Kapitel 11
Sofia
»Vv... Vorsichtig, bitte! Aaaah!« Panisch kralle ich meine Finger in sein Hemd, als er das Motorrad in Bewegung setzt.
Was habe ich mir dabei nur gedacht? Bin ich lebensmüde?
Trotz des Helmes höre ich ein gedämpftes Lachen. »Wir sind doch noch gar nicht losgefahren!«
Schwer atmend mache ich erst das eine zusammengekniffene Auge auf, dann das andere. Tatsächlich. Er hat nur das Ding unten gelöst, das die Maschine hält. Keine Ahnung wie das heißt. Ist auch egal, denn es wird kein zweites Mal geben, dass ich mich auf sowas einlasse!
»Bereit?«
»Nein!« Mein ganzer Körper spannt sich unweigerlich an. Meine Knie zittern.
»Halt dich gut fest!«
Mit verkrampften Armen umschlinge ich seine Taille noch fester, drücke meinen Körper wieder so nah wie möglich an ihn, lege meinen Kopf an seinen Rücken und kneife die Augen zusammen.
Das Dröhnen des Motors spüre ich bis in den Bauch hinein. Das Vibrieren der Maschine, besetzt mich mit Gänsehaut. Die ruckartige Bewegung nach vorne lässt mich aufkreischen und mich noch fester an ihn klammern.
Die ersten Sekunden kann ich nicht mal atmen, geschweige denn meinen Kopf heben. Das Einzige, was mir durch den Kopf geht, ist, dass ich nicht sterben möchte. Wobei ... das hier wäre wohl die einzige Möglichkeit in so einem teuren Kleid zu sterben. Man könnte mich darin ruhig begraben ...
»Entspann dich!«, ruft Domenico mir zu, doch ich kriege kein Wort heraus.
Das Motorrad wird monotoner, anscheinend sind wir bereits auf der geraden Strecke. Mit großer Überwindung hebe ich meinen Kopf ein wenig an und luge durch die kleinen Schlitze meiner Augen, die ich mich nicht ganz zu öffnen traue.
Doch als ich die Aussicht sehe, stockt mir der Atem. Ist es Staunen? Ist es Angst? Meine Gefühle vermischen sich zu einer sonderbaren Einheit, die ich selbst nicht deuten kann. Der Berg, an dem wir bergauf fahren, beruhigt mich keines Falls, doch der Sternenhimmel, der sich in dem weitläufigen Wasser spiegelt, ist von der Höhe aus noch berauschender.
Mein Körper lockert sich ein kleines bisschen. Der Wind streichelt meine Haut an den nackten Beinen, während die Maschine unter meinem Körper vibriert. Ich betrachte die Schönheit der Natur und nehme nun auch die unglaubliche Nähe zu dem Mann vor mir wahr. Es fühlt sich komischerweise sehr vertraut an ihn so zu halten. Er gibt mir das Gefühl der Sicherheit.
Doch dann bleibt die Maschine stehen. Zu kurz war das Vergnügen. Ich unterdrücke den Wunsch ihn einfach zu bitten weiterzufahren.
Domenico stellt das Motorrad wieder sicher, mit der Hilfe der Stütze, ab und dreht sich in meine Richtung. »Da wären wir! In welchem Haus wohnst du?«
Zu gerne hätte ich ihm geantwortet, doch mein Herz hämmert so sehr gegen meine Brust, dass ich mich erstmal sammeln muss. Das Adrenalin zeigt seine ganze Wirkung, als ich mein Bein rüber schwinge und mit zittrigen Knien zum Stehen komme.
»Das da vorne«, stelle ich fest, auf das in die Jahre gekommene Haus deutend, nachdem ich meinen Helm abziehe. Meine verwuschelten Haare ärgern mich ungemein. Helme sind echt nicht vorteilhaft!
Außer, ... man heißt Domenico und stellt sich locker-lässig auf die Beine, befreit sich Filmreif von dem Helm und fährt mit seinen Fingern einfach durch die Haare. Und natürlich sieht seine Frisur perfekt aus. Natürlich steht kein einziges Härchen ab. Ganz im Gegensatz zu mir ...
Ein schelmisches Lächeln breitet sich auf seinen Lippen ab, als er meinen staunenden Blick bemerkt.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, schimpfe ich, während ich meine wildgewordenen Haare zu zügeln versuche. »Wie machts du das bloß? Wieso siehst du immer so perfekt aus?«
»Perfektion liegt im Auge des Betrachters.«
»Lustig! Das kann nur einer sagen, der keinerlei Komplexe hat!« Ganz verlegen versuche ich mich an dem mir nahestehenden Geländer festzuhalten, um mir nicht anmerken zu lassen, wie wackelig ich auf den Beinen bin.
Liegt es immer noch an dem Adrenalin? Oder an seinem durchdringlichen Blick?
Kaum haben meine Finger das Metall berührt, rutsche ich ab und knickse dabei mit dem Fuß um.
Fuck!
»Vorsicht!« Augenblicklich ist er bei mir und stützt meinen Körper mit seinen starken Armen. »Und dann sagst du, Motorradfahren sei gefährlich!«, haucht er in mein Gesicht.
Wie peinlich ist das denn? Wieso wieder ich? Wieso meint es der liebe Gott nicht gut mit mir? Wie oft soll ich mich noch zum Affen machen?
»Alles gut, danke.« So schnell wie möglich versuche ich mich aufzurichten. »Aua!«
Der Knöchel schmerzt unter der Belastung, als ich versuche einen Schritt zu machen.
»Jetzt muss der Prinz dich wohl nach Hause tragen!«, scherzt er und breitet seine Arme dabei aus.
»Untersteh dich. Wir leben in einem anderen Jahrhundert. Frauen ziehen es vor selbstständig zu sein. Und vor allem, dass es ein Mann schafft eine Frau in den dritten Stock zu tragen, ist nun mal wirklich ein Märchen.«
»In den dritten Stock?« Verdutzt starrt er mich an. »Gibt es keinen Aufzug?«
Ich befreie mich derweil von den hohen Sandaletten, ohne die mir das Missgeschick sicherlich nicht passiert wäre. »Treppensteigen hält fit.«
Schmerzerfüllt verziehe ich das Gesicht, als ich auf dem Fuß wieder aufkomme. »Mist!«
»Okay, Scherz beiseite«, meldet sich Domenico besorgt wieder zu Wort. »Ich helfe dir die Treppen hoch.«
Auf meine Widerrede reagiert er nicht, also bleibt mir nichts anderes übrig, als seine Hilfe anzunehmen.
An seinem Unterarm geklammert humple ich Stufe für Stufe nach oben. Sein anderer Arm stützt mich an meinem Rücken und gibt mir den nötigen Halt.
»Wir wären schneller, wenn ich dich getragen hätte.«
»Sicher«, kichere ich. »Das sagst du jetzt! Jetzt, wo der halbe Weg geschafft ist.«
»Ich muss ja einen guten Eindruck hinterlassen. Was wäre, wenn ich keine drei Stockwerke geschafft hätte?!« Verstohlen zwinkert er mir zu und ich schüttle nur belustigt mit dem Kopf.
»Wo sind die wahren Helden geblieben ...? Heeey, was machst du da?«
Kaum verlassen die Worte meinen Mund, schon packt Domenico meinen Körper und trägt mich wie ein Kleinkind die Treppen hoch. Mein Kleid rutscht dabei gefährlich hoch und ich versuche gleichzeitig meinen Allerwertesten bedeckt zu halten und mich aus seinen Armen zu winden.
»Lass mich los! Was machst du da? Du holst dir gleich einen Bandscheibenvorfall! ... Domenico! Lass mich bloß nicht fallen!«
Das Einzige, was ich dabei erreiche, ist sein fieses, breites Grinsen, während er entspannt die Treppen steigt. Aber die Rechnung hat er ohne mich gemacht.
»Au au au!«, gebe ich theatralisch von mir, als wir im zweiten Stock ankommen, woraufhin er mich erschrocken auf die Beine stellt.
»Was ist denn los?« Besorgt studieren seine Augen mein schmerzerfülltes Gesicht.
Ich richte mich auf und lächle schadenfroh. »Gar nichts.«
»Hast du mich gerade veräppelt?« Sein besorgter Blick schwingt schnell um und er strahlt wieder übers ganze Gesicht. Mann, er sieht so zum Anbeißen aus, wenn seine Augen so funkeln. Dabei schiebt er vorwarnend die Ärmel seines Hemdes an den Unterarmen weiter hoch. »Hast du Angst, dass ich dich doch hochtragen kann, und du mich nicht weiter Prinzessin nennen darfst?«
»Kann sein«, kichere ich und hopse die paar Schritte rückwärts, weil er mir näherkommt.
»Jetzt muss ich aber umso dringender meinen Stolz verteidigen.«
»Domenico! Ich warne dich!« Mit erhobenem Finger gebe ich dem Gesagten mehr Bedeutung und spüre aber bereits, wie ich an der Wand ankomme. »Wenn du das noch einmal machst, dann werfe ich dich aus dem verdammten Fenster! W... was machst du da?«
Verblüfft starre ich ihn an, als er plötzlich ein kleines Stück zur Seite geht und das Fenster aufmacht.
„Ich prüfe, wie tief ich fallen würde, um zu sehen, ob sich das lohnt."
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1243 Wörter
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