Kapitel 10

Sofia

»Ich fasse es nicht! Was war das denn für eine unglaubliche Show!«

Begeistert nehme ich Domenico auf der Tanzfläche wieder in Empfang. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass er sowas bringt. Eher dachte ich, dass er sich wieder zum Affen machen möchte, um mich zu beeindrucken, aber das war eindeutig besser!

»Danke.« Er kratz sich am Hinterkopf und sieht sich immer wieder um. Anscheinend ist es ihm zu unangenehm, dass sich jetzt noch mehr Besucher nach ihm umdrehen.

Der Applaus war mehr als verdient! Ich kann es immer noch nicht fassen, wie toll er gesungen hat. Und auch noch das Lied, dass ich so gerne mag. Zwar nicht in der Originalsprache, aber trotzdem wunderschön.

Er hat die Leute mitgerissen. Alle haben mitgesungen und geklatscht. Wahnsinn, was man nur mit einer wunderschönen Stimme und einer Gitarre anrichten kann!

»Machst du das öfters? Scheint mir, als hättest du das nicht zum ersten Mal vor so vielen Menschen getan.«

»Ehrlich gesagt ja, früher habe ich hier gesungen. Sogar in dieser Band.« Verlegen steckt er seine Hände in die Hosentaschen.

Dann wird mir doch einiges klar, wieso er so angegafft wird. Man kennt ihn hier.

»Und wieso jetzt nicht mehr? Komm, wir setzen uns. Jetzt möchte ich die Geschichte hören.«

Gleich nach den ersten Schritten, in denen ich Domenico mitziehe, bleibe ich ruckartig stehen, sodass er fast in mich rein rast. Aber dann wandert auch sein Blick zu dem Bild, dass mich so verdutzt dahinstarren lässt.

»Oh, das ist ja ... Ähm ... Ich glaube, da würden wir nur stören«, gibt er schließlich von sich, nachdem wir eine Weile das wild knutschende Pärchen an unserem Platz beobachten.

»Komisch, ... ich hätte schwören können, dass Alicia auf dich steht.«

»Was? Alicia?« Er kichert und fährt sich mit der Hand durch die Haare, die sich natürlich wieder in die perfekte Position legen. »Ganz sicher nicht!«

»Hm ... Da habe ich mich wohl gewaltig getäuscht«, gestehe ich. »Okay, ich mache mich dann mal los. Ohne mich wird ihr Geburtstag deutlich angenehmer«, gluckse ich.

»Da hast du vermutlich recht.« Etwas verlegen tritt er von einem Fuß auf den anderen. »Wie kommst du nach Hause?«

»Es ist nicht weit. In zwanzig Minuten Fußmarsch bin ich da.«

Verdutzt beobachtet er in mein Gesicht. »Du willst jetzt aber nicht alleine zu Fuß durch die Stadt laufen?«

»Wieso denn nicht? Das mache ich immer so.«

»Aber es ist sehr spät und dunkel.«

»Hast du Angst, dass ich geklaut werde?«, scherze ich.

»Meine Vögelchen haben mir gezwitschert, dass sich nachts böse Wölfe rumschleichen und nach Rotkäppchen Ausschau halten.« Mit gierigen Augen lässt er seinen Blick über mein Kleid schweifen, was mich nach Luft schnappen lässt. Auf diese Aufmerksamkeit war ich jetzt nicht gefasst.

Aber ich weiß worauf er hinauswill. Und ja, ich war auch nicht darauf eingestellt alleine in der Dunkelheit und mit einem so kurzen Kleid, durch die Partypromenade zu laufen. Aber ich will Alicia auch den Abend gönnen und nicht das fünfte Rad am Wagen sein. 

»Darf ich dich nach Hause bringen?«, fügt er hinzu, als unsere Augen sich wieder treffen.

»Aber woher weiß ich, dass du nicht der böse Wolf bist?«

Er lacht. »Ich kann doch schlecht gleichzeitig Prinzessin und Wolf sein, oder?!«

Kopfnickend schnipse ich mit den Fingern. »Da ist was Wahres dran. Also gut, begleiten Sie mich bitte nach Hause, meine Treuerste! ... Ne warte, so wäre das ganz falsch. Ich komme ganz durcheinander.«

»Märchen sind nicht dein Ding, was?«

»Ganz und gar nicht!«, gebe ich kichernd zu. Währenddessen treten wir hinaus an die frische, warme Abendluft. Eine wahre Genugtuung für unsere Lungen, nach der stickigen Luft in der Bar.

»Vielleicht bin ich dann lieber doch der Ritter, der das Rotkäppchen vor dem bösen Wolf beschützt?«

»Das war doch kein Ritter? Und wenn doch, was ist dann mit den Vögelchen? Mit dem Singen und der eitlen Prinzessin?«

»Okay, okay. Ich verstehe. Du siehst mich lieber als eine verwöhnte, eitle Prinzessin, als einen Ritter.«

»Ja, okay. Sagen wir mal, als einen verwöhnten, eitlen Prinzen ... Aber die Vögelchen bleiben!«

Er rollt mit den Augen. »Einverstanden. Dürfen die Vögelchen aber auch schwarz sein?«

»He? Wieso?«

An meinem Handgelenk ziehend, bringt er mich zum Stehen. Genau vor der schwarzen Maschine, die mir zu bekannt vorkommt. »Schwarze Vögel können schneller fliegen.« Mit dem Kopf deutet er auf sein Gefährt.

„Oh, nein. Nein, nein, nein! Da steige ich nicht drauf! Vergiss es! Lieber gehe ich die Gefahr ein, von einem bösen Wolf entführt zu werden.«

»Was? Wieso?«, lacht er unaufhörlich. »Ein Motorrad zu fahren ist doch nie im Leben schlimmer, als der gefährliche schwarze Wolf!«

»Ach, papperlapapp!« Ich winke ab. »Der würde mich doch eh nach höchstens vierundzwanzig Stunden wieder zurückbringen. Sogar mit einem Korb voller Geschenke, nur damit man mich zurücknimmt. Wenn ich hierbei aber drauf gehe, war's das!«

Domenicos tiefes Lachen lässt auch mich breit grinsen. Bei meiner Meinung bleibe ich aber trotzdem.

»Das ist die Übertreibung des Jahres! Wir wären in fünf Minuten da. Ich fahre auch extra langsam für dich!« Dabei greift er nach dem schwarzen Helm und streckt es mir entgegen.

»Weißt du eigentlich, wie viele Motorradunfälle passieren?«

»Das ist mir bewusst.«

»Weißt du auch, wie viele Menschen dabei ums Leben kommen?«

»Hab ich mal gehört, ja.«

»Und trotzdem verlangst du von mir, dass ich auf dieses Ding da steige?«

»Sicher.«

»Ähm ... Wieso?«

»Weil es verdammt viel Spaß macht.«

Der innere Kampf in mir nimmt Fahrt auf. So sehr ich diese lauten Dinger verabscheue, so sehr kribbelt es mir in den Fingern das mal auszuprobieren.

Anscheinend bemerkt Domenico, dass er den Kampf problemlos gewinnen könnte. Er legt den Helm ab, öffnet das Helmfach, worin sich der Zweite befindet, und zieht erstmal die bekannte Lederjacke heraus. Ich strahle bei dem Anblick dieses Teils über beide Ohren, selbst verwundert, wie ich es doch vermisst habe, es an ihm zu sehen. Doch anstatt es selbst überzuwerfen, hält er mir die Jacke offen hin, damit ich reinschlüpfen kann.

Zögernd huscht mein Blick zwischen der Jacke und ihm hin und her. Der Entscheidungskampf in meinem Kopf ist mehr als verwirrend. Doch bevor ich überhaupt soweit denken kann, wie bescheuert diese Idee ist, macht Domenico die letzten paar Schritte, die den Abstand zwischen uns ausmachen, und blickt von oben auf mich herab.

»Du wirst es lieben!«, stellt er mit krächzender Stimme ganz nah an meinem Gesicht fest, während er mir in die Jacke hilft. »Es wird ein wenig windig, aber das Adrenalin ist es wert.«

Sofort benebelt mich wieder dieser Duft. Der Duft nach Domenico. Diesmal sogar noch intensiver als die Male zuvor. Ein ganz besonderer Duft, den man nicht beschreiben könnte.

»Bereit?«, haucht er so nah an meinem Ohr, sodass ich seinen Atem an meiner Haut spüre, die sofort mit kitzelnder Gänsehaut reagiert.

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1118 Wörter

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