6. Kapitel

Nur fünf Wärme- und Kältewechsel nachher, als das kleine Weibchen von dem Tod ihrer Mutter erfahren hatte, hatte sich ihr Leben total umgekrempelt: aus dem lebensfrohen Welpen wurde ein depressiver Welpe, der den ganzen Tag Trübsal blies. Natürlich freute sie sich, als ihre Brüder endlich Volljährig waren; Winternacht und Lerchenstimme, die ab jetzt Jäger und Wächter waren, machten ihren Job trotz ihrer Behinderungen wirklich gut. Sandwelpe spürte, dass mit ihr etwas nicht stimmte, erst hatte sie sich nicht davon lösen können, sich die Schuld für den Tod ihrer Mutter zu geben, was sie innerlich ganz zerstört hatte. Indirekt hatte sie mitbekommen, wie sie der Kummer schier innerlich auffraß. Doch merkte sie nicht, wie sie sich immer mehr von den anderen abwendete, zwar nicht kleinlaut wie ein Letzter, sondern sie kehrte immer mehr in sich. Oft war sie in ihre eigene Welt gekehrt, in ihren Gedanken versunken und nur äußerst selten in der realen Welt. Als sie eine Prophezeierin wurde, wusste sie hundert Prozent sicher, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmte. Klar hatte sie nie wirklich das Bedürfnis, sich fortzupflanzen, doch auch eine dunkle Vorahnung hielt sie zurück. Heimlich wand sie sich an Schattengeist und ließ sich von der alten, erfahrenen Kunderin untersuchen. Als sie ihre Gefühle und die Gründe dazu beschrieb, war der Beschluss schnell gefasst. „Kindchen es tut mir so leid“, polterte die freundliche Wölfin: „aber du wirst nie Welpen zur Welt bringen können.“ Betrübt senkte Sandtatze den Kopf, schloss traurig die Augen, und winselte leise vor sich hin. Aufmunternd rieben sich die Einsamen an ihr, leckten ihre Ohren und winselten freundlich. Voller Frust knurrte sie die Rüden an, legte ihre Schnauze in falten, fletschte ihre Reißzähne und starrte die fremden Wölfe an, als wären es ihre schlimmsten Feinde. Erschreckt zuckten die Einsamen zurück, einige vielen in ihr Verhaltensbild ein und knurrten genauso bedrohlich, doch schnell beendete Schattengeist diese Streitigkeiten. „Sandtatze, ich würde dir raten zu deinem Rudel zurückzukehren, bevor noch ein Kampf ausbricht.“ Immer noch voller Trauer und Wut stakste die junge Wölfin den ganzen Weg zurück, realisierte es nicht einmal, als sie mitten durch das Eichenwald-Territorium wanderte und auch nicht, als sie an einigen ihrer Rudelmitglieder vorbei trottete. Als die anderen die braun-weiße Wölfin begrüßen wollte, knurrte diese nur bedrohlich, und ließ sie dann verdutzt zurück. Doch statt in die Höhle zu schleichen, machte sie sich auf den Weg tiefer in den Wald. Immer und immer schneller rannte sie durch den Kiefernwald, ihre Sicht war nur verschwommen, da sich ihre Augen mehr und mehr mit tränen füllten. Als dann ein Felsen ihren Weg kreuzte, preschte sie bis an die Spitze und jaulte ihren ganzen Frust in die dämmende Nacht. Statt melodisch und schön zu singen, war ihres schief und in der Tonlage ungleichmäßig. Als dann auch noch Steine bröckelten, dauerte es nur wenige Atemzüge, bis unter ihren Tatzen endgültig der Fels nach unten stürzte. Nur kurz winselte sie, als ihr Körper hart auf den Boden knallte. Schmerz fuhr ihr durch die rechte, vordere Tatze, der sich wie Feuer in ihrem ganzem Bein ausbreitete. Fest biss sich Sandtatze auf die Zunge, schloss dann die Augen und viel wimmernd in Ohnmacht. Als sie dann von einer Schnauze angestupst und von einer Zunge am Ohr geleckt wurde kam sie langsam zur Besinnung. Für einen kurzen Moment erschrak sie, als sie in die tiefen, leeren “Augen“ ihres Bruder sah. Dann, als sich auch ihrem anderen Bruder gegenüber sah, deren Blick voller Besorgnis funkelte, beruhigte sie sich etwas. Schnell wand sie ihren betrübten Blick ab und vergrub ihre Schnauze unter den Pfoten. Imaginär fragte der schwarz-weiße Winternacht, was mit ihr los sei, doch auch diesmal gab Sandtatze keine Antwort. Liebevoll schmiegte Lerchenstimme sein braunes Fell an das seiner Schwester, aber auch das ermutigte sie nicht, sich aus dem Trümmerhaufen zu erheben. Nun wiederholte der blinde Rüder die Frage seines Bruder, doch wieder blieb die Antwort aus. Währen dessen untersuchte der Stumme ihren Körper, falls die Steine irgendetwas an ihr zerquetscht hatten, doch außer ihrem geprelltem oder gebrochenem Vorderlauf, hatte sie keine weiteren Verletzungen. Beide Brüder halfen ihr trotz Protest auf die Beine und begleiteten sie ins Lager. Doch statt anständig zu humpeln, ließ sie sich völlig hängen, die leere in ihrem Bauch verbreitete sich und lag schwer in ihrer Magengegend. Der Wölfin war so schlecht, dass sie sich jedem Augenblick übergeben könnte. Es war nun mal die Aufgabe jedes weiblichen Wolfes entweder, wie die Zuchthelferinnen und die Alphawölfin nachwuchs auf die Welt zu bringen, oder als “normalen“ Wölfin, je nach Rhythmus, die Neugeborenen mit zusätzlicher Milch zu versorgen und das Mutterbedürfnis zu befriedigen. Doch niemand hätte das Bedürfnis dieser hoffnungslosen Wölfin stillen können, niemals würde sie einen Welpen säugen können, nie die winzigen Tritte spüren und nie die Liebe empfinden, die ihr Wellennacht immer gegeben hatte. Von unnatürlicher Trauer überwältigt sah alles verschwommen aus, die Stimmen, die sehr verwirrt klangen hörte sie nur Echohaft. Der Schmerz in Sandtatze´s weißem Bein verschlimmerte sich bei jeder unsicheren Bewegung, die Ohnmacht rückte bei jedem Tritt immer näher. Das einzige, was sie fühlte war die Bestürzung, die sich in ihrem Inneren verbreitete und alles aufzufressen schien. Ihre verschleierten Augen hatten schon längst ihren Lebensglanz verloren, die Flamme, die jeden Tag dort gelodert hatte, war nun endgültig erstickt.

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