17. Herzschlag
... als mein Herz gänzlich aus dem Rhythmus kam.
„Siehst du? Lass mich dir etwas verraten, nicht, dass es dich etwas angehen würde oder ich mich rechtfertigen müsste- wie auch immer... Ich bin mir bewusst, wie es ausgesehen haben muss, als Eric und ich uns getrennt haben und ich kurze Zeit später mit Colton zusammen gekommen bin. Eric hat mich betrogen, nicht ich ihn, so wie er es überall rumerzählt hat."
Wow, das kam unerwartet. Das Ende von „Erisha" war damals in aller Munde. Ich weiß noch genau, wie Ava und ich darüber diskutiert haben, wer uns mehr leidtun sollte, bis wir uns irgendwann darauf geeinigt haben, dass die zwei sich schlichtweg verdient haben- korrigiere: hatten...
Es herrscht kurz Stille, ehe Trisha leise weiterspricht, den Blick nach wie vor ausdruckslos ins Nichts gerichtet.
„Ich wollte mich von ihm trennen, doch sein Ego hat das nicht ganz verkraftet. Er hat mich geschlagen, einmal, aber es war einmal zu viel."
Bei diesen Worten schnappe ich hörbar nach Luft, doch meine Mitschülerin scheint dies entweder nicht zu hören oder geflissentlich zu überhören.
„Und anschließend hat er mir eine Szene gemacht und es vor allen so dastehen lassen, als wäre ich ihm fremdgegangen und würde für jeden die Beine breitmachen. Nun, offenbar hat er damit ja sein Ziel erreicht."
Bei dem Anblick des bitteren Lächelns auf ihren Lippen wird mir schlecht. Ihre braunen Augen sind mittlerweile direkt auf mich gerichtet und ich kann nur stumm den Kopf schütteln. Mir fehlen immer noch die Worte. Sie fährt fort.
„Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einfach keine Kraft, etwas gegen ihn und seine Machenschaften zu unternehmen. Ich war froh, dass er mir gegenüber nur einmal handgreiflich geworden ist. Gleichzeitig hatte ich unglaublich Angst, dass er mich wieder schlagen würde. Sein Abschluss an der Emerald konnte gar nicht schnell genug näher rücken. Als es endlich soweit war, habe ich ihn wahrscheinlich mehr gefeiert, als er selbst."
Trisha lacht kurz tonlos auf. Ihr Blick huscht zwischen meinen Augen hin und her, bevor sie ihn zu dem plüschigen Haargummi an ihrem Arm lenkt und beginnt, daran herum zu zupfen.
Ich werfe ihr ein vorsichtiges, aber gleichzeitig ermutigendes Lächeln zu, weiterzusprechen.
Doch sie sieht mich nicht an und als sie nach zwei geschlagenen Minuten immer noch nicht weiterspricht, überlege ich, selbst das Wort zu ergreifen.
Gerade als ich den Mund öffnen möchte, sieht sie mich wieder unverwandt an und setzt ihre Erzählung fort, worüber ich ihr insgeheim ungemein dankbar bin, da ich ehrlich gesagt keine passende Antwort parat gehabt hätte.
Zumindest keine, die meiner sonst so ausgeprägten Empathie gerecht wird. Zudem bleibt ungeklärt, ob Trisha überhaupt eine Antwort von mir erwartet, geschweige denn gutheißt.
„Eric war weg, aber deshalb ging es mir nicht schlagartig wieder gut. In dieser Zeit war ich mit meinen Gedanken überall und nirgends. Das war teilweise so schlimm, dass Sally mich vom Training ausgeschlossen hat, weil ich unaufmerksam war. In Wahrheit hatte sie wahrscheinlich nur Angst, dass ich stürze und mir den Hals breche, oder so. Zum Glück kamst du kurz darauf ins Team, dann war das ja irgendwie dein Job, was?"
Der kleine Seitenhieb zwickt ein wenig und wäre nicht nötig gewesen, das wissen wir beide, aber das ist eben typisch für Trisha. Ich glaube, sie versucht damit, von sich selbst abzulenken. Wie auch immer- die Situation lässt es nicht zu, darauf einen Streit aufzubauen. Dafür habe ich im Moment überraschenderweise zu viel Verständnis für mein Gegenüber.
„Lass gut sein Evans... Was hat das alles mit dem Training zu tun?" Sie schmunzelt und zum ersten Mal während dieser Konversation bin ich mir sicher, dass es echt ist.
„Ganz einfach... An einem Nachmittag hab ich das halbe Training auf der Bank verbracht. Sally hat mich danach alle Geräte allein wegräumen lassen. Colton war beim Football offenbar auch nicht bei der Sache. Jedenfalls musste er nach dem Training 10 extra Runden laufen. Wir waren irgendwann nur noch zu zweit auf dem Platz und er hat mir dann beim Aufräumen geholfen."
Sie schluckt kurz und eine einzelne Träne rollt über ihre Wange. Doch als ich nach ihrer Hand greifen will, zieht sie sie zurück.
„Wir sind ins Gespräch gekommen und haben uns auf Anhieb echt gut verstanden. Wahrscheinlich, weil wir beide verletzt wurden."
Ich habe mir vorgenommen, Trisha bis zum Ende erzählen zu lassen, doch dieser eine Satz wirft dieses Vorhaben unvermittelt über den Haufen.
„Verletzt?! Colton war nicht verletzt, er hatte keinen Grund dazu, das hätte ich gewusst."
„Ach ja? Auch wenn du es warst, die ihn verletzt hat? Wohl kaum..."
„Ich- Ich habe ihn nicht verletzt, er war es doch, der-"
„Ich bitte dich, Jill. Jeder weiß, dass du Hals über Kopf in ihn verknallt warst. Aber er war ja immer nur dein bester Freund."
Diese Worte von jemandem zu hören, zu dem ich nie eine solch innige Bindung wie beispielsweise zu Ava hatte, schmerzt. Ich habe immer gehofft, ja war sogar fest davon überzeugt, dass, außer meiner besten Freundin, niemand von meinen Gefühlen zu Colton Hill wusste, nur um jetzt festzustellen, dass sie ganz offensichtlich ein offenes Geheimnis waren.
„Aber er hätte mir doch gesagt, wenn ihn etwas verletzt hätte. Ich-"
„Es geht hier nicht um dich und wenn du mich weitersprechen lassen würdest, könnte ich vielleicht auch an den Punkt kommen, weshalb ich dir all das überhaupt erst erzählt habe. Denn das muss ich loswerden."
Für einen kurzen Moment herrscht Stille, die nur hin und wieder von unseren hektischen Atemzügen unterbrochen wird.
„Du warst in ihn verknallt, bist es vielleicht immer noch, keine Ahnung. Ist mir ehrlich gesagt auch egal. Aber mit der Tatsache, dass er nur dein bester Freund war, bist du nicht klargekommen. Du hast dich von ihm distanziert. Du hast ihn im Stich gelassen. Der Rest, der zwischen euch vorgefallen ist, geht mich nichts an. Es liegt bei Colton, dir das zu erklären, falls er es für nötig hält."
„Trisha, das ist nicht wahr. Ich habe ihn nicht im Stich gelassen. Ich wollte mit ihm zum Ball gehen. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm zum Ball gehe, aber er ist nie aufgetaucht. Stattdessen musste ich im Nachhinein erfahren, dass er mit dir dort war."
Das ‚dir' im letzten Satz ist mir unabsichtlich etwas zu verächtlich herausgerutscht. Das Ergebnis dessen spiegelt sich nun im Gesicht der Blonden wieder. Enttäuschung.
„Schon klar, da wollte ich hin. Verzeih mir, wenn ich dir sage, dass du eine elende Heuchlerin bist, selbst, wenn es mir eigentlich nicht im geringsten leidtut. Was machst du hier, Jill? Ich hatte von Anfang an Recht. Du siehst mich als Flittchen, das dir deinen potentiellen Freund ausgespannt hat. In deinen Augen habe ich das getan, was Eric über mich erzählt hat, nämlich die Beine breit gemacht, mich angebiedert und die Gelegenheit genutzt. Wie konnte ich es nur wagen, deinen Colton da mit reinzuziehen?!"
Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus, doch ich bin zu schockiert, um etwas zu erwidern.
„Aber weißt du was? Es waren nicht viele Jungs, die dir annähernd das Recht gegeben hätten, mir diesen erniedrigenden Titel zuzuweisen. Es war einer und zwar deiner. Doch ihr wart nicht zusammen. Denn ob du es glaubst oder nicht, ich würde mich niemals an vergebenen Männern vergreifen, allein aus Respekt zu deren Frauen. Ihr ward kein Paar, Moore. Ich war da, als du es nicht warst und er hat sich für mich entschieden. Damit kommst du nicht klar, damals wie heute nicht, aber das gibt dir nicht das Recht, hinter meinem Rücken über mich herzuziehen, egal mit wem."
Trischas Brust hebt und senkt sich, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Meine Brust hingegen scheint eingefroren zu sein. Mein Herz, das bis eben noch staccato-artig gegen meinen linken Rippenbogen pulsierte, klopft nun dumpf irgendwo in der Gegend zwischen meinem rechten Schlüssel- und dem Brustbein. Meine Lunge fühlt sich platt und leer an.
Ich muss aufstehen, um meine Lungenflügel wieder mit Sauerstoff füllen zu können und Trisha tut es mir gleich, als wäre sie mein Spiegelbild. Wir stehen uns gegenüber, der Abstand zwischen uns ist unverändert.
„Es ist nicht leicht, jemanden zu lieben, der mit halbem Herzen einer Anderen hinterhertrauert, egal auf welcher Ebene. Für dich mag es nach einer Verzweiflungstat ausgesehen haben. Als ob ich mich an ihn rangeschmissen hätte, weil ich nicht allein sein kann. In dieser Situation konnte ich es tatsächlich nicht und ich wollte es auch nicht. Colton war da, aber er war für mich nie Mittel zum Zweck. Gerade du müsstest doch am besten wissen, dass er absolut liebenswert sein kann."
Die Blondine neigt den Kopf und zuckt einmal leicht mit den Schultern.
„Aber genauso hat er seine launischen Phasen. Es tat weh, seine Stimmungsschwankungen ausbaden zu müssen, vor allem in dem Wissen, dass sie nicht wirklich mir galten. Doch nur, weil es mit euch nicht geklappt hat- habe ich deswegen weniger Liebe verdient?"
Und mit diesen Worten bückt sie sich, hebt ihre zwei smaragdgrünen Pompons auf, die bis jetzt unbeachtet auf dem grauen Linoleum-Boden lagen, läuft an mir vorbei und macht sich zurück auf den Weg zur Turnhalle.
„Wir sehen uns Jill."
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