12. Herzschlag

... als ich vorhatte, Grün zu konfrontieren.

„Das passt einfach alles nicht zusammen." Diesen Satz sagt Ava nun schon zum gefühlt hundertsten Mal. Ich beschränke mich mittlerweile nur noch auf resigniertes Nicken und hier und da ein fallen gelassenes 'mh', oder 'stimmt'.

Zu mehr fehlt mir die Kraft, was nicht nur an meinem inzwischen kaum noch vorhandenen Schlafrhythmus, sondern auch an der Tatsache liegt, dass ich mich seit Tagen im Kreis drehe. Das Thema bis zum Valentinstag ruhen zu lassen, ziehe ich jedoch immer noch nicht in Erwägung.

Meine zwei besten Freunde und ich steuern auf die flache Steinmauer zu, die den Parkplatz und das restliche Schulgelände voneinander trennen. Im Moment ist uns nämlich allen nicht so wirklich nach der Gesellschaft der Anderen zumute.

Ava und Hunter haben mich nach einer Woche Fernbleiben überrascht, als sie plötzlich montagmorgens an der Bushaltestelle auf mich warteten, ganz so, als hätten sie sich abgesprochen.

Wie sich rausstellte, hat sich der Lockenkopf genau wie die Rothaarige eine Erkältung eingefangen. Doch während meine Freundin ihre wieder gewonnene Stimme nun dazu nutzt, uns an ihrem Monolog teilhaben zu lassen, verhält sich Hunt eher wortkarg.

Umso dankbarer bin ich ihm, als er sich offensichtlich dazu entschließt, sein Schweigen zu brechen und Ava in ihrem Redeschwall zu stoppen.

„Und wenn er einen Doppelnamen hat? Ich meine, dann würden alle anderen Hinweise, die ganz offensichtlich auf ihn deuten, Sinn ergeben."

Kurz herrscht Stille und ich lasse meine Fersen ein paar mal gegen das Gestein unter mir schaukeln, ehe ich zwischen meinen Freunden hin und herschaue und darauf warte, dass Ava ihren Faden wieder aufnimmt. Denn wenn einer diese Frage beantworten kann, dann ja wohl sie. Doch ich werde enttäuscht.

„Thomas H- Green, kommt mir irgendwie vertraut vor. Es könnte schon sein, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, tut mir leid Leute."

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Nachdem es zum Pausenende geklingelt hat, waren wir genauso wenig weit wie zuvor. Mr Adams' eintönige Stimme, die mich und den Rest des Kurses nun mit Zahlen und Variablen berieselt, trägt nicht zu einer Besserung meines Gemütszustandes bei. Thomas Green, schräg hinter mir, ist genauso wenig förderlich.

Selbst Coltons Geflüster in meinem Rücken ist mir heute erstaunlich gleichgültig. In meinem Kopf herrscht ein einziges Gedankenwirrwarr. Ich bin mir unsicher, ob es die ganze Sache wert ist, so übermäßig durchdacht zu werden. Dazu kommt, dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich mir nun sicher oder unsicher darüber sein soll, dass Green mir die Briefe zukommen lassen hat.

Außerdem dreht sich irgendwo hinten in meinem Kopf die leise Frage, ob es denn wirklich so schlimm wäre, sollte er wirklich für all das verantwortlich sein, denn insgeheim waren mir die ausgetauschten Berührungen auf Sallys Party nicht ganz so peinlich, geschweige denn gleichgültig, wie ich mir und auch allen anderen versucht habe weiszumachen.

Zu allem Übel lassen mich die Geschehnisse seit Beginn des Schuljahres absolut nicht mein Ziel, nämlich dieses Jahr mal etwas besser aufzupassen und meinen Schnitt anzuheben, verwirklichen. Daran wird sich aber wahrscheinlich so schnell auch nichts ändern.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss ich Klarheit in das Chaos irgendwo zwischen meinem Kopf und meinem Herzen bringen. Und so fasse ich den Entschluss, alles auf eine Karte zu setzen und ein Risiko zu wagen, das einen Großteil meiner Probleme lösen, mich allerdings genauso gut um einige Schritte zurückwerfen könnte. So halte ich am Ende der Stunde eine zusammengefaltete Notiz in der Hand.

Nach der letzten Stunde; im Musikzimmer. Bitte komm allein.

Da ich weiß, dass der Musiklehrer krank ist und alle Musikkurse dementsprechend ausfallen, was wiederum bedeutet, dass besagter Raum frei ist, bin ich relativ zuversichtlich, was meinen Plan angeht. Die Betonung liegt auf relativ.

Mit dem Klingeln beobachte ich also, wenn auch mit Herzklopfen bis zum Hals, wie Colton seinen Rucksack schultert und die Zimmertür ansteuert. Thomas macht Anstalten, ihm zu folgen, allerdings gelingt es mir, ihm im Vorbeigehen den kleinen Zettel in die Hand zu schieben, wobei sich unsere Finger kurz ineinander flechten, was bei mir eine Gänsehaut auslöst.

Seinen überraschten Ausdruck bekomme ich nur noch am Rande mit, ehe ich mich selbst der Tür zuwende und so schnell es geht, ohne zu rennen, das Weite suche.

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Die restlichen Unterrichtsstunden konnten nach meinem Empfinden gar nicht schnell genug vergehen. Andererseits graut es mir, nun da die letzte Stunde vorbei ist, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Dennoch straffe ich meine Schultern, schicke die Nachricht an meine Freunde, sie sollen nicht auf mich warten, da ich noch etwas zu erledigen hätte, ab und biege schließlich mit klammen Handflächen in den Gang zum Musikzimmer ein.

Im selben Moment sehe ich den nur allzu bekannten schwarzen Schopf durch den Schülerstrom auf mich zukommen. Wir treffen ungefähr zeitgleich vor dem beschriebenen Treffpunkt ein, jedoch lasse ich weder ihm noch mir Zeit für Höflichkeitsfloskeln zur Begrüßung oder etwaige Fragen, die ihm ohne Zweifel auf der Zunge liegen, und schubse ihn stattdessen vor mir her in das leere Zimmer.

Drinnen angekommen, höre ich, wie die Tür dumpf ins Schloss fällt, kann aber nicht ausmachen, wer von uns beiden dafür verantwortlich ist, da die Erkenntnis über unsere plötzliche Nähe wie dicker, undurchsichtiger Nebel durch meinen Körper bis in meinen Kopf sickert.

Mein Vorhaben wird in die letzte Ecke meines Verstandes gedrängt und die Frage, die ich Thomas eigentlich stellen wollte, ist nur noch schwerer Buchstabensalat auf meiner Zunge.

Ehe ich auch nur versuchen kann, einen klaren Gedanken zu fassen, überbrückt mein Gegenüber den letzten Abstand zwischen uns, legt eine Hand an meine Taille und die Andere in meinen Nacken und drückt seine Lippen halb sanft, halb stürmisch auf meine.

Spätestens jetzt ist jeder Versuch zu denken hinfällig und so schiebe ich meine Überraschung und die aufkommenden Zweifel zu dem restlichen Chaos in meinem Kopf und erwidere den Kuss, wenn auch lange nicht so entschlossen, wie der junge Mann vor mir.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit bis jetzt vergangen ist, doch als uns beiden irgendwann gezwungenermaßen die Luft ausgeht, weichen wir ein Stück auseinander und schauen uns gegenseitig in die Augen.

Thomas' Augen sind stahlgrau und haben eine Tiefe inne, die nur erahnen lässt, was hinter ihnen vorgeht. Der Sturm, der in ihnen tobt ist fesselnd und nur langsam schaffe ich es, mich von ihnen zu lösen und meinen Blick stattdessen gen Boden zu richten. Das ist meine einzige Chance, das zusammen zu sammeln, was von den Worten, die ich im Matheunterricht so akribisch immer und immer wieder im Kopf durchgegangen bin, noch übrig ist.

Und so schiebe ich die Frage, was zur Hölle dieser Kuss eben sollte, widerwillig in den Hintergrund und frage stattdessen: „Bist du es? Bist du H ?"

Auf seinen Lippen erscheint ein leichtes Lächeln und der Ausdruck auf seinem Gesicht ist undeutbar. Ich sehe, wie er gerade den Mund öffnet, um mir zu antworten. Diese Antwort wird jedoch von der aufschwingenden Tür zunichte gemacht.

Im Rahmen steht niemand Geringeres als Colton Hill und schickt eiskalte Schauer meinen Rücken hinab. Genau das ist der Moment, in dem ich weiß, dass ich soeben nicht nur ein paar Schritte zurückgeworfen wurde...

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