Kapitel 98

Ruben - Lay By Me

"Magst du dir die Haare föhnen?" Ich verneine es, als ich mir die Haare mit dem Handtuch trocken drücke. Ardan scheint auch nicht gerade im Föhnfieber zu sein und zieht sich stattdessen die Jogginghose über die Boxershorts. Wir lagen mehr im Wasser, als wir geredet haben. Seine Worte haben mal wieder - wie immer eigentlich - Spuren hinterlassen. Das ist auch vermutlich der Grund, wieso wir so wenig gesprochen haben: ich habe mehr nachgedacht als gesprochen und ich befinde mich immer noch in dieser nachdenklichen Phase - schon den ganzen Tag über. Hat Mama es mir wirklich eingeredet? Sie hat mich immer gelehrt, dass die Beziehungen im jungen Alter nur sehr selten bis zur Ehe halten und dass es nur für Stress sorgt und dass sich dann so die Noten verschlechtern, aber ist das so? Ich hatte bis jetzt schon die eine oder andere Reiberei mit Ardan, aber haben sich meine Noten verschlechtert? Nein, ich habe mich stattdessen nur mehr in den Lernstoff gefressen. Es kommt doch auf den Willen an. Ich würde sicherlich nicht wie andere die Schule schwänzen, um mit meinem Freund zu sein, auch wenn ich einmal nicht zu Geschichte gegangen bin, weil ich wegen Ardan so schlecht gelaunt war. Zu meiner Verteidigung: wir waren da noch nicht zusammen!

Wir laufen in sein Zimmer zurück. Ich rieche nach seinem herben Duschgel, aber da Mama heute spät mit Baba nach Hause kommt, muss ich mir keine Sorgen machen. Oh Gott, der Sonntag kommt immer näher. Ich weiß überhaupt nicht, wie es sein wird. Wird es still, bedrückt oder gar nicht auffallen? Ich will nicht, dass Mama und Baba Streit haben. Vielleicht haben sie auch normal miteinander geredet, aber beides sind temperamentvolle Menschen und da Baba sich immer mit Fleisch und Blut für mich einsetzt - Mama natürlich auch - kann ich die Situation nicht einschätzen. Er war beherrscht, als er ihr gesagt hat, dass sie reden werden, aber das kann nur eine Fassade gewesen sein. Ich hoffe nur auf das Beste. Wie ich zu Mama stehe, weiß ich auch nicht. Sie ist meine Mutter, ja und ich bin wütend, ja, aber das wird nicht für immer anhalten. Diese Ohrfeige ... ich weiß nicht, wie ich denken soll. Sie hat so etwas noch nie getan. Sie hat es nie in Erwägung gezogen, auch wenn sie es uns angedroht hat. War es denn wirklich so notwendig? Hat mein Satz sie so verletzt? Ich kann es mir echt nicht vorstellen, aber wenn ich so recht überlege, habe ich Didem an den Haaren gezogen, als sie mit Ramzis Geheimnis ankam. In mir macht sich ein Trotz breit. Ich will es weder gleichsetzen, noch einsehen, dass mein Satz ein Fehler war.

Wir lassen uns auf dem Bett nieder. Roxy kommt erst jetzt die Treppen hinauf - ein Wunder, dass sie nicht mit uns gekommen ist. Vielleicht war sie auch mit dem Nachbarshund und deshalb beschäftigt gewesen. Einreden. Dieses Wort will mir nicht aus dem Kopf gehen. Ist es wirklich nur eingeredet? Mama hat mich nicht manipuliert. Ich kann das nicht so sehen, weil ich doch genauso denke. Oder denke ich so, weil es mir eingeredet wurde? Nein ... oder? Vielleicht widerspreche ich mir auch nur oder sehe mich da als Ausnahme, weil ich es bei Ardan und mir nicht so sehe und empfinde. Ich kann mich nicht von dieser Ansicht trennen - sie ist ein Teil von mir. Genauso sind die Prinzipien noch ein Teil von mir und auch wenn ich eingesehen habe, dass ich eben nicht so wie Mama bin und oder sein kann, will ich trotz des gestrigen Eingeständnisses nicht aufgeben irgendwie. Das ist mir gerade so schade. So lange konnte ich mich daran halten und nur weil jetzt einige Reibereien vorhanden sind oder waren, soll ich aufhören? Nein! "Woran denkst du?", fragt er mich, während er meine nassen Haare zwirbelt. Dadurch kribbelt meine Kopfhaut angenehm. Ich summe leise. "An deine Aussagen ... ich überlege, wie es wirklich ist." "Und was hast du bis jetzt zusammengestellt?" Wieder summe ich leise. "Ich weiß es nicht. Ich will die Prinzipien nicht loslassen und glaube nicht daran, dass Mama mir die Sachen nur eingeredet hat. Sie hat ja recht."

"Willst du ihr also recht geben, dass wir bald Schluss machen?" Ardan spricht es so kalt aus, dass ich ruckartig den Kopf anhebe. Was ist mit ihm los? Wieso schaut er mich so unterdrückt zornig an. "N-nein, das will ich nicht." "Das ist aber die Ansicht deiner Mutter", blafft er fast. Wieso ist er plötzlich so? Ich kriege eine Gänsehaut an den Armen. Ardan fühlt sich angegriffen. "Ardan, das-, ich ... wir werden nicht Schluss machen. Hör auf, so zu denken!" "Was wäre der Grund, mit mir Schluss zu machen?" Was soll das jetzt? Meine Augenbrauen ziehen sich passend zu meinem verständnislosen Blick zusammen. Wie kommt es, dass sich seine Laune so urplötzlich ändert? "Mir fällt kein triftiger Grund ein. Du würdest mich weder misshandeln noch betrügen oder sonst hintergehen." Seine grünen Augen schauen zu Roxy, die ganz munter auf dem Bett sitzt und gar nicht bemerkt, dass die Stimmung gekippt ist. Mir wird ganz mulmig, ich will mich nicht streiten. Er ist plötzlich unruhig. Seine Brust hebt sich merklich - meine sofort auch. Ardans Hände fahren über sein Gesicht, verdecken seine Augen. Jetzt wirkt Roxy auch noch alarmiert und beschnüffelt Ardan. Ich will seine Mutter hier haben. "Ardan, was ist los?" Meine Stimme ist schon leicht brüchig. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er hebt die Hände von seinem Gesicht, wirkt weniger angespannt. Seine Augen zeigen mir aber Trauer. "Was ist dein Wunsch? Welchen Wunsch kann ich dir erfüllen?", fragt er mich leise und sanft.

Meine Schultern sinken. "Was hast du?", frage ich im selben Ton. Ich spüre das Beben in meiner Brust und im Bauch. Ich will nicht weinen. Statt mir eine Antwort zu geben, setzt er sich wortlos auf. Wie soll ich das aufnehmen? Was geht in seinem Herzen vor sich? Seine sonst so schöne Haltung wirkt gekränkt. Seine Augen wirken glasig. Mein Blick gleitet zu seinen Händen, die ineinander gelegt sind und sich gegenseitig drücken. Roxy legt ihren Kopf in seinen Schoß. Wieso überkommt mich das Gefühl, dass ich fehl am Platz bin? "Erzähl mir mehr deiner Gedanken. Was wolltest du schon immer machen?" Wieso redet er jetzt wieder so monoton? Mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich höre, dass die Mutter ins Haus tritt. Ich seufze erleichtert, ohne gewusst zu haben, dass ich die Luft angehalten habe. "Ardan?" "Wir sind oben." Kaum habe ich diesen Satz geäußert, laufe ich die Treppen hinab, um sie zu umarmen - und um irgendwie Trost zu suchen. Ich bin nicht zu Ardan gekommen, um noch mehr Trübsal zu blasen. "Na? Wie geht es dir?" Sie fährt mir über meine Wangen, als sie sich von mir löst. Ihr Lächeln fällt. "Was ist los?" "Ich weiß es nicht", gebe ich heiser von mir. Ich habe das Gefühl, dass alles schiefgehen wird. Woher kommt dieses Gefühl? "Habt ihr euch gestritten?" Ich fahre mir unwohl durch meine nassen Haare. "Nein ... nicht direkt. Ich weiß nicht. Plötzlich war die Stimmung so anders und ich ... es geht ihm gerade nicht so gut."

Die Mutter schaut kurz leer in den Flur und atmet tief durch. "Ardan?" Ich höre Ardan zum ersten Mal türkisch reden. Seine Stimme ist dabei so tief und durchsetzend. Hier stimmt etwas nicht. Wieso will er nicht, dass ich es mitbekomme? "Was ist? Was hat er gesagt?" Die Mutter wirkt gerade woanders mit ihren Gedanken. Sie registriert meine Worte erst jetzt. Dieses sanfte Lächeln beruhigt mich nicht. Es sorgt für das Gegenteil. "Es wird alles wieder gut, Cana. Geh hoch zu ihm. Ich koche euch solange etwas." Sie schaut mir nicht in die Augen und flüchtet schon fast in die Küche. Wieso will mir niemand etwas sagen? Das verdirbt mir den ganzen Samstag! Ich fasse einen Entschluss, wobei ich noch gegen die Hemmung kämpfen muss, es laut zu sagen. "Ich gehe lieber." Die Mutter dreht sich aus der Küche zu mir. "Nein, wieso?" "Ich ... ich bin, glaube ich, fehl am Platz." Man verheimlicht mir doch ganz sicher was. "Cana, nicht doch." Ich schüttele den Kopf, ziehe mich an und verlasse ohne Weiteres das Haus. Das Geschehene kommt mir wie ein einziges Passiertes vor. Als ob es nur fünf Sekunden wären, die dafür gesorgt haben, dass ich jetzt fliehe. Ich wollte mich doch nur bei ihm entspannen und jetzt gab es irgendeinen Auslöser bei Ardan, der wieder einen inneren Sturm bei ihm hat entfachen lassen. Mir kann die Kälte gerade nichts an, da ich so in Gedanken versunken bin und an das Geschehene denke. Ich laufe sogar fast an den Toren vorbei, durch die ich eigentlich muss. Demotiviert laufe ich durch die Tore, schließe die Haustür auf und sehe anhand der Schuhe im Flur, dass Oma hier ist. Wenn sie eine andere Augenfarbe hätte, hätte sie diese Farbe an Baba weitervererbt und hätte ich sie auch vererbt bekommen?

"Cana?", ruft sie mich. "Ja, bin im Flur." Es riecht schon nach Reis und Hähnchen - das könnte ich jetzt gut gebrauchen. "Komm her." Wie soll ich jetzt dieses lange Gesicht loswerden? Dieses Verheimlichen und Lügen nimmt so viel Platz in mir ein! "Was ist los? Wer hat dir das Herz gebrochen?" Herz, immer dieses Wort! "Niemand, heute ist einfach nicht mein Tag." Ihre gelben Augen mustern mich warm. Ich weiche ihren Blicken aus. Meine Redseligkeit ist momentan am Schwinden. "Wieso, Cana min? Hat dir einer deiner Brüder etwas angetan?" "Nein, Oma. Der heutige Tag ist einfach nicht meiner. Wirklich." Ich schaue ihr in die Augen. So sehr ich sie liebe und gar nicht anlügen will, kann ich gerade nicht anders. "Dann hoffe ich, dass dich das Hähnchen glücklich macht. Komm, setz dich. Ich rufe deine Brüder." Wie sie wohl dazu stehen würde, wenn sie wüsste, dass ich eine Beziehung führe? Sie wirkt immer so verständnisvoll. "Oma?", murmele ich. Eigentlich würde ich zögern und innehalten, aber gerade geht sowieso alles an mir vorbei. "Ja?" "Wie würdest du reagieren, wenn ich eine Beziehung hätte?", murmele ich noch leiser, mit dem Blick auf den Teller gerichtet, der leer vor mir steht. Ich höre, wie Adam singend die Treppen hinunterkommt, weshalb Oma gar nichts ansetzt. Dabei weiß sie gar nicht, dass Adam von Ardan und mir Bescheid weiß.

Während des Essens bin ich stumm. Oma redet überwiegend mit meinen Brüdern. "Und wann heiratest du, Amir?" Daraufhin seufzt er. "Das wird noch eine Weile dauern. Das Studium ist ja im Weg." "Immer dieses Studium! Bei deinen Eltern war es auch so. Heiratet jetzt, bevor euch etwas trennt", gibt sie am Ende etwas wehleidig von sich, doch Amir lächelt nur beschwichtigend. "Ach, nein. Was soll schon Großartiges passieren?" Deine Freundin könnte Herzkrank sein. Wie wärs damit? Ich spare mir diese makabere Aussage. "Man weiß nie, was passieren könnte." Dieser Satz könnte von mir kommen, hätte Oma ihn nicht geäußert. Aiman scheint auch ruhiger zu sein. Er wirkt nicht wirklich vital. Was er wohl hat? Ist er krank? Mir würde er es sicherlich nicht sagen. Wie stark er ausrasten würde, wenn er von Ardan und mir Bescheid wüsste? Wie Amir wohl reagieren würde? Ich hoffe, er reagiert so verständnisvoll wie Adam, der gerade so schnell isst, als ob er ein ganzes Jahr nichts gegessen hätte. "Ruhig, Adam. Ich habe viel gemacht." "Ich habe so einen Hunger. Heute wollte ich beim Training alles essen! Selbst die Hanteln kamen mir so lecker vor." Während Adam Oma über sein Oberarmtraining erzählt, schweife ich wieder ganz ab. Wie geht es Ardan? Was geht ihm durch den Kopf? Er wird doch bald ganz gesund, wieso tut er sich diese Last dann an? Es wird alles wieder gut. Er wird sich bald ebenfalls ganz entfachen können, entlastet er sein Herz von seinen Sorgen.

Wir helfen Oma beim Abräumen, woraufhin sie und ich gemeinsam im Wohnzimmer auf dem Sofa Platz nehmen. Sie sitzt und ich lege meinen Kopf auf ihrem Schoß ab. "Bist du verliebt?" Ja, sehr sogar. "Wie kommst du darauf?" "Deine Frage. Brauchst du jemanden, den du dich anvertrauen kannst?" Ich will es nicht jedem erzählen, aber ich will meine Oma auch nicht anlügen. "Mir geht es ums Prinzip. Mama und Baba kennen sich so lange. Sie haben während der Schulzeit Dinge miteinander unternommen. Wieso ist sie bei mir dann so strikt dagegen?" "Ach, die gestrige Sache", seufzt Oma, ehe sie mir einen Kuss auf die Wange gibt. "Ich weiß nicht, was in Shana gefahren ist, aber das hätte ich niemals von ihr gedacht." "Wie war das Gespräch zwischen ihr und Baba?" Ich hoffe so sehr, dass sie nicht geschrien haben. "Ich war leider nicht dabei. Deine Brüder scheinen auch nichts mitbekommen zu haben. Fragen konnte ich sie nicht. Dein Vater hat es mir heute kurz am Telefon erzählt, als ich ihn gefragt habe, ob etwas passiert ist. Sicher, dass da nichts ist, was du mir erzählen willst? Du kannst mir vertrauen. Bei deiner Mutter war es doch genauso." Mich macht es wütend, dass Mama mir so etwas verbietet, aber selber so war. "Da ist nichts. Das war einfach hypothetisch. Ich habe gar keine Lust mehr, darüber zu reden." Ich will nur noch im Bett liegen und auf den nächsten Tag warten.

Ich liege seit einer Stunde wach im Bett, ohne die Initiative zu ergreifen, mich frisch für das Frühstück zu machen, das Mama gerade unten kocht. Ich kann mir die Stimmung nur unangenehm vorstellen. Wie wird Baba sein? Wie werden die beiden miteinander agieren? Ich hätte sie gestern auch sehen können, da ich noch lange wach im Bett lag, aber ich habe lieber Löcher in die Decke gestarrt. Ardan hat mir nicht geantwortet, deshalb habe ich beschlossen, ihn einfach in Ruhe zu lassen, bis er mir etwas sagt. Es stört mich natürlich, dass er sich wieder von mir abwendet und ich habe es auch satt, mir noch mehr Stress und Probleme zu machen, aber im Endeffekt kann ich nichts ändern. Ich weiß nicht, was er hat, so gern ich es auch wissen will. Was würde ich dafür geben, in seinen Kopf zu gucken. Was würde ich geben, um seine ganzen Gedanken in einem Buch zusammengefasst zu haben. Ach, Ardan, ach, was mache ich bloß mit dir? Ich schaue ein weiteres Mal auf mein Handy, in der Hoffnung, dass er mir geschrieben hat, doch natürlich hat er es nicht getan. Wie naiv von mir. Ich warte noch fünf Minuten im Bett, ehe ich mich aufrappele und mich frisch mache. Dabei lasse ich mich besonders viel Zeit, weil ich immer noch gehemmt bin, aufgrund der Auseinandersetzung von Mama und mir. Ich höre Amirs Stimme, als ich mein Bad verlasse. Wenigstens bin ich nicht alleine unten.

Auch die Treppen werden mit Ruhe und Zeit abgestiegen. Ich genieße zu selten den Marmor unter meinen Füßen, da ist heute doch der beste Tag dafür. Trotzdem kommt mir der Weg zum Esstisch sehr kurz vor. Baba sitzt auch dort, tippt auf seinem Handy herum und legt es weg, als er mich bemerkt. "Roj bash", murmele ich in die Runde und kriege ebenfalls einen guten Morgen gewünscht. "Cana, war Adam im Bad?" Ich weiß nicht, wieso mir so warm wird und mein Herz schneller schlägt, als Mama mich anspricht. "Nein, weiß ich gar nicht. Habe nicht darauf geachtet." Ich schaue sie kurz an, als ich mich setze, sehe, wie sie das Omelette brät und wendet. Reden sie und Baba nicht mehr miteinander? "Okay. Aiman frühstückt heute nicht mit uns." "Wieso?", fragt Baba ziemlich streng. Ich zucke wegen seiner tiefen Stimme zusammen, was er bemerkt und sein Blick sanfter wird, als er zu mir schaut. So habe ich ihn lieber. "Weil es ihm nicht gut geht", gibt Mama nun mit etwas mehr Druck von sich. "Er soll runterkommen und gefälligst mit uns frühstücken." Es liegt eine Spannung in der Luft, der ich gerne aus dem Weg gehen würde. Da ist mehr beim Gespräch gewesen, da bin ich mir sicher. Wieso ist Baba so wütend auf Aiman? Was hat er getan? "Lass ihn in Ruhe, Can." Ahnungslos schaue ich zu Amir, der mich genauso anschaut. Genau wie meine Augen, sind seine Augen ganz groß und der Mund verdutzt geöffnet. "Wenn er nicht freiwillig kommt, dann ziehe ich ihn hier runter." Ich sehe Baba nicht immer so wütend, aber es sorgt wieder dafür, dass ich zusammenzucke, genau wie sein aufgebrachtes Aufstehen, wodurch der Stuhl nach hinten fällt.

Mama stellt sich vor ihn und hält ihn an seiner Brust fest. Ich weiß, dass er sie einfach zur Seite schieben könnte, aber er bleibt beherrscht stehen. Ich werde nervös, Amir macht sich schon bereit, aufzustehen und dazwischenzugehen. "Setz. Dich", presst Mama hervor. Ihre Augen zeigen Wut und Trauer. Ich kann mir vorstellen, wie sie jetzt mit den Tränen kämpft. "Merkst du nicht, was du falsch gemacht hast?" Ich ziehe scharf die Luft ein, als Baba diese Frage stellt. Mamas Brust bebt, sie ballt ihre Hände. Was ist los hier? Weder Amir noch ich trauen uns nur ein Sterbenswörtchen zu äußern. Wir sehen stumm zu, wie Babas Schultern breiter wirken und auch, wie Mamas Schultern in die Breite gehen, je wütender sie wird. "Du sollst dich setzen und ihn in Ruhe lassen!", ruft sie bebend, während sie ihn nach hinten schubst. Ich werde immer unruhiger, immer nervöser. Ich will das nicht sehen, das bereitet mir ein ungutes Gefühl. Setz dich einfach wieder, Baba, bitte ich innerlich. Mamas Augen tränen schon und das ist auch der Grund, wieso seine Schultern sinken, er schließlich nachgibt und sich hinsetzt. Ich bin immer noch verstummt. Ich kann gerade nicht einmal die Luft aus meinen Lungen lassen, die sich immer mehr anstaut. Die Eltern streiten zu sehen ist etwas Ungewöhnliches für uns, weil wir es so selten mitbekommen. Mein rechtes Bein wippt. Ich habe nicht einmal mehr einen richtigen Appetit durch das Geschehnis. Man hört nur Mamas leises Schniefen, als sie einen Teller für das Omelette rausholt und es auf dem Tisch serviert.

"Adam?", krächzt sie. Mein Bauch zieht sich zusammen, mein Herz schlägt fest und langsam. Was ist bloß passiert? "Adam?", ruft sie dann klarer, woraufhin er runterkommt. Ich schiele zu Baba, der den Stuhl schon aufgestellt hat und wieder neben mir sitzt - mitbekommen habe ich das überhaupt nicht. Ich bin immer noch in dieser Auseinandersetzung vertieft, die mich mitnimmt. Adam kommt die Treppen hinunter und schon werden Mamas Züge sanfter. "Komm, setz dich, Schatz." Sie fährt ihm über den Rücken und zieht den Stuhl für ihn zurück, ehe sie neben Amir Platz nimmt - genau gegenüber von Baba. Die Stimmung ist so bedrückt, dass keiner ein Wort sagen will. Hat Adam gerade mitgehört und ist deshalb länger oben geblieben? Weiß er etwas? "Wie war die Schule?", fragt Mama. Ihre Stimme ist zart, genau wie bei mir, nachdem ich geweint habe oder es versuche zu unterdrücken. "Gut", gebe ich zaghaft von mir. "Ich bin nervös, wegen den Abiprüfungen. Es dauert nicht mehr lange und dann kommen die Vorabiklausuren und Bio ist schon heftig. Sport ist auch ganz schön viel dieses Jahr. Ich muss die anatomischen und physiologischen Grundlagen der menschlichen Bewegung können." "Das können wir ja gemeinsam machen. Das schaffst du schon", muntert Mama ihn auf. Was wohl bei Aiman passiert ist? Was kann er gemacht haben, dass Mama ihn beschützt, Baba aber nicht? Und Ardan? Ich weiß immer noch nichts über ihn. Es nervt mich, dass er mir nichts erzählt, aber so darf ich nicht denken.

"Cana, iss doch." Ich schaue träge vom Teller zu Mama hoch, die mich besorgt ansieht. Werden wir reden? Ich will wenigstens diese Last loswerden. Ich nehme ein wenig Omelette an mich, esse überwiegend Oliven und ein bisschen von der Tomatenpfanne, aber das alles eher gezwungen als aus eigenem Willen. Ich räume schon mal ab und gehe zurück auf mein Zimmer. Selbst Rocky und Tyson sind heute nicht energiegeladen. Ich will Waffelröllchen. Ich will etwas, das mich ablenkt, aber gleichzeitig will ich auch nichts machen. Morgen sehe ich auch noch Didem wieder, ich könnte ausrasten! Verdammt, erst jetzt fällt mir wieder ein, was sie weiß und was sie tun könnte. Das setzt mir umso mehr zu, verdammt! Ich muss nur noch zwei Wochen durchhalten, dann habe ich Ferien. Eine Sache muss jedoch wenigstens noch vor den Ferien erledigt werden, einfach um eine Motivation zu haben, das Ganze nicht so schlimm anzusehen. Als ich mich vom Bett hebe, bin ich nicht wirklich mutig genug, zu Mama zu gehen, aber es muss sein. Ich laufe die Treppen hinunter, stelle mir im Kopf einen passenden Satz zurecht, nur um dann zu sehen, wie Mama und Aiman das Haus verlassen. Ich weiß nicht, was der ausschlaggebende Grund für meine sinkenden Schultern ist. "Dann später", murmele ich etwas enttäuscht. Das kam mir gerade so komisch vor. Als ob sie mich ignoriert hätte. Sonst sagt sie auch immer Bescheid, wenn sie aus dem Haus geht - auch wenn sie das sonntags sonst eigentlich nie tut. Das zieht meine Laune umso mehr nach unten, auch wenn ich positiv denken will. Ich muss positiv denken!

Auch wenn mein Herz mir das Gegenteil vermittelt.

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Auf Pinterest findest ihr auf meinem Profil (Link in der Bio) auf TheRealQuzelkurt Pins zu Cana und Ardan

- Helo

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