Kapitel 10: Trauer und Magie
Wir beide erschraken und waren mit einem Mal auf den Beinen. Die Augen der Geigerin weiteten sich, als sie mich erkannte, und ich meinte auch so etwas wie Wut in ihnen aufblitzen zu sehen. »Du schon wieder?«
Ich biss mir ertappt auf die Unterlippe. Verflucht! Sie hatte mich wieder gesehen! Wenn sie mich an Cifan verpetzte... Was würde er dann mit mir anstellen?
Ich amtete einmal tief durch und versuchte zur Ruhe zu kommen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um mir über sowas den Kopf zu zerreißen. Irgendetwas Schlimmes war gerade passiert, und was auch immer es war - ich würde nachsehen müssen. Ich versuchte ihrem Blick standzuhalten und meinte mit Nachdruck: »Da ist jemand in Not. Wir müssen helfen.«
Mein Gegenüber zögerte. Sie schien unschlüssig, nicht wirklich zu wissen, was sie tun sollte. Ihr Blick huschte ein paar Mal beunruhigt hin und her, ehe sich seufzte und den Kopf hob. »Dann hilf ihm. Ich kann nicht mitgehen.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, kehrte sie mir den Rücken zu und verschwand durch eine Hintertür.
Das ist alles? Fassungslos starrte ich an die Stelle, an der sie noch eben gestanden hatte. Wie konnte sie sich einfach so davonmachen, wenn jemand offensichtlich in Gefahr war?
Mein Ärger verblasste schlagartig, als ich weitere Schreie hörte - doch diesmall schienen sie nicht nur von einer Person zu kommen. Ich folgte der Frau durch die Hintertür und fand mich daraufhin in einem schmalen Korridor wieder. Mit gerafftem Kleid und wehnender Schleppe hechtete ich nach draußen, an dem Säulenmeer entlang und schließlich über die Brücke. Ich stieß die Tür auf, die zum Hauptgebäude des Schlosses führte und stürmte durch ein leeres Zimmer. Nirgendwo war jemand zu sehen. Ich irrte durch riesige Schlosszimmer, die allesamt verlassen waren. Ich traf nicht einmal auf einen Dienstboten. Was ist hier passiert?
Ein Fenster stand offen, und ich nutzte die Chance und lehnte mich hinaus. Es lag weit oben, sodass ich auf ein weinrotes Sofa mit unzähligen Kissen steigen musste, um hinaus sehen zu können. Wachen standen auf dem Schlosshof - überall. Gardisten und Krieger. Der König. Um ihn herum hatte sich der komplette Adel versammelt. Dorfbewohner drängten sich von außen um den Tumult, ihre Stimmen waren laut und - aufgebracht...
Ich konnte nicht sehen, um was sie sich gedrängt hatten, auch wenn ich mich mit dem kompletten Oberkörper nach draußen gebeugt hatte. Meine schlanken Arme zitterten unter meinem Gewicht, lange würde ich mich nicht mehr halten können.
Mit einem verzweifelten Seufzer sprang ich zu Boden und raste weiter. Meine Beine wackelten unter meinen spindeldürren Absätzen, die klirrend auf die Marmortreppen schlugen - das einzige Geräusch weit und breit. Fluchend zerrte ich sie von meinen Füßen und raste barfuß weiter. Gänge und noch mehr Gänge, ein nie enden wollendes Wirrwarr aus Zimmern und Korridoren. An jedem Fenster blieb ich schlitternd stehen und suchte nach der Menschenmenge, bis endlich ein gigantisches Tor vor mir aufragte, das mit Ornamenten, die die Form von Drachen hatten, besetzt war. Ohne zu zögern stieß ich es auf und sofort schlug mir ein Sturm aus Geschrei und Gestank entgegen. Ich verzog ein wenig das Gesicht und quetschte mich an unzähligen Mänteln, Rüstungen und Kleidern vorbei, bis ich am Schauplatz dieses Gewusels angekommen war. Ich bereute meine Neugier sofort.
Leichen streckten sich über den Hof, abgeschlachtet wie billiges Vieh. Es waren einfache Dorfbewohner, manche von ihnen waren kaum älter als ich, andere hingegen hatten schon bleiches Haar. Allesamt grausam ermordet - niemand hatte sich die Mühe gemacht, Spuren zu verwischen. Klaffende Wunden zogen sich über die toten Körper, die einfach in den Dreck gepfeffert waren. Messer steckten in ihrer Kleidung fest. Ich sah, wie Mütter ihren Kindern die Augen zuhielten und sie sachte von diesem schrecklichen Bild wegzogen. Die Kleinen heulten, manche waren wie erstarrt.
Auch ich erstarrte und musste wieder an meinen eigenen Mord denken. An einen Jungen, der ebenso leblos und geschunden dagelegen war, durch meine eigenen Hände.
Es waren so viele Menschen - viel zu viele. Wie hatte das passieren können?
Cifan schritt leise und mit Zorn im Gesicht an den Leichen entlang. »Riamos«, zischte er düster und fügte dann mit einer Spur Sarkasmus hinzu: »Wer hätte das gedacht.«
Der König räusperte sich und wandte sich mit erhobener Stimme an die Versammelten. »Bürger und Bürgerinnen, ich muss mit Bedauern verkünden, dass der Krieg wohl doch noch nicht ganz vorbei ist. Mein Bruder hat erneut angegriffen.«
Ein blutverschmierter Gardist trat an seine Seite. Ich erschrak, als er auf mich nickte. »Er will das Mädchen«, raunte er Cifan zu, laut genug, dass ich ihn hörte, »eher wird er keine Ruhe geben.«
Cifan reagierte nicht, er blinzelte nicht einmal. Mit erhobenem Kopf starrte er in die Menge. »Ich bitte euch alle, ruhig zu bleiben. Ich werde das mit Riamos klären, von Bruder zu Bruder. Ohne dass weiteres Blut fließen muss - «
Der Mann neben ihm unterbrach ihn erneut. »Es wird aber Blut fließen, Eure Majestät«, meinte er gereizt, »wir befinden uns inmitten eines Blutbades, das bald bis zum Schloss vordringen wird wenn Ihr nicht rechtzeitig etwas tut!«
Cifan wirkte noch immer nicht beunruhigt. Ihm schien es nicht zu gefallen, von einem seiner Untertanen berichtigt zu werden. Er drehte sich betont langsam zu ihm um. »Wenn es so kommt, dann werden wir die Angriffe niederschlagen, einen nach den anderen.«
Diesmal war es eine junge Frau, die dazwischenrief. Sie war rußverschmiert und hatte vor Zorn glänzende Augen. »Sie haben unsere komplette Siedlung niedergebrannt, Majestät!« Ihre Stimme war schrill und heiser. »Sie haben uns bespuckt und uns gedroht dass sie bald alles zerstören werden, wenn wir ihnen das Mädchen nicht geben!«
»Riamos wird nie Ruhe geben bis er den Tod seines Sohnes gerächt hat«, stimmte ihr ein älterer Mann voller Brandnarben zu.
»Und wir müssen darunter leiden!«
Ich zuckte zusammen. Häuser wurden in Brand gesetzt, nur weil ich mich im Schloss versteckte. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken.
Immer mehr erhoben die Stimme und brüllten Cifan wutendbrannt etwas zu, das ich inmitten des Anflugs an Lärm kaum verstand.
Cifan sorgte mit einer raschen Handbewegung für Ruhe. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, erwiderte er kühl.
»Gebt ihm endlich das Mädchen!«, rief ihm jemand aus der Menge zu, »sonst wird Euer Reich in Flammen untergehen!«
Für einen Moment schwieg der Monarch und ich bekam es mit der Angst zu tun. Was wenn er mich wirklich an Riamos abgab? Was würde dieser dann mit mir anstellen? Mich verbrennen, an die Ratten verfüttern lassen? Mir wurde schwindelig.
Zu meiner Überraschung jedoch schüttelte Cifan entschieden den Kopf. »Ich werde Liva niemandem geben«, stellte er mit einem drohenden Unterton klar, »sie ist von nun an unsere Prinzessin und steht unter meinem Schutz.«
Er verengte ein wenig die Augen und fixierte jeden einzelnen in der Menge mit seinem giftgrünen Blick. »Wenn mich noch einmal jemand dazu auffordern sollte, mich gegen sie zu stellen, so wird dieser des Hochverrats bezichtigt und entweder mit einer Freiheitsstrafe rechnen müssen oder verbannt werden.«
Cifan machte ein paar Schritte auf mich zu und legte mir seine Hand auf die Schulter. »Ich befehle, dass ihr sie verehrt und für sie kämpft - wenn es sein muss mit eurem Leben.«
Niemand widersprach ihm mehr. Die Menge blieb still.
Cifan nickte zufrieden und wandte sich an sein Gefolge. »Schafft die Leichen fort.«
»Die nächste Zeit könnte schwierig werden«, fuhr er fort, »aber wir sind ein starkes Volk. Wir werden zurechtkommen. Ihr müsst auf eure Kinder aufpassen und solltet nicht alleine unterwegs sein. Versorgt euch mit genügend Wasser, verlasst nur euer Haus wenn es unbedingt nötig ist.«
Er räusperte sich und blinzelte entschieden. »Ich werde Wachen rund um die Dörfer herum aufstellen. Auch um größere Siedlungen werde ich mich kümmern. Vereinzelte Häuser dürften sowieso nicht in Gefahr sein, da es für keinerlei Aufruhr sorgen sollte, wenn sie niederbrennen. Riamos wird es demnach eher auf größere Dörfer wie Denva oder Talis absehen.«
Als es um ihn herum halbwegs ruhiger geworden war, lehnte er sich in meine Richtung und raunte mir ins Ohr: »Du solltest jetzt am besten gehen. Versuch dich zu beruhigen, wir besprechen später wie wir weiter vorgehen.«
Ich nickte stumm, doch es fiel mir schwer, mich auch nur vom Fleck zu bewegen. Der Schock saß mir noch tief in den Knochen. Jeder schien mich anzustarren, als ich mich aus dem Kreis herausdrängte, der sich um uns gebildet hatte. Die Dorfbewohner wichen sofort zur Seite und bildeten um mich herum eine Gasse. Ihre Blicke brannten wie Feuer auf meinem Rücken, doch ich tat so als würde ich das viele Starren nicht bemerken. Insgeheim wollte ich aber am liebsten im Erdboden versinken. Ich wünschte mich einfach nur weg von hier.
Umso erleichterter war ich, als ich die Eingangstür aufstieß und mich im Thronsaal wiederfand. Hier war es still. Keine Schreie, keine Leichen, kein Blut und auch keine bohrenden Blicke.
Ich atmete aus. Bis auf ein paar Wachen war hier niemand.
Meine Erleichterung hielt jedoch nicht lange an. Stattdessen machte sich wieder Panik in mir breit. Trauer. Hilflosigkeit. Verzweiflung.
Hatte ich gerade nur geträumt oder war das alles tatsächlich geschehen? War wirklich ein gesamtes Volk hinter mir her? Ein skupelloser Herrscher?
Ich zitterte entsetzlich und war gleichzeitig wie erstarrt.
Was soll ich bloß tun?
Wie von alleine setzten sich meine Füße in Bewegung. Zuerst wusste ich nicht ganz, wohin ich eigentlich lief, hauptsache weg von diesem grausamen Spektakel.
Vielleicht versuchte ich auch vor meinen Gefühlen oder meinen Taten davonzulaufen.
Als ich den Säulengang erreichte, merkte ich wohin mich mein Unterbewusstsein getrieben hatte: Zu dem einzigen Ort, an dem ich mich allein fühlen konnte - dem eigenartigen Turm.
Diesmal jedoch machte ich einen großen Bogen um die Wendeltreppe, die zum Zimmer der Geigerin führte. Es reichte schon, dass sie mich zweimal dabei ertappt hatte, wie ich sie heimlich belauschte. Auch wenn mir im Moment nichts lieber war als den beruhigenden Klängen der Geige lauschen und alles um mich herum vergessen zu können.
Mein Herz pochte noch wie verrückt, als ich das Ende des Säulenmeeres erreichte und mich auf dem dreiteiligen Balkon wiederfand. Atemlos blieb ich stehen. Ich war wirklich schnell gelaufen, fast schon gerannt. Alle Zimmer und Gänge im Schloss hatten sich beengend und gleichzeitig auch viel zu groß angefühlt. Einschüchernd, furchteinflößend.
Hier draußen hingegen war es ruhig und friedvoll. Hier gab es keine Mauern, die einen einsperrten, wie ein gejagtes Tier, das den Verstand verloren hatte und das jederzeit sterben könnte,wenn man es nur frei ließ.
Stattdessen zeichnete sich vor mir ein Labyrinth aus verschiedensten Gärten, Beeten und Pflanzen ab, das einem Märchenbuch hätte entsprungen sein können. Meterhohe Magnolienbäume ragten über meinem Kopf auf, in den buntesten Farben. Vor mir schlängelte sich ein kleiner unbefestigter Weg bis in die Ferne, der an unzähligen Büschen, Blumenbeeten und Springbrunnen vorbeiführte. Ich lief über einige Rundbrücken, die über plätschende Flüsse und Bäche verliefen, und hin und wieder unter Schlingpflanzen hindurch, die eine Art Tunnel um mich herum bildeten. Immerzu hatte ich das leise Rascheln von Blättern und das Surren von Libellen im Ohr.
Ich wanderte an Teichen vorbei, die so dunkelgrün waren wie Efeu oder die Farbe von Moos besaßen. Immer wieder sah ich Wasserläufer, die über die spiegelglatte Oberfläche ihrer Heimat flitzten.
Als ich das Zentrum des Balkons erreichte, fand ich mich in einer kleinen Oase aus knorrigen Bäumen, die mit Lampions versehen waren, wieder. Auf dem Boden war ein Abbild der Sonne zu sehen, das aus einem einheitlichen Goldton bestand.
Staunend lief ich durch das kleine nachgebaute Wäldchen, bis ich auf eine Schneise stieß, die mich nach draußen führte. Vor mir konnte ich nun das goldene Geländer erkennen, das sich bis an den Rand meines Sichtfeldes zog. Als sich der Wald öffnete, war ich im vordersten Teil des Balkons angekommen. Von hier aus hatte ich einen Blick auf alle drei Dörfer. Ich konnte Molja rechts von mir erkennen, an der Spitze eines kleinen, breiten Berges und Talis links von mir. Das kleine Winterdorf, wie man es nannte, thronte auf dem Gipfel eines riesigen schneebedeckten Berges, der wie ein Zacke in den Himmel ragte. Wolken verdeckten einige der Häuser, während der Rest hinter dichtem Nebel verblasste, sodass man nur noch wenige grobe Umrisse erkennen konnte.
Denva lag im Tal und mündete am Schloss.
Zwischen den drei Dörfern zog sich eine riesige Decke aus Bäumen und Feldern über die Berge. Von dem Berg, auf dem ich gelebt hatte, war vor allem der untere Teil bewaldet. Weiter oben, um Molja herum, gab es wiederum nur Felsen und Wiese.
Ich seufzte auf und wälzte mich wieder in unzähligen wohltuenden Erinnerungen, die sich wie ein Balsam für meine Seele anfühlten. Ich dachte wieder an die unbeschwerten Tage zurück, an denen ich noch mit Lanix durch die Wälder gestreift war. Als es Mutter noch halbwegs gut ging. Damals war alles so leicht gewesen. Wir waren die meiste Zeit in Molja gewesen. Hatten an Festen teilgenommen, bis in die Nacht hinein getanzt, Geschichten über unsere Göttin gelauscht. Oft waren wir aber auch einfach nur für uns gewesen, hatten gejagt, Orte erkundet oder komische Dinge gesammelt.
Das plötzliche Geräusch von Schritten katapultierte mich in die Realität zurück. Überrascht drehte ich mich um und sah Sinula auf mich zukommen. Diesmal steckte die junge Prinzessin in einem mintfarbenem Tüllkleid, das sie wie eine Elfe aussehen ließ. Nachdenklich musterte ich das Mädchen. Sinula hatte einen feingliedrigen, sehr zierlichen Körper, helle, fast schon porzellanfarbene Haut und lange Haare, die nur wenige Nuancen dunkler waren.
Auf ihrem zierlichen Gesicht mit den klaren blauen Augen und den zartrosafarbenen Wangen lag ein leichtes Lächeln, in dem jedoch alles andere als Freude steckte.
Verwirrt blinzelte ich sie an. Hatte sie mich gesucht oder war es Zufall, dass wir uns hier trafen?
Es war seltsam, sie nun wieder in einem intimen Moment der Trauer wiederzusehen.
Es war schließlich sehr lange her, dass wir uns das letzte mal länger als ein paar flüchtige Sekunden getroffen hatten. Damals war es um uns herum blass und neblig gewesen. Traurig, einsam. Ich hatte sie wieder nach Hause geschickt und sie war dem Anschein nach meinem Rat gefolgt. Noch immer fragte ich mich, warum sie sich von mir so einfach hatte umstimmen lassen, schließlich war sie tagelang in panischer Angst durch den Wald geirrt.
Mein linker Mundwinkel zuckte ein wenig, was der misslungene Versuch sein sollte, zurück zu lächeln.
Sinula stellte sich neben mich ans Geländer und sagte, ohne mich anzusehen. »Du siehst einsam aus.«
Ich schnaubte ein wenig. »Das selbe könnte man von dir auch behaupten.«
Ich stockte, als mir bewusst wurde, dass ich sie mit »du« angesprochen hatte. Ups. Ich biss mir auf die Unterlippe. »Entschuldigung.«
Sinula schien zu wissen, was ich meinte. Das Lächeln, das auf ihren Lippen lag, wurde ein wenig breiter. »Alles gut, diese ganzen Formalitäten machen mich ebenfalls fertig, das kannst du mir glauben.«
Ich hatte nicht erwartet, dass sie so offen sein würde. Sie wirkte auf mich eher ängstlich. Schreckhaft. Und auf alle Fälle auch unergründbar.
Sinula schwieg wieder. Ihr schien die Stille wenig auszumachen, daher war ich diejenige, die das Schweigen durchbrach.
Nachdenklich sah ich sie von der Seite aus an. »Sinula, bin ich ein verachtenswerter Mensch?«, brach es aus mir heraus.
Sie schwieg eine Weile. Nur ein leichtes Blinzeln ihrerseits verriet mir, dass sie über meine Worte nachdachte. Schließlich drehte sie sich zu mir um und musterte mich aus ihren blauen Augen. »Wir alle machen Fehler«, meinte sie ausweichend.
»Das hätte aber nicht passieren dürfen«, widersprach ich ihr.
Sie seufzte tief und legte mir eine Hand auf den Arm. »Ich weiß.«
Noch in dieser Geste drehte sie sich um und lief gedankenverloren zu einem plätschernden Brunnen, auf den sie sich niederließ und die Füße baumeln ließ.
Ich folgte ihr langsamer. »Solltest du mich nicht verachten?«
Ich fragte mich, warum sie so nett zu mir war und sogar auf mich zuging, wenn sie es offensichtlich mit einer Mörderin zu tun hatte.
Sinula blinzelte mitfühlend. »Ach, das tun doch schon genug Leute.«
Mit einem Schulterzucken fügte sie hinzu: »Ich versuche die Geschehnisse lieber hinzunehmen.«
Diese Art von Reaktion war merkwürdig. Nicht das, was ich von ihr erwartet hatte. War ihr das, was ich getan hatte schlichtweg egal, oder sah sie die Welt durch einen rosaroten Schleier, der es ihr nur erlaubte, das Positive in Dingen zu erkennen?
»Du bist seltsam«, murmelte ich leise vor mich hin.
Sie knabberte ein wenig an ihrer Unterlippe herum und das unsichere Flackern in ihren Augen verriet mir, dass ich bisher die erste war die es überhaupt wagte, so etwas auszusprechen.
Schließlich seufzte sie und spielte an ihren Haaren. »Warum eine Welt, die sowieso schon dunkel und grässlich ist, noch dunkler machen?«
Darauf wusste ich keine Antwort. Ich seufze ebenfalls und legte mit rücklings auf den Brunnenrand. Gedankenverloren sah ich in den Himmel. Auf die vielen blassgrauen Wolken, die sich dort wie Lämmer eingenistet hatten. Sie wirkten träge. Schwer und müde hingen sie da und ließen die Welt fad und farblos wirken.
So ähnlich fühlte ich mich auch.
Da war kein Schmerz in mir. Keine Panik. Eher fühlte ich mich wie betäubt, so als wäre all der Schreck, der in den letzten Tagen geschehen war, nur ein böser Traum.
»Sinula?«, fragte ich vorsichtig.
Die Prinzessin hob verwundert den Kopf. Beinahe musste ich lächeln als ich sah, wie sie mich fragend anblinzelte, und sich dabei wieder einmal auf die Unterlippe biss. Doch zum Lachen war mir im Moment nicht zumute, deshalb brachte ich nur ein halbherziges Schnauben zustande.
»Wie war es bei dir damals...als du kämpfen musstest.«
Erwartungsvoll drehte ich den Kopf in ihre Richtung, um ihre Reaktion zu sehen.
Das Funkeln, das eben noch in ihrem Blick gesteckt hatte, verschwand hinter einen Schleier und ihre Augen suchten nun wieder die Ferne. »Das ist...nicht von Bedeutung«, murmelte sie ausweichend, »es ist vorbei, das ist alles was zählt.«
Daraufhin sagten wir beide gar nichts mehr und ich dachte über ihre Worte nach. Ich fragte mich, warum sie nicht darüber reden wollte, schließlich waren die allermeisten, rund um das Schloss herum, bei dem Spektakel dabei gewesen. Ich war eine der wenigen gewesen, die kaum etwas davon mitbekommen hatte. Ich hatte lediglich den Tratsch gehört, der in Molja die Runden gemacht hatte. Sonst war ich nur im Wald gewesen und eben meinen üblichen Pflichten nachgegangen. Und so hatte ich auch Sinula gefunden.
Die Prinzessin rutschte nun ebenfalls nach vorne und ließ sich auf dem Brunnenrand nieder. Ich spürte ihre Anspannung nun ganz deutlich. Sie atmete laut und stockend und ihre Bewegungen waren steif.
Ich fragte mich, was um alles in der Welt bei ihr an diesem einen dunklen Tag geschehen war, so seltsam wie sie sich nun benahm. Mir wurde nun klar, dass die Machtspielchen zwischen König Cifan und seinem Bruder nicht nur bei mir Spuren hinterlassen hatten...
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