Kapitel 7
Sofia
»Dir geht es anscheinend schon viel besser«, stellt Alicia fest, während wir die Tische nach dem Frühstücksansturm aufräumen. »Kannst du wieder besser schlafen?«
»Um ehrlich zu sein, habe ich heute tatsächlich durchgeschlafen. Nicht mal das unbequeme Sofa konnte mich davon abhalten«, berichte ich stolz.
»Das sehe ich. Aber da ist bestimmt noch mehr, wieso dich die Geschichte mit Marcos nicht mehr so fertig macht, oder?«
Verwundert über ihre Aussage bleibe ich stehen und suche ihren Blick. »Was meinst du damit?«
»Du hast den ganzen Tag ein Lächeln auf dem Gesicht, deine Augen funkeln und du bist nur am Scherzen und lachen mit unseren Gästen. Also, was ist seit gestern passiert?«
»Garnichts!«, piepse ich in höherer Lage, als ich es beabsichtigt habe.
»Oh si? Für mich sieht es aber so aus, als hätte dir jemand den Kopf verdreht.«
»Ähm ... Nein. Es ist wirklich nichts ...«
Noch während ich mich versuche rauszureden, wird mir bewusst, dass sie eventuell recht haben könnte. Gestern bin ich tatsächlich lächelnd aufs Sofa gefallen und hatte die ganze Zeit diese funkelnden, tiefblauen Augen vor mir. Ich weiß, ich sagte solche Typen sind nicht mein Fall, aber zu meiner Enttäuschung muss ich feststellen, dass ich doch genauso auf seinen Charme reingefallen bin, wie alle anderen auch.
»Mist!«, entwischt es mir, als ich mich besinne.
»Quello che è successo?«
»Nichts, alles gut. Ich habe mich nur gerade an etwas erinnert«, lüge ich, um von diesem Thema abzulenken. Ich kann nicht fassen, dass ich tatsächlich ununterbrochen an diesen überheblichen Typen denke. Den muss ich mir so schnell wie möglich aus dem Kopf schlagen. Ich will nicht als das nächste Herzschmerz-Opfer auf seiner Liste landen.
»Ach ja? Nicht zufällig an meinen Geburtstag?«
Ähm ... »Deinen Geburtstag? Du hast heute Geburtstag!«
Kräftig nickt sie mit dem Kopf.
»Wieso hast du nichts gesagt? Alles Gute!« Freudig umarme ich meine Kollegin, die mir in der kurzen Zeit zur Freundin wurde.
»Dankeschön! Und wir beide gehen heute feiern!«, berichtet sie unerwartet.
»Was?«
Alicia greift nach dem Flyer am Tresen und reicht es mir. Als ich es in der Hand halte überkommt mich ein Déjà-vu.
»Lass uns heute ausgehen! Ich habe hier noch keine Freunde außer dir. Und du brauchst auch mal einen Tapetenwechsel.« Mit bettelnden Kulleraugen fleht sie mich still an. Doch auch wenn ich wollte, trotz dessen, dass dieser Domenico auch da sein wird und sicher denkt, dass ich wegen ihm da sein werde, habe ich noch ein weiteres Problem.
»Meine Liebe, so sehr ich auch deinen Geburtstag mit dir feiern würde, kann ich leider nicht. Es tut mir leid.«
»Aber warum? Das soll eine ganz coole, schicke Tanzbar sein. Mit Live-Musik und so.«
Ich senke etwas den Blick. Die Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben und ich hasse es, jemanden zu enttäuschen.
»Ich kann nicht. Ich habe nichts zum Anziehen für so einen Club. Und mein Lohn geht komplett für Mitte und Essen drauf, dass weißt du ja.«
Zuerst hält Alicia in der Bewegung an, als sie die Spülmaschine einräumt, doch dann verziehen sich ihre Lippen zu einem breiten Lächeln.
*****
»Wo gehen wir hin?«, frage ich meine Freundin, als sie mich an der Hand packt und mich über die Straße führt. Eigentlich hätte ich jetzt nichts dagegen nach dem Feierabend mich am Strand zu entspannen, aber ich habe wohl kein Mitspracherecht.
Noch ein paar Schritte und wir stehen vor einem mehrstöckigen Wohnhaus, das zu schick aussieht, als dass wir in unseren nach Frittierfett stinkenden Klamotten da rein gehen könnten.
»Komm mit.«
Wieder zerrt sie mich mit sich durch die Eingangstür, die sie mit einem Schlüssel aufmacht.
»Sie wird doch nicht hier wohnen«, denke ich mir. Sonst hätte sie es absolut nicht nötig zu kellnern. Das Haus sieht mega teuer aus. Und mit direkter Lage am Meer sicherlich unbezahlbar.
Im dritten Stock sind wir endlich angekommen und als sie die Tür öffnet, entwischt mir ein leises »Wow!«
»Wo sind wir denn hier?«, erkundige ich mich, nachdem ich mir den ersten Einblick verschafft habe.
Das beeindruckendste neben den hochmodernen weißen Möbeln, den hohen Decken und der riesigen Fensterfront, ist der Ausblick, der direkt zu dem von der Sonne glitzerndem Meer führt, das ich so sehr liebe.
»Bei meiner zweiten Arbeitsstelle«, verkündet sie überraschend. Als sie meinen fragenden Blick sieht, fährt sie fort. »Ich helfe hier der vielbeschäftigten Business-Frau im Haushalt. Einkaufen gehen, Wäsche von der Reinigung abholen und so.«
»Okay, und was mache ich jetzt hier?«
Schon wieder dieses schelmische Lächeln ...
»Komm her.«
Alicia bewegt sich freudig zu den zwei großen Türen an der Wand und schiebt diese energisch auseinander. Zum Vorschein kommt ein begehbarer Kleiderschrank, der eindeutig der Größe meiner gesamten Wohnung ähnelt. Die Kleiderstangen werden beleuchtet und setzen die sichtbar teure Kleidung direkt in Szene.
»Nicht schlecht, oder?«, fragt sie mich, während ich zögernd die Sachen betrachte.
»Sorry, ich kapiere immer noch nicht, was du mir damit sagen willst.«
»Diese Frau hat so viele Kleider, dass sie es nicht merken wird, wenn eins oder zwei, mal kurz verschwinden ...«
»Du willst, dass wir ihre Kleider stehlen?«, lache ich.
»Nein. Nur ausleihen. Für heute Abend. Komm schon, wir arbeiten so hart, wir haben es doch verdient wenigstens einen Abend Spaß zu haben. Wenigstens an einem Geburtstag.«
Ihr Schmollmund bringt mich noch mehr zum Lachen.
»Du bist verrückt! Das werde ich nicht machen.« Kopfschüttelnd betrachte ich weiterhin die verschiedenen Stoffe. »Wenn es dir so wichtig ist, dann komme ich auch in Top und Shorts mit.«
Während meine Finger sich selbstständig machen, um wenigstens den Stoff anzufassen, hält Alicia mir ein rotes kurzes Kleid vors Gesicht. »Das würde dir bestimmt stehen. Probiere es doch mal wenigstens an.
Als ich mich im Spiegel betrachte, traue ich meinen Augen kaum. Das Kleid sieht so wunderschön aus! Aber das ist sowas von falsch! Man nimmt anderen Menschen seine Sachen nicht weg. Egal, ob arm oder reich. Das darf man nicht machen. Das ist eine Sünde. Ich bin nicht gläubig, aber ich glaube an Karma.
Deswegen wollte ich das Kleid erst gar nicht mal anprobieren, aber ich konnte dann doch nicht widerstehen.
Das Gute an Sünden ist, dass man nicht sofort für sie büßen muss. Und das rote Kleid war viel zu perfekt, als dass ich es mir hätte entgehen lassen.
Es kribbelte mir regelrecht in den Fingern, wenigstens einmal in meinem Leben zu spüren, wie es sich anfühlt sowas an meinem Körper zu tragen.
Es sitzt einfach perfekt, der Stoff umschmeichelt jede meiner Kurven. Das Rot der Seide ist wunderschön glänzend und passt perfekt zu meinem dunklen Haar.
»Du siehst wahnsinnig schön aus, Sofia.«
»Danke, du genauso«, gebe ich an meine Freundin zurück, die in dem kleinen Schwarzen neben mir steht. Auch sie kann nicht aufhören in den Spiegel zu blicken. »Aber das können wir wirklich nicht machen. Das Teil kostet bestimmt mehr als meine Miete.« Dabei taste ich nach dem Preisschild, das immer noch daran hängt, und verziehe das Gesicht, weil ich nicht Unrecht habe.
»Du hast recht, tut mir leid. Wir sollten die Kleider wirklich dalassen.«
Ein letzter Blick in den Spiegel sei uns aber noch gegönnt ...
»Wann kommt die Frau nochmal von ihrer Geschäftsreise?«
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