Kapitel 2

Ich ließ mich auf meinen Flugzeugsitz am Fenster fallen. Neugierig sah ich raus. Die letzten Passagiere stiegen gerade ein. In den hinteren Teil des Flugzeuges wurde das Gepäck eingeladen. Irgendwo bei den Koffern würde auch mein riesiges braunes Fellknäuel sein.
„Du siehst aus, als würdest du dir Sorgen machen."
„Ich hoffe, Antiope geht es im Gepäckraum gut."
„Sie schläft dort friedlich. In acht Stunden steigen wir aus dieser Blechdose und dann wird dein Hund nur ein wenig gelangweilt sein."
„Ich habe ihr ganz viel Spielzeug hingelegt. Ihr Kuscheltier und ihr Kauknochen. Das Wasser ist ordentlich aufgefüllt und ich habe ihr neben ihrem Trockenfutter ein bisschen Speck hingelegt."
„Du kümmerst dich sehr gut, um deinen Hund. Darüber musst du dir gar keine Sorgen machen. Aber das ist nur das Problem, auf welches du dich konzentrierst, damit du dich mit deinem Eigentlichen nicht auseinandersetzen musst, richtig?" Ich biss mir verlegen auf die Unterlippe. Damit lag Marlon mehr als richtig. Indem ich darüber nachdachte, was mit meinem Hund alles sein konnte, hatte ich keinen Platz für Gedanken über unsere Ankunft in Paris.
„Patricia, du musst dir keine Sorgen machen. Es wird alles gut werden."
„Und wenn sie mich nicht mögen?" Ich begann unruhig mit meinen Fingern zu spielen.
„Dann können wir noch immer in New York eine Bar eröffnen." Marlon strich mir vorsichtig über die Haare.
„Und wenn ich nicht klarkomme?"
„Du wirst klarkommen. Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen, Welpe. Es wird am Anfang schwer sein, genauso wie bei deiner leiblichen Familie, aber du wirst dich eingewöhnen. Und falls ich mich irren sollte, können wir noch immer eine Bar in New York eröffnen. Weglaufen können wir jeder Zeit." Mir wurde ein Kuss auf die Wange gedrückt, während ich leise seufzte. Ich war bisher noch nicht so zuversichtlich, dass ich mich in der anderen Großfamilie besser einfügen konnte, als bei meiner leiblichen. Allerdings hatte ich zugestimmt, als Marlon vorgeschlagen hatte, wir könnten bis zur Quidditch-Weltmeisterschaft bei seiner Familie in Frankreich wohnen. Jetzt wollte ich keinen Rückzieher machen. Vor allem weil sich mein Vormund sehr auf den Besuch bei seiner Familie freute.
„Na komm her, du kleiner Welpe." Mein Begleiter streckte seine Arme nach mir aus. Zufrieden rutschte ich näher an ihn heran. Ich kuschelte mich an ihn.
„Jetzt versuch, ein wenig zu schlafen, Tric. Ich weiß, wir haben erst zwanzig Uhr, aber –"
„Wenn wir in Paris ankommen, ist es neun Uhr morgens. Ich weiß. Ist es in Ordnung für dich, wenn ich Musik höre?"
„Stöpsel dich ein." Mir wurde ein Kuss auf die Haare gedrückt. Zufrieden zog ich meinen Walkman heraus. Die Kopfhörer stopfte ich in meine Ohren, dann machte ich die Musik an. Marlon neben mir hatte ein Buch herausgeholt. Während er mir mit einer Hand über die Haare strich, hielt er es mit der anderen fest und blätterte immer mal wieder um.

„Wach auf, mein liebster Welpe." An meiner Schulter wurde gerüttelt. Ich grummelte leise. Ich war gerade erst eingeschlafen, da wollte ich noch nicht wieder aufstehen.
„Grummeln hilft nicht. Wir landen gleich. Am Flughafen holen uns Frédéric und seine Familie ab. Wir fahren dann Frühstücken. Du kriegst von mir aus sogar reines Koffein." Mir wurde ein Kuss auf die Stirn gedrückt. Ich grummelte erneut leise, machte aber die Augen auf.
„Reines Koffein?", fragte ich müde.
„Ja, reines Koffein. Dann müssen wir aber in einer Apotheke halten."
„Ich glaube, so müde bin ich nicht. Einmal die Augen auf werde ich ganz schnell wach."
„Ich weiß, das war bei Maélys auch so. Der Vorteil, die Kriegsnymphe zu sein. Ihr kommt besser mit wenig oder gar keinem Schlaf aus. Aber wenn wir kein pures Koffein für dich brauchen, kriegst du gerne einen Kakao."

Ungeduldig wippte ich auf meinen Füßen auf und ab, während Marlon und ich auf unsere Koffer warteten. Andere fuhren auf einem Band an uns vorbei, doch unsere hatte ich bisher noch nicht gesehen. Hoffentlich war Antiope noch nicht bei dem Sperrgepäckschalter angekommen und wartete dort jetzt ungeduldig auf mich. Der kleine Welpe mochte fliegen nicht – verständlicherweise – und war sehr froh, als er wieder bei mir war. Das zweite Mal war für meinen Hund mit Sicherheit nicht angenehmer. Daher wollte ich sie möglichst bald wieder bei mir haben, um sie einmal ordentlich durch zu knuddeln.
Endlich kamen Marlons und meine Koffer vorbei. Wir schnappten uns beide. Die Koffer landeten auf dem Gepäckwagen, welchen ich gleich nach dem Aussteigen geholt hatte. Danach liefen wir endlich zu dem Schalter für Sperrgepäck.
„Mach langsam, Welpe. Du kriegst ja gleich deine Antiope wieder."
„Glaubst du, sie ist schon dort?"
„Bestimmt, unsere Koffer gehörten zu den Letzten."
„Ich habe ihr versprochen, sie sofort abzuholen. Das war nicht unsere Vereinbarung."
„Sie wird verstehen, dass wir auch unsere Koffer gebraucht haben. Mache dir deshalb keine Sorgen. Mit dem Gepäckwagen bin ich aber nicht so schnell und ohne mich kriegst du dein heißgeliebtes Hündchen nicht." Ich grummelte unglücklich. Das hatte ich jetzt auf gar keinen Fall hören wollen.

Wir kamen an dem Schalter für Sperrgepäck an. Zum Glück war keine Schlange davor. Die Frau, welche dort arbeitete, hatte ein breites, falsches Lächeln aufgesetzt.
„Was kann ich für sie tun?", fragte sie uns auf Englisch mit einem starken Akzent.
„Wir sind hier, um einen Hund abzuholen. Er ist groß, braun und flauschig", antwortete Marlon auf Französisch. Zum Glück hatte mir mein Vormund ein wenig von der Sprache beigebracht. Er schob gleich den entsprechenden Schein hinterher. Die Frau sah kurz drauf, bevor sie ihm einen Mann in die Hand drückte. Ein weiterer Mitarbeiter, welcher kurz nach hinten ging, bevor er Antiope auf einem weiteren Gepäckwagen wiederkam. Sobald mein Haustier Marlon und mich sah, fing sie an, glücklich zu bellen.
„Antiope, mein Mädchen, hallo. Willst du geknuddelt werden?" Wenn es nach mir gehen würden, wäre ich schon längst hinter der Theke verschwunden. Doch das würde der Frau wohl kaum gefallen. Also wartete ich geduldig bis mein Hund endlich auf Marlons und meinem Gepäckwagen stand. Ich sprang sofort ebenfalls herauf. Ich öffnete die Transportbox, weshalb der Kopf meines Hundes auf meinem Schoß landete.
„Warst du ein braves Hündchen während des Fluges? Bestimmt. Schließlich bist du eigentlich immer eines. Oh, komm her. Lass dich hinter den viel zu großen Schlappohren kraulen. Du großes, braunes Fellknäuel. Ich habe dich so vermisst." Ich begann den Hund durch zu kuscheln, welcher es leise bellend genoss.

Verunsichert hatte ich mich an Marlon geklammert, während wir den Flughafen verließen. Mein Vormund sah immer mal wieder zu mir herüber. Er schien zu merken, dass ich ziemlich nervös und angespannt war. Allerdings war es auch schwer zu übersehen.
„Da vorne sind sie", rief Marlon plötzlich. Etwas verunsichert sah ich dorthin, wo er hin zeigte.
Marlons Familie war kaum zu übersehen. Frédéric Allaire ragte mit seinen fast zwei Metern über die Menge hinweg. Er war kaum zu übersehen. Anders als seine Begleitung. Eine Frau, die bestimmt zwei Köpfe kleiner war als er, stand bei ihm. Sie war sehr hübsch mit ihrer leichtgebräunten Haut und den langen braunen lockigen Haaren. Genauso wie eines der beiden Mädchen, welche sie begleiteten, trug sie Muggelkleidung, mit welcher sie perfekt in der Menge unterging.
Das Mädchen in Muggelkleidung sah dem anderen Mädchen sehr ähnlich. Beide hatten die gleiche Nase und dunkelbraune Haare, die im richtigen Licht mit Sicherheit schwarz wirken würden. Sie waren auch beide ungewöhnlich groß dafür, dass sie ungefähr in meinem Alter sein mussten.
Anders als ihre Schwester hatte die zweite Tochter allerdings keine übliche Muggelkleidung an. Die khakifarbene Hose und die braune Lederjacke, wirkten zwar eher wie die Kleidung aus der nichtmagischen Welt, doch es war definitiv nicht das Übliche. Die Lederjacke konnte man nicht richtig schließen, sondern nur vier Schnallen, wie die eines Gürtels hielten sie zusammen. Trotzdem blieb ein ungefähr 5 cm breiter offener Spalt. Auf den Schultern hatte sie d-förmige, schwarze Epauletten mit Nietenaufsätzen. Ein paar Kratzer in ihnen zeigten, dass sie wohl schon den ein oder anderen Schwerthieb abgefangen hatten. An der Hose konnte man sehen, dass sie normalerweise zusätzlich zu ihrem Gürtel oder anstelle diesen einen Waffengürtel trug, welcher an ihrer Hüfte und ihren Beinen befestigt wurde.
Zusammen mit Marlon steuerte ich auf die Familie zu. Jetzt gerade war ich sehr froh, dass ich mich an meinen Erziehungsberechtigten klammern konnte. Irgendwie hatte ich es mir wesentlich leichter vorgestellt, die Kriegsnymphenfamilie kennenzulernen, als ich zugestimmt hatte, mit Marlon nach Frankreich zu gehen.
„Es wird alles gut werden, mein allerliebster, wunderbarer Welpe." Der Franzose lächelte mir beruhigend zu, bevor er wieder hinsah, wo wir langliefen.
„Marlon!", rief in diesem Moment Frédéric. Die Familie hatte uns wohl entdeckt. Wir schlängelten uns noch um ein paar Leute, dann kamen wir auch schon bei der Familie an.
„Hallo, kleiner Bruder. Wie geht es dir?"
„Nach zwei Woche Pause von dir – ich fühle mich sehr erholt. Nicht einmal meine Kinder sind so anstrengend wie du." Der Muggel schüttelte breit grinsend den Kopf, bevor er zu seinen zwei Nichten und seiner Schwägerin herübersah.
„Claire, meine wunderschöne Schwägerin, ich hoffe, mein Bruder hat sich gut benommen."
„Er hat dich mehr vermisst, als er zugeben will. So wie immer." Der Mann wandte sich an seine beiden Nichten, welche mich bis dahin neugierig beobachtet hatten.
„Roux, Susanne, wollt ihr euren absoluten Lieblingsonkel nicht einmal anständig begrüßen?"
„Aber natürlich Onkel Marlon. Es ist so schön, dass du wieder hier bist." Das eine Mädchen in richtiger Muggelkleidung fiel meinem Begleiter um den Hals. Dieser begann leise zu lachen, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, dann wandte er sich an das andere Mädchen.
„Na, Sue, freust du dich auch, mich wieder zu sehen."
„Natürlich freue ich mich."
„Sie ist nur zu cool, um dich zu umarmen", flüsterte das Mädchen, welches dann wohl Roux sein musste. Marlon schien es gar nicht auszumachen, dass seine Nichte ihn gerade nicht umarmen wollte. Er schüttelte grinsend den Kopf, bevor er mich vorsichtig vor sich zog. Seine Hände landeten auf meinen Schultern.
„Patricia, Frédéric kennst du ja schon und die drei Damen, die ihn begleiten, sind seine Ehefrau Claire und seine beiden Töchter Susanne und Roux." Er zeigte nacheinander auf die genannten Personen, welche mich alle einmal freundlich begrüßten.

Wir saßen zusammen in einem kleinen Restaurant mit einem riesigen Frühstücksbuffet. Während Marlon seiner Familie fröhlich von unseren Erlebnissen in New York erzählte, verschlang ich stillschweigend mein Frühstück. Das Restaurant würde mit mir als Gast wahrscheinlich ordentliche Verluste machen, wenn ich so darüber nachdachte, wie viel Essen ich mal wieder verschlang. Marlon hatte wohl recht. Ich würde wohl bald wieder wachsen. Ich und damit vermutlich auch meine Macht.
„Patricia, wie hat es dir denn in Amerika gefallen?" Ich sah erschrocken von meinem Essen auf. Bisher hatte es mir sehr gut gefallen, dass ich hier einfach stillschweigend sitzen konnte und keine Fragen beantworten musste. Doch jetzt, wo mich Claire angesprochen hatte, würde ich mich wohl an dem Gespräch beteiligen müssen.
„Es war sehr schön dort", nuschelte ich leise, während ich weiterhin auf meinen Teller starrte. Marlons Schwägerin sah etwas verunsichert zu ihm herüber. Offensichtlich hatte sie gehofft, sie könne mich durch ihre Fragen ein wenig aus meinen Schneckenhaus herausholen. Mein Sorgeberechtigter sah wieder zu mir. Er seufzte leise, bevor er schützend einen Arm um mich legte.
„Du brauchst keine Angst haben, Welpe. Ich passe auf dich auf." Mir wurde liebevoll ein Kuss auf die Haare gedrückt, bevor er sich wieder seinen Verwandten zuwandte.
„Was habt ihr denn gemacht, während wir uns in Amerika vergnügt haben?"

Das Auto hielt auf dem Hof des Schlosses. Unsicher sah ich mich um. Er sah einladend aus mit den vielen kleinen Beten, in denen Bäume und Blumen wuchsen. Bänke standen herum und luden ein, ein wenig in der Sonne zu sitzen. Ein paar Kinder wesentlich jüngere Kinder spielten draußen fangen. Als wir allerdings hielten, blieben sie stehen. Kaum war Marlon ausgestiegen, kamen sie auch schon auf ihn zu gerannt und hüpften um ihn herum. Eine Tatsache, die ihm zum Lachen brachte.
„Bist du bereit noch die Restlichen von uns kennenzulernen?" Frédéric drehte sich vom Fahrersitz zu mir um. Alle anderen waren schon ausgestiegen. Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Ich – na ja –"
„Es ist viel auf einmal, ich weiß. Du wirst deine Zeit brauchen und du wirst sie kriegen. Marlon musste sich auch erst einleben. Und er musste nicht nur mit einer Familie klarkommen, sondern auch noch damit, dass es plötzlich Magie, Nymphen und Götter gab. Niemand erwartet, dass du morgen plötzlich ein Teil dieser Familie bist. Das braucht Zeit und die kriegst du. Aber du schaffst es, jetzt auszusteigen. Deine Antiope wartet schon auf dich. Sie hüpft schon über den Hof."
„Und wenn ich es nicht schaffe?"
„Du wirst es schaffen. Das verspreche ich dir." Frédéric stand von seinem Platz auf. Dann öffnete er meine Tür und hielt mir die Hand hin. Etwas verunsichert ergriff ich sie.
Kaum stand ich auf dem Hof, kam Antiope auch schon zu mir. Der kleine Hund bellte glücklich. Anscheinend war sie ziemlich froh, endlich mal wieder laufen zu können. Im Flughafen war es nicht erlaubt gewesen sie richtig rauszulassen. Auf dem Parkplatz konnte sie dann ein paar Runden rennen, bevor es weiter zum Restaurant ging. Auch dort waren drinnen keine Hund erlaubt. Sie hatten zwar draußen einen Bereich, wo man sie Anleihen konnte, doch auch dort hatte sie nicht viel Bewegungsfreiheit gehabt. Danach saßen wir wieder im Auto und sind hierhin gefahren. Jetzt konnte sie endlich mal wieder nach Lust und Laune hin und her rennen.
„Patricia, wollen wir reingehen? Dann kann ich dir dein Zimmer zeigen", fragte mich Marlon. Er hielt mir auffordernd die Hand hin.
„Mein Zimmer? Kann ich nicht bei dir wohnen?" Eigentlich gefiel es mir sehr gut, dass ich mich nachts immer an Marlon kuscheln konnte.
„Du darfst jederzeit zu mir kommen, Kleine. Mein Ziel ist es nicht, dich in irgendeinerweise abzuschieben. Aber wenn man irgendwo wohnt, kriegt man dort ein eigenes Zimmer, damit man sich dorthin zurückziehen kann. Es ist noch nicht eingerichtet, aber wir haben ein paar Hauselfen hier und die werden das ganz schnell ändern. Ein Zimmer ganz nach deinen Vorstellungen."
„Kriege ich eine Musikanlage?"
„Klar, die Beste, die auf dem Markt ist."
„Eine Ecke zum Malen und zeichnen?"
„Ist notiert." Ich wurde in das Schloss hereingeschoben.
„Und kriegt Antiope auch ein großes Körbchen?"
„Wenn dir meine Idee für deinen Hund nicht gefällt, dann kaufen wir ihr ein riesiges kuscheliges Körbchen."
„Was hast du für eine Idee?"
„Ich glaube, die zeige ich dir lieber dein Zimmer und erkläre sie dir dann. Die Koffer bringen später Hauselfen nach. Wenn du einen Kleiderschrank hast. Und die Kobolde wollen dich endlich kennenlernen. Sie sind sehr beleidigt, weil sie bisher kaum Dinge für dich herstellen durften. Natürlich nur als Leihgabe. Dir wird es dort unten gefallen. Sie haben alles aufbewahrt, was jemals für eine Kriegsnymphe oder deren Familie hergestellt wurde. Aber erstmal geht es die Treppen herauf."

Auch wenn das Zimmer bisher weder eingerichtet noch gestrichen war, wirkte es sehr einladend und freundlich auf mich. Es lag im obersten Stockwerk des Schlosses, weshalb man eine Menge Treppen steigen musste, bis man hierher kam. Durch mehrere Dachfenster schien die Sonne herein. Eine weitere Tür führte tatsächlich in mein eigenes Badezimmer.
„Das hier wird dein Zimmer. Meines liegt gleich links daneben. Du kannst also jederzeit ganz schnell zu mir herüberkommen. Frédéric und seine Familie haben hier oben auch ihre Zimmer. Genauso wie Azura und ihre Familie. Ihre jüngere Schwester Arienne ist auch in deinem Alter. Gefällt es dir?"
„Es sieht sehr hübsch und schön hell."
„Ja, das ist es. Und es bietet genug Platz, damit du eine ganz große Ecke zum Malen kriegen kannst."
„Was für eine Idee hattest du denn, anstelle ein Körbchen für Antiope?"
„Ich dachte, wir schlagen ein Loch in die Wand unter der Schräge und bauen für dein kleines süßes Hündchen dort ihr eigenes Zimmer hinein. Mit flauschigen Körbchen, falls sie mal nicht in deinem Bett schlafen will. Dann hat sie auch ihren eigenen Rückzugsort." Ich sah zu meinem Hund, welcher schwanzwedelnd neben mir stand.
„Würde dir das gefallen, Fellknäuel?" Mein Haustier bellte glücklich. Offensichtlich gefiel ihr ein eigenes Zimmer sehr gut. Hoffentlich würde sie es nur nicht zu oft nutzen. Ich hatte meinen Welpen sehr gerne bei mir.
„Du wirst das verwöhnteste kleine Hündchen auf dieser Welt mit einem eigenen kleinen Zimmer." Ich kraulte mein Tier hinter den Ohren.

Die Werkstatt der Kobolde lag im Keller des Schlosses. Fünf Stück arbeiteten dort sehr gewissenhaft an Waffen, Kleidung und Schilder für die Mitglieder der Kriegsnymphenfamilie.
„Hinter der Tür dort vorne liegen die Wohnräume der Kobolde. Sie mögen es aber nicht, wenn man dort herumläuft. Daher lass es lieber. Meistens Essen sie auch ohne uns, daher haben sie dort auch ein. Aber immer mal wieder können wir sie zu uns herauf locken. Sie meinten, sie wollen uns heute Abend Gesellschaft leisten. Hinter der anderen Tür geht es zu unserem Waffenlager. Wenn du ganz lieb fragst, werden sie dich durchführen." Vor uns räusperte sich einer der fünf Kobolde, welcher seine Arbeit niedergelegt hatte und stattdessen zu uns herüberkam.
„Patricia Primrose Black, es ist mir eine Freude, dich endlich kennenzulernen. Mein Name ist Eglor. Ich bin der Meisterschmied dieser Einrichtung. Ich hoffe, dir hat dein Gürtel und das Messer gefallen." Ich nickte leicht.
„Danke fürs Ausleihen, Eglor. Sie sind wirklich hübsch geworden." Ich strich vorsichtig über meinen Gürtel mit den Ehrenpreis und den Primeln. Ich trug ihn eigentlich jeden Tag, seitdem er mir zugesendet worden war.
„Das höre ich sehr gerne. Wir haben noch weitere Entwürfe für einige Waffenideen für dich. Und für Kleidung mit Schildfunktion. Wir haben noch nicht mit der Herstellung beginnen können, weil wir nicht ihre genauen Maße haben, doch wenn du erlaubst, würden wir diese sofort vermessen und dann beginnen."
„Eglor, euer Enthusiasmus in alle Ehren, aber wenn es für euch in Ordnung ist, würden wir gerne in die Waffenkammer gehen. Ich würde sie gerne Patricia zeigen." Die Augen des Koboldes verengten sich zu schlitzen. Der Gedanke, Marlon und ich könnten durch die Kammer laufen, schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen.
„Ich würde es bevorzugen, euch durch sie zu führen. Nicht, dass ein weiteres Stück verloren geht." Ich sah verwirrt zu Marlon herüber.
„Was meint er damit?"
„Ich habe vor ein paar Jahren ein Messer verloren. Sie werfen es mir noch immer vor", gab der Muggel ziemlich kleinlaut zu. Ich musste grinsen. Das konnte ich mir vorstellen. Die Kobolde waren mit Sicherheit noch sehr wütend.

Begeistert sah ich mich in dem Raum um. Überall hingen Schwerter, Messer und Rüstungen, die teilweise wie solche aussahen und andere, die wie Alltagskleidung wirkten. Wenn man genau hinsah, erkannte man allerdings, dass es nicht das übliche Leder oder der übliche Stoff war, welcher für sie benutzt worden war. Ich konnte spontan die Materialien nicht bestimmen, doch sie würden mit Sicherheit irgendeine schützende Wirkung haben. Ansonsten würden sie hier nicht hängen.
Schließlich blieb ich vor einem Schwert stehen. Es wirkte schon ziemlich alt und abgenutzt. Die Klinge war zwar immer wieder geschliffen worden, weshalb sie scharf war, doch trotzdem war nicht zu übersehen, dass sie viele Kämpfe miterlebt haben musste. Mehrere Kerben waren zu erkennen. Der Größe des Schwertes nach zu urteilen würde ich behaupten, es wäre für einen Mann geschaffen worden. Dagegen sprachen allerdings die Blumen, welche am Heft eingraviert worden waren.
„Dies war das Schwert der ersten Nymphe. Otrere." Eglor betrachtete stolz das Schwert an der Hand.
„War sie so groß, dass sie ein solches Schwert geführt hat?" Nach der Rüstung, neben welcher die Waffe hing, war sie nicht ungewöhnlich groß gewesen.
„Es wurde für ihren Vater hergestellt. Sie nutzte es nach seinem Tod und wehrte sich dagegen ein passendes Schwert zu führen. Zugegebenermaßen, sie war auch mit dieser unpassenden Waffe eine hervorragende Kriegerin."
„Darf ich es mal halten, Eglor? Oder stört es euch, wenn ich das tue."
„Nein, das ist kein Problem. Nehme es herunter. Wir verleihen auch Waffen von hier. Auch wenn ich diese Waffe als unpassend für dich empfinde."
„Ich bin zu klein. Das ist mir bewusst. Ich finde nur, es ist eine wirklich faszinierende Waffe." Ich konnte nicht einmal sagen, was ich an ihm so anziehend fand. Es gab eindeutig wesentlich auffälligere und interessantere Waffen. Doch vielleicht war es gerade die Schlichtheit und Einfachheit, die mich anzogen, die mir versprachen, dieses Schwert war interessanter, als es wirkte.
Neugierig musterte ich die Waffe in meiner Hand. Perfekter Schwerpunkt, koboldgearbeitet und ziemlich scharf. Doch irgendetwas an dem Heft störte mich. Mit meinen Fingern fuhr ich vorsichtig über die Verzierungen.
„In dem Heft wurde ein Geheimfach eingebaut."
„Kann in meines auch eines eingebaut werden?", fragte ich den Kobold begeistert.
„Aber natürlich."

Marlon und ich liefen die Treppen wieder herauf. Glücklich blätterte ich durch die Entwürfe der Kobolde für meine neue Kleidung, Waffen und Schilde. Sie hatten wirklich viele, gute Ideen, auch wenn ich jetzt wusste, woher Susanne ihren eigenwilligen Modestil hatte. Die Kobolde schienen gerne in diese Richtung zu designen.
„Und bist du glücklich mit den Ideen der Kobolde?"
„Ansonsten hätte ich mehr Vorschläge gemacht."
„Ich glaube, Eglor mag dich lieber als mich."
„Ich gehe auf pfleglicher mit ihren Leihgaben um."
„Manchmal verliert man irgendwelche Dinge. Gerade wenn man gegen schwarze Magier kämpft." Ich musste lächeln. Ja, da könnte er wohl recht haben. Wenn ich daran dachte, dass ich geschafft hatte Ares zu verlieren, wollte ich nicht wissen, wann mir die erste Leihgabe der Kobolde abhanden ging.
„Glaubst du, sie werden mich auch Jahre später hassen, wenn ich etwas verliere? Ich bin im Eifer des Gefechtes gerne etwas schusselig. Ich habe Ares verloren."
„Ich weiß. Ich war dabei, als Frédéric ihn dir wiedergegeben hat."
„Du hast Pommes in dich reingestopft."
„Ja, das habe ich. Trotzdem habe ich es mitgekriegt." Wir kamen im ersten Stock an. Dort kam uns eine grauhaarige Frau entgegen. Nur noch einzelne dunkelbraunen Strähnen waren in ihren lockigen Haaren zu erkennen. Lachfalten waren, um ihren Mund zu erkennen, was sie wirklich sympathisch wirken ließ, während ihre dunkelblauen Augen ihre Umgebung aufs genauste musterten und alles zu analysieren schienen.
„Maman!" Marlon ließ mich stehen, um die Frau zu umarmen. Diese sagte leise auf Französisch etwas zu ihm und tätschelte ihm liebevoll die Wange, bevor sie sich an mich wandte.
„Hallo, Patricia. Ich bin Vivienne, die Mutter von Marlon. Es freut mich sehr, dass wir uns jetzt endlich mal persönlich begegnen." Sie schenkte mir ein breites freundliches Lächeln. Ich sah verunsichert zu meinem Sorgeberechtigten. Wie ging ich jetzt mit seiner Mutter um?
„Na komm her, Welpe." Marlon streckte seine Hand nach mir aus. Verunsichert griff ich danach und ließ mich an ihn heranziehen. Er zog mich wieder vor sich, seine Hände auf meine beiden Schultern. Was es auch immer brachte, dass ich nun ein paar Meter näher stand.
„Gefällt es dir bisher in Frankreich?" Ich brachte ein leichtes Nicken zu Stande.
„Wir waren gerade unten bei den Kobolden. Eglor mag Patricia sehr gerne. Jedenfalls viel lieber als mich. Sie durfte sogar Otreres Schwert halten. Sie haben an ganz vielen Waffen für den Welpen rumgetüftelt. Und Antiope kriegt ein paar neue Halsbänder." Mein Hund bellte glücklich.
„Und fandest du die Kobolde auch nett, Patricia?" Ich nickte leicht. Marlon stupste mir vorsichtig in den Rücken, als Aufforderung, ich solle mal den Mund aufmachen.
„Sie waren sehr lieb zu mir. Und sie stellen sehr schöne Waffen her."
„Also freust du dich über die Waffen, die du kriegst?" Ich nickte wieder.
„Sie guckt sich schon die ganze Zeit die Entwürfe an. Sie durfte eine Kopie machen."
„Das lassen sie wirklich nicht oft zu. Wir könnten ja zu anderen Kobolden gehen. Als würden wir unsere Meisterschmiede betrügen. Darf ich mir die Entwürfe mal ansehen?" Unsicher hielt ich der Frau die Blätter hin. Diese nahm sie breit grinsend entgegen und sah sie sich durch.
„Sie sehen wirklich sehr hübsch aus. Das Schwert sieht Otreres sehr ähnlich."
„Es kriegt auch ein Geheimfach im Heft."
„Das Schwert hat es dir wohl wirklich sehr angetan. Aber es ist auch eine wirklich beeindruckende Waffe. Und die Geschichte dazu ist noch viel interessanter."
„Wir hören sie uns gerne später an, maman. Die Hauselfen meinten, Patricias Zimmer ist fertig. Wir sind gerade auf dem Weg dorthin."
„Kommt ihr denn gleich zum Abendessen herunter?", fragte uns Vivienne. Marlons Blick glitt zu mir. Er wollte dahin, das wusste ich. Eigentlich hatte ich auch schon zugesagt, doch offensichtlich wollte er jetzt gerade noch einmal meine Bestätigung. Ich nickte leicht.
„Wir kommen wohl."

Der Speisesaal war schon ziemlich gut gefüllt, als Marlon und ich dort eintrafen. An der länglichen Tafel waren schon viele der Sitzplätze besetzt. Die Kinder, welche bei unserer Ankunft gespielt hatten, saßen schon zusammen am Tisch. Auch Susanne, Roux und ein drittes mir unbekanntes Mädchen, vermutlich Arienne, saßen ebenfalls zusammen und hatten ihre Köpfe zusammengesteckt. Frédéric und Claire saßen bei Vivienne. Kaum kamen Marlon und ich herein, verstummten die Gespräche. Stattdessen sahen nun alle zu uns. War es zu spät wegzulaufen? Wahrscheinlich schon.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Na komm schon." Marlon legte seine Hand auf meine rechte Schulter und schob mich in den Raum hinein. Er bugsierte mich zu zwei freien Stühlen bei den mir bekannten Verwandten.
„Willst du dich zu uns oder zu Roux, Susanne und Arienne setzen?" Der Blick, den ich Marlon zuwarf, reichte wohl vollkommen als Antwort. Jedenfalls begann er zu lächeln und zog für mich den Stuhl zurück.
„Das habe ich mir schon gedacht, Welpe. Setze dich hin. Ich passe schon auf dich auf." Ich ließ mich auf den Stuhl fallen. Vivienne wandte sich wieder mit ihrem freundlichen Lächeln an mich.
„Hat dir dein Zimmer gefallen?" Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir. Marlon stupste mir in die Seite. Die klare Aufforderung ich solle irgendetwas auf diese Frage antworten.
„Die Decke wird unsichtbar, wenn ich mit den Fingern schnippe. Dann kann ich den Himmel sehen." Ich sah verunsichert zu meinem Sorgeberechtigten. War das jetzt gerade richtig? Hatte ich genug gesagt? Zu wenig? Zu viel? Doch der Franzose schien mir die Antwort nicht geben zu wollen. Er strich mir noch einmal durch die Haare, bevor er sich an Frédéric wandte. Anscheinend war ich hier auf mich alleine gestellt.
„Magst du die Sterne? Wolltest du deshalb manchmal ein unsichtbares Dach haben?" Marlons Mutter schien meine Aussage anscheinend ausgereicht zu haben.
„Ich mag Gewitter gerne. Obwohl die Sterne auch ganz hübsch anzusehen sind."
„Aber Gewitter siehst du lieber. Marlon meinte, du malst und zeichnest gerne. Hast du alles, was du dafür brauchst?"
„Dafür reicht irgendein Stift und Papier. Die habe ich." Meine Gesprächspartnerin fing an, breit zu grinsen.
„Aber du willst vielleicht etwas hochwertigere Materialien haben. Und die solltst du hier auch bekommen."
„Ich habe zu Weihnachten welche gekriegt."
„Und falls sie dir ausgehen oder du noch mehr haben willst, dann können wir deinen Vorrat nochmal aufstocken. Die Sachen hast du von Adina Malfoy gekriegt. Sie ist deine beste Freundin, nicht wahr?"
„Sie ist meine einzige Freundin, also damit auch meine beste Freundin."
„Ja." Adina war meine einzige Freundin und damit wohl auch automatisch meine beste.

Mittlerweile stand der Tisch voll mit Essen. Eine Handvoll Hauselfen hatte es zu uns hochgebracht und sich danach tatsächlich zu uns gesellt. Sie saßen bei uns, als wäre es das Normalste auf der Welt und auch die anderen schien es kein wenig zu wundern, dass sie hierblieben. Die Hauselfen beteiligten sich genauso an den Gesprächen wie alle anderen hier. Mit Ausnahme von mir. Ich sprach nur, wenn mich jemand mal direkt ansprach, und gab dann meine üblich knappen Antworten. Marlon strich mir immer wieder beruhigend über die Haare.
„Ist eigentlich mittlerweile Bertha Jorkins wieder aufgetaucht?", fragte Marlon an Frédéric gewandt.
„Nein, aber die Engländer sind noch immer nicht beunruhigt. Sehr unvernünftig."
„Wer ist Bertha Jorkins?", fragte ich meinen Sorgeberechtigten. Dieser wandte sich an mich.
„Sie ist eine Angestellte im Zaubereiministerium. Sie war ein paar Jahrgänge über deinen Vater und steckte ihre Nase gerne in die Angelegenheiten anderer. Vor ein paar Jahren fing sie allerdings an, sehr vergesslich und verwirrt zu werden. Wir wissen nicht warum. Deshalb macht sich jetzt auch niemand sorgen. Wir allerdings glauben nicht daran. Gerüchteweise soll sich in Albanien Voldemort aufhalten."
„Und Pettigrew?"
„Wir wissen es nicht, Welpe. Alle unsere Kontakte halten die Augen offen. Wir werden ihn finden. Allerdings gehen wir davon aus, dass er ebenfalls nach Albanien gegangen ist. Um sich wieder Voldemort anzuschließen. Aber mache dir keine Sorgen deshalb. Es wird alles gut werden." Mir wurde aufmunternd zugelächelt. Ich nickte leicht. Irgendwann würde wieder alles gut werden. Die Frage war nur wann.

Gedankenverloren starrte ich die Decke meines Zimmers an. Oder besser gesagt das, was eigentlich meine Zimmerdecke sein sollte. Nach einem Fingerschnippen war sie unsichtbar geworden, sodass ich nun in meinem Bett liegen konnte und dabei den Himmel ansehen konnte. Schon seit einer Stunde lag ich hier.
Nach dem Abendessen hatte ich mich in meinen Zimmer zurückgezogen. Ich hatte eindeutig genug Trubel für einen Tag gehabt. Großfamilien waren noch immer nichts für mich. Mich in eine Fremde einzufügen viel mir noch immer schwer. Egal, ob es nun meine Biologische war oder nicht. Ich gehörte nicht dazu, das wusste ich und momentan glaubte ich nicht daran, es würde sich etwas ändern.
Ich drehte mich ein wenig im Bett. Marlon und ich, wir beide zusammen, das war eine sehr gute Kombination gewesen. Bei ihm fühle ich mich wohl, dort wusste ich, was ich sagen musste, doch bei der restlichen Familie sah es anders aus. Dort gab es wieder die eingespielten Vorgänge, in die ich mich so schlecht einfügen konnte.
Ich drehte mich erneut in meinem Bett. Ob Marlon wohl mittlerweile in seinem Zimmer war und ich mit ihm reden konnte? Es gab wohl nur eine Möglichkeit dies herauszufinden. Ich würde zu ihm gehen müssen. Als ich von meinem Bett aufstand, hob auch Antiope, welche in ihrem, Zimmer unter der Schräge lag, ihren Kopf an. Sie sah mich neugierig an.
„Ich gehe zu Marlon." Der Hund sprang bellend auf. Ich musste lächeln. Mein kleines, treues Fellknäuel.

Leise öffnete ich die Tür. Auch wenn es nur wenige Meter bis zu Marlons Zimmertür waren, wollte ich nur sehr ungern jemanden begegnen. Ich hatte nämlich keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn ich es doch tat. Ignorieren? Hallosagen und dann weitergehen? Oder wurde von mir erwartet, dass ich dann wirklich mit der Person sprach?
„Susanne, jetzt sei nicht so streng mit ihr. Sie ist seit einem Tag hier. Lass sie sich doch erst einmal einleben", hörte ich Roux rufen. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Mädchen redeten offensichtlich über mich.
„Einleben? Sie ist die Kriegsnymphe! Sie hat eine Aufgabe! Sie sollte die Anführerin dieser Familie sein! Stattdessen benimmt sie sich wie ein unreifes Kind!", tobte die Angesprochene. Ich schluckte schwer.
„Sie ist ein Kind, Sue. Genauso wie wir drei. Lass sie erstmal hier ankommen. Mein Vater meinte, Onkel Marlon hätte auch eine Menge Zeit gebraucht, um sich einzuleben. Es gab schon ein Grund, warum eure Eltern erstmal nur mit euch beiden zum Flughafen gefahren sind. Es war allen klar, sie würde mit der ganzen Truppe auf einmal nicht klarkommen. Es überfordert sie in eine fremde Familie zu kommen. Sie muss erst noch ihren Platz finden", kam es von Arienne. Meinen Platz hier finden? Momentan war ich mir gar nicht so sicher, dass es überhaupt einen für mich gab.
„Ihren Platz finden? Den kann ich ihr sehr gerne zeigen. Sie sollte eine große Kriegerin sein. Stattdessen kriegen wir ein kleines Kind, welches sich am liebsten vor der Welt verstecken würde!" Ich biss mir auf die Unterlippe. Damit hatte das Mädchen nicht ganz unrecht. Verstecken und weglaufen, das konnte ich wirklich besser als mich meinen Problemen zu stellen.
„Sie ist noch keinen Tag hier, Sue. Jetzt gebe ihr doch eine Chance." Wütendes Schnauben war die Antwort auf Rouxs Bitte.
„Ari, hilf mir."
„Ich hätte mir auch gewünscht, wir hätten eine weniger verkorkste Kriegsnymphe gekriegt. Doch wir können uns nun einmal nicht aussuchen, wer es wird. Also können wir jetzt aufhören, darüber zu streiten. Sie wird sich schon einleben. Und wenn nicht, dann freue dich darüber, Sue. Ich kann mir noch nicht vorstellen, dass du dir irgendwann einmal von der Kriegsnymphe etwas sagen lässt."
„Von ihr ganz sicher nicht. Sie ist eine Schande für alle Kriegsnymphen vor ihr." Ich hörte, wie die drei Mädchen in ein Zimmer hier auf dem Flur gingen. Ich atmete erleichtert auf. Gleichzeitig wischte ich die Tränen weg, welche mir stumm über die Wange gelaufen waren. Ich gehörte in dieses Schloss genauso wenig wie nach Hogwarts.

Ich klopfte gegen Marlons Zimmertür. Immer wieder sah ich mich im Flur um. Ich wollte auf gar keinen Fall gleich Roux, Arienne und schon gar nicht Susanne über den Weg laufen.
„Herein", hörte ich drinnen Marlon rufen. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit, durch den ich durchschlüpfte. Antiope kam mir hinterher, bevor ich die Tür schloss. Marlon war nicht alleine im Raum. Er saß zusammen mit Vivienne auf einem Sofa. Die beiden hatten sich wohl gerade unterhalten. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Eigentlich hatte ich Marlon alleine antreffen wollen.
„Welpe, du bist es. Komm her, setze dich zu uns." Antiope stupste mir von hinten gegen die Beine, bevor sie zu dem Sofa herüberrannte. Mit einem Satz saß sie rechts neben meinem Sorgeberechtigten. Also blieb für mich nur noch die Flucht oder die Möglichkeit auf Marlons linker Seite zu sitzen und damit zwischen ihm und Vivienne.
„Jetzt komm schon her. Was ist denn los?" Nur ziemlich zögerlich setzte ich mich in Bewegung. Verunsichert setzte ich mich auf den freien Platz.
„Welpe, du siehst traurig aus. Sag mir, was los ist." Mein Blick glitt zu Vivienne. Eigentlich wollte ich nur mit ihm darüber reden. Nicht mit seiner Mutter.
„Ich glaube, ich lasse euch beide lieber in Ruhe." Die Frau stand auf. Sie kraulte Antiope kurz hinter den Ohren, bevor sie sich an Marlon wandte.
„Schlaf gut, Marlon. Und bleibe nicht mehr so lange wach. Ihr habt einen langen Flug hinter euch und mit Sicherheit Jetlag. Gerade du, Chouchou." Ihm wurde ein Kuss auf die Stirn gedrückt.
„Maman –"
„Ich weiß, ich bin dir peinlich. Vermutlich sogar mehr als das. Aber so sind Mütter nun einmal. Ich habe dich sehr lieb, Chouchou. Und du, Patricia, schlaf du auch gut." Sie zögerte kurz, bevor sie mich in eine Umarmung zog.
„Ich bin sehr froh, dass du jetzt bei uns bist. Wirklich sehr froh. Egal, was los ist, das wird wieder." Mir wurde ebenfalls ein Kuss auf die Stirn gedrückt. Ich merkte, wie sich mein Hals zuschnürte. Vivienne gab mir das Gefühl hier einen Platz zu haben, doch gleichzeitig fühlte ich mich hier so falsch.
„Ist schon gut, Patricia. Es ist in Ordnung. Lass es raus." Marlons Mutter ließ sich wieder auf meine andere Seite fallen. Während mir mein Sorgeberechtigter über die Haare strich, hatte ich mich an seine Mutter gekuschelt, die sich große Mühe gab, mich zu beruhigen.

Ich löste mich von Vivienne Allaire. Beschämt wischte ich mir meine Tränen weg.
„Oh, chiot, lass mich das machen." Die Großmutter zog ein Taschentuch heraus. Sie fing an, damit meine Tränen wegzuwischen.
„Willst du uns sagen, was dich traurig macht?" Marlon strich mir vorsichtig über die Wange. Ich macht den Mund auf, nur um ihn dann wieder zu schließen. Ich wollte nicht Susanne, Arienne und Roux verraten. Als Petze würde ich hier definitiv nicht besser Fußfassen.
„Bist du traurig, weil du Sirius vermisst?", fing Marlon an, loszuraten. Ich schüttelte leicht den Kopf.
„Weil du jemand anderen vermisst?"
„Glaubst du, ich bin eine gute Kriegsnymphe?" Ich sah fragend zu ihm.
„Was macht denn eine gute Kriegsnymphe aus?"
„Sie ist eine große Kriegerin, denke ich."
„Die wirst du sein. Noch ein paar Zentimeter mehr an dir dran, dann bist du eine große Kriegerin." Ich sah genervt zu meinem Sorgeberechtigten. Es war gerade nicht die Zeit für schlechte Scherze.
„Es gibt keine guten und schlechten Kriegsnymphen, Welpe. Du bist eine Kriegsnymphe, so ist das nun einmal. Da gibt es kein gut oder schlecht."
„Die Kriegsnymphen hat Aufgaben, die kann sie gut oder schlecht erfüllen."
„Welpe, keine Kriegsnymphe kam auf die Welt und kam mit den Kräften und all den anderen Dingen klar. Jede ist erst in ihre Rolle hereingewachsen. Und genauso wirst du es auch. Da bin ich mir absolut sicher. Aber nicht mehr heute und auch nicht morgen. Erstmal wächst du in diese Familie herein." Ich seufzte leise. Wenn ich jemals in diese Familie hereinwachsen sollte.

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