Kapitel 95

Lauv - Reforget

Wir haben schon bald Weihnachtsferien, wow. Ich muss zugeben, dass ich mich dieses Mal echt stark nach Ferien sehne, weil ich die letzten Wochen immer so müde aus dem Bett steige. Da kommen mir die Ferien echt gelegen. Didem hat sich bis jetzt zurückgehalten mit Ramzis Geheimnis und seitdem will ich so wenig mit Ardan in der Schule reden, wie möglich, was natürlich total falsch ist, aber ich fühle mich so schuldig, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Bis jetzt haben Ardan und ich mich nicht getraut, es ihm zu sagen, weil ich es nicht über das Herz bringen kann, ihn wahrscheinlich verletzt zu sehen - nicht noch einmal nach seinem Liebesgeständnis. Als wir mal gemeinsam mit den Hunden spazieren gegangen sind, ist mir immer Didems Gesicht vor meinem geistigen Auge aufgeblitzt und wie sie summt, dass sie Ramzis Geheimnis weitersagen wird. Ich wollte es dann immer ansprechen, aber bin dann immer wieder verstummt, als ich es ansetzen wollte. Ramzi war immer so glücklich, da konnte ich nicht anders. Ardan hat eine Zeit lang überlegt, Ramzi von seiner Herzkrankheit zu erzählen, doch er zögert immer noch. Ich zwinge ihn da nicht. Es reicht schon, dass ich ihn eingeengt habe, als ich endlich die Wahrheit wissen wollte. Er hat mir tatsächlich die rote Lederjacke gekauft. Yasmin war natürlich ganz aus dem Häuschen und hat wie eine Verrückte gegrinst, als ich ihr das Foto geschickt habe. Sie meinte, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er mir Unterwäsche und Fesseln kauft. Bei seinen gewissen Neigungen kann ich mir die Fesseln auch gut vorstellen.

Heute hat Ardan eine Untersuchung vor sich, die weiteres über seine Gesundheit aussagt. Davor durfte er nicht im Sportunterricht mitmachen, aber das wird ihm nicht zum Verhängnis, da seine Sportlehrerin so gut wie immer fehlt. Ich bin dann immer mit meinem Sportlehrer die Sachen holen gegangen, damit ich immer an ihm vorbeilaufen kann - unter anderem, um ihn in seiner schnuckeligen grauen Jogginghose begaffen zu können. Ich bin jetzt etwas wissender, was seine Krankheit angeht, aber noch nicht ganz. Mama war immer so erschöpft nach der Arbeit, da wollte ich sie nicht zu lange aufhalten, aber heute müsste es gehen. Heute hat sie nur eine OP und dann kann sie nach Hause. Ich stehe vor meinen Spiegel, trage schon das dritte Mal in dieser Woche die karminrote Lederjacke, die er mir mit Freude übergeben hat. Ich wollte die Jacke nicht annehmen, aber er meinte, dass er den Kassenbon weggeschmissen hat und es ihn sehr freuen würde, wenn ich sein Geschenk annehme. Wenn er mich so sanft anlächelt und seine schönen grünen Augen dann auch noch so schön funkeln, dann fällt es mir echt schwer, hartnäckig zu werden. Mama musste ich anlügen und sagen, dass ich sie mir gekauft habe, als ich mit Yasmin, Dilan und Amal shoppen gegangen bin. Da heute der Lohn auf dem Konto ist und Baba ihr gesagt hat, dass sie nicht zu viel ausgeben soll, gibt Mama heute viel Geld aus. Manchmal stelle ich mir Ardan und mich an der Stelle meiner Eltern vor. Dann bin ich immer so glücklich und schicke Ardan ein Foto meines grinsenden Gesichts. Die Tage schreibt er ziemlich schmutzige Dinge, deshalb bin ich guter Dinge, was unsere Techtelmechtel angeht. Wie lange wir es nicht mehr getan haben. Oh Gott, ich höre mich so an, als ob unser erstes Mal ein Jahr her ist.

Tatsache ist, dass unser erstes Mal im Juli war und wir schon am Ende des Jahres angekommen sind. Wie schnell die Zeit doch vergeht, wow. Es ist schon bald ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr sind wir zusammen. Wow, das realisiere ich erst jetzt? Erst konnte ich nicht realisieren, dass wir ein Paar sind, dann konnte ich nicht realisieren, dass wir unser erstes Mal hatten, daraufhin konnte ich seine Herzkrankheit nicht realisieren und jetzt, dass wir schon fast ein halbes Jahr zusammen sind. Was noch alles kommen wird, was ich nicht sofort realisieren werde oder kann? Hoffentlich nichts Schlimmes, das würde ich nicht ertragen. Mama meinte, dass es meinem Herzen aktuell gut geht und ich mir deshalb keine Sorgen machen muss. Das hat mich und vor allem Ardan sehr beruhigt. Er wirkte so glücklich, als ich ihm davon erzählte. Ich bin mir sicher, dass er sich im Inneren nach genau demselben sehnt und ich bete immer noch, dass es ihm besser geht. Ich wünsche ihm nichts Sehnlicheres als das. Er war doch so glücklich und aufgeregt an seinem Geburtstag, bevor er zerstört wurde. Wenn ich wieder daran denke, dann steigen mir die Tränen auf. Aber es geht ihm jetzt besser. Es wird schon wieder. Ardan steht oben auf der Spenderliste. Ich bin guter Dinge. Das wird schon. "Nicht wahr?", nuschele ich zu Rocky, der gar keine Ahnung hat, sich aber liebend gern von mir kraulen lässt. Sein Fell glänzt seit der letzten Dusche und dem Schnitt so sehr. Er war so glücklich als Mama ihn gewaschen hat und ich ihm die Krallen geschnitten habe. Seitdem will er immer im Rampenlicht stehen und uns unter anderem sein frisch geschnittenes Fell zeigen. 

Nach einer Stunde wird die Tür aufgeschlossen. Rocky und Tyson laufen sofort in den Flur, wo ich Mamas Stimme höre. "Na, meine Süßen? Habt ihr Mama vermisst?" Sie tritt ins Wohnzimmer, wo sie mir einen Luftkuss gibt. "Hausaufgaben erledigt?" Ich bestätige es. "Gut, ich esse kurz was und dann können wir in die Stadt." Sie kommt mit Essen und Trinken zurück, woraufhin ich sie nach der OP frage. "Ein Tumor an der Schilddrüse. Ein ganz süßer Fratz. Wie steht's in der Schule? Hast du Stress?" Abgesehen davon, dass Didem von Ramzis Geheimnis Bescheid weiß, nein. "Nein, alles ist gut." "Keine Didem, die Stress macht?" Doch, aber das kann ich dir nicht erzählen. "Nein." Ich kratze mir den Handrücken. Ich will ihr Fragen stellen, aber ich fühle mich so unwohl dabei. Ich schäme mich, aber ich will es so gerne wissen. Vielleicht später - nein, jetzt! Kaum will ich die Frage ansetzen, wann ich einen Freund haben dürfte und ob es Ausnahmen gibt, da verstumme ich sofort. Ich weiß doch, dass ich an der Uni irgendwann Beziehungen eingehen darf. Das macht mich irgendwie wütend. Was soll denn daran so schlimm sein, jetzt eine Beziehung einzugehen? Ich will mir aber nicht den Tag mit Mama verderben, also lasse ich diese Frage weg. "Was kannst du mir zu KHK sagen?" Sie hebt kurz ihre Augenbrauen. "Das ist eine Erkrankung, bei der die Herzkranzgefäße Engstellen aufweisen, die durch Plaque entstehen. Also Fett- oder Kalkablagerungen." "Und dadurch wird das Herz nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt?" Sie summt bestätigend. "Und was noch?" "Es kann immer zu unterschiedlich starken Beschwerden kommen. Schweißausbrüche oder Übelkeit, Schmerzen hinter dem Brustbein, die sich bis zum Unterkiefer ausstrahlen können, Todesangst."

Ardans Stirn kommt mir in den Sinn, die von Schweiß bedeckt war, als er aus dem Zimmer geflüchtet ist. Er hatte dort eine Angina Pectoris und ich wusste es nicht. "Und wie kann man da helfen, außer mit einem gesunden Lebensstil?" "Man braucht viele Medikamente. Man kann auch Stents einsetzen, damit die Gefäße offen bleiben, aber die Medikamente braucht man immer." "Kann man nichts anderes da machen?", murmele ich. Je mehr ich davon höre, umso weniger optimistisch bleibe ich. Man kann Ardan doch helfen, oder? "Es ist möglich, körpereigene Arterien oder künstliches Gewebe zu benutzen, um die stenosierten Gefäße auszugleichen." "Hast du das schon mal gemacht?", frage ich. Sie nickt. "Nur ist die Operation mit starken Nebenwirkungen verbunden. Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, ist dann größer." Mir wird schlecht. Gibt es auch etwas Positiveres, was die Krankheit anbelangt? "Und diese ... Stents? Sind die sehr hilfreich?" "Sie halten die Gefäße zwar offen, verlängern jedoch nicht das Leben." Na toll! Diese Krankheit verdirbt mir alles. "Ich bin immer froh, wenn ein Patient mit KHK überlebt. Bei vielen waren die Gefäße so stark stenosiert, dass es schon zu spät war." Ich schaue von Mama weg und beobachte die Hunde, damit sie meine glasigen Augen nicht sieht. Wieso überleben so wenige? "Wieso fragst du eigentlich?" Ich muss mich zusammenreißen. Später kann ich weinen. "Ich überlege, meine Facharbeit in Bio zu machen. Deshalb." Nach meiner Lüge rufe ich Tyson zu mir, um ihn zu umarmen. Ist Ardan in der Herz-Klinik gut aufgehoben? Ich hoffe so sehr!

Während Mama zu Ende isst und sich dann frisch macht, schreibe ich Ardan und informiere mich über seinen Gesundheitsstand. Die Informationen haben mich echt verschreckt, aber ich darf nicht vergessen, dass Ardan ein Spenderherz kriegen kann. Er steht doch oben auf der Liste und hat das Schlimmste hinter sich ... hoffentlich. Ich will ihn jetzt sehen, aber ich muss mit Mama in die Stadt. Verdammt, ich hätte auch später fragen können. Das Ganze verunsichert mich total. Ich will am liebsten zu ihm ziehen, damit ich jede einzelne Sekunde bei ihm sein kann. Wie geht es ihm wirklich? Verheimlicht er mir noch mehr? Ich will mir nicht den Kopf zerbrechen, auch wenn ich schlechter gelaunt bin. "Komm, zieh dir die Jacke an." Ich tue, was Mama mir sagt und steige dann in meine Stiefel. Will es auch mal irgendwann hier in Hamburg schneien? Schnee ist mir tausendmal lieber als Regen. Als wir ins Auto steigen, erinnere ich mich wieder daran, mit Baba etwas herumzufahren, um meinen Fahrstil zu verbessern. Er findet, dass ich zu wild fahre und glaubt, dass ich es von Mama geerbt habe. Dabei würde ich mich niemals mit Mama in diesem Punkt vergleichen, denn sie kann wie eine Geisterfahrerin fahren. Ich zupfe gedankentrunken an Ardans Lederarmband herum. "Willst du dir auch etwas kaufen?" "Mal gucken", murmele ich, als ich mich ins Auto setze. "Was ist los?" "Nichts." "Du guckst so betrübt. Sag deiner Mama, was los ist." Ich kann nicht, so gerne ich auch möchte. "Bist du schwanger?" Was? Ich schaue entgeistert zu ihr hoch. "Mama!", murre ich. Sie prustet nur und kneift mir in die Wange.

"Ich musste dich doch irgendwie wach kriegen. Jetzt frage ich mich aber, wieso du ausgerechnet bei dieser Frage wach wirst", murmelt sie am Ende forschend. Ich schaue errötend aus dem Fenster. Oh Gott, jetzt habe ich das Bedürfnis, einen Schwangerschaftstest zu machen. "Verheimlichst du mir was, junge Dame?", schmunzelt sie. Mehr als du denkst. "Bring mich nicht in Verlegenheit", murmele ich. Sie lacht nur. Mama weiß auch überhaupt nicht, was alles passiert ist. Sie weiß auch nicht, dass Adam von Ardan und mir Bescheid weiß. Sie würde niemals darauf kommen, dass sich ihre einzige Tochter hat entjungfern lassen und das von jemanden, der in derselben Siedlung lebt. Wieso mache ich mir solche Schuldgefühle? Das sind wahrscheinlich alles Gedanken, die ich eine Zeit lang weggesperrt habe. Wieso kann ich sie nicht länger wegsperren? Die Autofahrt kommt mir so lang vor, aber das kommt mir zugute. Ich will jetzt sowieso nicht aus dem Auto steigen. Wie wäre mein Leben, wenn Mama wüsste, dass ich eine Beziehung hätte? Ich wünschte, es wäre einfacher, aber ich bin mir sicher, dass es schlimm für mich ausgehen würde. Es wäre aber so schön, wenn es eben nicht so wäre. Mama kennt doch Ardans Mutter. Sie können sich sogar treffen. Was soll da denn schiefgehen? Von mir aus können wir uns versprochen werden, damit es schon mal sicher ist, dass Ardan und ich eine gemeinsame Zukunft haben werden. Was ist denn daran so schlimm?

"Weißt du, was ich cool fände? Ein Frauen-Urlaub." Kaum schlägt Mama das vor, fängt sie lauthals an zu lachen. "Was ist?", frage ich. Nach einem Schmunzeln ist mir nicht. "Ich muss an deinen Vater denken. Ob es dann wirklich noch ein Frauen-Urlaub wäre, wenn dein Vater in Kleid und Perücke zwischen deinen Omas sitzen würde?" Bei der Vorstellung muss ich aber schmunzeln. "Aber ein Frauen-Urlaub wäre wirklich cool." "Hach, ja. Ob es jemals was wird, steht auch in den Sternen geschrieben. Willst du mir jetzt erzählen, was du hast?" Ich seufze. "Wieso darf ich jetzt keine Beziehung haben?" Wow, wie kommt es jetzt dazu, dass ich mich traue, es zu fragen? Ausgerechnet jetzt kommt das Auto zum Stehen. Durch Mamas Augenbrauen, die sich zusammenziehen, zieht sich mein Magen zusammen. Ich glaube, das war keine so gute Idee. "Willst du mir vielleicht irgendetwas beichten?", fragt sie etwas trocken. Ich schlucke, mein Herz schlägt plötzlich ganz schnell. "Nein, ich will es nur wissen." Vor Nervosität zittere ich schon. Verdammt, wieso habe ich diese Frage gestellt? Ich schnalle mich ab, was sie mir nachtut und schon fast zeitgleich mit mir aussteigt. Ich meide den Blickkontakt, obwohl genau das die Sache auffälliger machen könnte. Meine Angst ist aber viel zu groß. "Wieso willst du dir den Kopf über etwas zerbrechen, was dich sowieso nicht betrifft?" Dieses Lügen gibt mir so wenig Möglichkeiten, dass ich schon aggressiv werde! Aber was habe ich erwartet? Es ist meine eigene Schuld. "Es sind einfach nur Fragen aus reinem Interesse. Es kann ja sein, dass sich deine Meinung ja irgendwann dazu ändert", gebe ich dann gedämpft von mir. Auszurasten wäre jetzt nicht angemessen, um an die Sache weiter heranzugehen.

"Bis jetzt noch nicht." Dass Mama ihren Arm um mich legt, lässt mich etwas beruhigter atmen. "Würdest du mich verstoßen, wenn ich jetzt einen Freund hätte?" Sie prustet. Ich find das Ganze nicht so lustig, aber sie weiß auch nicht, was los ist. "Nein, Cana. Was hast du da für Gedanken?" Ich kriege einen tadelnden Klaps gegen die Schläfe. Wenn sie jetzt so entspannt reagiert, dann könnte ich vielleicht doch mehr herausfinden. "Aber wie würdest du reagieren, wenn ich eine Beziehung hätte oder verliebt wäre?" Wieso kann ich mir diese Fragen nicht verkneifen? "Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht und jetzt genug davon. Am Ende steigerst du dich wieder zu sehr in die Sache hinein und dann tut dein Herz weh und wenn dein Herzchen wehtut, dann muss Mama dich ins Krankenhaus schleppen und Tests durchführen." Ich sollte wirklich still sein, bevor ich mich ins Verhängnis reite. "Unterwäsche ist sowieso besser, als sich über sowas den Kopf zu zerbrechen. Los, ab mir dir." Mama haut mir auf den Po und drückt mich Richtung H&M, wo sie sofort auf die Unterwäscheabteilung losstürmt. Ich schaue mir lieber die neuste Kollektion an. Rot ist wohl wieder sehr angesagt. Es ist einer meiner liebsten Farben - neben Grün. So ein roter Rollkragenpullover wäre doch was. Ich könnte ihn ja mal anprobieren und was ist mit diesem Lederrock? Ich mag Röcke, aber bin etwas zu schüchtern, um ihn in der Schule zu tragen. Vielleicht ändert sich das ja noch. Sollte der Rock S oder M sein? Ach, ich nehme lieber M bei meinem Po. Vielleicht finde ich ja doch noch was. Und tatsächlich finde ich so einige Sachen.

Mama ist auch fündig geworden und neckt mich jetzt die ganze Zeit in der Unterwäscheabteilung. "Der ist süß. Rote Unterwäsche ist immer gut." "Aber ich habe doch zwei Paare." "Jetzt hast du drei. Deine Brüste wirken sogar ein wenig größer." Wirklich? Ich schaue verlegen auf meine Brüste, meine Wangen erhitzen und ich trage ein Lächeln auf meinen Lippen. Mich freut dieser Satz wirklich. Oh Mann, sind sie wirklich größer geworden? Mama grinst mich schon dreckig an. Ich kann nicht anders, als vor Freude Geräusche abzulassen. Jetzt will ich Unterwäsche. "Wenn du deine süßen BHs gekauft hast, gehen wir nach oben und kaufen für deine Brüder süße Unterwäsche. Mein kleiner Amir braucht bestimmt neue Höschen", nuschelt sie am Ende kindlich und kichert danach. Ich weiß gar nicht, welche oder welchen ich mir nehmen soll. Ich habe noch keinen in einem dunklen Lila und der sieht ganz schön aus. Ich nehme den einfach. In der Männerabteilung geht das Ganze etwas schneller, sodass wir mit zwei Tüten weiterlaufen können. "Ich habe gar nicht gesehen, dass du einen Rock geholt hast. Dann müssen wir auch nach Strumpfhosen gucken, denn ich lasse dich in dieser Kälte ganz sicher nicht mit nackigen Beinchen raus. Ich wusste gar nicht, dass du der Röcke-Typ bist." Das wusste ich auch nicht, bis ich mich in Ardan verliebt habe. Als Antwort zucke ich lediglich mit meinen Schultern. "Sowas passiert mal. Früher wollte ich ja auch immer Strähnchen haben." "Oh ja, als Kind hatte ich auch immer welche. Ich habe mich immer so cool gefühlt." Ganz selbstbewusst, wie Mama nun mal ist, schmeißt sie ihre Haare über ihre Schultern nach hinten.

"Ich habe das Gefühl, dass Aiman sich zu viel Druck macht", seufzt Mama irgendwann. "Wie kommst du darauf?" "Er ist so verspannt. So kenne ich meinen Sohn nur, wenn er nervös und gestresst ist. Zu mir sagt er, dass es nur Schulstress ist, aber das macht mir schon zu große Sorgen. Fällt dir in der Schule etwas auf?" Ich verneine es. "Oft sehe ich ihn und Adam gar nicht in den Pausen und Adam hat mir auch nichts erzählt." "Ich sorge mich schon seit Tagen um ihn." So geht es mir immer mit Ardan. Aber bei Aiman ist mir nichts aufgefallen. Das liegt vielleicht auch daran, dass er mir immer so verspannt vorkommt und ich es einfach als eine Eigenschaft aufgenommen habe. Adam hat mir ebenfalls nichts erzählt, also kann ich nicht viel dazu sagen. Und mir würde er es sicherlich nicht erzählen. Hoffentlich geht es ihm bald besser. "Bei Adam und Amir ist es zum Glück nicht so. Du bist manchmal auch so und das gefällt mir nicht." Dieses Thema will ich nicht vertiefen. Ich kam gerade so noch davon. "Mir geht es gut." "Sicher, dass du nicht verliebt bist und mir aus Unsicherheit die Fragen im Auto gestellt hast?", fragt sie vorsichtig. Ich lasse mir nichts anmerken. Das wäre ein Fehler. Als wäre es ein Automatismus, schüttele ich meinen Kopf. "Ich find es einfach nur ... Kacke?" Mann, ich muss den Mund halten! Sie summt nur. Puh, ich dachte, jetzt kommt etwas zurück. "Und wieso genau?" "Falls ich mich mal verliebe ... dann ... dann weiß ich, dass du es niemals akzeptieren würdest." "Tue ich, aber erst, wenn du und dein Umfeld reifer seid."

"Und wenn ich jetzt schon reif genug bin?" Sie gluckst. "Kinder, die sieben sind, denken auch, dass sie zwei Six-Packs an Getränken heben können, weil sie so groß sind." Ouh, ich halte inne. Mich stört die Aussage. Ich bin reif, das ist was anderes. "Man kann auch schnell reif werden." "Kann es der Partner auch?" Ardan ist reif! "Das wird man wohl merken." "Bist du dir da auch sicher?" Sie schmunzelt so spöttisch ... ich mag das nicht! "Wieso sollte ich mir nicht sicher sein?", frage ich etwas patzig. "Wie viele sind sich sicher, dass es hält, was am Ende jedoch nicht so ist?" "Es gibt genauso viele, bei denen es hält!" In mir steigt Wut auf, weshalb ich etwas schneller laufe. So komme ich schneller aus diesem Center. Mich macht die Diskussion wütend! "Selbstverständlich gibt es die." "Wieso redest du dann alles schlecht?" Wo ist das Scheißauto? "Tue ich nicht, junge Dame. Ich habe dir doch gerade eben zugestimmt." "Du bist gegen Beziehungen im jungen Alter." "Bin ich." "Was soll das eigentlich?", herrsche ich sie schon fast an. Mein Ton schockiert und beide. Bei ihr sehe ich noch leichte Belustigung. Das ist eine spöttische Belustigung. Ich bewege mich auf dünnem Eis, aber ich kann mich nicht bremsen, so sehr ich gerade auch erröte. "Was soll was? Dass sich meine Kinder nicht auf zeitverschwenderische Kinderbeziehungen einlassen sollen? Was ist los? Bist du etwa in einer Beziehung?" Scheiße, ja! Ich bin in einer Beziehung! "Ich muss in keiner Beziehung sein, um für dieses Recht zu stehen!", herrsche ich sie schon wieder an, bevor ich die Heckklappe aufreiße, um die Tüten in den Kofferraum zu schmeißen.

Mann, mich macht das Ganze so verdammt wütend! Mama scheint sich nichts anmerken zu lassen, als sie sich ins Auto setzt. Sie betrifft es auch nicht. "Ich dachte, die Phase, in der ihr Teenager zickig und unausstehlich seid, ist vorbei." Du bist gerade genauso unausstehlich! "Du kannst nicht erwarten, dass ich nicht meine Meinung sage." "Habe ich nicht behauptet, aber eine andere Meinung kann ziemlich nervig sein oder liebst du es, einem patriarchalischen Mann zuzuhören, dass Frauen nicht arbeiten und nur Kinder kriegen sollen?" Verdammt, sie und ihre Bespiele! Ich schaue bockig aus dem Fenster. "Schnallst du dich wenigstens an?" Ich verdrehe meine Augen, bevor ich es tue. Sie lacht spöttisch auf. "Ist der Gurt auch gegen dich?" "Voll nicht lustig", murre ich. "Cana, du kannst auch direkt mit offenen Karten spielen." "Tue ich! Ich will nicht, dass du mir alles vorschreibst!" Ich weiß nicht, was mein Problem plötzlich ist. Sonst kam ich auch immer damit klar. "Tue ich nicht. Ich schreibe dir nicht vor, Medizin zu studieren. Ich schreibe dir nicht vor, dich so anzuziehen, wie du gerade angezogen bist. Ich schreibe dir ebenfalls nicht vor, was du heute essen darfst. Da hast du die Wahl und ich ändere gegebenenfalls etwas." "Guck, du tust es!" "Hör doch erstmal richtig hin", gibt sie jetzt etwas harsch von sich, als sie losfährt. "Ich bin zum Korrigieren da. Wenn du etwas essen willst und da Erdnüsse drin sind, dann lasse ich nicht zu, dass du es isst, damit du nicht in Gefahr schwebst." "Und wie schützt es mich dann bei einer Beziehung? Keine Vergewaltigung oder was?" Sie lacht. "Überspitzt, aber ja."

"Das ist lächerlich." Mama interessiert das wenig. Sie zuckt nur mit ihren Schultern. "Rate mal, was hinter Überspitzungen für eine Intention stecken könnte." "Du willst dich also lächerlich über mich machen?", blaffe ich. Ich werde immer wütender. Was soll der ganze Scheiß?! "Ja, das will ich." Wenigstens kommt der Rückweg nicht so lang vor, damit ich mir das nicht mehr so lange geben muss. "Aber mich wundert es, dass du plötzlich so ausrastest. Sicher, dass du mir nichts verheimlichst?" Mir ist schon warm und dass sie mir die Frage stellt, macht es nicht besser. "Ich habe es doch schon gesagt." "Wieso wirst du keine Aktivistin?" Ich stoße mich von meinem Sitz ab, weil sie mich so provoziert. "Hör auf, mich lächerlich zu machen!" "Schrei nicht", befiehlt Mama leicht bissig. Ich lasse mich wieder in meinen Sitz fallen, immer genervter von der Situation, immer mehr am Zittern vor Wut. "Die Diskussion ist hiermit beendet. Ich will nichts mehr dazu hören." Schön!, denke ich mir innerlich. Jetzt halten wir auch noch vor dem Supermarkt an. Ich will nach Hause! Ich schiele zu Mama, die ihren kühlen Blick aufgesetzt hat. Woran denkt sie jetzt? Darf ich die Tage nicht mehr raus? Ich würde sowieso nicht rausgehen, sondern die Mädels zu mir einladen, weil sie sonst Verdacht schöpfen könnte. Ich tue Waffelröllchen in den Einkaufswagen und schaue mir weitere Angebote an. Der Einkauf vergeht stumm, total stumm. Das habe ich noch nie erlebt, aber wann habe ich mich jemals so mit Mama in die Haare gekriegt?

Als wir wieder im Auto sitzen, muss Mama jemandem schreiben. Ich scrolle einfach nur durch die Nachrichten und packe es dann weg, als ich im Blickwinkel sehe, wie sie es tut. "Wenn du etwas mit wem am Laufen hast, dann beende es schnell lieber, bevor es zu wirklichen Eskalationen kommt." Sie bringt mich wirklich zum Ausrasten! "Wer will es mir verbieten?", frage ich zum Glück leiser. In Gedanken wollte ich schon brüllen. Ausgerechnet jetzt antwortet sie mir nicht? "Wer soll ausrasten? Adam? Amir?" Mich provoziert es ungemein, dass sie mir nicht antwortet. Ich will einfach nur in meinem Bett liegen. "Also ist da doch jemand", summt sie. "Da ist niemand, mein Gott!" Zum Glück fahren wir in die Siedlung. Ich habe keinen Bock mehr! "Du provozierst einfach nur total und das regt mich auf! Was ist daran nicht zu verstehen? Willst du mir verbieten, mich zu verlieben?" Ich schreibe Adam, dass er das Tor öffnen soll, damit ich nicht noch länger mit ihr in diesem Auto feststecke. "Das habe ich doch gar nicht behauptet, aber erzähl mir ruhig mehr über dich." Ich halte schon wieder inne. Ich werde so wütend. Ich werde total wütend, weil sie ganz genau weiß, welche Knöpfe sie nur einmal antippen muss, um jemanden zum Ausrasten zu bringen. Ich bin wütend, weil ich so eingeschränkt reden kann. Meine Hände haben sich schon unbewusst geballt. Am liebsten wäre ich ganz woanders, damit ich mich nicht mit diesem Scheiß hier beschäftigen muss, auch wenn ich das Ganze angezettelt habe. Ich will Verständnis für meine Liebe und keine hohlen Antworten.

Mama fährt durch das Tor, wo Adam schon steht und zum Glück auch die Tüten ins Haus trägt, bevor Mama weiterfährt. So bleibt mir das Schleppen und Zeit erspart. Wann hatte ich das letzte Mal so eine Abneigung gegen Mama? Vorhin war das gar nicht so. Sind das alles meine Gefühle, die sich aufgestaut haben? Bebt mein Oberkörper deshalb? Wippen meine Beine aus diesem Grund? Ich will den Frust ablassen, aber hier kann ich das nicht. Ich steige einfach jetzt aus. Mir doch egal, ob sie noch ein Ticken fährt. "Du steigst erst aus dem Wagen, wenn er steht." Wieso weiß sie alles? Ich schnalle mich trotzdem ab. "Ich will zu Yasmin", beschließe ich spontan, auch wenn ich vielleicht zu Ardan gehe. "Nein." Bitte?! Ich funkele sie finster und entgeistert an. "Du brauchst gar nicht so zu schauen." "Was soll ich zu Hause?" "Was du hier sonst auch tust: leben." Nach ihrem provokanten Satz, schnallt sie sich ab und steigt aus. "Ich will zu meiner Freundin!" "Man kann nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen lassen." Ich laufe ihr wütend hinterher. Mir reicht der ganze Scheiß. "Willst du mir nicht direkt alles verbieten?" "Cana, es reicht jetzt!", gibt sie ruhig, aber mit Druck in der Stimme von mir, als sie sich zu mir umdreht. Ihre Augen warnen mich, aber das interessiert mich überhaupt nicht. Sie dreht sich wieder um. "Ich hab keinen Bock mehr! Das bringt dir überhaupt nichts, mir so etwas vorzuschreiben! Aiman ist bestimmt wegen dir so depressiv!"

Mama dreht sich augenblicklich um und nicht nur ihr Oberkörper bewegt sich mit Schwung, sondern auch ihre Hand - gegen meine Wange.

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