9. Herzschlag

... als ich Grün sah.

Würde mich jemand fragen, wie es um meine Erfahrung mit Jungs steht, würde ich demjenigen sagen, dass dieser Erfahrungswert so ziemlich genau bei Null liegt. Es ist also durchaus denkbar, dass mich der Anblick eines jungen Mannes, der mit seinem noch offenen Hosenstall kämpft, während ich auf dem Boden vor ihm sitze, ungebremst aus der Bahn wirft.

Dementsprechend wenig überrascht bin ich, als ich die Hitze spüre, die sich einen Weg durch meinen Körper bahnt, um sich schließlich in meinem Gesicht auszubreiten. Und zu meinem Leidwesen bleibt das auch meinem Gegenüber nicht verborgen.

Thomas Green scheint es im Gegensatz zu mir keineswegs peinlich zu sein, dass ich ihm gerade einen ziemlich stürmischen Besuch auf der Toilette abstatte. Ihm wäre es wahrscheinlich nicht mal unangenehm, wäre ich eine Minute eher herein gekommen.

„Sag mal, was stimmt denn nicht mit dir? Hast du schon mal was von Abschließen gehört?"

Thomas zuckt nicht mal mit der Wimper, hält es aber offensichtlich auch nicht für nötig auf meine zugegeben wenig geistreiche Frage zu antworten.

In mir brodelt es und ich bin mir nicht sicher, ob es noch Nachwehen von meiner Begegnung mit Colton aus der Ferne sind oder ob es daran liegt, dass ich es hier mit einem seiner Freunde zu tun habe. Wahrscheinlich beides.

„Würdest du bitte etwas sagen?!" Die in meiner Stimme mitschwingende Verzweiflung ärgert mich zutiefst und ich beginne, an meiner Entscheidung, auch nur einen Fuß über Sallys Türschwelle zu setzen, zu zweifeln.

Thomas scheint Mitleid mit mir zu haben und dennoch ist die Belustigung über die Situation, in die ich uns gebracht habe unübersehbar.

„Ich frage mich, warum du noch hier bist. Soweit ich weiß, hast du die Tür hinter dir genauso wenig zugeschlossen wie ich." Die Kernaussage trieft vor Zynismus und dennoch klingen seine Worte sanft.

Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, tritt er, nun endlich mit geschlossenem Reißverschluss, auf das Waschbecken zu. Erst jetzt dreht er den Kopf und betrachtet kurz sein Spiegelbild, während Wasser über seine Hände rinnt. Er hat schöne Hände. An manchen Stellen treten die Adern deutlich hervor und seine Finger sind lang und schlank.

Ich war der Annahme, ich könne nicht noch mehr erröten. Allerdings habe ich mich da getäuscht, denn prompt spüre ich, wie mich eine neue Hitzewelle überkommt.

Unterbewusst nehme ich wahr, wie das Geräusch des stetig rauschenden Wassers verstummt und beobachte den Jungen vor mir, wie er seine Hände an einem dunklen Handtuch abtrocknet, um direkt im Anschluss auf mich zu zukommen.

Peinlich berührt stelle ich fest, dass ich mich immer noch auf dem gefliesten Boden befinde. Die Hand, die Thomas Green mir entgegen streckt, schlage ich jedoch aus und rappele mich stattdessen aus eigener Kraft wieder hoch.

Ich kann ihn einfach nicht einschätzen. Er ist ganz anders als Colton und dennoch sind die beiden befreundet. Irgendetwas müssen sie also gemeinsam haben, oder nicht?

„Nettes Kleid." Thomas reißt mich aus meinen Gedanken. Zögernd schaue ich an mir herunter und muss feststellen, dass das Blau selbst hier im schwachen Licht des Badezimmers grell schimmert und glitzert.

Ich murmele ein leises „Danke", während mein Blick zum Körper meines Gegenübers schweift. Er ist trainiert, kein Wunder, Thomas ist, genau wie Colton, ein Mitglied des Football Teams der „Emerald".

Auch sein Outfit passt zu ihm. Wie in der Schule trägt er ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe, die er nie schließt, den Blick auf seine blasse Haut freigeben. Der Saum seines Hemds steckt leger in der Hose. Seiner dunkelgrünen Chino Hose.

Ich werde Grün tragen, die Farbe der Hoffnung.

Ein Ruck durchfährt meinen Körper und Colton Hill ist endgültig vergessen. Kann es womöglich sein, dass – Nein, dieser Tag ist schon längst gelebt.

„Nette Hose", kommt es mir dennoch unerwartet über die Lippen und ich halte die Luft an, während ich gespannt auf seine Antwort warte. Doch diese fällt leider wenig transparent aus. „Danke." Ich würde sagen, unsere Konversation ist ausbaufähig.

„Na dann, ähm, will ich mal wieder-„ Ich breche ab, bewege mich aber keinen Zentimeter von der Stelle. „Ja, nach dir." Er lächelt immer noch süffisant, als er weiter auf mich zukommt und hinter mich greift.

Seine Hand ruht auf der Türklinke, unsere Körper trennen kaum fünf Zentimeter und würde ich jetzt den Kopf nur ein Stück weiter nach links drehen, würden meine Wimpern seinen Kiefer streifen. Er weiß genau, was er tut.

Eine kurze schwarze Strähne, die ihm in die Stirn hängt, weckt in mir das Bedürfnis, meine Hand zu heben und sie beiseite zu streichen.

Moment, was?! Offensichtlich reicht es nicht, dass ich reingeschneit bin, ohne nach links oder rechts zu sehen. Nein, natürlich spielt mein Körper ausgerechnet jetzt völlig verrückt, von meinem Hirn mal abgesehen.

Allerdings scheint es Thomas Green kaum anders zu gehen, denn er hat zwar nach der Klinke gegriffen, macht aber keine Anstalten, diese zu betätigen und die Tür zu öffnen.

„Das wird dir jetzt wahrscheinlich nicht gefallen." „Was?", frage ich aufgeregt und trete panisch von einem Bein aufs Andere, wobei ich den Abstand zwischen uns komplett zunichte mache. Meine Brüste drücken gegen seinen Oberkörper, sodass kein Blatt Papier mehr zwischen uns passen würde und in jeder Situation wäre mir das mehr als unangenehm, wäre ich gerade nicht so panisch, aufgrund seiner Aussage.

„Irgendwas blockiert die Tür. Wir kommen so nicht raus." „Was?" „Mein Gott Moore, würdest du aufhören, die ganze Zeit ‚was' zu sagen?!" Ich nicke stumm, bevor ich auf dem Absatz kehrtmache und mit der flachen Hand gegen die Tür hämmere.

„Hey, hört mich jemand? Macht die Tür auf!" Peinlicher kann es wohl nicht mehr werden. Ich stürme Hals über Kopf die Toilette, die wohl gemerkt besetzt ist und zwar von niemand geringerem als Thomas Green, meinem Mitschüler und Coltons Freund. Und dann sind wir auch noch im Bad eingesperrt, weil offensichtlich irgendjemand auf die glorreiche Idee gekommen ist, seinen Rausch ausgerechnet vor dieser Tür auszuschlafen. Muss ich noch mehr sagen?!

„Jill, hey Jill!" Thomas' energische Worte schaffen es nicht, mich davon abzuhalten, die Tür einzutreten. Seine Hände an meiner Hüfte allerdings schon. „Hör auf damit!"

Aufhören?! Das soll wohl ein Scherz sein! Ich habe nicht im Geringsten vor, den ganzen Abend hier zu verbringen, was ich dem jungen Mann hinter mir auch deutlich zu verstehen gebe.

„Ich denke nicht daran. Keine Ahnung, wie es dir geht, aber ich habe keinen Bock darauf, hier weiter fest zu sitzen. Meine Woche war nicht die Beste und-„ Thomas unterbricht mich. „Jill, du sollst aufhören, dich weiter so zu bewegen."

Oh. Während meiner kläglichen Versuche, hier rauszukommen, bin ich meinem Mitschüler wieder unbewusst näher gekommen, wobei er nun Bekanntschaft mit meinem Hintern macht.

Das erste Mal ist es an Thomas, zu erröten und er tritt hastig einen Schritt zurück, währenddessen ich mich wieder frontal zu ihm umdrehe. Die sofort schwindende Wärme, die bis jetzt von ihm ausging, lässt mich frösteln. Diese ganze Situation vereinnahmt meine Sinne so stark, dass ich den Tumult vor der Tür nur aus weiter Ferne mitbekomme.

Und dann ganz plötzlich werde ich um das stützende Holz in meinem Rücken beraubt. Green gelingt es in letzter Sekunde mich zu sich zu ziehen, um zu verhindern, dass ich durch den nun freien Rahmen kippe. Alles geht ganz schnell. Ein letztes Mal atme ich Thomas' frisches Aftershave ein. Dann sehe ich mich meiner besten Freundin gegenüber, die mich nun ihrerseits in ihre Arme zieht. Auch ihre Worte prallen größtenteils von mir ab. Ich glaube, wir haben später einiges an Redebedarf.

Dieser Abend hat ziemlich schnell eine überraschende Wendung genommen. Doch ein Gedanke geht mir schon länger nicht mehr aus dem Kopf. Womöglich ist Ava nicht die Einzige, die der Farbe meines Outfits mehr Bedeutung zuspricht, als eigentlich üblich...

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