Kapitel 79
Gryffin ft. Ivy Adara - Bye Bye
Ich kann nicht glauben, dass mir die zwölfte Klasse so viel meiner Freizeit wegnimmt. Ich sitze oftmals bis 18:00 Uhr oder länger an meinen Hausaufgaben und weiß nicht einmal, wieso. Im Bio-LK kriegen wir das eine oder andere Mal mehrere Aufgaben auf, aber dass es sich so erstreckt hätte ich mir niemals erdenken können. Ich habe Ardan nur während der Schulzeit sehen können - wenn überhaupt. Manchmal musste er früher los, weil er zum Arzt musste, dienstags sehe ich ihn ja eh nie. Das deprimiert einen schon. Jetzt hat auch noch die Klausurphase angefangen. Ich weiß gar nicht, ob Ardan mir in Mathe helfen kann, weil er ja selber für seine LKs lernen muss, aber ich brauche dringend Hilfe in Mathe, bevor ich die Klausur schreibe. Biologie verstehe ich ja, aber dennoch finde ich es unerhört, dass man Mathe und die Bio-LK-Klausur in eine Woche mit nur zwei Tagen Abstand einplant. Wenigstens haben wir am Mittwoch frei - ein Trost. Trotzdem muss ich mich auf die Matheklausur am Dienstag vorbereiten. Wieso müssen wir auch einen Tag davor die Spanischklausur schreiben? Spanisch ist dieses Mal so anders. In der elften Klasse wusste man noch, was man genau lernen muss, aber wir haben außer zwei neuen Zeitformen und wenigen Vokabeln nichts Neues dazugelernt - zudem wir die Zeitformen in der Klausur nicht einmal anwenden müssen. Ich lerne einfach den Sonntag vor der Klausur einige Vokabeln zum Aufbau einer Zusammenfassung und dann hat es sich auch.
Am Ende des Monats ist schon Ardans Geburtstag. Ich bin aufgeregt. Es wird ein Freitag sein. Ich würde gerne bei ihm Übernachten, aber das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts. "Cana, wann kannst du denn endlich kommen? Wir müssen langsam mit den Untersuchungen beginnen", meint Mama. Ich habe das Stress-EKG so weit wie möglich verschoben, weil diese Striemen einfach nicht wegwollten. Ich bin schon wahnsinnig geworden, als Mama mich einmal spontan ins Krankenhaus zerren wollte. Cana, komm, lass uns ins Krankenhaus, hat Mama gesagt. Aber ich kann nicht. Gott, wie heiß mir in diesem Moment wurde. Ich hatte eine Heidenangst, dass sie meine Brüste sieht. Und wieso? Weil ich noch total viel für die Schule machen muss. Ich sage dir Bescheid, wenn ich kann. Und dann bin ich ins Badezimmer geflüchtet. Der eine Typ, der sich als Kaya entpuppt hat, redet ab und zu mit Miran, Ramzi und auch mit Ardan, der nicht so begeistert von ihm ist. Manchmal redet er auch mit den Mädels und oft redet er mit mir - und kriegt nur einsilbige Antworten zurück. Bis jetzt konnten wir uns als Gruppe auch nicht so oft - für unsere Verhältnisse - treffen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir uns an diesen Rhythmus gewöhnen müssen oder ob es jetzt immer so läuft. Hoffentlich ändert es sich bald, wenn die Klausurphase endet. An Ardans Geburtstag ist sie zum Glück schon vorbei. Ich vermisse ihn echt. Ich konnte ihn so selten sehen. Entweder musste er zur Kontrolle, zum Krav Maga oder andere Dinge standen im Weg. Und wenn er mal konnte, dann konnte ich nicht. Ich wollte es dennoch schaffen, zu ihm zu gehen, aber er hat mir gesagt, dass ich mich auf das konzentrieren soll, was vor mir steht. Wir werden uns schon wieder treffen, hat er mir geschrieben.
Und seitdem haben wir uns nicht getroffen. Das macht mich echt traurig. Ich hatte eine kurze Phase von zwei Tagen, wo mich jede Kleinigkeit Wütend und zum Weinen gebracht hat deshalb. Ich will Ardan sehen! "Cana? Süße, was ist los?" Mama zieht besorgt ihre Augenbrauen zusammen. Verdammt, ich werde wieder emotional. "Fängt der Stress wieder an?" Ich zucke mit tränenden Augen die Schultern. Ich baue mir wieder selber Druck auf. Mathe ist mein schlechtestes Fach und ich habe sogar geweint, als ich die Hausaufgaben gemacht habe, weil ich es überhaupt nicht verstanden habe. Aiman und Adam sind selber beschäftigt gewesen, weshalb ich sie nicht fragen wollte und Amir war nicht zu Hause. Ich habe es zwar am Ende irgendwie hingekriegt, aber ich besitze die Sorgen, dass ich es nicht schaffen werde. Ardan hätte mir bestimmt helfen können und mich dabei auch noch getröstet. "Nicht doch, Cana. Was ist denn los? Du wirkst seit Tagen so traurig." "Ich will einen Tag einfach abschalten können." "Es ist doch Freitag." "Und am Montag und Dienstag schreibe ich Klausuren", schniefe ich. "Dann machen wir uns eben den heutigen Tag schön. Wein doch nicht deshalb." Aufmunternd wischt sie mir die Tränen weg, greift dann meine Hand und zieht mich in ihr Schlafzimmer, wo wir uns auf ihrem Bett niederlassen. "Gibt es Probleme in der Schule?" Ich verneine es. "Hast du außerhalb mit jemandem Probleme? Streit?" Auch das verneine ich. Ich vermisse nur Ardan so sehr. "Komm zu Mama." Ich schmiege mich an sie. Ihre Streicheleinheiten tun mir gerade so gut.
"Amir hat mal vor Wochen mit mir geredet ..." Ich lasse mir nichts anmerken, obwohl es mir kalt den Rücken runterläuft. Was hat er ihr erzählt? Spürt sie gerade, wie heiß mir wird? Spürt sie, dass mein Herz schneller schlägt? "Und?", murmele ich. "Du scheinst dich wohl mit ihm gestritten zu haben." "Es war seine Schuld. Hätte er nicht so dumm geantwortet, dann wäre es niemals dazu gekommen. Sein Geschlecht als Argument für Privilegien zu nehmen ist dumm." "Da hast du recht." Lobend küsst sie meinen Scheitel. "Er war so verdutzt, dass du so in die Defensive gegangen bist, was Beziehungen anbelangt." "Wenn er selber eine führen will, dann hat er nicht das Recht, mir vorzuschreiben, dass ich keine haben darf." "Führst du eine Beziehung?" Ich muss heftig schlucken. Bei Mama habe ich trotz der vergangenen Lügen echt Angst, diese Frage zu beantworten - egal, ob ich lüge oder nicht. "Nein." "Und von wem waren die Rosen?" "Hast du in meinem Zimmer geschnüffelt?" Ich unterdrücke meine Wut. "Nein", gibt sie leicht tadelnd von sich. Ich spüre einen Klaps auf meinem Po. "Nur standen deine Rosen eben auf deinem Nachttisch. Von wem hast du die denn bekommen?" "Von Sarah, die nicht zu meinem Geburtstag kommen konnte und sie mir nachträglich geschenkt hat." Sie summt. Es tut mir so leid, dass ich sie anlüge. Ich fühle mich wieder so schuldig. Verdammt, ich dachte, die Phase des Schuldigfühlens ist vorbei! Langsam atme ich durch, um mich irgendwie zu sammeln. Ich bin schon emotional aufgebracht, da brauche ich eine weitere Last nicht. Aber diese Lasten ziehe ich mir doch selber zu.
Werden die Herzschmerzen wieder beginnen? Hoffentlich nicht. Sie ziehen so stark. Es ist aber meine eigene Schuld, wenn ich mich so stark belaste ... oder? Einerseits kann ich etwas dafür, aber andererseits liegt ein gesundheitliches Problem bei mir vor, was dieses Ziehen verursacht. Wenn ich das Problem nicht hätte, dann würde ich den Stress ohne irgendwelche Schmerzen überstehen. Durch Ardan habe ich diese Schmerzen zu spüren bekommen, aber er konnte mich auch das Gegenteil fühlen lassen. Ob ich morgen zu ihm kann? Ich muss ihn dringend fragen. Er muss mir wirklich in Mathe helfen. Analysis kann er doch so gut, er findet immer eine Eselsbrücke für mich. "Ich würde so gerne wissen, was dich beschäftigt", murmelt sie. Beginnt mit der Schulzeit die Schuldzeit? In den Ferien habe ich mich so frei von Schuldgefühlen gefühlt meistens und jetzt bin ich wieder anfällig für diese. "Willst du irgendwohin? Komm, lass uns doch raus." Nach ihrem Satz wird die Tür aufgeschlossen. "Und schon kommt dein Vater. Der muss sicherlich ein Radar bei sich tragen." Sie steht schmunzelnd auf, um ihn zu begrüßen und ihm Essen zu bringen. Mamas Stimme schallt durch das ganze Haus, als sie uns sagt, dass wir Baba begrüßen kommen sollen. "Da ist ja meine Prinzessin." Ich lächele verlegen. Baba brummt zufrieden, als ich ihn umarme. Meine Brüder kommen runter, um ihn ebenfalls mit einer Umarmung zu begrüßen und lassen sich dann am Esstisch nieder. Amir nervt mich. Wieso musste er das bei Mama ansprechen?
"Kommt ihr in Bio klar?", fragt er meine Brüder, die jetzt die Neurobiologie behandeln. Aiman nickt, Adam zuckt mit seinen Schultern. Während Baba ihm bei seinem Problem hilft, starre ich auf den Tisch. Konnte Amir die Auseinandersetzung nicht für sich behalten? Was hat es ihm jetzt gebracht, es Mama zu sagen? Wenn er irgendwann mal Menschen therapiert, dann kann er ja auch schlecht immer zu Mama rennen. Ich gehe morgen einfach zu Ardan. Meine Eltern arbeiten doch sowieso, da muss ich sie nicht anlügen. So oft, wie sie fehlen, kann ich so einiges machen. Die Zeit am Tisch vergeht so unfassbar langsam, ich will nach oben. Ich will in mein Bett. Ich will mit Ardan telefonieren oder ähnliches. Mama gähnt schon. "Geh dich hinlegen." "Nein, iss du erst zu Ende." "Shana, wenn du müde bist-," "Widersprich mir nicht und iss zu Ende", murrt sie. Gleichzeitig schmunzeln sie und Baba. "Wenn ich so mit Baba reden würde, dann würde ich für drei Wochen kein Tageslicht mehr sehen", murmelt Adam. "Wenn ich mich bei deiner Mutter danebenbenehmen würde, würde ich auch drei Wochen weg sein." Mama hebt hochnäsig den Blick an. "So muss es auch sein. Ich habe hier das Sagen. Nicht wahr, mein kleiner, süßer Amir?" Er nickt schmunzelnd und wird dann lobend von Mama gekrault und abgeknutscht. Ich weiß jetzt, dass Amir, Mama und Aiman gegen eine Beziehung bei mir wären. Bei Baba weiß ich echt nicht. Er meinte einmal, dass er nicht sauer auf mich wäre, aber er wurde auch einmal sauer, als er mich mit Ardan gesehen hat. Adam kommt mir im Moment am verständnisvollsten vor.
Ich sprinte schon fast in mein Zimmer, als wir uns allen eine gute Nacht wünschen. Ich würde am liebsten von meinem Balkon springen, um irgendwie zu Ardan gelangen. Hätten wir im Gewächshaus keine Kameras, dann hätte ich ja eine Möglichkeit, aber meine Eltern mussten ja auch ausgerechnet dort welche installieren. Wie läuft es im Mathe-LK bei ihm? Hat Didem mit ihm gesprochen? Ich habe ihn deshalb nie gefragt, fällt mir gerade auf. Es ist echt schade, dass er beide LKs an anderen Schulen hat. Es ist so schade, dass ich ihn so wenig sehe, obwohl wir doch in derselben Stufe sind. Niemals hätte ich gedacht, dass wir so getrennt werden. Hoffentlich hat er morgen Zeit. Was soll er morgen schon vorhaben? Am Wochenende hat er kein Training und er musste gestern zum Arzt, also wird er morgen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu ihm gehen. Soll ich ihm dann morgen das Buch bringen? Oder soll ich es als Geburtstagsgeschenk zu den anderen Sachen legen? Ich habe ihm auch ein silbernes Armband gekauft. Es ist total schlicht und hat innen ganz klein Mopsi eingraviert. Ich weiß aber nicht, ob das reichen wird für ihn. Zwei Bücher, ein Plüschtier, Schokolade und das Armband? Das kommt mir nicht so toll vor. Zu wenig. Aber was könnte ich ihm noch schenken? Irgendetwas Persönliches. In diesen siebenundzwanzig Tagen wird mir sicherlich irgendetwas einfallen. Aber zuerst schreibe ich Ardan an, ob er telefonieren kann. Ich will seine zarte Stimme hören. Dass er zusagt und mich anruft, macht mich ganz hibbelig und hyperaktiv.
"Ja?"
"Hallo, Mopsi."
"Hi", flüstere ich. Mein Lächeln wird immer größer.
"Wie geht es dir?", fragen wir gleichzeitig.
"Mir geht es recht gut und dir?" Bei dieser zärtlichen Stimmlage kann es mir nur gut gehen.
"Auch."
"Das freut mich, Mopsi."
"Hast du morgen Zeit?", frage ich etwas unsicher. Hoffentlich kann er morgen.
"Ja, in der Tat. Ich wollte dich ebenfalls fragen, aber du kamst mir zuvor." Erleichtert seufze ich. Also können wir uns morgen treffen. Ich freue mich jetzt schon.
"Ich habe dich echt vermisst", murmele ich leise.
"Ich dich auch, Mopsi. Ich freue mich, dich morgen zu sehen. Wann magst du kommen?"
"So früh es geht."
"Gut, dann stelle ich mir meinen Wecker um 08:00 Uhr." Ich würde wirklich um diese Uhrzeit zu ihm gehen.
"Wenn meine Eltern aus dem Haus sind, komme ich dann."
"Oh, du kommst wirklich so früh?" Jetzt hebe ich die Schultern an. Genau das wollte ich doch.
"Ja", murmele ich.
"Okay, dann stelle ich mir wirklich den Wecker. Ich will eine Entschädigung dafür." Ich kann es nur zweideutig aufnehmen, aber ich stimme einfach zu.
"An was hast du denn gedacht?", frage ich.
"Ich denke an vieles, Mopsi. Meine Gedanken sind sehr facettenreich." Er wirkt gerade so neutral. Heißt das, dass ich mich entscheiden kann, an welche Facette er denken soll?
"Okay."
"Wieso fragst du?"
"Dein Fordern nach Entschädigung hat sich ziemlich zweideutig angehört, deshalb." Ich höre ein Summen seinerseits.
"Mopsi, habe ich deine reinen Gedanken verunstaltet, seitdem wir zwei intime Tête-à-Têtes hatten?"
"Ehrlich gesagt: ja."
"Und an was genau denkst du?", raunt er. Ich murre. Wird das jetzt zu Telefonsex oder was?
"Ganz ruhig, Mopsi. Bloß nicht töten", lacht er.
"Ich will dich sehen", meckere ich leise.
"Ich dich doch auch, Mopsi. Ich habe deine goldenen Augen und dein rechtes Grübchen vermisst. Wie lange konnte ich nicht mehr an deinen Babylocken spielen?" Er soll aufhören, mich so emotional zu machen.
"Ich will morgen viele, schöne Sprüche von dir hören. Lass deinem Philosophen freien Lauf."
"Ich könnte auch etwas anderem von mir freien Lauf geben. Beide fangen mit P an." Empört schnappe ich nach Luft.
"Was?", fragt er belustigt.
"Du schmuddeliger Schmuddel-Kopf!"
"Ich rede von Passion, liebste Mopsi."
"Du lügst."
"Wenn du willst, zeige ich es dir morgen", raunt er. Oh Gott, ich erschaudere.
"Was genau?" Mein Herz schlägt augenblicklich schneller.
"Willst du es wissen?" Ich weiß nicht so recht. Sein Raunen klingt so vielversprechend.
"Vielleicht?"
"Eine angemessenere Antwort, bitte."
"Ich weiß nicht."
"Noch beiße ich nicht." Aus irgendeinem Grund muss ich in dieser ernsten Situation kichern.
"Also?", fragt er nun.
"Nein, ich will es nicht erfahren", antworte ich dann hysterisch. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vor sich geht. Ich weiß nur, dass da vieles vor sich geht.
"Spätestens morgen wirst du es erleben." Aber ich habe meine Tage ...
"Mhm", summe ich nur. Ich weiß nicht, wie wir das morgen machen werden. Ich sollte ihm lieber Bescheid geben, bevor er irgendetwas plant.
"Ich habe aber meine Tage."
"Ich liebes es blutig."
"Du bist grausig." Er lacht.
"Komm morgen in gemütlicher Kleidung." Wir telefonieren noch eine Stunde, bis ich Müdigkeit verspüre.
"Bist du noch wach?"
"Halbwegs", murmele ich.
"Sollen wir auflegen?" Ich summe ein Ja.
"Gute Nacht. Ich freue mich, dich morgen in meine Arme nehmen zu dürfen."
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