Kapitel 68
Sandro Cavazza, Lou Elliotte - Used To
Ich weiß, dass er es ist, trotzdem wird mir kurz kalt, weil er mich so plötzlich umgreift und ins Zimmer bringt. Seine Worte liegen mir immer noch schwer auf der Brust, weshalb ich mich schnell aus seinem Griff entwinde. "Ich will schlafen." "Wir sollten reden." Spöttisch lache ich auf. Zwar sehe ich ihn so gut wie gar nicht im dunkeln Zimmer, aber das macht mir nicht viel aus. "Jetzt? Nachdem du dich sowieso verschlossen hast und nicht einmal an eine Zukunft mit mir denkst?", zische ich leise. Ich bin zwar wütend, aber ich will seine Eltern nicht wecken. Ardan seufzt. "Ich bin morgen früh weg, keine Sorge", erzähle ich ihm patzig und steuere auf mein Bett zu. "Nein, Cana, bitte nicht." Er hält meine Hand fest. "Ich meinte es nicht so. Versteh es bitte nicht falsch", bittet er mich. Seine Stimme ist so sanft und sucht nach Verständnis. "Wie soll ich es sonst verstehen?", seufze ich und setze mich aufs Bett. "Ich ... ich meinte es nicht so, dass ich mit dir Schluss mache. Das wäre idiotisch, sonst würde ich dich doch nicht lieben." Dieses Geständnis kribbelt im Bauch, es macht mich ganz emotional. Zum Glück sieht er nicht, dass meine Augen feucht werden. Ich atme tief durch, bevor ich meine Antwort ausspreche. "Was meintest du dann?" Er seufzt lange. Ich höre, wie er seine Handflächen reibt. "Das ist ... es ist so eine kleine Angst, mehr nicht." "Eine kleine Angst, die dich wohl sehr aggressiv machen kann", merke ich mit verhohlenem Spott an. Sonst ist Ardan immer so gefasst. Was also bringt ihn so aus der Fassung, dass er mich anschreit?
"Ich habe einfach durch die schlechten Erfahrungen Angst, dass du mich verlässt. Wer nicht gemobbt wurde, der kann es nicht nachvollziehen. Ich wurde aus unerklärlichen Gründen abgewiesen und diese Angst, dass du mich aus einem unerklärlichen Grund verlässt, macht mich verrückt. Das Wort Zukunft kommt mir verhasst vor, obwohl ich so eigentlich gegen meine eigenen Moralen spreche. Ich rede gegen mich selber, das kannst du nicht verstehen. Das ... das ist nicht leicht zu erklären." Und plötzlich fallen mir alle Lasten von den Schultern. Ich habe es wirklich falsch verstanden, aber ich kann es mir nicht verübeln. "O-ouh", nuschele ich. Was ich sagen könnte, fällt mir schwer. Ich will ihn trösten, aber ich weiß nicht wie. "Ja", seufzt er. Anhand seiner Silhouette erkenne ich, dass er sich durch sein Haar fährt. Durch sein weiches Haar. "Das tut mir leid." "Das muss es nicht. Ich muss mich entschuldigen, weil ich dich so angeherrscht habe." Vorsichtig legt er seinen Arm um mich. Jetzt fühle mich viel besser. Alles fühlt sich gerade besser an. Selbst das leichte Gefühl der Taubheit in meinen Füßen, fühlt sich gut an - so denke ich, dass ich schwebe. "Das war echt nicht schön." "Ich weiß. Verzeih mir." Ich summe und kriege einen Kuss auf den Scheitel. "Der Tag war wieder so gemischt. Es waren so viele Emotionen dabei." "Ja, das stimmt", murmelt er. Nach einem kurzen Schweigen, schlägt er die Bettdecke zurück und legt sich mit mir hin. "Oder sollen wir zu mir ins Bett? Dort ist es größer." "Was ist, wenn ich alleine hierbleiben will?" "Aber du meintest doch, dass du nicht gut schlafen kannst." Oh, meine Lüge habe ich total vergessen.
Wir liegen in seinem Bett. Es ist komisch, dass alles wieder normal ist, ich kann es nicht erklären. Es ist alles noch so frisch, zu frisch. Erst hatten wir ein sehr intimes Intermezzo, dann kam ein Streit, der nach einem Gespräch mit seiner Mutter schlimmer wurde und nun haben wir uns wieder vertragen. Wie schnell das gehen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt dazu kommen würde, einfach, weil ich Ardan nicht so eingeschätzt habe. Aber das wird sicherlich nicht mehr vorkommen, weil ich jetzt Bescheid weiß. Seine Finger fahren über die Kette, ehe er die Phiole in die Hand nimmt. "Was hast du eigentlich mit dem Glasfisch gemacht, den ich dir geschenkt habe?" "Der liegt unter meinem Kissen." Ich ziehe mein Bettelarmband aus und lege es auf seinen Nachttisch, wo ich die Lampe anschalte. "Und deine erste Rose liegt in meinem Schrank. Ich hoffe, du hast den letzten Blumenstrauß nicht weggeschmissen, denn den würde ich auch gerne behalten." "Der ist noch im Auto. Als du ihn nicht genommen hast, war ich schon ... verletzt." "Ich habe ihn vergessen." Aufmunternd fahre ich über seine Arme. "Aber das ist jetzt auch egal", meint er dann. "Du bist aber immer noch leicht distanziert, nicht wahr?" Er nickt. "Und wann glaubst du, wirst du wieder komplett offen sein?" "Ich weiß es nicht. Vielleicht schon morgen? Ich kann es nicht bestimmen, aber dass du so ... bereitwillig bist, hilft mir schon." Ich lächele verlegen, erröte vermutlich. "Wie kam es dazu? Davor kamst du mir immer recht schüchtern vor." Seine Finger streichen mir einzelne Strähnen aus meinem Gesicht.
"Ich weiß nicht. Es kam so plötzlich. Es ist wirklich ein schönes Gefühl bis jetzt", äußere ich mich verlegen. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich nach mehr sehne. Ob es wirklich Sex sein muss, weiß ich nicht. Das, was wir bis jetzt erreicht haben, kommt mir schon sehr befriedigend vor. Ich mag es, seine Haut zu berühren. Wieso trägt er noch das T-Shirt? "Zieh es doch aus?" Ich zupfe am Saum und sehe seinen verlegenen Blick. "Bitte, ich mag es, deine Haut zu berühren." Flehend schmolle ich und kann ihm dann am Ende von seinem T-Shirt befreien. Seine Haut zieht mich an. Ich will sie stundenlang berühren und küssen. Ist das nicht faszinierend? Langsam streiche ich mit beiden Händen über seine Brust und seine Schlüsselbeine, die so schön hervorstechen. Durch das Licht wirken sie noch definierter und die Kuhlen wirken so tief. Meine Hände fahren seine Arme abwärts, über seine ausgeprägten Bizepse, die Vene auf dem rechten dort und dann über seine Unterarme, wo mehr Venen hervorstechen. Schließlich gleiten meine Hände in seine und verschränken sich mit ihnen. Ich ziehe mir schnell die Baumwollshorts aus. Das T-Shirt verdeckt sowieso das Meiste. "Ich dachte kurz, du hättest nichts darunter an." "Ich habe ja noch deine Boxershorts an. Hast du eigentlich jetzt eine an?" Er bestätigt es mir nickend. Mich stört es, dass er mich nicht berührt. Seine Hände liegen schlaff neben seinem Körper auf der Matratze, statt auf meinen Hüften oder Schenkeln. Statt zwischen seinen Beinen zu sitzen, setze ich mich auf seinen Schoß.
Mir schießen sofort die Fotos vom Nachmittag in den Sinn, wo wir in der Badewanne saßen. Mein Unterleib zieht sich zusammen und anhand seines überraschten Gesichtsausdruckes weiß ich, dass er es gespürt hat. Das ruft mir eine verräterische Röte ins Gesicht. Meine Hände beginnen ihre Wanderschaft von neu. Es fühlt sich so an, als ob es ganz von allein geschieht. Ich fühle mich wie in einer Blase, die mich vom Eigentlichen abhebt. Ardan beobachtet meine Berührungen ganz aufmerksam, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Meine Hände wandern langsam über seinen Bauch und streichen über die Bauchmuskeln, die V-Linie und den Bund seiner Baumwollshorts. Sein Unterbauch zieht sich sofort zurück, ich lächele. "Wieso legst du deine Hände nicht auf meine Haut?", flüstere ich. Zögernd legen sich seine Hände auf meine Schenkel, wo sich schnell eine Gänsehaut verbreitet. "Ich bin immer noch vorsichtig", erinnert er mich. Ich nicke, spüre die Aufregung in mir, als seine Hände mich zu streicheln beginnen. Ich will ihm am liebsten meine ganzen Beine zeigen, meine ganzen Kurven und Dehnungsstreifen. Ich will, dass er alles an mir bewundert. Wenn wir intim werden, dann werde ich immer viel, viel selbstbewusster - und meine Brüste geraten in den Hintergrund. Meine Müdigkeit ist verflogen, ich beobachte aufmerksam, wie seine Hände meine Schenkel streicheln und unter das Oberteil fahren. Ich bewege meine Hände wieder seinen Oberkörper hinab und nähere mich seiner warmen Haut, um sie zu küssen.
Die ersten Küsse setze ich auf seinem Schlüsselbein ab, arbeite mich so zum linken Schlüsselbein und dann nach oben zu seinem Hals. Ich bemerke, wie er seinen Kopf nach rechts in den Nacken legt, damit ich einen besseren Zugriff habe. Seine straffe Haut pulsiert unter meinen Lippen und meine Haut unter seinen Händen, die meinen nackten Rücken hinaufgleiten. Ich erschaudere und dabei verharren seine Hände nur auf meinem Rücken. Sein Seufzen ermutigt mich, seinen Hals kräftiger zu küssen. Ich sauge leicht, streife mit meiner Zunge seinen Lymphknoten und höre seinerseits ein verschlucktes Keuchen. Seine Hände krallen sich in meine Haut. Ich mache alles richtig. Ich spüre, wie es untenrum bei ihm anschwillt. Seine Hand dirigiert mich an meinem Hinterkopf zu seinen Lippen, die die letzten negativen Gedanken in mir zerspringen lassen. Er stellt sich mit mir eine Zukunft vor. Ich kann ihm vertrauen. Liebend schlingen sich unsere Zungen umeinander, intensivieren die Liebe zueinander, bis wir uns keuchend und mit geschwollenen Lippen ansehen. Wieder habe ich das Gefühl, dass sich alles dreht. Dieses Gefühl habe ich seit der Hochzeit. Ich mag das Gefühl. Lächelnd schmiege ich mich an ihn. Ardan schaltet das Licht aus und legt uns hin. Sein Herz schlägt regelmäßig gegen mein Ohr. So kann ich am besten einschlafen. "Habe ich dir schon mal erzählt, wie sehr ich es liebe, deinem Herzschlag zu lauschen?" Meine Stimme ist ein wenig kratzig, warum auch immer. Ich hebe den Blick an, obwohl ich nichts sehe. Stattdessen spüre ich einen Kuss auf die Stirn.
Als ich aufstehe, liegt mein Kopf immer noch auf seiner Brust. Der Tag ist schon angebrochen. "Mopsi?" Ich brumme. "Wach oder im Halbschlaf?" "Wach ... glaube ich", murmele ich rau, ehe ich mich räuspere. Seine Stimme sagt mir, dass er gut gelaunt ist und meine These wird mir bestätigt, als ich den Blick anhebe, den ich nicht lange halten kann, da meine Augenlider sich geschwollen anfühlen und es mir so schwerfällt, die Augen ganz zu öffnen. Es ist frisch im Zimmer, weshalb ich mir die Decke bis an die Nase ziehe. Es ist so frisch, dass meine Brustwarzen abstehen, aber ich will Ardan nicht sagen, dass er die Klimaanlage aufdrehen soll, da ihm schneller warm wird, als mir - um mich habe ich Ardans Körperwärme und eine große Decke. "Was magst du heute frühstücken?" Als Antwort erhält er ein Schulterzucken. "Schlaf oder so." Meine Antwort scheint ihn zu belustigen. "Schlaf gibt es ganz viel. Aber ich dachte an etwas mehr ... essbares? Ob du ein Bett essen magst, wage ich zu bezweifeln." Seine neckende Tonlage bringt mich zum Kichern. Ardan versprüht gerade eine so gute Laune, dass ich mich schon viel wacher fühle. Wie macht er das? "Wenn das Bett mich so glücklich macht, wie du es bist, dann esse ich es gerne." "Ich habe andere Alternativen, Mopsi." Voller Elan drückt er mich an sich. Er drückt ein wenig zu fest, weshalb ich quietsche. "Was ist los mit dir?", lächele ich. Wieder hebe ich den Blick an, aber meine Augen sind immer noch sensibel. Ich erkenne trotzdem das Leuchten seiner Augen.
"Heute ist einfach ein guter Tag. Ich fühle mich so vital." Das freut mich. Ich freue mich über alles, wenn er sich vital fühlt. Ich drücke ihn. "Gehen wir heute schwimmen?" "Ich habe keine Badesachen ... ich würde sowieso nicht in Badesachen in euren Pool." "Du kannst ja so hinein. Komm, lass uns frühstücken." Gleichzeitig steigen wir aus dem Bett und laufen in sein Badezimmer. Seine gute Laune ist ansteckend, weshalb ich tänzele. Am liebsten würde ich Musik anschalten und durch die Gegend wirbeln. Meine Brustwarzen stehen nicht mehr ab. Im T-Shirt wirken meine Brüste noch kleiner, ich lege den Kopf schief. Wachsen sie auch irgendwann mal? Ob der Mythos stimmt, dass die Brüste wachsen, wenn sie permanent angefasst werden? Ich spucke den Schaum aus dem Mund und spüle ihn und die Bürste. Danach wasche ich mir mein Gesicht und kriege von Ardan ein Handtuch. "Dankeschön." Genau als ich das Handtuch auf die Ablage des Waschbeckens gelegt habe, setzt mich Ardan auf diese und küsst mich. Dieser Kuss überrascht mich irgendwie, weil Ardan gestern noch verschlossen war und auch danach, als wir uns geküsst haben, wirkte er nicht so wie jetzt. Ich muss mich schon nach hinten lehnen, weil er so stürmisch küsst. Wieso löst er sich so abrupt von mir? Verwirrt sieht er nicht aus, er ist einfach nur glücklich. Mein Lächeln kommt zurück. "Komm, lass uns nach unten." Zärtlich streichelt er meine Wange und legt seine Hand auf meine Taille.
"Hast du irgendetwas geträumt oder etwas erfahren oder was ist der Grund, dass du so glücklich bist?" Ardan verneint es. "Ich bin es einfach. Heute ist ein guter Tag." Aus dem Kühlschrank holt er einen Teller mit bereits in Scheiben geschnittenem Gemüse. Ich helfe ihm mit den anderen Lebensmitteln und lasse mich am Tisch nieder. "Guten Morgen, Roxy." Ich drehe mich zur Hündin, die gerade ins Wohnzimmer tapst. "Hier." Ardan gibt mir drei Brötchen und schiebt so gut wie jeden Teller näher zu mir. "Ich komme schon dran. Alles gut." "Magst du Tee trinken oder etwas anderes? Wir haben Fruchtsäfte und Wasser da." "Fruchtsaft." Sofort holt er ihn mir. "Dankeschön, Ardan." Seine gute Laune macht mich schon fragwürdig. Ich will nur wissen, wie es plötzlich dazu gekommen ist. Irgendetwas muss doch passiert sein. "Der Sommerdom ist schon diese Tage", erinnere ich ihn. "Ich kann mitkommen, aber auf die Geräte werde ich nicht gehen." Wenigstens kommt er mit. Wenn wir keine Sätze austauschen, beobachte ich ihn. Sein Blick ist gerade auf den Tisch gerichtet. Er scheint an etwas zu denken und zum Glück macht es ihn nicht traurig. Kurz zuckt sein Mundwinkel und dann schließt er einen Moment seine Augen, ehe er zu mir guckt. Irgendetwas in diesem Blick lässt mich erschaudern. Ich muss irgendwie wegschauen, ich weiß nicht wieso. Der Blick hat etwas Intensives an sich, dem ich jetzt noch nicht gewachsen bin. Heute werde ich schnell satt, während Ardan noch genüsslich sein Frühstück vertilgt. Ich räume schon auf und spüre dabei seinen Blick auf mir, der mich erschaudern lässt.
Wieso schaut er so begehrend? Ich finde es schmeichelnd, aber wegen des gestrigen Abends kommt es mir so verwirrend vor. Ich kann es einfach nicht erklären. Es liegen noch einige Sachen vor ihm, und ich traue mich irgendwie nicht, sie zu nehmen. Was ist nur los mit mir? "Willst du noch?", murmele ich. Seine grünen Augen liegen auf mir, mustern mich und fahren meinen Körper hinab. Sieht er die Gänsehaut, die durch seine Blicke entstehen? Er schüttelt den Kopf und hebt die Lebensmittel an, die ich ihm aus der Hand nehme. Am Kühlschrank spüre ich seine Präsenz dicht hinter mir und erschaudere, als er sich vorbeugt, um die anderen Dinge in den Kühlschrank zu legen. Ich wische schnell den Tisch, aber auch hier steht Ardan dicht hinter mir, sodass mein Hintern seine Vorderseite berührt. "Möchtest du etwas?" Meine Stimme ist leicht heiser, als ich die Frage stelle. Mein Blick ist dabei auf den Tisch gerichtet. Sein Körper drückt sich gegen meinen Rücken und seine Hand wandert zu meinem Kiefer, um mein Gesicht anzuheben. Seine Lippen nehmen Besitz von meinen. Es dreht sich alles. Ich fühle mich so komisch und ich weiß nicht wieso. Seine Hand wandert ein Ticken tiefer zu meinem Hals, den er sanft umschlingt. Sofort schnellt meine Hand zu seiner. Dieses Gefühl ist so komisch, so anders, als gestern. Aber gestern war Ardan nicht der, der er heute ist und gestern kam es auch von mir. "Du schmeckst so süß", keucht er. Sein Griff verfestigt sich ein wenig um meinen Hals, weshalb ich mich unruhig winde. Es fühlt sich einerseits schön an, doch auf der anderen Seite kenne ich das so von Ardan nicht.
Mein Nacken fängt wegen der Lage an, zu schmerzen, weshalb ich mich aus dem Kuss entziehe und mich zu ihm drehe. Seine Wangen haben eine leichte Röte, seine Pupillen sind geweitet und seine Brust hebt sich merklich. Dasselbe ist sicherlich auch bei mir zu sehen, da bin ich mir sicher. "Du bist heute so anders." Undurchdringlich schaut er mich an. Was geht in seinem Kopf vor sich? "Du lernst mich nur immer besser kennen", erwidert er dann. Da ich nicht weiß, was ich jetzt tun soll, drehe ich mich um und wische den Tisch zu Ende. Nachdem ich mir die Hände wasche, nimmt er meine Hand und führt mich ins Wohnzimmer, zieht mich zwischen seine Beine, als er sich hinlegt. Seine Finger kreisen über meine Lippen, mein Hals fühlt sich so trocken an. "Magst du noch Apfelsaft haben?" Benebelt nicke ich. Als er geht, fühlt es sich kühler an. "Kannst du die Klimaanlage etwas aufdrehen? Es ist echt frisch." "Natürlich." Er drückt kurz einige Knöpfe auf der Fernbedienung und kommt mit der Flasche und einem Glas zurück, in das er mir den Saft einfüllt. "Danke dir." "Für dich tue ich alles." Dieser Satz hat einen Effekt auf mich, der mich irgendwie alles in Frage stellen lässt. Meint er das wirklich so oder ist das nur auf diese Kleinigkeiten bezogen? Was ist heute los mit mir? Es scheint mir, als ob Ardan und ich die Rollen getauscht haben. "Soll ich dich heute irgendwo hinführen?" Wieder fahren seine Finger über meine Lippen. Diese Geste macht mich so kirre.
"Ich dachte, wir gehen heute schwimmen", flüstere ich. Er lächelt. "Nachdem wir schwimmen gegangen sind oder jetzt. Willst du dir irgendetwas holen?" "Mein Geld ist bei Yasmin." "Ich habe Geld." "Nein." "Doch, soll ich es dir zeigen?" "Nein." Ich schüttele den Kopf. "Du gibst nichts für mich aus." "Das kannst du nicht bestimmen." "Doch, nur widersetzt du dich." "Widersetzen also." Sein Blick sagt mir, dass er wieder in Gedanken ist. Immer wieder kreisen seine Finger langsam über meine Lippen. "Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.", murmelt er und schaut mir wieder in die Augen. "Das meinte Lucius Annaeus Seneca, ein römischer Philosoph. Was hältst du von diesem Zitat?" Ich überlege kurz. "Er hat schon recht, glaube ich." "Glaubst du?" "Vielleicht verstehe ich ihn falsch, aber es sagt doch einfach, dass wir uns einreden, dass wir keine Zeit hätten, obwohl wir in dieser Zeit nichts machen. Also, wir nutzen die große Zeitspanne nicht, die uns zur Verfügung steht, so nach dem Motto: Carpe diem?" "Carpe diem. Das ist mein Motto, wenn du bei mir bist." Sein Daumen streichelt meine Wange. "Vielleicht wirke ich heute deshalb so anders auf dich." "Ich weiß es nicht." Ich lege meine Hand auf seine Brust und dann meinen Kopf auf meinen Handrücken. "Sollen wir in die Stadt?" "Ardan, ich will nicht, dass du mir etwas ausgibst." "Nicht einmal eine Kleinigkeit?" "Nein." "Keine Jeans?" "Nein, Ardan", gebe ich mit Nachdruck von mir. "Wieso nicht?", fragt er nun verärgert. Wieso stört ihn das so? Ich schaue ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an und trinke meinen Apfelsaft, weil ich keine Lust auf eine Diskussion habe.
"Bist du sauer?" Ich verneine es kopfschüttelnd. "Ich wollte nicht schon wieder harsch rüberkommen", seufzt er. "Dann ist ja gut", gebe ich kurzgebunden von mir. Wir liegen eine Stunde vor dem Fernseher, bis Ardan dann unbedingt schwimmen gehen will. Roxy begleitet uns ganz aufgeregt. "Guck mal, Roxy. Da ist dein Freund." Ardan zeigt auf das kleine Tor, wohinter ein Schäferhund steht und nach Roxy schaut. Roxy rennt sofort zum Tor, öffnet die Tür und schließt sie sogar! "Sie ist so talentiert", schmunzele ich. "Ja, sie lernt schnell." "Bist du nicht eifersüchtig, dass sie zu ihrem Freund geht?" Er grinst. "Ich muss meine Eifersucht immer unterdrücken, auch wenn es mir im Herzen wehtut, wenn sie mit anderen Jungs spielt. Das Leben kann so scheußlich sein", seufzt er am Ende ganz theatralisch. Lachend schüttele ich den Kopf und tauche langsam in das kühle Wasser. Ich erinnere mich daran, heute mein Knutschfleck wieder mit warmem Wasser zu massieren. Aber ich werde sowieso duschen müssen. "Diese Woche soll es besonders warm werden", erzählt Ardan. "Dann wird der Sommerdom ziemlich schwül." Er lächelt und steigt ins Wasser. Wieso sieht das so gut aus? "Das heißt, dass unsere Hände vom Halten schwitzen werden." Ich hebe meine Augenbrauen. "Wie? Also ..." Verlegen hebe ich meine Schultern. Wie soll ich ihm sagen, dass wir keinen Körperkontakt haben werden, wenn wir mit unseren Freunden sind? Fragend legt er seinen Kopf schief.
"Naja, wir halten es doch ... geheim." Er erinnert sich wieder. "Ach ja ... stimmt. Wie lange denn noch?" Ich brumme unwohl. Ramzi muss es zuerst erfahren. "Du weißt doch, wie problematisch es dann werden kann." "Stimmt." Er kratzt sich sichtlich gestört am Nacken. "Und wenn deine Brüder von der Schule gehen? Sie bleiben ja nur noch bis zum Frühjahr." Ahnungslos lasse ich meine Schultern zucken. "Ich weiß es wirklich nicht." Ardans Gesicht zeichnet Unzufriedenheit ab. "Hey, mach dir deshalb keine Gedanken." Nun zuckt er mit seinen Schultern. "Willst du es ihnen überhaupt sagen?" Ich hebe überrascht meine Augenbrauen. Ich hätte nichts dagegen, wenn es kein weiterer mehr erfährt, aber dann bräuchte ich immer mehr Lügen. "Wie kommst du darauf?" "Ist es nicht offensichtlich?" "Ardan, es gibt Gründe, warum ich es nicht sagen kann." "Deine Brüder, ich weiß." Und Ramzi. "Bitte nimm es hin. Ich versuche mein Bestes, aber ich kann dir nichts garantieren. Ich will nichts falsch machen." Ich fahre seine Schultern hinauf und lege meine Unterarme dort ab. "Mach dir nicht unnötig negative Gedanken. Weißt du nicht mehr? Carpe diem?" Er nickt. "Du hast recht." "Aber ich verstehe dich trotzdem." Aufmunternd lächele ich. Sein Blick verändert sich. Mein Lächeln fällt. "Du bist bereit, oder?" Plötzlich ist seine Stimme tiefer und rauer. Was ist jetzt los? "Wie? Was meint du?" Er hievt mich hoch und führt mich in die Ecke des Pools, wo eine Erhöhung ist, auf der man sitzen kann. Ich schaue ihn fragend an, doch er antwortet nicht. Stattdessen sieht er mich mit glänzenden Augen an.
Langsam legt er seine Hände um meine Handgelenke und küsst mich. Dass er meine Handgelenke hinter meinem Rücken, unter Wasser festhält, lässt mich unwohl fühlen. Ich habe immer noch den Tag am See im Kopf, wo ich in Panik geriet. Ardan zieht mich näher an sich, lässt eine seiner Hände unter das T-Shirt wandern, wobei die andere Hand beide Handgelenke umschließt. Der Kuss ist geschmeidig und gleichzeitig wirkt Ardan dominierend, weil er sich so nach vorne beugt, dass ich wieder den Kopf in den Nacken legen muss. Er wirkt immer stürmischer, lässt seinen Atem schon fast zischen hinaus. Wieso muss er meine Handgelenke festhalten? Auch wenn mein Bauch kribbelt und mein Unterleib sich zusammenzieht, will ich, dass er meine Handgelenke loslässt. Ich rüttele, aber er bemerkt nichts. Stattdessen wandert er mit seinen Lippen zu meinem Knutschfleck. "Nein, mach ihn nicht noch auffälliger", flüstere ich. "Versprochen", raunt er. Es vibriert in meinem Körper, ich fühle mich in einem Gemisch von Sicherheit und Unsicherheit. Was zu tun ist, ist mir nicht bekannt. Seine Hand, die unter dem T-Shirt ruht, wandert meinen Rücken zu meinem Bauch entlang. Ich keuche zuckend, weil er knapp an meinen Brüsten vorbeigestreift ist. "Cana", keucht er und mich empfängt ein sanftes Schaudern an den Schultern. Seine Hand ruht auf meinen Rippen, nah an meiner rechten Brust. Ich weiß, dass ich mir widerspreche, weil ich gestern sicherlich nichts dagegen gehabt hätte, wenn er mich dort angefasst hätte, aber heute fühlt es sich so anders an. Vor allem, da er meine Handgelenke festhält.
Ich winde mich und befreie mich aus seinem Griff. Ich fühle mich im Wasser unwohl, wenn er meine Handgelenke festhält. Ich weiß, dass er mir nichts tun würde, aber nicht zu wissen, ob ich meine Arme unter Wasser bewegen kann, macht mich nervös. Mir egal, ob ich sitze oder meine Schultern aus dem Wasser ragen. Ardan löst sich verwirrt von mir. Er versteht nicht, was los ist. "Was ist los?" "Wieso umschlingst du meine Handgelenke?" Meine Frage scheint ihn zu verdutzen. Er errötet. "Ich dachte, du bist bereit", murmelt er. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. "Sex." Ouh. "Nicht?" Nun erröte ich. Obwohl ich gestern so willig war, weiß ich nicht, was ich auf seine Frage antworten soll. Bin ich bereit für Sex? "O-ouh, das tut mir leid. Ich wollte dich nicht drängen. Ich dachte nur, weil du gestern so ... so willig warst, dass du es wollen würdest und ... oh Mann, ich versaue wirklich alles." Er fährt sich frustriert über sein Gesicht. "Nein, nein! So ist es gar nicht ... es war nur so ... komisch." Die Hitze springt mir ins Gesicht. "Wegen des Festhaltens?" Ich nicke. "Ich mag das nicht im Wasser. Du weißt ja noch mein Problem im See." Er nickt. "Keine Ahnung, heute ist sowieso ein komischer Tag für mich. Ich fühle mich so anders." "Magst du darüber reden?", fragt er mit Besorgnis in der Stimme. "Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es kommt mir so vor, als ob wir die Rollen getauscht hätten oder so. Ich weiß es nicht. Außerdem ..." Ich lege mir eine Hand auf die Wange.
"Außerdem?" "Ich weiß gar nicht, ob ich bereit bin, es zu tun. Ich meine, ich hätte es gestern sicherlich getan, aber heute fühle ich mich so unsicher, irgendwie und zudem kommt mir meine gestrige Tat so unüberlegt vor." Ich bin froh, dass er nicht enttäuscht wirkt. Die Sorge steht immer noch in seinem Gesicht geschrieben. "Ich will nicht, dass du unsicher bist. Wenn du dafür bereit bist, dann freue ich mich natürlich. Denk gut darüber nach. Ich will nicht, dass du es bereust." Tief durchatmend nicke ich. Es muss wirklich gut überlegt sein. Ob ich bei Yasmin nach Rat suchen soll? Ich weiß nicht so recht. Das ist echt intim. Die Tage muss ich mich echt mit dieser Frage auseinandersetzen. Er setzt sich zu mir auf die Erhöhung und seufzt. "Wären die Kurven des Lebens doch nur so schön wie deine Kurven." Ich lächele verlegen. "All die Jahre habe ich auf das Leben gewartet und nun habe ich so viel Leben in fast einem Jahr. Sie sagten mir, dass mich sowieso keiner mögen würde." Er lacht kurz auf. "Walter Bagehouts Zitat kommt mir gerade so gelegen." Sein Grübchen sticht hervor. "Während ich in meinem Zimmer saß, habe ich immer wieder an diese Aussage gedacht und auch an welche, die so ähnlich waren. So habe ich in meinen Gedanken meine eigene, schöne Welt geschaffen. Dann bin ich auf das Zitat von Albert Einstein gestoßen: Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. Hatte ich eine Matheformel verstanden und bearbeitet, dann war's das, aber mit meiner Fantasie gab es nie ein Ende, nur Pausen, um die Vorstellungen nur noch schöner zu gestalten. Es ist verdammt schön, dass sich meine Vorstellungen von Mal zu Mal erfüllen." Er seufzt lächelnd, seine Augen schimmern.
Der Tag im Krankenhaus kommt mir in den Sinn, wo Ardan geweint hat, als er realisierte, dass er Freunde hat. Die Erinnerung ruft mir die Tränen in die Augen. "Ich fühle echt mit dir, wenn du von deiner Vergangenheit erzählst, aber vor allem fühle ich mit, wenn du glücklich bist. Es ist so schön, mit anzusehen, wie sich dein Leben ins Positive entwickelt." Ich schlinge meine Arme um ihn. "Ich hoffe, dass all deine Wünsche in Erfüllung gehen." Anschließend drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange. "Du bist meine größte Stütze, Cana. Ich weiß nicht, ob ich es dir schon einmal gesagt habe. Am liebsten würde ich dir alles schenken, um dir meine Dankbarkeit auszudrücken." Verlegend lächelt er, als er seinen Blick auf das Wasser senkt. "Du brauchst mir nichts kaufen." "Ich hoffe einfach, dass keine Probleme zwischen uns auftauchen werden." Sein Mundwinkel zuckt unzufrieden. "Diese kleinen Streitereien werden uns nicht aufhalten, Ardan. Mach dir keine Sorgen darum." Ich kann verstehen, dass er Angst hat, verlassen zu werden, aber er sollte wissen, dass ich ihn nicht verlassen würde und vor allem nicht, wegen Kleinigkeiten. Ardan möchte etwas ansetzen, doch dann hält er inne und nickt. Ich werde nicht so leicht loslassen und ich weiß, dass Ardan kein schlechter Mensch ist. Was kann er mir denn bitte antun, dass ich ihn verlassen würde? Mir fällt nichts ein, was in sein Schema passt. Er hat ein viel zu gutes Herz dafür. "Aristoteles sagt, dass Freundschaft eine Seele in zwei Körpern ist. Was ist dann Liebe?", fragt er, seine Augen richten sich auf mich.
"Zwei Herzen in einem Universum."
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