Kapitel 16
Domenico
Fuck! Ich muss mich endlich zusammenreißen. Was war das denn für eine Aktion, du Vollpfosten?!
Den Weg zurück zu der Boutique laufen wir hauptsächlich stumm, was mir noch mehr Chancen gibt mein verdammtes, gefühlt nichtexistierendes Gehirn, zu beschimpfen. Ich bin zu weit gegangen! Ich darf das nicht mehr zulassen.
Aber wie soll ich das schaffen, wenn ich in ihrer Nähe kaum atmen kann? Wenn mein verräterisches Herz so laut hämmert, dass ich glaube, dass nicht nur ich es hören kann? Wenn mein Körper nach ihrer Nähe schreit?
Wir werden das blöde Kleid abholen und dann fahre ich sie nach Hause. Ich werde eine Weile meine Tante nicht besuchen. Nicht bevor ich mich wieder zusammenreißen kann.
Manchmal denke ich, das Leben spielt mir einen Streich. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet der Brunnen mir klar machen musste, dass meine Hochzeitsglocken bald läuten?
Bald fange ich ja wirklich an, an diesen ganzen Zeichen-Mist zu glauben!
Die Stimmung zwischen uns ist eindeutig angespannter geworden. Passend dazu auch das Wetter. Die Luft wird drückend. Die Sonne versteckt sich immer mehr hinter den grauen Wolken. Genau wie meine Gefühle ...
»Ciao, ich komme das rote Kleid abholen«, sage ich zu dem Verkäufer, der vor einigen Stunden auch schon da war.
Sofia steht vorfreudig an meiner Seite und kann es kaum erwarten zu sehen, ob auch wirklich alles gut ist.
Trotzdem unterhalte ich mich mit dem Verkäufer auf Italienisch. Ich muss wirklich aufpassen, dass sie nicht viel mitkriegt.
Fröhlich lächelnd schiebt er uns das Kleid über den Tresen zu, welches in edlem Papier eingewickelt ist. Ich deute Sofia es anzunehmen und kann wieder nicht aufhören sie anzustarren, als sie freudestrahlend ihre Finger über das glänzende Papier streifen lässt.
»Das sieht ja aus wie neu!«, bewundert sie die rote Seide in ihren Händen und das Einzige, was mir durch den Kopf geht, ist, wie sehr ich es genieße, sie so glücklich zu sehen. »Sie haben sogar ein neues Etikett dran gemacht!«
Ups. Mein Blick huscht zu dem Verkäufer, der auf einmal ganz panisch wirkt, weil er es wohl vergessen hat abzureißen. Doch ich deute ihm nur, dass es in Ordnung ist und er atmet wieder erleichtert aus.
»Ich glaube, das gehört sich so. Man soll ja das Gefühl haben, dass das Kleid wie neu ist.«
Etwas zögernd zuckt sie mit den Schultern, kauft es mir aber voll ab. Ich glaube, ich könnte ihr von bunten Vögelchen berichten, die es hergerichtet haben, und sie würde mir glauben, so erleichtert wie sie jetzt ist.
»Komm«, bitte ich sie zum Ausgang.
»Warte, ich muss es doch noch bezahlen. Was macht es denn?«
»Das habe ich schon geklärt.« Sie funkt mich an, aber ich stelle es sofort mit erhobenen Händen klar: »Ich habe nichts bezahlt. Davide und ich kennen uns schon länger und das war ein Freundschaftsdienst.«
»Domenico, ich danke dir sooo sehr! Du hast mich gerettet!«
Wieder schmeißt sie sich mir dankbar um den Hals. Und wieder bleibt mein Atem dabei aus. Ich schließe dabei nur kurz die Augen, um diesen letzten Moment der Nähe mit ihr zu genießen, und als ich sie wieder öffne, erstarre ich. »Oh, oh.«
»Was ist los?« Verwundert nimmt sie wieder Abstand und folgt meinem Blick nach draußen, durch die leicht geöffnete Tür. »Oh, nein!«
Zusammen treten wir durch die Tür und bleiben unter dem Vordach stehen. Der Regen fließt in Strömen von Himmel herab. Von der Sonne fehlt jede Spur.
»Vielleicht hört es ja gleich wieder auf ...«
Doch der Himmel antwortet in dem Moment mit einem lauten Donner, was sie zusammenzucken lässt.
»Ich hab eine scheiß Angst vor Gewitter!«, nuschelt sie ins Nirgendwo.
»Sag bloß, die taffe Sofia hat vor irgendwas Angst?!«
»Aber sicher. Vor Gewitter. ... Und vor Motorrädern.«
»Dann biete ich dir ja die volle Palette.«
»Jap. Du bist sehr gefährlich für mich.« Verstohlen blickt sie zu mir.
Wie recht du doch hast!
Ich spicke zu meinem Motorrad, weiß aber genau, dass wir jetzt auf keinen Fall fahren können.
»Wir könnten irgendwo warten, bis der Regen aufhört«, schlägt sie vor.
Als es vor uns blitzt, kreischt sie erschrocken auf und zuckt wieder zusammen. Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, was mir einen kräftigen Stoß auf die Schulter beschert.
»Angsthase!«
»Ich stehe wenigstens dazu!«
Kopfschüttelnd lache ich weiter und tippe dabei in meinem Handy, um zu sehen, wie die Wettervorhersage weiterhin aussieht.
»Scheiße. Es soll die ganze Nacht gewittern.«
»Und wie kommen wir jetzt nach Hause?«
»Es tut mir leid, Sofia. Aber es ist zu gefährlich auf dem Motorrad zu fahren. Wir müssen uns eine Übernachtungsmöglichkeit suchen.«
*****
»Ich habe Alicia erreicht, sie übernimmt morgen meine Schicht«, berichtet Sofia.
Ich reiche ihr ihren Zimmerschlüssel. »Nummer 246.«
»Ich werde dir nächsten Monat das Geld zurückgeben. Auch für das Taxi hierher. Welche Nummer hast du?«
»Erstens: Du weißt, dass ich das nicht annehmen werde. Zweitens 247.«
»Okay, Nachbar, das klären wir dann. Komm, ich möchte ins trockene.«
Mit dem Aufzug fahren wir in den zweiten Stock. Währenddessen bin ich nicht in der Lage mit ihr zu reden. Durch die Enge entstehende Nähe, bringt mich wieder völlig aus dem Konzept. Ich bin froh, als wir oben angekommen und ich wieder einigermaßen normal atmen kann.
»Hier ist es!«
Ihr breites Lächeln lässt so viele verdammte Funken in mir sprühen. Wie kann das nur sein? Sie ist doch einfach nur da. Macht nichts Besonderes, und doch bewegt sie so viel in mir.
»Ja. Gute Nacht, Sofia.«
»Dir auch.«
Ich sehe, dass auch sie zögert. Ich weiß, dass sie auch gerne mehr Zeit mit mir verbringen würde. Das sehe ich in ihrem Blick. Aber ich traue mir nicht. Ich traue meinem Verstand nicht. Meinem Körper nicht.
Sie steckt den Schlüssel ins Schloss und schiebt die Tür auf. Das letzte, was ich sehe, ich das zuckersüße, schüchterne Lächeln. Und es brennt sich in mein Hirn. Ich habe nichts anderes vor den Augen.
Vor dem Bett stehend, werfe ich die Tüte mit dem Kleid, die ich getragen habe, auf den Boden, pflanze mich aufs Bett und raufe mir die Haare.
Minutenlang bleibe ich so sitzen, suche nach Antworten, wieso mir sowas gerade jetzt passiert. Aber ich muss passen. Ich habe keine Antwort.
Diese Stille macht mich noch mehr verrückt. Das Einzige, was ich höre ist der verdammte Regen und der Donner. Das Zimmer erhellt sich immer wieder durch den Blitz, und auch da kann ich an nichts anderes denken, als an sie. An das, dass sie Angst hat. An das, dass ich sie dabei in den Arm nehmen möchte und sie beruhigen. Ihr Geborgenheit geben ...
Mein Blick bleibt auf der Tüte haften. »Was hast du angerichtet, du blödes, rotes Kleid?!«
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1100 Wörter
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