Kapitel 75

ZAYN - Good Years

Ich werde wach, als Ardan die Tür hinter sich schließt. Es ist mitten in der Nacht. Anscheinend muss er auf Toilette. Ich warte einfach auf ihn und schalte nebenbei die Nachttischlampe an. Auf dem Tisch liegen noch Erdbeeren, die ich zu mir nehme. Ich erinnere mich an das erste Mal, wo ich mir die Erdbeeren genommen habe und Mama kreischend auf mich zukam und sie mir wegnahm, weil sie dachte, dass ich ebenfalls allergisch auf sie reagiere, wie Mama es tut. Mir passiert zum Glück nichts bei diesen Früchten. Ich muss nur bei Erdnüssen aufpassen. Für Ardan lasse ich einige Erdbeeren übrig und warte, bis er zurückkommt. Wieso braucht er so lange? Entweder kommt es mir nur so vor oder er muss vielleicht mehr als nur pinkeln. Das kann ja gut möglich sein. Um mich von seiner Abwesenheit abzulenken, hole ich aus seiner Schublade sein schwarzes Büchlein raus, um mir seine Zitate noch einmal durchzulesen. Er hat ein neues Zitat. Ihre vollen Schenkel waren das große Meer, ihre Dehnungsstreifen die sanften Wellen - 26.7. Ich schnappe leise nach Luft. Das ist ein schönes Zitat, auf einer neuen Ebene. Es ist echt schön, wie er meinen Körper sieht, wie er ihn darstellt. Wie es wohl wäre, wenn Ardan meine Dehnungsstreifen nicht schön fände? Ich wäre traurig, aber ich würde hoffentlich nicht aufhören, meine Dehnungsstreifen als schön anzusehen. Ich mag sie. Wie lange braucht Ardan noch? Ich werde langsam ungeduldig, also stehe ich auf, ziehe mir das T-Shirt und die Baumwollshorts an und gehe in den Flur, wo kein einziges Licht leuchtet. Wo ist er dann?

Ich höre ein leises Schniefen. Habe ich es mir nur eingebildet? Im Moment bewege ich mich keinen Zentimeter, damit ich alles genau höre. Da! Schon wieder! Mein Herz schlägt unwillkürlich schneller, weil Ardan weint. Sofort sprinte ich die Treppen hinunter in die dunkle Küche. Mein Herz zieht sich unangenehm zusammen, als ich ihn am Tisch sitzen sehe, die Hände vor seinem Gesicht palmiert. "Ardan?" Vorsichtig gehe ich auf ihn zu. Mir kommt unsere Auseinandersetzung in den Sinn, wo er nicht mit mir reden wollte. Das verunsichert mich, aber ich muss ihm doch zur Seite stehen. Ardan regt sich nicht, als er meine Stimme registriert. Ich gehe langsam auf ihn zu, lege meine Hand auf seinen nackten Rücken. "Brauchst du etwas?", frage ich zögernd. Er nimmt langsam die Hände runter von seinem Gesicht. Ich sehe ihn durch die Lichter, die von draußen in die dunkle Küche strömen. Selbst verweint wirkt er so schön. Wieso weint er? Meine Augenbrauen ziehen sich bedauernd zusammen, weil ich ihn so traurig sehe. Ich lege meine Hände auf seine Wangen, küsse seine Stirn. Er soll nicht weinen. Seine Hände ziehen mich rittlings auf seinen Schoß, damit er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergraben kann. "Es tut mir so leid", flüstert er zitternd. Sein Schluchzten tritt ein. Mir steigen die Tränen auf. "Was ist passiert?", frage ich heiser. Ich spüre den Druck auf meinem Nacken. Seine Tränen tropfen auf meine Haut. Stumm flehe ich, dass er aufhören soll zu weinen.

"Ich hätte es nicht tun sollen, es tut mir so leid." Mir wird mulmig bei seinem Satz. Was meint er? Ich fahre seinen gekrümmten Rücken auf und ab. Was hat er getan? Was bereut er? Mir kommt ein ähnlicher Satz in den Sinn. Ich hoffe so sehr, dass du mir meine Fehler verzeihst. Aber hat er das gesagt? Ich weiß es nicht. Seine Hand legt sich mit leichtem Druck auf meinen Hinterkopf und Nacken, die andere hält meine Taille immer noch fest in ihrem Griff. Ich kann nicht so recht denken, weil ich nicht weiß, was genau los ist. "Willst du reden?", flüstere ich. Er schüttelt den Kopf. Aber reden tut gut. Er muss sich von dieser Last befreien. Ich seufze resigniert. "Es tut mir so leid, Cana. Verzeih mir bitte." Er schnieft leise. Was hat er getan? Mir läuft es kalt den Rücken runter. "Ardan ... was soll ich dir verzeihen?" Leicht ängstlich löse ich mich von ihm. Was hat es mit seiner Trauer und damit, dass ich ihm verzeihen soll auf sich? Er schaut mir nicht in die Augen, stattdessen lehnt er seufzend seine Stirn gegen mein Schlüsselbein. "Wir sollten schlafen gehen", flüstert er. "Wir sollten darüber reden, wieso du geweint hast und weshalb ich dir verzeihen soll", gebe ich am Ende leicht abgehakt von mir. Ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch. Damit er mir in die Augen schaut, hebe ich sein wehleidiges Gesicht an. Was versteckt er vor mir? Wir schweigen beide. Was in seinem Kopf vor sich geht, würde ich zu gerne wissen. Was müsste ich tun, damit er es mir sagt? Was belastet ihn? Wer ist daran beteiligt? Haben die drei Jungs vom See wieder etwas getan?

"Ich habe ... ich ..." Voller Hoffnung sehe ich in seine Augen, warte auf jeden einzelnen Buchstaben, den er mir gibt. Was ist es? Was will er sagen? Er beißt sich auf seine Unterlippe und senkt niedergeschlagen den Blick, als er den Kopf schüttelt. Meine Schultern sinken enttäuscht. Hat er jemand anderes kennengelernt? Nein, das kann gar nicht sein. Das wäre zu unrealistisch ... oder? Da passt doch gar nicht ... hoffentlich. "Hat es etwas mit einer anderen Person zu tun?" Er verneint es. Statt mir doch das zu beichten, was er ansetzen wollte, hebt er mich hoch und steigt die Treppen hinauf. "Ich habe noch Erdbeeren für dich übrig gelassen", murmele ich. Die Lampe ist noch angeschaltet und das Büchlein liegt auf dem Tisch. Die Erdbeeren nehme ich an mich, als Ardan uns hinlegt und halte eine vor seine Lippen. "Hast du jemanden, mit dem du über das Problem reden kannst?" Er beißt in die Erdbeere, zuckt als Antwort mit seinen Schultern. "Ich will nicht darüber reden." "Du vertraust mir doch, oder?" "Mehr, als jeder anderen Person", haucht er. Aber wieso will er nicht darüber reden? Das wird mich noch wahnsinnig machen, dass er nicht reden will. Ich gebe ihm noch eine Erdbeere, dann ziehe ich mir die Shorts aus. Mir kommt sein Zitat über meine Schenkel und Dehnungsstreifen wieder in den Sinn. "Dein Zitat ist echt schön." Ich lächele, fahre durch seine Haare. "Wann bist du aufgestanden?" Seine Augen liegen auf meinen Lippen. "Als du aus dem Zimmer gegangen bist. Ich dachte, du bist ins Bad gegangen, aber du kamst nicht wieder."

Langsam senkt er seinen Blick. Ich gebe ihm noch eine Erdbeere. "Ardan ... weiß wenigstens deine Mutter Bescheid?", frage ich vorsichtig. Er nickt. "Kannst du es mir überhaupt nicht sagen?", frage ich flehend. Es sollte mir eigentlich bewusst sein, dass er nicht mit mir darüber reden will, aber ich würde mich so sehr darüber freuen, wenn er es mir erzählen würde. Er setzt zum Sprechen an, wobei seine Augenbrauen wehleidig zusammengezogen sind. "Ich bin ... also ich habe ..." Unwohl beißt er sich auf seine Lippe. "Versprich mir, dass du mich nicht verlässt." Ich fühle mich von seiner Aufforderung überrumpelt. Wie kommt er darauf, dass ich ihn verlassen würde? "Bitte ... ich tue, was du willst, nur sei mir nicht wütend und verlass mich nicht." Seine Augen schreien danach, dass ich es ihm verspreche. Er legt flehend seine Hände auf meine Wangen. Ich verstehe nicht, was los ist. Wieso benimmt er sich so? Was hat es mit alldem auf sich? Ich habe langsam Angst, es zu erfahren. Ich schaue ihn mit offenem Mund an, versuche irgendwie Schlüsse zu ziehen, irgendetwas aus der Vergangenheit mit dem zu verbinden, was er gerade gesagt und getan hat. Ich kann es einfach nicht zuordnen. "Ich ... ich weiß nicht ... was ist es denn?" Ein weiteres Mal will er zum Reden ansetzen, aber er kann es nicht. "Es tut mir leid, Cana. Es tut mir so verdammt leid." Seine Stimme bricht am Ende, meine Augen tränen. Was tut ihm leid? Was hat er getan? Ich nehme ihn in den Arm, lege uns hin. Wie soll ich bei seiner Trauer schlafen können? Ich werde durch seinen Atem an meinem Hals beruhigt, aber seine tränenden Augen spielen sich immer wieder in meinen Gedanken ab.

Als ich aufstehe, schläft Ardan noch. Ich bilde es mir entweder nur ein oder er wirkt wirklich noch zerknirscht. Armer Ardan, was bedrückt ihn so? Ich fahre über die Strähnen, die ihm auf die Stirn fallen. Er hat das Leid, was er in seinem Herzen trägt, nicht verdient. Was auch immer es ist, es soll sich auflösen. Wir haben schon nach zehn. Er schläft lange, das weiß ich. Schnell gehe ich meine Blase entleeren und meine Zähne putzen, ehe ich mich zurück ins Bett lege und die Shorts diesmal anlasse. Es liegen noch einige Erdbeeren auf seinem Nachttisch, aber mit geputzten Zähnen schmecken sie bitter. Vielleicht esse ich sie trotzdem. Doch, ich esse sie. Dabei beobachte ich ihn. Sein Gesicht wirkt auf liebevolle Weise verknautscht, da er auf dem Bauch schläft. Noch drei Tage, dann sind meine Eltern wieder da. Wie es wohl wird? Ich bereue es immer noch nicht, Sex mit Ardan gehabt zu haben und ich bin mir dafür sehr dankbar. Das, was mir jetzt fehlen würde, ist es, so starke Schuldgefühle zu bekommen, dass mein Herz wieder zu schmerzen beginnt. Trotzdem weiß ich nicht, wie ich innerlich denken werde, wenn Mama wieder da ist. Ich freue mich, sie wiederzusehen. Hoffentlich unternehmen wir etwas, solange sie noch Zeit hat. Ist sie schon wach? Ich warte noch ein bisschen, mustere Ardans sanft-markanten Gesichtszüge, die ich nachfahre und greife erst dann nach meinem Handy, um sie anzurufen.

"Ich bin echt froh, dass du mich anrufst", sagt sie direkt in den Hörer.

"Wieso? Ist etwas passiert?"

"Nein, ich freue mich einfach nur. Wieso sollte sich eine Mutter nicht freuen, wenn ihre Kinder sie anrufen?" Ich muss unwillkürlich lächeln.

"Dann bin ich auch froh." Ich kuschele mich an Ardan ran.

"Bist du gerade erst aufgewacht?" Ich bestätige es ihr und sage, dass Yasmin noch schläft.

"Und? Wie ist der Urlaub so?", frage ich. Sie seufzt.

"Valencia ist schöner geworden ... es tut gut." Ich höre, wie sie tief durchatmet.

"Was habt ihr alles gemacht?" Ich höre sie nun kichern.

"Ach, so einiges. Dein Vater hat einen wahren Palast für uns gemietet, woraufhin er mich zu jeder Ecke Valencias kutschiert hat und es gleich wieder tun wird. Er hat das total intensiv geplant und jeden Fleck recherchiert, damit ich auch ja nichts verpasse. Ich habe dir so einige Sachen gekauft", schnurrt sie am Ende. Oje, kriege ich neue Unterwäsche?

"Was denn genau?" Ardan windet sich leicht, weshalb ich mich panisch aufsetze.

"Unterwäsche, hier gibt es schönen Schmuck und ..." Ich kann mich auf Mamas Aufzählung nicht konzentrieren, da er sich auf den Rücken dreht. Sofort setze ich mich auf ihn und halte ihm den Mund zu.

"Welche Farbe hat die Unterwäsche?" Ardan hebt seine Augenbrauen. Ach, plötzlich wird er wach?

"Ich habe welche in Rot und Rosa geholt. Diese Farben sind immer toll. Und einen Satinkimono. Ich vermisse das Aufschneiden und meine kleine Tochter." Sie quietscht am Ende. Ich kichere. Ardan beobachtet mich aufmerksam. Seine Hände fahren über meine Schenkel. Ich werde langsam unruhig. Sind seine Eltern noch da? Was ist, wenn die Mutter hoch ins Zimmer kommt? Aber das hat sie noch nie gemacht.

"Ich vermisse dich auch, aber du kommst ja diese Tage wieder." Mama seufzt.

"Ja, darauf freue ich mich schon. Hach, ich werde dich ganz lange im Arm halten." Ich muss lächeln. Mir wird ganz warm vor Freude.

"Darauf freue ich mich."

"Und danach gucke ich, ob du schwanger bist." Und schon wird mir ganz kalt. Ich erschaudere heftig am ganzen Körper.

"Mama!", murre ich. Ich weiß, dass es nur ein Witz ist, aber er passt überhaupt nicht ... nur zeitlich passt er. Mama kichert nur vor sich hin und anscheinend kommt Baba ins Zimmer, der mit mir reden möchte ... mit mir ... ich auf Ardans Schoß, seinen Mund zuhaltend, mein Gesicht ist sicherlich blass.

"Cana?"

"Baba?", piepse ich. Er lacht.

"Wie geht es dir?", fragen wir gleichzeitig. Ich fühle mich gerade echt nicht wohl.

"Gut und selbst?", antworten wir wieder gleichzeitig. Jetzt lachen wir.

"Die Antwort wissen wir ja", meint er. Ich winde mich auf Ardans Schoß.

"Wohin geht es jetzt?", frage ich. Baba erzählt von irgendeinem Ort, fragt mich hundertmal, was ich haben möchte und fragt mich genauso oft über alles aus, bis ich dann auflegen und Luft holen darf.

Langsam lasse ich meine Hand von seinem Mund gleiten. Es hat sich schon ein roter Abdruck um seinen Mund gebildet. "Es ist immer wieder abwechslungsreich, von dir geweckt zu werden, Mopsi." Er schmunzelt amüsiert. "Ich wache mit dem engelsgleichen Gesang über Unterwäsche auf." Jetzt muss ich kichern. "Da wirst du hellhörig, nicht wahr?" Er nickt schmunzelnd. Bei seinen Augen muss ich sofort an seine Tränen denken. Mein Lächeln verfliegt. "Wie geht es dir?" Er hält inne und schließt dann seine Augen. "Gut. Lässt du mich kurz aufstehen, um mir die Zähne zu putzen?" Ich nicke. Man merkt, dass er nicht darüber reden möchte. Hoffentlich redet er so schnell wie möglich mit seiner Mutter darüber. So eine Last ist nicht gut. Ich ziehe mir die Baumwollshorts über. Ardan braucht diesmal nicht lange. Sein Gesicht glänzt vom Wasser, womit er sich sein Gesicht gewaschen hat. Sofort kuschele ich mich an seinen warmen Körper. "Willst du wirklich nicht darüber reden?", versuche ich es zum letzten Mal und auch hier verneint er es. "Ich belaste dich nicht mit meinen Sorgen." "Tust du nicht." "Mopsi, du bist sensibel. Dein Herz beginnt zu schmerzen, wenn du eine emotionale Überlastung erleidest." Da hat er mich. Ich senke verlegen den Blick auf seine Brust. Mich streichelt sein Daumen auf meiner Wange. Ein liebliches Gefühl. "Magst du heute irgendwohin?" Ich verneine es. "Ich gehe heute zu Yasmin zurück." Ardan wirkt echt enttäuscht, aber wieso? Das ist ja nicht das erste Mal, dass ich wieder zurückmuss. "Aber wieso?" "Weil ich zurückmuss, Ardan. Ich kann nicht über Tage bei dir bleiben." "Du konntest die paar Tage doch auch bei mir verbringen."

Ich öffne den Mund, schließe ihn aber wieder. Er hat recht, aber trotzdem. "Ardan ..." Ich setze mich auf, um ihn besser anschaue zu können. Im Liegen will ich nicht diskutieren. "Du weißt, wie knifflig das immer ist. Ich will nicht immer lügen müssen. Ich würde doch auch gerne noch eine ganze Woche bei dir bleiben, aber ich muss zurück. Yasmins Mutter hat die Verantwortung für mich." Anschließend fahre ich durch sein weiches Haar. "Eine Verantwortung, die du schon das eine oder andere Mal missbrauchst." Ouh. Ich ziehe meine Hand weg. Er hat recht, aber es trifft mich trotzdem. Das wird mir erst jetzt klar, ich sollte das nicht mehr tun. Meine Eltern kommen sowieso in wenigen Tagen zurück, aber die letzten Tage bleibe ich wirklich bei Yasmin. "Du hast recht." Ich vernachlässige und nutze Yasmin ja regelrecht aus ... aber das wollte ich nicht! "Hey." Ardans sanfte Stimme holt mich zurück, seine Daumen ziehen meine vor Schuld zusammengezogenen Augenbrauen auseinander. "Ich wollte dich nicht verurteilen, Cana." "Hast du nicht. Du hast mir nur die Wahrheit gesagt." "Nein, Cana, das war überspitzt. Mach dir bitte keinen Vorwurf." Aber er hat doch recht. Ardans grünen Augen glänzen besorgt. "Bitte, vergiss diesen Gedanken. Ich habe ihn aus Trotz gesagt, weil ich dich bei mir haben will. Es war dumm von mir." Ouh. Aber Ardan hat trotzdem recht. Ich sollte viel mehr mit den anderen und vor allem Yasmin unternehmen - ihr stehe ich in der Schuld. "Ich muss heute trotzdem gehen", nuschele ich. Seine Augen weichen meinen aus, er steht stattdessen auf und zieht sich Shorts und ein T-Shirt über. Ich mag es nicht, wenn seine grünen Augen abwesend und betrübt durch die Gegend schauen. Sie sollen vor Freude funkeln.

Wir bereiten schweigend das Frühstück für uns vor. Roxy ist wie immer voller Energie und lobt jeden unserer Schritte mit einem Schwanzwedeln ihrerseits. Sie ist so goldig, passt doch zu ihrer Hunderasse. Ardan ist zwar schweigsam, aber er ist immer neben mir. Egal was er tut, es muss neben mir passieren. Er möchte nicht, dass ich gehe. Ich möchte es ja auch nicht, aber ich habe ja keine bessere Wahl. "Also ... wenn wir unsere Stundenpläne bekommen, dann können wir ja schauen, wie wir das mit dem Treffen zusammen machen", durchbreche ich die unangenehme Stille. Ich will reden, ich will planen. "Du wirst dich sehr auf die Schule konzentrieren wollen. Dadurch erschließt sich, dass wir uns weniger sehen werden." "Hey, wieso bist du so pessimistisch?" "Ich bin realistisch." Mein Mundwinkel zuckt unzufrieden. Seine Laune gefällt mir überhaupt nicht. Ich stelle mich seufzend vor ihn und nehme sein Gesicht in meine Hände. "Bist du jetzt schlecht gelaunt, weil ich nicht bleiben kann?" Er gibt mir ein demotiviertes Mundwinkelzucken. "Ja." Einerseits fühle ich mich geschmeichelt, doch andererseits will ich nicht, dass er sich dadurch den Tag kaputt macht. "Ardan, lass dich deshalb nicht runterziehen." "Cana, das sind die letzten Tage, die wir gemeinsam miteinander verbringen können. Du kannst ohne Probleme zu all deinen Freundinnen und auch dort übernachten, aber bei mir wird es problematisch. Ich will dich bei mir haben. Es mag vielleicht übertrieben vorkommen, aber ich bin so verdammt glücklich, dass ich endlich wen habe, dass ich es nicht akzeptieren kann, dass du gleich wieder weg bist." Frustriert vergräbt er sein Gesicht in meiner Halsbeuge.

Er hat schon wieder recht. Es tut mir leid für ihn, dass ich nicht problemlos zu ihm kommen kann und ich würde liebend gern bei ihm bleiben, aber leider Gottes funktioniert das nicht. Ich fürchte mich davor, dass Ardan womöglich öfter so wird, weil er durch meine Abwesenheit schlechte Laune bekommt. "Wirst du in Zukunft immer schlechte Laune haben, wenn wir nur telefonieren oder schreiben können?", frage ich vorsichtig. Er seufzt gegen meine Haut. "Nein", flüstert er. "Ich bin einfach nur ein wenig aufgebracht. Ich muss mich daran gewöhnen, dass ich dich weniger sehen werde." "Aber wir sind immer noch in einer Stufe." "Es wird anders, glaub mir." Ich will es nicht glauben! "So anders kann es doch gar nicht werden", murre ich. "Werden wir jetzt etwa stur, Mopsi?" Seine Lippen verziehen sich an meiner Haut zu einem Schmunzeln. "Nein." Um mein aufsteigendes Schmunzeln zu kaschieren, beiße ich mir auf die Unterlippe. Er summt nur ungläubig. "Dann lass uns frühstücken." Als ob es so anders wird, wenn wir in die zwölfte Klasse steigen. Das kommt mir so unrealistisch vor. Ardan zieht mich auf den Platz neben sich, seine Hand legt sich auf meinen Oberschenkel. Das Zusammenziehen untenrum ist mir irgendwie neu, bei dieser Geste. Vielleicht liegt es an den intimen Erinnerungen. Ich lächele verlegen. Roxy läuft unter dem Tisch an unseren Beinen vorbei. Ich kichere, als sie meine Wade leckt. Ardan schaut unter den Tisch und befiehlt Roxy - sanft wie immer - von meinem Bein abzulassen.

"Lass sie doch ihren Spaß haben. Wenn ich ihr schmecke, dann freut es mich." Ardans Hand mit dem Brot darin hält vor seinem Mund inne. Sein Mundwinkel hebt sich zu einem schiefen Grinsen. Was ist denn jetzt los? "Was?" Er schüttelt nur den Kopf. "Doch, ich will es wissen." "Ich auch", raunt er mir zu. Hä? Ich blinzele verwirrt. Daran scheint er sich zu amüsieren. "Iss, Mopsi. Vielleicht schmeckst du durch die Früchte noch besser." Ich weiß nicht so recht, was er damit meint. Bleibt der Geschmack von Früchten lange im Mund? Nachdenklich tue ich es. Also wenn der Geschmack lange im Mund bleibt, dann ist es doch gut. Bei Ardan hielt der Schoko-Erdbeeren-Geschmack auch etwas im Mund an. Mag Ardan Bananen? Als Kind habe ich von Bananen immer Verstopfungen bekommen. "Wie geht es dir?", frage ich. "Gut und dir?" Ardan lächelt mich an. "Auch." Jetzt bin ich wieder so kuschelbedürftig und lehne mich an Ardan. Gleich legen wir uns einfach wieder ins Bett und kuscheln und kuscheln und kuscheln. Ich lege mein Bein um ihn, nein, ich umklammere ihn mit beiden Beinen von der Seite. "Diesmal habe ich Glück, dass ich keine Erektion habe. Den Schmerz, den du mir das erste Mal angetan hast, war schlimm, Mopsi. Dafür müsste man dich bestrafen." Ich kichere, als ich an das erste Mal denke, wo ich bei Ardan übernachtet und ihm aus Versehen wehgetan habe, indem ich mein Bein mit bisschen Wucht um seine Hüfte und somit gegen seine Erektion geschleudert habe. Armer Ardan. Ich drücke Ardan einen Kuss auf seine Schulter. Seine Haut ist so weich und riecht so gut. Ich summe zufrieden. "Du riechst so gut", murmele ich. "Danke, ich muss eigentlich duschen." "Hast du nicht nötig." "Doch, ich muss frisch für meine Mopsi sein." Wir frühstücken schnell zu Ende, räumen ab und laufen dann nach oben. Ardan geht duschen, obwohl ich ihm sage, dass er immer noch gut riecht. "Du kannst ja mitkommen", schmunzelt er.

Ouh. Ich werde unwillkürlich verlegen. Mit Ardan duschen zu gehen ... das wäre prickelnd. Oh Mann und wie prickelnd das wäre. Mir wird ganz warm bei dem Gedanken. "Ich ... ich-," Ardan bemerkt, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Sein Schmunzeln fällt bei meiner Unsicherheit und er kommt auf mich zu. "Hey, Mopsi, du musst das nicht tun." Oh Mann, seine Stimme ist so sanft. Ich könnte einknicken, so weich wie sie mich umgibt. "Das war eher als Scherz gemeint." Er lächelt, als er meine Hände drückt. "Natürlich hätte ich nichts dagegen, aber ich zwinge dich zu gar nichts. Niemals." Ich nicke, unfähig, etwas anzusetzen. "Gut, dann gehe ich jetzt duschen ... ohne dich." Ich nicke und er grinst. "Schmuddel-Ardan", murmele ich und renne kreischend ins Zimmer, als er mich packen wollte. Roxy bellt, sie ist anscheinend hier oben. Sie bellt und tappt gegen die Badezimmertür. Sie will zu Ardan ins Bad, wie süß. "Ardan, Roxy möchte zu dir", schmunzele ich. Er öffnet mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt die Tür. Ein schöner Anblick. "Hereinspaziert", seufzt er belustigt. Roxy ist ganz glücklich und schmeißt sich an ihr Herrchen, der sie versucht zu zähmen und gleichzeitig damit kämpft, dass sein Handtuch nicht auseinanderfällt. "Roxy, sitz!" Sofort tut sie, was Ardan ihr befiehlt. Sie ist einfach zu süß für diese Welt. "Wir ziehen anderen Leuten nicht das letzte Stück Stoff vom Körper." Er schaut vielsagend zu mir. Oje, er meint die erste Übernachtung, wo ich sein T-Shirt hochgezogen habe, als er noch geschlafen hat. "Viel Spaß noch", kichere ich, ehe ich ins Zimmer trete.

Yasmin begrüßt mich innig. "Was habt ihr so getrieben?", fragt sie mich. Ich erröte hoffentlich nicht, auch wenn mir warm wird. "Das Übliche." "Und was ist euer Übliches?", fragt sie schief grinsend. "Kuscheln und so." Ich zucke mit meinen Schultern. Yasmins Grinsen wirkt langsam gruselig. "Alles gut?", pruste ich. "Erzähl mir, was ihr getan habt." Getrieben, getan, das sind alles so ambivalente Wörter. "Nichts. Das, was Pärchen halt tun", murmele ich. "Pärchen können so einiges tun", summt sie vielsagend. Oh, wir haben da so etwas getan. Ich drehe mich von ihr weg, um mir eine lockere Stoffhose anzuziehen. "Was habt ihr noch so gemacht, als ihr auf dem Sommerdom wart?" "Wir waren noch auf einigen Geräten, haben gechillt und sind dann nach Hause gegangen." "Was gibt es heute zu essen?" "Hat dir Ardan etwa nichts zu essen gegeben oder was? Den mache ich fertig!", schimpft sie. "Er kümmert sich gut um mich", besänftige ich sie lächelnd. Ardan ist ein echt guter Mensch. Er würde mir nie etwas Schlechtes zukommen lassen. Yasmins Züge werden weicher. "Ich weiß, er tut dir gut. Ich freue mich so für euch." Sie kommt auf mich zu, um mich in eine feste Umarmung zu ziehen. Es tut gut, eine Person zu haben, der ich es erzählen kann. Wenn es nicht so wäre, wüsste ich gar nicht, wohin mit den ganzen Gedanken und Informationen. Ich muss sie noch etwas fragen. "Yasmin?" Sie summt, hält mich immer noch in ihren Armen. "Vernachlässige ich euch? Nutze ich dich aus?" Sie schaut mich überrascht an. "Sei ehrlich." Mir wird mulmig dabei, ihre Antwort gleich zu hören.

"Also ... ich weiß nicht so recht." "Also doch." "Nein ... das ist schwer auszudrücken. Man kann das nicht so richtig sagen. Du bist verliebt und hast einen Freund. Am Anfang will man die ganze Zeit beisammen sein und gar nicht mehr weg voneinander kommen. Ich kann dir das nicht übel nehmen, aber da ist auch ein Teil, der sich denkt, dass es so komisch und irgendwie ... unpassend ist, dass du öfter weg bist und dass es nur durch mich ermöglicht wird. Das soll nicht heißen, dass ich das nicht will, aber ich will dich ja auch bei mir haben. Versteh mich nicht falsch, ich weiß nur nicht, wie ich es ausdrücken soll." Dann hat Ardan also recht. Das wollte ich nicht. Ich wollte nur so gerne bei Ardan sein. "Die Ferien sind ja eh bald vorbei, da kommt es dann nicht mehr zum Ausnutzen", murmele ich beschämt. Das hätte ich ehrlich nicht von mir gedacht. So will ich gar nicht sein. "Nein, nein! So meinte ich das nicht!" Yasmin drückt mich wieder an sich. "Ich habe nicht gesagt, dass du mich ausnutzt, Cana. Denk jetzt bloß nicht falsch. Ich verstehe dich doch. Wer würde denn nicht gerne bei seiner Liebe bleiben können, wenn man die Möglichkeit hat?" "Ich wollte das wirklich nicht." "Es ist okay, Cana. Mach dir deshalb keine Vorwürfe. Ich finde es gut, dass du es angesprochen hast, aber damit hat es sich auch. Du weißt Bescheid, aber du sollst dir dafür nicht die Schuld geben, nur weil du verliebt bist. Ich würde auch gerne wollen, dass ich eine Freundin habe, die mir hilft, damit ich bei meinem Freund bleiben kann."

Wir haben uns dazu beschlossen, Amal und Dilan einzuladen, damit wir vier endlich mal wieder einen Tag gemeinsam miteinander verbringen und auch beisammen zu übernachten. Ich habe doch so viel Zeit, mich mit Ardan zu treffen. Da muss ich das doch nicht so oft hintereinander tun. Ich muss ihm deshalb noch schreiben. Ich fühle mich irgendwie verpflichtet, ihm davon zu erzählen, damit er auch weiß, wie es vielleicht später sein wird. Ich will meine Freunde nicht vernachlässigen. Dilan ist ja auch mit meinem Bruder zusammen und trotzdem hat sie Zeit für uns ... glaube ich. Ich bemerke es gut möglich gar nicht, weil ich so oft an Ardan denke. "Cana? Wie läuft es jetzt mit dir und Ardan?", grinst Dilan. Wie kommt sie darauf? Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Na, seid ihr schon zusammen? Ich warte auf den Tag, wo ich euch einsperre." Ich erröte. "Dilan", murre ich. Mein Schmunzeln wächst, ich drücke mein Gesicht ins Kissen. "Wie läuft es mit dir und Adam? Hattet ihr schon wilden Sex?", rettet mich Yasmin, auch wenn ich das auch nicht hören will. "Zu oft. Ich komme mit dem Zählen gar nicht mehr mit." "Dilan!" Mit einem entgeisterten Schmunzeln schmeiße ich das Kissen nach ihr. "Was denn? Dein Bruder ist hübsch." "Ist okay", versuche ich das Thema zu beenden. "Du kannst es ja in ein Tagebuch schreiben." Das wäre jedenfalls besser, als, dass ich es mitbekomme. "Ich bevorzuge Videoaufnahmen." Ich kreische. Das will ich echt nicht hören! "Dilan, du kleine Bitch", raunt Amal, die ihr in die Seite knufft. "Was denn? Wenn ich es tun würde, dann würde ich auch dazu stehen und es euch erzählen." Oje, ausgerechnet heute muss so vieles ungewollt auf mich zutreffen.

"Würdest du nicht", meine ich dann. "Doch, klar", beteuert sie. "Nein", lächele ich. "Das ist etwas total Intimes. Das würdest du nicht sofort preisgeben. Du würdest es monatelang niemandem erzählen, bis du dann irgendwann den Mut dazu hast, es deinen Freundinnen zu beichten. Es hört sich leicht an, aber das ist es nicht." Ich weiß ja, wovon ich rede. "Glaube ich auch", stimmt Yasmin mir zu. Es wird danach still. Würde ich es jemals meinen Freundinnen erzählen? Ich weiß nicht. Jetzt könnte ich es auf gar keinen Fall. Ich hätte zu viel Angst. So sehr ich ihnen auch vertraue, in diesem Punkt habe ich noch nicht genügend Vertrauen, was dieses Thema angeht. Wenn es nur einmal geäußert wird und jemand es mitbekommt, der es auf gar keinen Fall mitbekommen soll, dann kann es schiefgehen. Es könnte durch die Schule gehen, meine Eltern und Brüder könnten es mitbekommen. Dann wäre alles vorbei. Ich wüsste nicht, was meine Eltern tun würden. Deshalb will ich es für immer für mich behalten. Für sie ist es doch sowieso nur eine kleine Information am Rande. Für mich ist es etwas anderes. Ich bereue es nicht, kein bisschen. Ich schwelge gerne in Erinnerungen deshalb, aber ich kann es nicht riskieren, es jemandem zu erzählen. Ardan weiß es und das reicht mir. Schließlich bin ich nicht dazu verpflichtet, es jemandem zu erzählen. Diese Intimitäten gehen sowieso niemanden etwas an. Es ist etwas zwischen Ardan und mir. Etwas, was ich wieder tun würde ... ich habe jetzt schon wieder Sehnsucht nach ihm, aber heute will ich mich echt auf die Mädels konzentrieren. Das Gespräch kann ich ja auf morgen verschieben. Schließlich muss ich mich sowieso daran gewöhnen, dass ich weniger Kontakt zu ihm haben werde, wenn die Schule beginnt.

Mein Verstand erklärt sich bereit, aber mein Herz rebelliert jetzt schon gegen diese Distanz.

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