Kapitel 13: Fackeln und Schwerter
Es war noch dunkel, als ich aufstand. Dunkel und still. Die meisten schliefen noch. Lediglich ein paar Bedienstete huschten durch die Korridore, die vermutlich das Frühstück vorbereiteten. Ansonsten waren die Flure im Schloss leer.
Gähnend schlurfte ich durch die stillen Gänge, die den Eindruck erregten, schon seit Jahren verlassen zu sein. Ich konnte nicht viel sehen, nur die groben Umrisse meiner Umgebung, die hin und wieder von Kerzen oder Fackeln erhellt wurde. Trotzdem fand ich mich gut zurecht – schließlich lebte ich jetzt schon eine ganze Weile hier und kannte meine Gemächer fast schon so gut wie meinen alten Wald. Ich wusste genau, wohin ich musste, wo welche Biegung war und wo ich mich gerade befand.
Ich war auf dem Weg zum Schlosskeller. Mittlerweile war ich im Erdgeschoss angekommen. Von dort aus musste ich nur noch eine lange, schmale Treppe hinabsteigen, und dann war ich auch schon da. Neben der letzten Stufe stand eine Laterne, deren Docht ich mit zwei Feuersteinen anzündete. Zügig ging ich durch das weitläufige Kellergeschoss, immerzu nach links, bis ich auf einen kleinen offenstehenden Raum stieß, aus dem es silbern funkelte.
Zufrieden marschierte ich in die Waffenkammer. Ich war bisher nur einmal hier gewesen und hatte nur einen flüchtigen Blick auf die Sammlung geworfen. Doch nun verschlug sie mir schier den Atem. Überall – über mir, neben mir, hinter und vor mir lagen Waffen. In sämtlichen Größen, Formen und Farben funkelten sie mir entgegen. Es waren so viele, dass ich sie kaum hätte zählen können. Es gab mehr Waffen in dieser kleinen Kammer als Bücher in der Bibliothek, Geschirr in der Küche und Kleider in sämtlichen Kleiderschränken. Ehrfurcht packte mich, als ich langsam an der Waffensammlung entlanglief. Spuren des Krieges klebten an den silbernen Stahlklingen. Einige rosteten bereits, andere waren verbogen und auf wieder anderen haftete eingetrocknetes Blut.
Ich sah Schwerter, Messer, Dolche, Äxte, Säbel und Speere – allesamt hatten sie spitzere und härtere Klingen als jede Waffe, die ich je zu Gesicht bekommen hatte. Ist das alles für mich?
Noch immer ein wenig überwältigt, drehte ich mich um und fand in einer Ecke einige Pfeilbogen, neben denen Köcher aus Leder standen. Auf meinen Lippen breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus. Genau das, was ich suche.
Falls es wirklich zu einem Kampf käme, würde ich zwar mit allen Waffen etwas anzufangen wissen, doch Pfeil und Bogen waren mir am vertrautesten. Da wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich wusste, wie ich den Bogen halten und die Sehne spannen musste, wie man zielte und wann ich am besten losließ. Von Schwertern hingegen hatte ich wenig Ahnung, von Äxten oder Sperren so gut wie gar keine.
Zu meinem Glück fand ich hier auch einige Messer, die ich in meine Gürteltasche steckte. Die würde ich zwar heute ziemlich sicher nicht gebrauchen können, aber es konnte nicht schaden, sie für den Notfall zumindest mal dabei zu haben.
Ansonsten suchte ich mir noch ein Schwert aus, das so glatt und rein war, dass es in sämtlichen Farben des Lichtes schillerte. Zufrieden steckte ich es ein und folgte dem Weg, den mir Cifan beschrieben hatte.
Ich landete in einem großen, abgelegenen Saal ohne Fenster, aber mit hunderten Fackeln und riesigen Kronleuchtern, die an Eisenketten hingen und den Raum in einem schaurigen Licht badeten. Ganz vorne stand ein Thron, auf dem mich der König bereits erwartete. Er sah sofort zu mir auf, als er mich bemerkte und nickte mir zum Gruß zu. »Du bist pünktlich.« Das war ein sehr trockenes Lob, dennoch entlockte es mir ein leichtes Lächeln.
Ich machte zur Begrüßung einen Knicks. »Und Ihr seid überpünktlich, Eure Majestät.«
Cifan winkte mich zu sich, sein Blick klebte auf meinen Händen. »Genug der Förmlichkeiten. Komm her und zeig mir dein Schwert.«
Sofort stieg ich auf den Thornpodest und reichte ihm bereitwillig meine Waffe. Der König drehte sie ein paar Mal mit verengten Augen in den Händen. »Die sollte passen. Sie ist scharf und hat die richtige Größe für dich.«
Ich hob eine Augenbraue. »Und was wäre eine falsche Größe?«
Cifans einzige Antwort war ein Schnauben. Dann erhob er sich und schritt nach vorne. Als er in der Mitte des Raumes stand, zog er ein zweites Schwert aus seiner Scheide und warf mir urplötzlich das meine zu. Erschrocken machte ich einen Satz rückwärts. Das Schwert verfehlte mich nur knapp.
Metall klimperte, als es auf dem harten Steinboden auftraf.
Erschrocken und empört sah ich zu Cifan hoch. »Wofür«, setzte ich an, doch der König unterbrach mich.
»Deine erste Lektion«, knurrte dieser, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, »Achtsamkeit. Sei immer auf der Hut. Du weißt nie, wann du kämpfen musst. Deine Feinde lauern auf dich wie hungrige Wölfe, und sie werden nur angreifen, wenn du am allerwenigsten darauf vorbereitet bist.«
Ich nickte mit einem mulmigen Gefühl im Magen.
»Als ich das Schwert zu dir geworfen habe, wie hast du dich gefühlt?«, verlangte er zu wissen. »Hattest du Angst?«
»Schon«, gab ich zu, und unterdrücke ein Zittern. Es gefiel mir nicht, dass Cifan meine Angst sah. Außerdem war mir nicht ganz klar, worauf er hinaus wollte.
Er trat näher an mich heran. »Dann gewöhne dich besser daran, denn außerhalb der Palastmauern wirst du dich immer so fühlen müssen. In jeder Ecke lauert Gefahr für dich.« Er machte eine Pause, dann nickte er auf das Schwert, das er mir zugeworfen hatte. »Heb es auf!«
Sein forscher Ton beunruhigte mich. Ich folgte seinem Befehl nur zögerlich und versuchte einzuschätzen, was er nun mit mir vorhatte. Dann stellte ich mich ihm gegenüber. Ich sah ihn mit großen Augen an, während er um mich herumschritt.
»Versuch erst gar nicht, irgendwelche Fechtregeln zu beachten. Deine Feinde kennen keine Regeln. Deine einzige Aufgabe ist es, zu überleben.«
Ohne eine Vorwarnung, ließ er sein Schwert durch die Luft sausen, direkt auf meinen ungeschützten Körper zu. Instinktiv blockte ich seinen Schlag ab. Metall klapperte, als die Klingen unserer beider Schwerter aneinanderkrachten. Mit einer gekonnten Armbewegung beförderte Cifan meine Waffe nach unten und zielte auf meinen Bauch. Wieder war ich schnell genug um sein Schwert beiseite zu stoßen. Diesmal hatte Cifan genug. Er ließ von mir ab und starrte mich mit verengten Augen an.
Ich starrte zurück.
Plötzlich ging er wieder auf mich los. Leider war ich diesmal nicht schnell genug, um mich zu wehren. Sein Messer erreichte meinen Hals, bevor ich auch nur blinzeln konnte. Ich wollte schon schreien, doch Cifan schaffte es rechtzeitig, den Schlag abzubremsen. Die scharfe Klinge streifte meinen Hals nur leicht, doch das genügte bereits, um ihn aufzuschlitzen.
Ich spürte ein leichtes Brennen und Blut an meiner Haut.
Cifans Mundwinkel hoben sich zu einem Grinsen. »Du hast deine zweite Lektion gelernt: Habe keine Gnade mit deinen Gegnern. Sie können sich deine Gutmütigkeit zunutze machen, denn sie sind Verräter. Mein Bruder ist dafür ein gutes Beispiel...«
Keine Gnade... Ob das immer gut enden würde? Ich bezweifelte es. Trotzdem wollte ich auf ihn hören, denn er war vielleicht der einzige, der mir helfen konnte. Am Ende konnte ich immer noch entscheiden, was aus seinem Unterricht ich wirklich anwenden wollte.
König Cifans laute Stimme riss mich aus meinen Zweifeln. »Ich werde dir jetzt erklären, wie gefochten wird. Sei lieber aufmerksam, denn ich erkläre nichts doppelt.«
Ich schnaubte. Na das kann ja was werden.
Dann stellte er sich seitlich vor mir auf. »In dieser Position hast du es einfacher. Nutze sie am besten«, riet er mir.
Ich folgte seinem Befehl, jedoch nicht ganz ohne Zweifel. »Und was bringt mir das?«
»Nicht fragen - machen.«
Meine Augenbrauen, die eben noch misstrauisch gehoben waren, zogen sich nun zusammen. Das kann ja lustig werden.
Erneut schnaubte ich. »Warum sollte ich etwas tun, wenn ich keinen Sinn dahinter erkenne?«
Nun lag es an Cifan, zu Schnauben. »Kleine, jetzt pass mal auf.«
Ich hob den Kopf. »Das tue ich bereits, Großer.«
Dafür hätte Cifan mich wahrscheinlich hängen lassen können. Doch was ich in der Zeit, die ich im Schloss verbracht hatte, gelernt hatte war, dass er es mochte wenn ich ihm Schwierigkeiten bereitete. Wenn ich auffiel. Mich durchsetzte. Er hatte einige sehr komische Ansichten, eine davon war es, dass ich immer Stärke zeigen musste und mich von niemandem verunsichern lassen sollte - erst recht nicht von ihm selbst. Warum er das dachte, wusste ich nicht, aber es war mir auch eigentlich egal. Hauptsache es verschaffte mir Vorteile.
Cifan hob wieder die Stimme. »Egal was wir tun – wir machen das immer von der Seite aus. Wir stehen seitlich, laufen seitlich oder springen, wenn es nötig ist. So hast du am meisten Kontrolle. Du siehst wohin du gehst – auch wenn du rückwärts läufst – und was dein Gegner tut«, erklärte er mir.
Er zeigte es mir und ich ahmte ihm die Bewegungen nach.
»Du solltest nur mit einem Schwert, Säbel oder Degen fechten. Die anderen Waffen taugen dafür nichts«, fuhr er fort. »Und du solltest darauf achten, dass du deine Waffe immer über deinem Kopf hältst.«
»Was ist mit Messern?«, gab ich zurück, »die sind mir am vertrautesten.«
Cifan überlegte kurz. Man sah ihm an, dass ihm der Einwand nicht gefiel, dennoch rieb er sich nachdenklich das Kinn. »Messer sind zu kurz, mit ihnen musst du deinem Gegner sehr nahe kommen - und ich gehe nicht davon aus, dass du das möchtest. Ich würde sie an deiner Stelle nur im Notfall verwenden.«
Er hielt inne und sah mich prüfend an. »Dass es bei einem normalen Kampf keinen Fechtergruß gibt, muss ich dir nicht erklären, oder?«
Fechtergruß? »Was ist ein Fechtergruß?«, gab ich zurück.
»Damit entscheidest du, ob du bis zum Tod kämpfen willst oder nicht. Aber wie schon gesagt, interessiert das deine Feinde nicht. Das hier sind keine Spiele. Du musst dich verteidigen können, wenn es hart auf hart kommt.«
Das ist mir schon klar. Ich würde bei einem Angriff doch nicht einfach innehalten und mit meinen Feinden erstmal ausdiskutieren, wann ein Kampf gewonnen war oder nicht.
Ich nickte als Antwort und wappnete mich auf einen Angriff. Cifan ließ nicht lange darauf warten. Er stürzte vor und auf einmal befand ich mich in einem schnellen Gefecht, dem ich nur für wenige Sekunden gewachsen war. Es gelang mir fünf Mal, Cifans Attacken abzuwehren, der sechste Schnitt traf mich.
Ich verzog das Gesicht und starrte auf das Blut.
»Das ist deine dritte und für heute letzte Lektion«, verkündete Cifan, »sei nicht empfindlich! In einem richtigen Kampf wirst du dich freuen, wenn du mit so ein paar mickrigen Wunden davonkommst. Glaub mir: Das ist nichts!«
Das stimmte wiederum. Ich hatte wirklich nur ein paar kleine Kratzer davongetragen, mehr nicht. Ich musste mich zusammenreißen. Wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte und mich so eine winzige Wunde schon dermaßen aus der Fassung brachte, dann wäre ich für Riamos leichte Beute. Es würde nicht einmal Minuten dauern, bis sie mich entwaffnen und fortschleppen, wenn nichts sogar töten würden. Ich würde üben müssen, wenn es drauf an kam den ganzen Tag und die ganze Nacht. Hauptsache ich war vorbereitet und konnte sowohl mich als auch Majvi irgendwie beschützen.
Cifans Blick wurde weicher. »Gut«, murmelte er und steckte sein Schwert zurück in seine Scheide. »Wir sind fertig für heute. Ich würde gerne noch ein wenig länger mit dir trainieren, doch als König hat man so seine Pflichten, denen man nachgehen muss.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann ja auch alleine weiterüben.«
Der König nickte und musterte mich noch einmal gründlich. Ich fragte mich, an was er wohl gerade dachte. Er versuchte anscheinend, mich einzuschätzen. In seinen Augen blitzte immer wieder etwas auf, während er seinen Blick über meinen Körper schweifen ließ.
Schließlich sah er mit ernster Miene zu mir auf. »Du bist stark«, brummte er nachdenklich, »das hast du mir heute gezeigt. Außerdem bist du geschickt, flink und lernst schnell. Du wirst bestimmt bald eine hervorragende Kämpferin sein.«
Dann aber verdunkelte sich sein Blick. »Doch das wird dich nicht retten, Liva.«
Verwundert blinzelte ich ihn an. Hatte er mir nicht immer beteuert, dass er dafür sorgen würde, dass mir nichts geschah? Dass seine Wachen mich beschützen würden, und zur Not ich selbst? »Wie meint Ihr das?«, fragte ich mit dunkler Stimme.
Cifan seufzte schwer und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Ich habe nicht ganz die Wahrheit gesagt«, gab er zu, »wir werden unsere Feinde nicht so leicht abschrecken können, es sind einfach viel zu viele. Außerdem sind sie hinterlistig. Sie greifen nur selten Dörfer oder Siedlungen an, und wenn sie das tun, dann nur um mich einzuschüchtern. Damit ich dich ihnen gebe. Ihr eigentliches Ziel ist aber das Schloss.«
Ich schluckte schwer. Die Wahrheit war zwar alles andere als schön, aber immerhin machte er mir nichts vor. Und irgendwo in mir drinnen hatte ich es ja auch schon gewusst.
»Es kann sein, dass sie dich nicht erwischen«, fuhr Cifan mit dunkler Stimme fort, »dass du ihnen irgendwie entfliehen oder dich freikämpfen kannst – aber auch das geht nur, wenn du es mit einzelnen Personen zu tun hast. Du kannst also kämpfen lernen so viel du willst. Es wird dich nur zum Teil beschützen. Denn sicher wirst du nirgends sein. Das ist niemand.«
Niemand... Kälte kroch mir den Rücken hoch. Er hatte ein Stück weit recht. Wo sollte man hier bitteschön noch sicher sein? Das Schloss war zwar der am meisten bewachte Ort, dennoch konnte es sein, dass all die Gardisten bei einer gut geplanten Hinterhältigkeit nicht ausreichen würden.
Cifans Blick verlor sich in der Ferne, als er gedankenverloren den Kopf schüttelte und leise ergänzte: »Niemand, bis auf Cecilia.«
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