Kapitel 2

Meine aufkommenden Gedanken vertreibe ich ganz schnell, indem ich meine weißen Kopfhörer aus der Tasche herausziehe, aufsetze und die Playlist auf meinem Handy anschalte. 

Italian Pop habe ich die letzten Monate für mich entdeckt. Ich drehe es auf volle Lautstärke und laufe angeheizt die Promenade entlang. Die Musik reißt mich wie immer total mit. Ich versuche dazu nicht zu tänzeln, obwohl ich volle Lust dazu hätte, aber es würde total dämlich aussehen. Also reiße ich mich zusammen und wippe nur ein wenig mit dem Kopf. So unauffällig wie möglich, bewege ich meine Lippen zu dem Lied, weil ich es einfach nicht lassen kann.

Le telefonate, ore ad aspettare
Poi mi da occupato perché chiami anche tu
Bolle di sapone sotto il tuo balcone
E mi piace tanto tanto quando mi annoio
E tu mi fai la Disco Paradise
Stasera che mi fai?
La Disco Paradise, Paradise

Was für ein wunderschöner Tag! Was für eine wunderschöne Stadt! Ich liebe es hier zu sein. Ich liebe die Menschen hier. Ich liebe die weißgekalkten Häuser in den engen Gassen und die vielen Treppen der Altstadt. Ich liebe den Strand und den Geruch des Meeres, dessen Wasser so klar ist, sodass man die Unterwasserwelt beobachten kann. Nicht umsonst wird Sperlonga als ein Geheimtipp in den Urlaubsbroschüren beworben.

Genau durch diesen Tipp, kamen Marcos und ich vor einem Jahr auf die Idee hier Urlaub zu machen und haben uns in diese Stadt verliebt. So sehr, dass ich einverstanden war hierher zu ziehen.

Marcos hatte während unserer zweijährigen Beziehung ganz oft angedeutet, dass er zurück nach Italien wollte, weil seine ganze Verwandtschaft hier ist, aber für mich war es undenkbar meine Familie und Freunde zu verlassen. Doch dann lernte ich diesen wunderschönen Ort kennen und war verliebt.

Ich habe alles zurückgelassen und werde die wichtigsten Menschen in meinem Leben nur noch alle paar Monate sehen. Aber ich liebe das Leben hier. Auch wenn ich wegen meiner fehlenden Sprachkenntnissen nicht als Immobilienmaklerin weiterarbeiten kann, wie in Deutschland, und auch in anderen Berufen noch keinen Fuß fassen kann. Ich bin mit dem Job im Restaurant zufrieden und das Geld reicht für das kleine Apartment und das Nötigste. Bald wird es bestimmt besser. Ich muss nur die Sprache lernen und dann läuft alles wie von alleine. Und bis dahin habe ich immer noch diese wunderschöne Kulisse, die sich jeden Tag vor meinen Augen erstreckt, die wundervollen Gefühle, die sich dabei in mir ausbreiten und meine Musik.

Als ich die Tür zu meinem Appartement kraftvoll aufschiebe, summe ich das gespielte Lied mit. Hier hört mich keiner. Das ist mein in die Jahre gekommenes Reich.

In der winzigen Küche, nehme ich ein Glas aus dem obersten Schrank und achte darauf, dass die Schranktür mir nicht schon wieder auf den Kopf fällt. Ich habe sie nach dem letzten Mal zwar wieder festgeschraubt, aber ich traue meinen handwerklichen Fähigkeiten nicht so ganz.

Nach dem zwanzigminütigen Fußmarsch unter der prallen Sonne tut das kühle Wasser meinem Körper gut. Das Lied klingt in den letzten Tönen ab und bevor das Nächste auf meiner Playlist abgespielt wird, höre ich eine undeutliche Stimme.

Ist Marcos schon da?

Ich nehme die Kopfhörer ab und trotz  des immer noch rauschenden Geräusches in meinem Ohr, das von der zu lauten Musik kommt, höre ich irgendein Getuschel aus dem Nebenzimmer.

Wer ist das?

Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken runter und die Panik überkommt mich.

Es wird doch kein Einbrecher sein? Was will man mir denn überhaupt klauen?

Langsamen Schrittes bewege ich mich zum Schlafzimmer und erstarre.

Tja, verstecken und ranschleichen muss ich mich wohl nicht mehr!

Zwei erschrockene Augenpaare fixieren mich, als ich die Arme vor der Brust verschränke und mich aufrecht im Türrahmen des Schlafzimmers präsentiere.

»S... Sofia? W... Was machst du schon hier?«, fragt der Blödarsch, den ich mal meinen Freund nannte. Der Arsch für den ich mein Leben aufgegeben habe!

Schnell zieht er seine Hose das letzte Stück hoch und verschließt den Reißverschluss, während die dürre Blondine panisch das Top überzieht.

»Was ich hier mache? Das ist mein Apartment, Arschloch!« Ich bin so verdammt sauer! Die Situation ist mir nicht unbekannt. Das ist nämlich auch der Grund, wieso wir uns vor zwei Wochen getrennt haben.

Eines Abends bin ich an sein Handy gegangen, als es geklingelt hat. Tja, was soll ich sagen. Italienisch kann ich zwar nicht, aber Englisch dafür schon eher. Mein Glück, dass sie Engländerin ist, sonst hätte ich nie erfahren, wieso seine Touri-Führungen immer so lange dauern.

»Ja, ... ich wollte meine Sachen ...« 

»Ja! Du solltest deine Sachen holen und nicht deine Schlampe in meinem Bett ficken! Was soll die Scheiße, Marcos?«

»Sofia, entschuldige. Das war nicht so geplant.« 

Bei dem Anblick meines verwüsteten Bettes überkommt mich die Übelkeit.

»Natürlich nicht! Ich sollte ja noch nicht da sein. Aber weißt du, ich habe genau deshalb die Schichten getauscht. Damit ich vor dir da bin, mich umziehen kann und wieder verschwinden, damit ich deine Hackfresse nicht sehen muss!«

»I... Ich ...«, stammelt er, während seine heutige Flamme nur regungslos das Geschehen beobachtet.

»Hau ab, Marcos! Nimm deine Sachen und verschwinde!«

Einen Moment glotzt er mich mit seinen großen Augen an. Dann nimmt er seine beiden Koffer, die ich ihm gerichtet habe, und deutet der zu Salzsäule erstarrten Blondine mitzukommen. Ich mache ihnen gerne Platz, damit sie endlich verschwinden können.

Kaum fällt die Tür ins Schloss, kann ich wieder atmen. Ein tiefes, langes Ein- und Ausatmen.

Ich schaffe das. Ich werde nicht wieder zusammenbrechen und weinen. Ich bin eine starke Frau. Er ist ein Arschloch und meine Tränen nicht wert.

Atmen ... Ein und aus ...

Ich laufe mit zittrigen Knien in die Küche und gieße mir noch ein Glas Wasser ein.

Atmen ... Ganz ruhig ...

Okay, geht wieder.

Noch ein letzter Seufzer, dann bin ich bereit mich der Realität zu stellen. Ich richte mich auf, nehme meinen ganzen Mut zusammen und laufe wieder ins Schlafzimmer.

Fuck ... Nein, es tut immer noch weh!

Ich stehe vor meinem Bett. Einem Bett, das mir gerade so richtig aufzeigt, wie falsch meine Entscheidungen sind. Einem Bett, das mir die Untreue eines Mannes, den ich geliebt habe, schwarz auf weiß bestätigt.

Der Schmerz in meiner Brust wird immer schlimmer, mit jeder Sekunde, die ich mit Gedanken an diesen Mann verschwende.

Ich halte es nicht mehr aus. Die Tränen kullern meine Wangen herunter und ich verliere die Kontrolle über meinen Körper, der alle Kraft zusammennimmt und die Richtung zum Bett zusteuert.

Ich betrachte die aufgewühlte Decke, die durchgelegenen Kissen ... und verspüre nichts weiter als Hass. Hass auf Marcos, der mir das angetan hat. Hass auf diese Blondine und all ihre Vorgängerinnen. Und Hass auf mich und meine Entscheidungen.

Ich kann nicht mehr. Wütend mache ich mich über das Bett her und reiße die Bezüge von der Decke, den Kissen und der Matratze herunter. Schreie hilflos um mich, fluche wie eine Verrückte. 

In einem großen Sack lasse ich alles verschwinden und schmeiße diesen in die große Tonne im Innenhof.

Als ich wieder zurückkomme, fühle ich mich schon besser.

Toll, jetzt habe ich auch noch keine Bettwäsche!

Das war meine einzige und ich habe auch kein Geld neue zu kaufen. Egal, dann eben keine. Lieber so, als mit, aber unglücklich.

Mit getrockneten Tränen, aber immer noch anhaltendem Schluchzen, setze ich mich mit einem Glas Weißwein auf meinen kleinen, aber feinen Balkon, deren Geländer mit ganz vielen Blumen geschmückt ist, und genieße eine Zeitlang den Sonnenuntergang. Dann nehme ich mein Handy zur Hand, setze die Kopfhörer auf und schalte die Musik wieder an.

Jetzt ist die Welt doch viel schöner. In jedem Lied ein Happy End. Ich stütze meinen Kopf hinten an der Wand ab, schließe die Augen und komme mit meinen Gedanken in meiner Traumwelt an. 


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1277 Wörter

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