Kapitel 80

JP Cooper - September Song

Mein Wecker klingelt um 07:50 Uhr. Mama und Baba sind schon längst aus dem Haus. Da ich mich nicht umziehen werde, bleibe ich einfach in meinem Pyjama, mache mich im Bad frisch und verlasse in Stiefeln und Jacke das Haus. Ich freue mich auf unser Treffen, auch wenn wir nur liegen und schweigen würden. Es wäre mir recht. Ich laufe extra schnell, ignoriere meine Seitenstiche so gut es geht und klingele voller Elan bei ihm. Er braucht ein wenig, aber dann erblicke ich sein müdes Gesicht und schmeiße mich voller Wucht in seine Arme, bevor ich mir irgendwie die Stiefel abstreife. Mein Herz schlägt vor Freude so schnell. "Guten Morgen, Mopsi", schmunzelt er. "Morgen. Ich habe dich schrecklich vermisst." Ich will ihn gar nicht mehr loslassen und drücke mich noch fester an seinen nackten Oberkörper. "Mopsi", ächzt er. "Noch nicht", schmolle ich. Ich werde gerade sehr emotional. Ich habe ihn von Mitte August bis jetzt nicht ordentlich sehen können. Da darf ich so reagieren. Ardan schließt eingeschränkt die Tür und watschelt mit meinen Armen fest um ihn geschlungen in die Küche. "Du hast nicht gefrühstückt, oder?" Ich verneine es. "Ich würde dich am liebsten essen", murmele ich. Sein leises Lachen entspannt mich und ruft mir noch mehr Tränen in die Augen. Und er riecht so schön und er ist so schön und er ist so unfassbar süß. "Meine kleine Kannibalin. Komm, lass mich dir die Jacke ausziehen und dann kannst du dich zum Tisch umdrehen und essen." Mit leichtem Widerstand löse ich mich von ihm, lasse mir die Jacke abnehmen und schaue mir das kleine, feine Frühstück an.

"Magst du dich setzen oder analysierst du noch?" "Essen", murmele ich. Mein Unterleib schmerzt, ich brauche eine Wärmeflasche. Ich will gerade meine Bitte ansetzen, als mir Ardan genau das hinhält, was ich benötige. "Dankeschön." Woher wusste er das bloß? Okay, ich habe gestern gesagt, dass ich meine Tage habe, aber trotzdem hätte ich nicht damit gerechnet. "Das ist das, was ich dir gestern erzählen wollte, du es aber nicht wissen wolltest. Ein schöner, entspannter Tag." Ouh. Ich sollte nicht so zweideutig denken. Ardan lässt sich mit einem kleinen Schmunzeln neben mir nieder. Oh, da sind wieder diese Blätterteigrollen, die wir am See gegessen haben. Die schnappe ich mir sofort. "Tee, Mopsi?" Ich nicke. Heute wird es entspannt zugehen, das spüre ich. "Gibt es etwas Neues, was deine Gesundheit angeht?" "Nein, bis jetzt ist alles gut. Und bei dir?" Das wollte ich ihm noch erzählen. "Ich habe die Herzuntersuchungen immer verschoben." Ardans Gesichtszüge verfinstern sich, noch bevor ich weiterreden kann. "Wieso tust du das?" Seine Stimme ist zu laut für das ruhige Haus und zu wütend. Ich will keinen Stress, kein Stress an einem Samstagmorgen. "Cana, du gefährdest deine Gesundheit! Willst du so enden wie ich?" Meine Brust zieht sich bei seinem erbosten Ton zusammen. Wieso muss er jetzt schreien? "N-nein", flüstere ich. Das wollte ich mit meiner anfänglichen Aussage gar nicht erreichen. Ich wollte ihn nicht böse machen. Ardan bemerkt meine glasigen Augen. Seine Züge werden augenblicklich weich. "Ich gehe doch zu den Untersuchungen, aber ich konnte nicht gehen." Der Druck setzt sich auf meinen Nacken und diesmal sogar ein wenig auf meine Wangen. "Und wieso nicht?", fragt er sanft. Um mich abzulenken, knabbere ich am Blätterteig herum. "Wegen den Kratzern auf meiner Brust, nachdem du mich befriedigt hast", flüstere ich.

Ardan zieht mich in seine Arme. "Tut mir leid, Mopsi. Ich muss aufhören, dich anzuschreien." Auf jeden Fall! Bekräftigend nicke ich. "Ich bin nur besorgt, da kann ich mich nicht kontrollieren. Das Letzte, was ich will, ist, dass dir etwas zustößt." Ich verstehe ihn schon. Er hat ja selber mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Manchmal erleidet er Zusammenbrüche und er muss ins Krankenhaus. "Komm, iss." Er legt mir Gurken und Tomaten auf den Teller und schiebt den Schafskäse zu mir. "Schrei mich nie wieder an." "Ich werde mich zügeln, versprochen. Heute soll ein schöner Tag werden." Sein Arm verlässt meine Taille nicht. Ich will seine Nähe sowieso nicht mehr missen wollen. "Wie läuft es im Mathe-LK?" "Sehr gut und in Bio?" "Auch", murmele ich. Ob er mir erzählen würde, wenn Didem ihn anspricht? Ich will es wissen. "Hat Didem dich mal angesprochen? Sie ist ja auch in deinem LK." "Nein, bis jetzt nicht. Sie starrt nur komisch." Ich summe. Wieso starrt sie meinen Freund an? "Und dieser Kaya? Der ist doch in deinem Deutsch-LK." "Der taugt zu nichts. Er und ich sind nun auch stellvertretende Schülersprecher." "Gratulation, Mopsi. Ich bin stolz auf dich." Sein Kuss auf meine Wange kurbelt meine Laune an. "Was wünschst du dir zum Geburtstag?" "Nichts." Er senkt seinen Blick auf die Gurken. "Sicher?" "Mhm." Ich mustere seine Mimik. Da stimmt irgendetwas nicht. "Sicher? Du kannst es mir sagen." "Alles gut, Mopsi. Da kannst du nichts machen." Bei seinem ausgerutschten Satz weiß ich echt nicht, wie ich reagieren soll.

Was will er mir damit sagen? Was kann ich ihm nicht geben? "Was ist es?" "Cana, ich möchte uns nur ungerne den Tag versauen." Er hat Cana statt Mopsi angewendet, es wird also ernst. Dann lasse ich es für heute sein - unserem Tag zuliebe. Aber was ist es nur? Während ich mir ein Brötchen aufschneide, überlege ich und stelle gedanklich Schlüsselwörter zusammen, aber trotzdem finde ich keine Lösung. "Hilfst du mir wenigstens in Mathe? Ich schreibe am Dienstag die Klausur und kann das Gauß-Verfahren überhaupt nicht." "Selbstverständlich, aber wieso hast du mir denn nicht früher Bescheid gegeben?" "Wir hatten doch nie Zeit zusammen und wenn wir uns mit unseren Freunden getroffen haben, konnte ich ja schwer lernen. Am Montag, wenn's geht." "Dann am Montag, das schaffen wir. Ich bringe es dir bei. Gib mir heute deine Themen und ich bereite es für dich vor." Wenigstens können wir uns am Montag wiedersehen. Das freut mich ungemein. "Den Oktober nutzen wir dann, um all die versäumte Zeit nachzuholen, die durch die Schule verloren gegangen sind. Aber jetzt hörst du auf, auf den Tisch zu starren und isst gefälligst dein Brötchen." Langsam nicke ich. Mich beschäftigen mehrere Gedanken. Was tut Ardan, wenn er alleine ist? Steht er manchmal weinend auf? Was hatte es mit dem Weinen in der einen Nacht auf sich? Mein Appetit vergeht langsam. Als Ardan zu Ende isst, räumen wir schweigsam auf und legen uns in seinem Bett hin. Seine warme Haut lässt den Druck, der auf meinem Nacken und auch auf meiner Stirn liegt, verschwinden.

"Du hast mir gar nicht die Bilder geschickt, die du am See gemacht hast." "Das tue ich jetzt." "Ich will sie aber jetzt sehen." Ardan entsperrt sein Handy und tippt für mich auf die Galerie. Ich scrolle so hoch wie möglich, bis mir die ganzen Fotos entgegenkommen. Davor sind noch die ganzen Bilder von der Hochzeit. Anscheinend hat er sie sich auch von seiner Mutter schicken lassen. Zwischen diesen beiden Momenten ist ein Video, auf das ich tippe. Es scheint so, als ob es von einem Monitor aufgenommen wurde. Ich spüre, dass Ardan innehält. Das ist doch die Aufnahme, bei der er meinte, dass er sie löschen wird. Das war dort, wo eine so intensive Stimmung in der Luft herrschte. Er hat mir die Schuhe zugebunden und dann meine Schenkel geküsst. Wieso hat er die Aufnahme? Mein Bauch zieht sich mulmig zusammen. Meine Kopfhaut prickelt. Ich schaue mit gemischten Gefühlen hoch zu Ardan. Das ist etwas verdammt Intimes und Vertrauliches. "Wieso?" "Das ... das ist nur für mich." "Hast du die Aufnahme nicht gelöscht?" "Doch, habe ich." "Wieso sagst du mir nicht, dass du das aufnimmst? Was ist, wenn das jemand sehen würde?" Mein Rücken prickelt unangenehm bei dem Gedanken, dass Ramzi das irgendwie sehen würde. "Das wird niemand sehen. Niemand nimmt mein Handy. Das ist einfach für mich ... es hat eine Wirkung auf mich." Ardan wirkt nervös. Er fühlt sich unwohl. "Lösch es einfach. Du hast recht, es könnte vielleicht jemand sehen. Tut mir leid." Er löscht es hektisch und entfernt es auch aus dem Zuletzt-Gelöscht-Ordner.

Ich weiß nicht so recht, wie ich mich deshalb fühlen soll. Ich hoffe so sehr, dass es niemand gesehen hat. "Cana, du musst mir glauben, dass ich es niemandem gezeigt habe. Ich würde das niemals tun. Heute geht auch alles schief", gibt er am Ende leicht verärgert von sich. Ich habe auch langsam das Gefühl, dass das Schicksal nicht will, dass wir heute einen entspannten Tag haben. "Ich kann teilweise verstehen, wenn du etwas skeptischer wirst, aber auf der anderen Seite bin ich auch verärgert, dass du es bist." Ich summe. Wäre ich er, würde ich auch so denken. Ich kann nichts antworten. Das war jetzt etwas, was mich überrollt hat. "Hast du Unterleibsschmerzen?", fragt er vorsichtig. "Die Wärmeflasche hilft mir." "Mama macht heute wieder die Nudeln. Ich sage ihr, dass sie extra viele Garnelen für dich zu den Nudeln hinzugeben soll." "Ich will keine Umstände bereiten. Garnelen sind teuer." "Für dich machen wir das gerne. Du hast uns Freude gegeben." Ardan atmet tief durch. Seine Augen werden glasig. "Hey, wieso tränen deine Augen?" "Ja, wieso wohl?" Er schmunzelt. "Ich würde am liebsten mit dir zusammenziehen und all das Drum und Dran haben. Du weißt nicht, wie gut es mir geht, seitdem wir Kontakt zueinander haben." Seufzend wischt er sich über seine Augen. Er strahlt nun. "Magst du Kartoffeln?" Seine Frage passt überhaupt nicht zur Situation. Ich muss lachen. "Ja, ich liebe Kartoffeln. Die würden sich gut zu den Nudeln machen. Kartoffeln machen alles einfach besser." "Dann bitte ich Mama darum, einige Kartoffeln anzubraten." "Nein-," Er hält mir sanft den Mund zu. "Du weißt, dass ich es sowieso tun werde." Seine Lippen fahren zärtlich über meine Wange und mein Ohr.

"Du trägst schöne Ohrstecker." Ich winde mich kichernd. Das sind die Ohrstecker, die er mir geschenkt hat. Ich trage heute die kleinen Blümchen und die goldenen, kleinen Ohrstecker. "Das sind meine liebsten Ohrstecker mit zwei anderen." Er summt interessiert. "Wer hat sie dir denn geholt?" "Mein Verehrer", schmunzele ich. "Und wie ist er so?" "Der Beste!" Ardan summt. "Hat er bestimmte Qualitäten?" "Sehr viele." "Irgendetwas Großes?" Ich will gerade ein Ja ansetzen, doch ich hebe nur spöttisch die Augenbraue. "Ich weiß nicht so recht." Ardans Hand wandert zu seiner Jogginghose. Ich haue ihn. "Aus!" "Ich zeige Ihnen nur meine Qualitäten, verehrte Dame." "Ich schneide Ihnen gleich Ihre Qualitäten ab!" "Mopsi ist ziemlich wild. Mal willst du mich im Schlaf ausziehen, mal befummelst du mich in der Öffentlichkeit, mal zeigst du Symptome einer Kannibalin und nun willst du mir auch mein bestes Stück abschneiden? Du hast ein engelsgleiches Gesicht, aber teuflische Gedanken." Engelsgleich. Er findet mein Gesicht engelsgleich. Verlegen senke ich den Blick. "Du wolltest doch schöne Worte hören." "Mach weiter." Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mein Grinsen zu dämpfen. "Du müsstest einmal im Sommer in einem weißen Kleid vor mir erscheinen, um mir dann wirklich meine Gedanken bestätigen zu lassen, dass du einem Engel würdig bist. Deine Augen leuchten meterweit, deine Lockenpracht kriegen andere nur durch Hitze hin und dieses hinreißende Lächeln und das kleine, ausgeprägte Grübchen rechts verschlagen mir den Atem." Ich muss mir unbedingt ein weißes Kleid kaufen.

Voller, mich glücklich machender Hormone rolle ich mich hin und her, zerdrücke Ardan und hüpfe herum. Mein Gesicht fühlt sich ganz heiß an. "Du machst mich mit den kleinsten Dingen so verdammt glücklich." "Glück entsteht auch meistens durch die kleinen Aufmerksamkeiten und ist das Einzige, dass sich verdoppelt, wenn man es teilt." Seine philosophische Ader kommt wieder zum Vorschein. "Und was ist, wenn man Leid mitteilt?" "Eine berechtigte Frage, Mopsi." Er streicht mir lächelnd meine Haare zurück. "Wenn es nach mir geht, dann empfinden wir eher Mitleid mit der Person, als mit ihr zu trauern. Freust du dich, dass du in Mathe eine gute Note geschrieben hast, würde ich mich ebenfalls mit dir freuen." "Also würdest du nicht mit mir trauern, wenn ich eine schlechte Note schreibe?" "Nein, aber ich würde dich Trösten. Es würde mir schwerfallen, mit dir zu trauern. Es betrifft mich ja nicht." "Und wenn ich sehr krank bin und im Sterben liege?" Seine Züge verhärten sich. "Ich will diesen Gedanken nie wieder hören. Haben wir uns verstanden?" Schluckend nicke ich. Das elektrisierende Gefühl macht sich im Brustkorb breit. Er wird unruhig. "Entschuldige mich kurz." Und schon flüchtet er aus dem Zimmer. Ich will ihm nachgehen, beschließe jedoch, hier auf ihn zu warten. Er ist ja nicht umsonst aus dem Zimmer gegangen - er will für einen Moment alleine sein. Das ist jetzt schon die dritte, negative Wende in nicht einmal zwei Stunden. In der Zwischenzeit rolle ich die Jalousien runter. Ich mag es, wenn es dunkel ist.

Ich bleibe geduldig in seinem Bett liegen, bis er zurückkommt. Er wirkt gefasster und lässt sich auch umarmen. Seine Haut ist so angenehm, so warm, weich und gutduftend. "Das wahre Glück ist: Gutes zu tun? Ich weiß nicht, ob das Zitat wirklich passt, aber du tust viel Gutes." Damit rufe ich automatisch die Situation in den Sinn, als wir noch nicht wussten, was da zwischen uns ist. Er hat mir dieses Zitat von Sokrates geschrieben, woraufhin wir über unsere Distanzierung geschrieben haben. Das war ein Tag, bevor ich mit meiner Familie nach Dubai geflogen bin. Ardan lächelt gegen meinen Hals. "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben. Ich mag dieses Zitat, Hermann Hesse hat da etwas Gutes hergeleitet. Du bist dieser Zauber." Das macht mich stolz. Er legt uns aufs Bett. Sein Haarschopf ruht auf meiner Brust. "Magst du es auch, Herzschlägen zu lauschen?" Er brummt. "Was genau magst du daran?", möchte er wissen. "Ich weiß es nicht. Das sanfte Schlagen beruhigt mich. Ich fühle mich immer so verbunden, wenn ihn höre. Deshalb berühre ich dich gerne dort oder lege meinen Kopf dort ab. Dein Herz ist mein liebster Ort." Von ihm kommt nichts, aber das liegt gut möglich daran, dass ich seine Kopfhaut kraule und massiere. "Es gibt Leute, die sagen, dass das Materielle nicht glücklich macht, aber ich finde diese Aussage überspitzt. Denn schließlich kaufen sie doch auch ihren Freunden oder ihrer Familie Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten, um ihnen eine Freude zu machen." Ich summe. Dass seine philosophische Phase fortgesetzt wird, freut mich.

"Natürlich kann Materielles glücklich machen. Kinder freuen sich über Spielzeug, Personen freuen sich allgemein, wenn man ihnen etwas ohne Grund schenkt, als kleine Aufmerksamkeit. Würden wir glücklich sein, wenn wir kein Dach über den Kopf hätten? Und was ist mit den kranken Leuten? Ein Mann, der sein Bein verloren hat, kann durch eine Prothese wieder glücklich werden. Und was ist mit denen, die ein Spenderorgan brauchen? Durch Luft und Liebe werden sie auch nicht gesund." Er hat recht. "Ich verstehe, was du meinst. Es ist wirklich zu weit hergeholt, aber sind das nicht so gut wie die meisten Aussagen? Man bezieht sehr vieles auf die Allgemeinheit, obwohl man nicht die ganze Welt fragen kann, um so eine Aussage sicher zu annoncieren." "Findest du, dass das Materielle das ganze Glück ersetzen kann?" Das ist eine etwas schwierigere Frage. "Für einige bestimmt, die Natur ist ja nie ohne Ausnahme. Für Leute, die keine Beziehung eingehen wollen, vielleicht. Aber da frage ich mich, ob eine Beziehung sie doch nicht glücklicher machen würde, als das Materielle. Man sollte beides schätzen. Zu sagen, dass man Materielles nicht braucht, ist gelogen. Wie viele freuen sich, wenn sie sich mit ihrem Gesparten endlich ein neues Paar Schuhe holen können?" "Genau das ist es. Die Leute durchdenken es nicht richtig. Sie nehmen einfach irgendein Zitat, ohne es zu hinterfragen. Die Kunst des Wissens wird doch durch das Hinterfragen definiert." "Macht Materielles vieles für dich aus?" Ardan seufzt leise.

"Irgendwie schon ... nicht so viel, wie emotionale Wärme, aber ich freue mich echt, wenn man mir etwas schenkt, aber das hängt auch mit anderen Faktoren zusammen." "Mit deiner Vergangenheit, nicht wahr?" Er nickt. Hätte ich ihm doch das Buch mitgebracht. "Ich habe dir ein Buch gekauft, aber dann habe ich es doch zu den anderen Geschenken für deinen Geburtstag gepackt. Nicht, dass du denkst, dass ich es vergessen habe. Das Geschenk wirkt nur so klein." Statt zu antworten, umarmt er mich. "Ich weiß es zu schätzen." Trotz der Dunkelheit kann ich sein sanftes Lächeln erkennen. Ich würde es immer erkennen, sei es durch das Sehen oder durch das Fühlen. Meine Finger fahren die Konturen seines Gesichts ab, bis meine Finger über seine Lippen gleiten. Seine Lippen, über die so viel Gutes und Schlaues kommt. So viel Schönes und Ermutigendes gleitet über sie ... und manchmal kommen Dinge über seine Lippen, die mich traurig machen, aber im Gegensatz zu all den positiven Sachen ist es nur ein Bruchteil. Ich berühre seine Lippen mit meinen. Wie lange ich es nicht tun durfte und es jetzt mit höchstem Genuss tue. "Cana", murmelt er. Wie schön sich mein Name anhört, kommt er über seine Lippen. Es hört sich wie ein Segen an. Es durchzuckt meinen Körper, sorgt für angenehme Impulse. Wer könnte mich nur so fühlen lassen, wie er es tut? Seine warmen Hände gleiten geschmeidig unter mein Oberteil. "Darf ich?", keucht er gegen meine Lippen. Seine Hände verharren auf meinem Kreuz. Ich nicke.

Es zieht sanft im Unterleib, als er meinen Po zusammendrückt. Seine Lippen verlassen meine viel zu früh, um meinen Hals zu verwöhnen. Mein Körper hat ihn vermisst. Er reagiert so sensibel, dass bei jedem Kuss auf eine neue Körperpartie eine Gänsehaut entsteht. Ich habe ihn so vermisst. Mit Körper und Seele, obwohl wir uns doch sehen konnten. Es ist für mich ungewohnt, ihn nur auf eine weniger intensive Art sehen und genießen zu dürfen. Ich keuche leise. Seine Zunge verwöhnt meine sensible Haut am Hals so gut, dass ich mich winden muss. Es zieht wieder im Unterleib. Ardan stellt sich zwischen meine Beine. Seine großen Hände wandern meine Seiten hinauf. Erschrocken, aber leise ziehe ich die Luft ein, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass er meine Brüste zusammendrückt. Sofort verharrt er in seiner Position. "Tut mir leid ... soll ich aufhören?", flüstert er gegen meinen Hals. Zögernd verneine ich es. Es fühlt sich zu schön an. Er drückt wieder zu, ich keuche. Das letzte Mal kommt mir in den Sinn, wo ich zeigen sollte, dass ich mich schön fühle. Da habe ich auch meine Brüste berührt. Der Gedanke daran sorgt für eine erregendere Spannung. Ich spüre, dass er fordernder wird. Seine Lippen und seine Zunge küssen meinen Hals schneller, er reibt sich langsam gegen mich. Es zieht immer stärker im Unterleib. Ich paare unsere Lippen wieder, spüre sein Verlangen - schon wieder zieht es untenrum. "Ardan", murmele ich. Seine Hände wandern nach unten zum Bund meiner Jogginghose. Sofort drücke ich ihn weg.

Wir sollten das Fenster öffnen. Es ist ziemlich warm hier. Das übernehme ich einfach. "Habe ich irgendetwas falsch gemacht?", fragt er. Seine Wangen sind gerötet - er wirkt dadurch frischer im Gesicht. Ich verneine es. Hat er es denn vergessen? "Ich habe doch meine Tage." Jetzt fällt es ihm anscheinend wieder ein. "Stimmt ... also würdest du es nie tun ... also, wenn du deine Periode hast?" Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. "Ich weiß nicht so recht ... es ist sowieso noch alles recht neu für mich." Ardan nickt verständnisvoll. Anscheinend hat er kein Problem mit Blut ... Ich liebe es blutig. Das hat er mir noch gestern geschrieben, oje. "Ich will ein wenig an die frische Luft." "Dann lass uns in den Garten. Ich mache dir Kakao." Ardan steht auf ... ich sehe seine Erektion. "Willst du ein T-Shirt?", pruste ich unwillkürlich. "Ach, ich liebe es, wenn meine Brustwarzen auf die frische Septemberluft treffen. Da würde mich ein T-Shirt nur stören." Wir lachen wegen seines Satzes. "Vielleicht willst du ja deine kleine Schwellung verdecken." Ich demonstriere meinen bescheidensten Wimpernschlag, als ich mich zu seinem Schrank bewege und ein schwarzes T-Shirt herausfische. Schwarzes T-Shirt ... ich muss an meinen intimen Annäherungsversuch in der Badewanne bei ihn denken. Oh Gott, was ein Luder ich sein kann. Kichernd schmeiße ich das T-Shirt nach ihm. "Was geht in deinen Gedanken vor sich, Mopsi?" "Finde es heraus." "Nichts lieber als das."

Kreischend renne ich die Treppen hinab. Fast hätte er mich geschnappt. "Zieh dich an, du Nacktschnecke." "Du hast mich nackt am liebsten." Kichernd stelle ich mich hinter den Wohnzimmertisch und ducke mich, als er das T-Shirt nach mir wirft. Ardan oben ohne zu sehen ist einfach himmlisch. Und diese graue Jogginghose steht ihm so unfassbar gut ... sie betont das eine oder andere an ihm. Und sie sitzt so schön an seinen Hüften. Diese V-Linie verläuft zu einer Überraschung, die mich nicht enttäuscht ... "Mopsi, du, mich begaffende Kannibalin." Seine Tonlage drückt seine gespielte Entrüstung aus. "Ich bin maßlos entsetzt über dein unsittliches und indiskretes Verhalten. Dafür müsstest du bestraft werden." "Und wie?" Ich beiße mir grinsend auf die Lippe. "Komm her und ich zeige es dir." Die Katz und Maus Jagd beginnt wieder. Scheiße, er hat mich! Kichernd winde ich mich in seinen Armen, was nicht viel bringt. Er hält mich fest und zieht mich aufs Sofa. "So, was machen wir mit dir, Mopsi?" Ich liege mit dem Rücken auf seinem Schoß, unter seinen leuchtend grünen Augen. "Du könntest mich loben und mich kraulen." "Das mache ich bei Roxy und diese scheint durch unseren Lärm aufgestanden zu sein. Guten Morgen, junge Dame." Ich schaue zu Roxy, die sich gähnend streckt, bevor sie auf uns zu tapst. Sie legt ihren Kopf schief. "Willst du Mopsi keinen guten Morgen wünschen? So habe ich dich nicht erzogen." Sein sanfter Tadel ist so lieblich. Den würde ich mir immer wieder anhören lassen.

Roxy schaut uns einen Augenblick an und stellt dann ihre Vorderpfoten auf meinem Bauch ab, um Ardan abzulecken. "Roxy!", ächze ich lachend. "Ich rieche Anzeichen der Eifersucht. Sonst sitzt Roxy auf meinem Schoß." "Ach, so ist das also", schmunzele ich. "Ja, Mopsi. Ich bin bei Frauen ziemlich beliebt." Sein eingebildeter Ton lässt mich amüsiert schnauben. "So, Ladys, wenn ihr mich mal entschuldigen würdet. Meine Mopsi möchte einen Kakao und den soll sie auch bekommen." Kaum ist Ardan weg, macht sich Roxy an mich ran. "Und ich dachte schon, du wärst sauer auf mich", schmunzele ich, als sie mich ableckt. "Was?" "Frauengespräche. Seien Sie doch bitte diskret." "Pardon, mein Fehler. Roxy, unterhalte unseren Gast." Und schon läuft Roxy zu Ardan. Wir lachen deshalb - sie ist so süß. Ich stelle mir Roxy in einer Situation vor, wo es Ardan sehr schlecht geht und sie deshalb um Hilfe winselt und schreit. "Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mich in den Garten begleiten würden." Ich lasse den Gedanken sanft liegen. "Aber nur, wenn Sie sich etwas anziehen." Das schwarze T-Shirt, dass er aufs Sofa geworfen hat, zieht er sich über, nachdem er mir meinen Kakao gegeben hat. Die frische Luft ist nicht zu kalt und nicht zu warm. Sie erfrischt mich und passt zu meinem warmen Kakao. "Setz dich doch." Ardan macht eine Handgeste, um mir den Platz unter den Markisen anzubieten. Ich lehne mich an seine Schulter. Wann wird ihm eigentlich kalt? Er friert nicht schnell, aber das liegt an seinem Hypothalamus.

"Hey, eine Krähe", lächelt er. Ich bemerke den schwarzen Vogel erst jetzt. "Früher hatte ich eine Krähe als Freund." "Wie?" Ich werde ganz aufmerksam. Er redet über seine Vergangenheit. "In der Pause habe ich einmal die Rinde meines Brotes einfach ein wenig weiter von mir hingelegt und dann kam eine Krähe. Als sie kam, habe ich mich weniger alleine gefühlt. Sie war eine gute Gesellschaft für mich. Das habe ich dann jeden Tag gemacht und das Brot jedes Mal ein wenig näher zu mir gelegt. Es hat mich echt gefreut, dass die Krähe kam. Einmal konnte ich sie sogar streicheln." Seine Augen glänzen. Wie einsam er wohl gewesen sein musste. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich kann mir einen kleinen, grünäugigen Jungen mit sanften Gesichtszügen vorstellen, wie er lächelnd die Krähe beobachtet, die seine Brotrinde verspeist. Es rührt mich, dass ihn so eine kleine Sache so glücklich gemacht hat und es macht mich so unfassbar wütend, dass man einen so unschuldigen Jungen so missachtet hat, obwohl er so wenig braucht. Es ruft mir die Tränen auf, die ich jedoch wegblinzele. Es ist zum Glück vorbei. Ardan meinte, dass man ihn einfach nicht mochte, aber wie kann das sein? Er wird doch von fast jedem in der Stufe akzeptiert. Ist es wirklich nur das? Wie viel vertraut er mir eigentlich an? Laut ihm vertraut er mir mehr als jedem anderen.

Ich weiß nicht, was all diese Gedanken für eine Lösung auf das Rätsel geben, aber ich hoffe, dass es mir nicht das Herz brechen wird.

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