Kapitel 3

Der Bunker war viel größer als gedacht, das Wort ‚Wohnung' reichte kaum als Beschreibung. Neben den riesigen Regalen voller Bücher, einigen Nebenräumen voller Waffen und Recherchematerial gab es auch noch eine Küche und einen großen Schießstand, ebenso ein Teleskop und eine Garage. Candra hatte nicht alle Räume dieses Komplexes gesehen und war jetzt schon überrascht. Spät abends hatte sie sich in eines der gemütlichen Betten fallen lassen, es gab wirklich viele Schlafzimmer in diesem Bunker. Sie waren alle gleich, ein wenig eintönig und ein wenig kalt, aber immer noch gemütlicher als der Autositz auf dem sie die letzten zwei Jahre geschlafen hatte. Sie schlief durch, zum ersten Mal seit Jahren wachte sie nicht aus einem Alptraum auf oder wälzte sich unruhig durch eine schlaflose Nacht. Die Matratze war wirklich gut, so gut, dass sie länger als gewollt schlief. Geräusche weckten sie, ein metallisches Geklapper, welches sie nicht direkt zuordnen konnte. Als sie aufstand bemerkte Candra, dass sie noch immer ihren Krankenhauskittel trug. Ihre Hose war zwar ein wenig verschmutzt gewesen, aber tauglich, während ihr Oberteil durch den Angriff des Werwolfs komplett zerfetzt worden war. Der Kittel war immerhin funktional, auch wenn nun zwei Knöpfe abgegangen waren. Candra trat auf den Flur und sah sich um, woher das Geklapper kommen konnte. Die Tür von Sams Zimmer stand offen, doch er war nicht darin und die Geräusche kamen sicherlich auch nicht daher. Dennoch ging sie hinein, denn ein Stapel Kleidung neben dem Nachttisch war ihr direkt aufgefallen. Normalerweise respektierte sie die Privatsphäre anderer, aber mit einem halb offen stehenden Oberteil wollte sich nicht bei den Brüdern blicken lassen. Schnell hatte sie sich eines der vielen Karohemden übergeworfen, welches ihr natürlich viel zu groß war. Die Ärmel krempelte sie hoch, sodass sie wenigstens ihre Hände wieder benutzen konnte.

Die metallischen Geräusche kamen aus der Küche, wie Candra schon bald bemerkte. Sam stand dort, mit einer Pfanne in der einen und einem Löffel in der anderen Hand. Hin und wieder stieß er an andere Töpfe oder Pfannen, was die Geräusche verursachte, denn er schien sich in dieser Küche nicht besonders gut auszukennen. Er wendete geschickt einen Pancake und grinste verschmitzt, als er das Mädchen im Türrahmen sah. „Steht dir!" sagte er lachend, als ihm sein eigenes Hemd auffiel. „Ich wollte dich fragen, aber der Kittel war kaputt und..." begann Candra, doch der hochgewachsene Mann winkte ab. „Nimm dir ruhig was du brauchst." Candra bedankte sich und kam dann um den Herd herum, auf Sams Seite stand schon ein großer Teller mit vielen, beinahe perfekten Pancakes darauf. In diesem Moment erschien ein verschlafener Dean in der Tür zur Küche und warf erst einen fragenden Blick auf Candras gewählte Kleidung und dann auch auf den pfannenwendenden Sam. „Seit wann machst du denn Frühstück, Sammy?" fragte er ein wenig vorwurfsvoll. „Seit wir einen Gast haben." erwiderte Sam sofort und verlagerte den letzten Pancake auf den Teller und reichte ihn seinem Bruder, der ihn in den großen Hauptraum tragen sollte. „Du machst doch auch kein Frühstück wenn Cass da ist..." murmelte Dean noch, doch tat was Sam von ihm verlangte. „Es tut mir leid, dass ich mich dagegen gewehrt habe, dich bei uns wohnen zu lassen." sagte Sam, als sein Bruder aus dem Raum gegangen war. Candra drehte sich schwungvoll zu ihm um, sodass ihre Haare einen perfekten Kreis bildeten. „Hast du?" fragte sie ihn dann und erinnerte sich an das Gespräch, das sie gestern beobachtet hatte. Sam nickte, während er einige Teller aus einer Schublade holte. „Ich dachte Dean will dich nur bei uns wohnen lassen, weil er dich abschleppen will. Er ist von Frauen nun mal sehr begeistert." versuchte Sam eine unerwünschte Charaktereigenschaft seines Bruders zu umschreiben, was Candra zum Lachen brachte. „Jedenfalls hätte ich nicht so reagieren sollen, es ist besser wenn du ein Dach über dem Kopf hast, vor allem in der Nähe der Klinik." sagte er und sein Blick wanderte über Candras Körper. Sie merkte nun, warum er sich für seine gestrigen Aussagen entschuldigte, obwohl das Mädchen sie gar nicht gehört hatte. Durch die hochgekrempelten Ärmel sah man die blauen Flecken an den Armen und auch ein Teil ihres Dekolletees lag frei, sodass die Enden der vernähten Wunden sichtbar waren. „Danke, Sam. Aber ihr müsst euch wegen mir wirklich nicht so viel Arbeit machen." wiederholte sie noch ein Mal ihre Bitte. Sie bedankte sich im Moment so oft wie noch nie, sie wunderte sich selbst über sich, dass sie sich so auf andere Menschen verließ. Sam nickte nur noch und drückte ihr die Teller in die Hand.

Nach dem Essen saßen Sam und Candra jeweils an ihren Laptops und Dean überprüfte einen ganzen Karton voller Handys. Candra selbst sah nach ob ihr tragbarer Computer Schaden genommen hatte, es schien jedoch alles zu funktionieren. „Er hat versprochen sich zu melden, wenn er aus dem Fegefeuer entkommt...er meinte doch er hätte einen Plan..." murmelte Dean, während er ein weiteres Tastenhandy in die Box zurückwarf. „Also deinen Engel-Freund im Trenchcoat würde ich wirklich gerne mal sehen!" stichelte sie leicht, aus den Erzählungen vom letzten Abend kannte sie das fehlende Teammitglied immerhin schon ein wenig. „Er ist nicht mein Freund." antwortete Dean knapp, doch sah dann vom Handy auf. „Was nur heißen soll, dass ich noch zu haben bin." fügte er mit einem leichten Grinsen hinzu, doch sein Blick wanderte dann zum nächsten Telefon in seiner Hand. „In Wichita sind in den letzten Wochen immer wieder Studentinnen verschwunden, jetzt wurden in einem leerstehenden Haus zwei von diesen gefunden." erzählte Sam, während er auf seinem Laptop etwas las, und Dean sah wieder von den Geräten hoch. „Und?" fragte dieser. Sam drehte schwungvoll den Laptop um und auf dem Monitor erkannte man zwei Leichen, beide schlimm zugerichtet und mit Bissspuren übersät. Nun war auch Dean ein wenig interessiert, doch schien noch nicht überzeugt. Candra streckte ihren Kopf, sodass er den Bildschirm zu ihr drehte. „Fangt ihr polizeiinterne Mails ab?" fragte sie ein wenig verwirrt. „Ja, man kommt so deutlich einfacher an Fälle als nur durch die Zeitung." beantwortete Sam ihr die Frage. Candra verengte ihre Augen und zog den Bildschirm näher zu sich heran. „Die Bissspuren sehen aus wie von einem Werwolf, aber wieso fehlt dann das Herz nicht?" überlegte sie, mehr zu sich selbst. „Du hast recht." murmelte Dean. „Wir sollten hinfahren!" beschloss Sam dann. Dean nickte, er sah sich die Fotos nun noch genauer an. „Sehr gut, von hier bis Wichita sind es gerade mal drei Stunden." brachte sich Candra wieder ein und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr vor die strahlend blauen Augen gefallen war. Sam und Dean sahen sie gleichzeitig an, als hatten sie vergessen, dass sie auch noch bei ihnen war. „Ich denke es wäre besser wenn du im Bunker bleibst." entgegnete Sam dann, der seinen Laptop wieder zu sich selbst gedreht hatte. Das Mädchen verdrehte die Augen. „Ich bin 22 Jahre alt, ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen." antwortete Candra, ein wenig zu schnell für ein wirkliches Argument. „Du wurdest gerade genäht, Kleine." sagte Dean belustigt. „Aber ich kann immer noch jagen, das ist mein Job!" versuchte sie es nun. „Wie man sehen kann nicht." Auf Deans Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, während er die Wunden des Mädchens musterte. Candra stand mit einem Ruck auf und verließ den Tisch, an dem sie eben noch alle so ruhig gesessen haben. Während Dean immer noch belustigt über seinen Spruch war, verdrehte Sam schon wieder die Augen. Sein Bruder war ihm unglaublich wichtig, aber manchmal war er doch so ein Idiot. Die hübsche Brünette verzog sich auf ihr Zimmer, sie kam sich dabei zwar selbst ein wenig pubertär vor, aber für ihr Temperament war sie leider bekannt. Es dauerte keine paar Minuten, bis sie Schritte im Flur hörte. Sie spielte schon mit den Gedanken ihre Sachen zu packen und wieder ihre eigenen Wege zu gehen, irgendwo würde sie schon einen Unterschlupf in der nähe des Hospitals finden. Es klopfte zaghaft an der Tür, sicherlich war das Dean, der die Diskussion weiterführen wollte. Kaum hatte sie die Tür geöffnet und wollte den davor stehenden Dean daran hindern den Raum zu betreten, da wurde ihr Handgelenk von einer starken Hand umfasst und zurückgehalten. „Ich bin's nur!" sagte Sam, während Candra sichtlich überrascht war. Sie hatte nur daran gedacht, dass es sein älterer Bruder sein könnte, Sam war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. „Entschuldige, ich wollte nur..." begann Candra, doch der hochgewachsene Mann unterbrach sie lachend. „... meinen Bruder schlagen, ich verstehe schon." „Das auch." Nun musste auch Candra lächeln und sie ließ den Widerstand gegen Sams Hand weniger werden, sodass er ebenfalls den Druck der Hand lockerte. „Ich wollte nur noch ein Mal mit dir reden." sagte er dann. „Wir beide würden dich unter normalen Umständen sicher mitnehmen, aber wir machen uns nur Sorgen, dass du wieder verletzt werden könntest. Der Arzt hat gesagt, dass du dich ausruhen solltest." Candra nickte. „Und auch Dean sieht das so, wir wissen, dass du eine gute Jägerin bist. Schließlich haben wir die Wunden des Werwolfs gesehen, als wir dich gefunden haben. Solch starke Verwundungen schafft kein ungeübter Jäger ohne Wissen über die verschiedenen Monster." sagte er dann, fast als wolle er sich Rechtfertigen. „Ich weiß, Deans Kommentar hat mich einfach verärgert." Candra war wieder die Ruhe selbst. Vergleichbar mit einem Vulkan brach ihr Temperament manchmal nur so aus ihr heraus, doch genauso schnell war es wieder im tiefsten Inneren ihrer selbst verschwunden. „Es wäre wirklich besser wenn du hier bleibst, ja?" fragte Sam dann noch ein Mal nach. Candra nickte, zwar verstehend aber dennoch ein wenig enttäuscht. „Ist gut. Ich habe schon die Bibliothek gesehen, ich denke ich finde darin etwas Interessantes um mir Zeit zu vertreiben." Sam nickte daraufhin. „Bestimmt." Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als Candra die Bücher erwähnte. Sein Bruder machte sich manchmal über seine Affinität für diese Art der Recherche lustig und erinnerte ihn damit an seine, laut Dean verschwendete, Zeit auf der Universität, doch Candra schien ebenfalls ein Fable dafür zu haben.

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