklich absolut Matsche. Nicht wir wollten diese blöden Autogramme, sondern er wollt sie uns unbedingt aufzwingen.
„Nun hört ihn euch an", sagte die Heilerin, nahm Lockhart am Arm und lächelte ihm liebevoll zu, als wäre er ein frühreifer Zweijähriger. „Vor einigen Jahren war er ziemlich bekannt. Wir hoffen sehr, dass diese Neigung, Autogramme zu geben, ein Zeichen ist, dass seine Erinnerung allmählich zurückkehrt. Wollt ihr bitte hier langkommen? Er ist auf einer geschlossenen Station, wisst ihr, er hat sich wohl rausgeschlichen, als ich die Weihnachtsgeschenke gebracht habe, die Tür bleibt normalerweise verschlossen ... nicht dass er gefährlich wäre! Aber", sie flüsterte jetzt nur noch , „er ist ein bisschen eine Gefahr für sich selbst, der Gute ... weiß nicht, wer er ist, versteht ihr, läuft davon und erinnert sich nicht, wie es zurückgeht ... es ist ja so nett von euch, dass ihr ihn besuchen kommt."
„Ähm", sagte Ron und gestikulierte vergeblich zur Decke hin, „eigentlich
wollten wir nur - ähm -"
„Wir wollten eine Tasse Tee trinken, aber dann hat Harry Lochart entdeckt. Er war wohl mal ihr Lehrer ", brache ich Rons Satz zu Ende.
„Ach, wie schön. Er hat euch unterrichtet und dann kommt ihr ihn für eine Tasse Tee besuchen? Er muss ein sehr guter Lehrer gewesen sein", flötete die Frau, weshalb ich etwas hilflos zu Hermine herübersah, welche nur überfordert mit den Schultern zuckte.
„Wir bleiben aber nicht lang", erklärte Ron leise.
Die Heilerin deutete mit dem Zauberstab auf die Tür zur Janus -ThickeyStation und murmelte: »Alohomora.« Die Tür schwang auf und sie trat ihnen voran ein. Gilderoy hielt sie am Arm, bis sie ihn in einen Sessel neben seinem Bett verfrachtet hatte.
„Dies ist die Station für unsere chronisch Kranken", teilte sie uns leise mit. „Für die dauerhaft Fluchgeschädigten, versteht ihr? Mit stark dosierten Heiltränken und Zaubern und ein bisschen Glück können wir natürlich einige Fortschritte erzielen. Bei Gilderoy scheint gerade ein gewisses Selbstgefühl zurückzukehren. Und bei Mr. Bode haben wir eine echte Besserung zu verzeichnen, er scheint die Fähigkeit zu sprechen sehr schnell zurückzugewinnen, auch wenn er bisher keine Sprache spricht, die wir erkennen. Also, ich muss noch den Rest der Weihnachtsgeschenke verteilen, ich lass euch mal zum Plaudern alleine."
Ich sah mich neugierig um. Man sah sofort, dass diese Station als dauerhaftes Heim für die Patienten gedacht war. Alle hatten viel mehr persönliche Habseligkeiten um ihre Betten als auf Mr. Weasleys Station; die Wand am Kopfende von Lockharts Bett zum Beispiel war voll geklebt mit Bildern von ihm, die den Neuankömmlingen zähnebleckend entgegenstrahlten und -winkten. Er hatte viele von ihnen in kindlicher Blockschrift für sich selbst signiert.
Kaum hatte die Heilerin den ehemaligen Lehrer in seinen Sessel gesetzt, da zog er einen frischen Stapel Fotos zu sich her an, nahm eine Feder und begann sie alle fieberhaft zu unterschreiben.
„Ihr könnt sie in Umschläge stecken", sagte er zu Ginny und warf ihr die signierten Fotos eins nach dem anderen in den Schoß. „Man hat mich nicht vergessen, wisst ihr, nein, ich bekomme immer noch jede Menge Fanpost ... Gladys Gudgeon schreibt mir wöchentlich ... wenn ich nur wüsste, warum ..." Er hielt inne, blickte leicht verwirrt, dann strahlte er wieder und wandte sich mit neuem Schwung seinen Autogrammen zu. „Es muss wohl einfach daran liegen, dass ich so gut aussehe ..."
Eine bessere Idee hatte ich auch nicht. Egal, was den berühmten Mann früher mal ausgemacht hatte, heutzutage war es definitiv nicht mehr da. Also alles bis auf sein Äußeres.
Ein fahlhäutiger, traurig blickender Zauberer lag im Bett gegenüber und starrte an die Decke. Er murmelte in sich hinein und schien keinerlei Notiz von seiner Umgebung zu nehmen. Zwei Betten weiter lag eine Frau, deren ganzer Kopf mit Fell bedeckt war. Ganz hinten auf der Station waren geblümte Vorhänge um zwei Betten gezogen, um den dort Liegenden und ihren Besuchern ein wenig Raum für sich zu gewähren.
Ich sah mich noch weiter im Raum um, damit ich noch etwas mehr über die Identität der Leute herausfand – gerade von denen hinter den Vorhängen, auch wenn ich bei ihnen schon eine ziemlich unangenehme Vermutung hatte. Wenn das hier die Station für chronische Kranke waren, mussten hier eigentlich auch Alice und Frank Longbottom liegen. Ob wohl gerade Neville seine Eltern besuchte? Wenigstens konnte er das an Weihnachten tun, ganz anders als ich. Könnte ich nur wie Sirius nach Belieben nachts in die Zwischenwelt reisen.
„Hier, bitte schön, Agnes", sagte die Heilerin strahlend zu der fellgesichtigen Frau und reichte ihr einen kleinen Stapel Weihnachtsgeschenke. „Sehen Sie, man hat Sie nicht vergessen, oder? Und Ihr Sohn hat eine Eule geschickt und lässt ausrichten, dass er Sie heute Abend besucht, das ist doch nett, nicht wahr?"
Agnes bellte ein paar Mal laut.
„Und schauen Sie, Broderick, man hat Ihnen eine Topfpflanze geschickt und einen wunderschönen Kalender mit einem tollen Hippogreif für jeden Monat, das muntert uns doch gleich auf, nicht wahr?", sagte die Heilerin und wuselte hinüber zu dem murmelnden Mann, stellte eine ziemlich hässliche Pflanze mit langen, schwankenden Tentakeln auf sein Nachtschränkchen und heftete den Kalender mit ihrem Zauberstab an die Wand. „Und - oh, Mrs. Longbottom, Sie gehen schon?"
Die Vorhänge um die beiden Betten am Ende der Station waren beiseite gezogen worden, weshalb man nun die beiden Besucher erkennen konnte, die momentan den Gang zwischen den Betten entlang auf uns zukamen.
Die eine Person war eine Furcht erregend aussehende alte Hexe in einem langen grünen Kleid, einem mottenzerfressenen alten Fuchspelz und mit einem Spitzhut, der eindeutig mit einem ausgestopften Geier geschmückt war, und hinter ihr schlurfte jemand drein, der tief betrübt wirkte - Neville Longbottom.
Ich hatte mit meiner Vermutung, wer in den beiden Betten lag, wohl voll ins schwarze getroffen.
„Neville!", rief in diesem Moment Ron, weshalb unser Klassenkamerad zusammenzuckte und sich duckte, als ob eine Kugel ihn eben knapp verfehlt hätte.
„Wir sind's, Neville!", rief Ron breit lächelnd und stand auf. „Hast du gesehen -? Lockhart ist hier! Und wen hast du besucht?"
Oh man, und ich dachte schon immer, ich wäre eine unsensible Bitch, aber Ron toppte noch einmal alles.
„Freunde von dir, Neville, mein Lieber?", fragte Nevilles Großmutter würdevoll und wandte sich ihnen allen zu.
Neville machte den Eindruck, als wäre er lieber sonst wo, nur nicht hier. Er mied alle Blicke, während ihm ein mattes Purpurrot über sein rundliches Gesicht kroch.
„Ah ja", sagte seine Großmutter, fasste Harry ins Auge und streckte ihm zur Begrüßung eine schrumpelige, klauenartige Hand entgegen. „Ja, ja, ich weiß Natürlich, wer du bist. Neville spricht in den höchsten Tönen von dir."
„Ähm - danke", murmelte Harry und schüttelte ihr die Hand.
Neville starrte währenddessen auf seine Füße, wobei seine Gesichtsfarbe stetig dunkler wurde.
„Und ihr beide seid offensichtlich Weasleys", fuhr Mrs. Longbottom fort und reichte Ron und dann Ginny majestätisch die Hand. „Ja, ich kenne eure Eltern - Nicht gut natürlich - sind anständige Leute, ans tändige Leute ... und du musst Hermine Granger sein?"
Hermine schien recht verdutzt, dass Mrs. Longbottom ihren Namen kannte, schüttelte aber gleichwohl ihre Hand.
„Und du –", nun blickte sie mich an, weshalb ich mich innerlich schon dafür wappnete gleich mal wieder Kira Lorraine zu heißen, „du bist dann wohl Patricia Primrose Black."
Ich schüttelte ihr ziemlich überrascht die Hand. Damit hatte ich jetzt beim besten Willen nicht gerechnet. Allerdings hatte Neville ihr wahrscheinlich erzählt, die mit den braunen Haaren ist nett und die mit den türkisenen der Teufel.
„Ja, Neville hat mir alles über euch erzählt. Habt ihm so manches Mal aus der Patsche geholf en, nicht wahr? Er ist ein guter Junge", sagte sie und warf Neville über ihre ziemlich knochige Nase einen streng taxierenden Blick zu, „aber er hat nicht das Talent seines Vaters, muss ich leider sagen."
Und sie wies mit dem Kopf in Richtung der beiden Betten am Ende der Station, worauf der ausgestopfte Geier auf ihrem Hut bedrohlich zitterte.
Armer Neville, so etwas wollte man natürlich hören.
„Was?", rief Ron verblüfft. Harry versuchte noch ihm unauffällig auf den Fuß zu treten, war aber zu langsam. „Ist das dein Dad dort hinten, Neville?"
„Was soll das heißen?", fragte Mrs. Longbottom scharf. „Hast du deinen Freunden nicht von deinen Eltern erzählt, Neville?"
Neville holte tief Luft, blickte zur Decke und schüttelte den Kopf.
„Nun, es ist nichts, wofür man sich schämen müsste!", sagte Mrs. Longbottom zornig. „Du solltest stolz sein, Neville, stolz! Sie haben ihre Gesundheit und ihren Verstand nicht geopfert, damit ihr einziger Sohn sich für sie schämt, verstehst du!"
„Ich schäme mich nicht", sagte Neville sehr kleinlaut und vermied es immer noch beharrlich, uns anzusehen.
Rons Reaktion – er stand nun auf den Zehenspitzen und spähte hinüber zu den Patienten in den beiden Betten – machte es vermutlich auch nicht besser. Wir waren doch nicht im Zoo, wo man irgendwelche Attraktionen bewundern konnte.
„Nun, du hast eine merkwürdige Art, das zu zeigen!", sagte Mrs. Longbottom. „Mein Sohn und seine Frau", fuhr sie fort und wandte sich gebieterisch an uns, „wurden von Du -weißt-schon-wem und seinen Anhängern bis zum Wahnsinn gefoltert."
Hermine und Ginny schlugen die Hände vor den Mund. Ron hörte auf, sich den Hals zu verrenken, um einen Blick auf Nevilles Eltern zu ergattern, und schien zu Tode erschrocken. Ich hingegen starrte vollkommen mit der Situation überfordert Löcher in die Luft.
„Sie waren Auroren, müsst ihr wissen, und sehr geachtet in der magischen Gemeinschaft", fuhr Mrs. Longbottom fort. „Hoch begabt, alle beide. Ich - ja, Alice, Schatz, was gibt es?"
Nevilles Mutter kam im Morgenmantel durch die Station auf sie zugetappt. Sie hatte nicht mehr das rundliche, fröhlich wirkende Gesicht, das ständig in dem Fotoalbum über meine Mutter zu sehen war. Ihr Gesicht war jetzt schmal und eingefallen, ihre Augen schienen übergroß, und ihr weiß gewordenes Haar war dünn und stumpf. Offenbar wollte sie nicht sprechen, vielleicht konnte sie es auch nicht, sondern machte zaghafte Gesten zu Neville hin und hielt etwas in ihrer ausgestreckten Hand.
„Schon wieder?", fragte Mrs. Longbottom mit leicht gereiztem Unterton.
„Nun, schön, Alice, mein Schatz, nun schön - Neville, nimm es, was es auch sein mag."
Das hätte sich Mrs. Longbottom sparen können, denn ihr Enkelsohn hatte schon längst seine Hand ausgestreckt. Alice ließ ein leeres Einwickelpapier von Bubbels Bestem Blaskaugummi hineinfallen.
Genau so etwas taten gute Menschen, wenn ihr Gedächtnis Matsche waren. Das wichtigste blieb irgendwie erhalten – hier die Liebe zu ihrem einzigen Sohn und nicht blöde Autogramme.
„Sehr schön, Schatz", sagte Nevilles Großmutter mit falscher Fröhlichkeit in der Stimme und tätschelte Nevilles Mutter die Schulter.
Aber Neville sagte leise: „Danke, Mum."
Vor sich hin summend drehte sich seine Mutter, um wieder zu gehen. Dabei blieb ihr Blick an meinem Medaillon hängen. Von jetzt auf gleich änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ihre Züge wurden hart und ihr Blick seltsam klar, als wäre die richtige Alice Longbottom wieder da und nicht nur eine Hülle mit zerstörten Gedächtnis.
Sie packte mich bei den Schultern und starrte mir in die Augen. So eindringlich, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Der Stern mit sechs Zacken,
Eine Macht, kaum noch bekannt.
Schloss und Schlüssel zu gleich,
für die Verbannung des Unglücks.
Die Schatten, das Dunkle,
langsam wird der Stern verdeckt.
Nur noch ein schwacher Schein
Der eigentliche Glanz, Erinnerung.
Ein neuer Stern nimmt den Platz
Ein hellerer Schein, als je zuvor
Die Macht, die Schatten zu erleuchten
Auserwählt für den letzten Kampf.
Doch der achtköpfige Zerberus,
angezogen vom hellen Schein,
er will den Stern verführen
Schwärzt dessen weißes Licht.
Der Schein zweier Sterne,
durch ihr Blut verbunden,
länger als das Leben selbst,
zu hell für die Dunkelheit.
Der Stern, seit langem verdunkelt,
durch die Dunkelheit verdeckt,
angewiesen auf den Hellen,
um ein weiteres Mal zu leuchten.
Der Vogel, frei im Wind,
die Prinzessin, stark wie ein Bär
Durch den Phönix verbunden,
entsteht die Blume.
Die wilde, achtzehnblättrige Rose,
Blätter in Silber, in Gold,
Die Rose langsam verwelkend,
fällt nach und nach Blatt für Blatt
Das Fallen des letzten Blattes,
stillstand des schwarz-weißen Herzens
das Licht erleuchtet die Schatten
Die letzte Schlacht beginnt", sprudelte die Prophezeiung aus ihr heraus.
Ich wollte in diesem Moment gar nicht meinen Gesichtsausdruck sehen. Wahrscheinlich wurde er von Sekunde zu Sekunde entsetzter und dabei hatte ich den schlimmsten Teil ihrer Botschaft noch gar nicht gehört.
„Patricia lebt, Maélys. Sie wollen sie. Ihr müsst euch beeilen, Maélys."
Ich riss mich los. Der Gesichtsausdruck von Alice Longbottom änderte sich wieder, als wäre ihr kurzer klarer Moment auch schon wieder vorbei.
Ich vermiet den Blick zu den anderen, sondern nahm einfach meine Beine in die Hand und rannte. Die Treppe herunter, durch irgendwelche Korridore, bis ich in einem ruhigeren Teil des Krankenhauses war.
Ich lehnte mich gegen die Wand, während ich tief Luft holte, damit sich meine brennende Lunge wieder beruhigen konnte. Es dauerte nicht lange, dann atmete ich nicht mehr schwer, aber die Worte von Alice spukten mir noch immer im Kopf herum. Sie hat gedacht, ich wäre Maélys gewesen. Sie hatte das Medaillon gesehen und an meine Vorgängerin gedacht, der sie unbedingt noch mitteilen musste, dass „sie" nach mir suchten.
Die Frage war nur, wer war „sie"? Eigentlich lag es auf der Hand. Sie wurde von Todessern um den Verstand gefoltert. Da lag es nahe, dass sie während der Gefangenschaft dort etwas mitbekommen hatte. Außerdem wusste ich, der dunkle Lord wollte junge Nymphenkinder auf seine Seite ziehen. Adina hatte er entführt, bei Mary hatte man es versucht und hinter mir war an anscheinend auch her gewesen. Nur hatte man mich nicht gefunden.
„Patricia", hörte ich in diesem Moment Samuel Huxon rufen.
Ich sah auf und sah damit das erste Mal, wo ich hier überhaupt genau hingeflohen war. Genau mir gegenüber an der Wand waren Fotos von einer Reihe an Heilern aufgehangen worden. So wie die Bilder der Heiler im Flur waren auch hier die Namen und Lebensdaten drangeschrieben worden. Über all den Fotos verkündete ein Schriftzug „In Gedenken an die gefallen Kollegen".
Direkt vor mir, perfekt auf meiner Augenhöhe hing das Bild von Carolin. Sie trug den hier üblichen limonengrünen Umhang mit dem aufgestickten Wappen des St. Mungos – der mit dem Knochen gekreuzte Zauberstab – und ihr Haare waren zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden. Trotzdem trug sie noch ihr breites liebevolles Lächeln, was sie sofort sympathisch machte. Anstelle von Carolin Black war allerdings Carolin Sanders dorthin geschrieben worden, so als hätte die Hochzeit von Sirius und ihr nie stattgefunden.
Aus irgendeinem Grund schnürte mir dieser Anblick den Hals zu. Sirius war ein sehr wichtiger Teil von ihrem Leben gewesen. Nur dank ihm lebten Kira und ich. Auch wenn man damals dachte, er wäre ihr Mörder, durch das Streichen von ihm, hatte man mich irgendwie auch gestrichen.
Die erste Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und lief mir über die Wange. Die nächsten folgen ihr schon fast sofort.
Samuel Huxon hielt neben mir seinen Rollstuhl an. Er sah kurz gequält zu dem Bild von Carolin, dann wandte er sich an mich.
„Was ist los, Kleine?", wurde ich vorsichtig gefragt.
„Alice Longbottom wusste, dass ich überlebt habe. Sie hatte einen klaren Moment und dachte, ich wäre Maélys. Alle wussten es und trotzdem hat niemand nach mir gesucht. Sirius und ich wurden einfach gestrichen", brachte ich heraus.
„So war das damals nicht, Patricia", widersprach Samuel. „Wir haben nach Lebenszeichen von Natasha und dir gesucht, weil wir keinen Beweis für euren Tod hatten, aber nichts gefunden. Irgendwann haben wir einfach aufgegeben. Es tut mir leid, Kleine. Wir hätten nicht so schnell aufgeben sollen. Aber wir haben dich nicht gestrichen. Nur Sirius und das war auch schon ein Fehler."


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