Kapitel 45

Chelsea Cutler - Hell

Der Dienstag mit seinen zwei Stunden Geschichte, so etwas habe ich echt nicht verdient. Aber wenigstens lenkt mich der gestrige Tag mit Ardan ab. Wir hätten uns fast wieder geküsst. Der Glasfisch liegt unter meinem Kissen und die Rose habe ich in einem Glas an meine Fensterbank gelegt. Falls sie vertrocknet ist, dann werde ich sie sicher in meinem Schrank verstauen. Ardan sitzt mit Ramzi und Miran auf der anderen Seite und einen Tisch hinter mir. Ich zähle nur die Minuten, bis ich von diesem Unterricht befreit werde. Gott sei Dank übernimmt die Schlaftablette den Leistungskurs in Geschichte und mein Deutschlehrer den Grundkurs - also so war es die Jahre davor und ich hoffe, dass es auch so bleibt. Ich würde gerne wieder zu Ardan, aber leider geht er heute ins Fitnessstudio und ich habe Yasmin versprochen, dass ich zu ihr gehe. Einen Tag halte ich sicherlich aus. Wie es wohl wäre, wenn ich mich ebenfalls im Fitnessstudio anmelde und Ardan observiere? Er sieht bestimmt gut aus, wenn er irgendetwas macht. Wie viel er schon heben kann? Ich habe seine Oberarme noch nie abgetastet, das sollte ich dringend tun. Er hat mir das Schwimmen bei ihm angeboten. Sollte ich darauf eingehen? Dann sieht er mich in weniger Kleidung, aber das hat er schon einmal. Aber wer sagt, dass er mich wirklich gemustert hat? Aber tun Jungs so etwas nicht? Jetzt bin ich wirklich am Überlegen. Hat er geguckt oder nicht? Sollte ich irgendwann zu ihm und bei ihm schwimmen? Das wäre echt intim. Ich weiß nicht, ob ich mich das trauen würde. Vor allem würden mich Gedanken plagen. Ich will nicht daran denken, sonst kriege ich wieder Schuldgefühle.

Der Schultag geht heute sehr schnell um. Selbst Mathe und die zwei Stunden Chemie vergingen schnell. "Kommst du?", fragt Dilan mich. "Geht schon mal in die Halle. Ich muss meine Binde wechseln." "Hast du Taschentücher?" Ich nicke. Sie gehen aus dem Raum und ich auf Toilette. Nachdem ich untenrum frisch bin, ziehe ich mir mein Bettelarmband aus und tue es wieder in mein lila Säckchen. Danach kontrolliere ich ob die Eingangstür, die zum Flur führt, abgeschlossen ist und höre, dass jemand durch die Hallentür in die Kabine tritt. Gerade will ich in die Halle laufen, als ich sofort stehenbleibe. Mein Herz schlägt ein wenig schneller und mir wird warm auf dem Rücken. Was will Didem hier? Streng ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Ihr Profil kann man gar nicht ernst nehmen. "Was?", frage ich trocken. Ihr passt etwas nicht. "Ich weiß von dir und Ardan Bescheid." Mir wird noch wärmer, aber ich behalte meine Contenance und lasse mir nichts anmerken. Soll ich es bestätigen oder abstreiten? "Herzlichen Glückwunsch." "Du weißt gar nicht, wie er in echt ist." Ich verdrehe meine Augen und laufe mit steigender Wut auf sie zu. "Ich weiß nicht, was dein scheiß Problem ist, aber erhoff dir bloß nicht, dass ich dir Miststück glaube. Ardan mag dich nicht und ich bin mir ziemlich sicher, dass du ihn nicht so gut kennst, wie ich es tue." Zornig schubse ich sie. Dass ich zum Gegenangriff übergehe, hatte sie wohl nicht bedacht. Wütend laufe ich in die Halle und habe vergessen, mein Säckchen in meinen BH zu tun. Schnell laufe ich zurück und finde es nicht mehr. Mein Herz bleibt stehen. Wo ist mein Säckchen? Ich schaue unter der Bank und in meiner Tasche nach. Das Miststück hat es mir geklaut! Das reicht!

Ich trete schon fast die Tür auf und packe ihre hässlichen Haare. "Gib mir mein Armband zurück!" Sie kreischt schrill auf und will meine Hand entfernen. Ich bin so wütend. Niemand klaut mir mein Bettelarmband. "Cana!", ruft mein Lehrer erschrocken. "Gib mir mein Bettelarmband zurück!", schreie ich. Noch bevor mein Lehrer dazwischenkommen kann, schmeiße ich sie an ihren Haaren zu Boden. "Cana, was machst du da?" Er stellt sich zwischen uns und schiebt mich vorsichtig zurück. Vor Wut steigen mir die Tränen auf. Ich will an ihm vorbei, was er nicht zulässt. "Lassen Sie mich los! Sie hat mein Bettelarmband geklaut!" Das hat mir Baba gekauft und mir immer einen Anhänger zum Geburtstag geschenkt. Das Armband ist, abgesehen vom Material, sehr von emotionalem Wert für mich. Meine Freunde kommen auf mich zu. Ardan sieht meine glänzenden Augen. Ich bin so wütend. "Ich bringe sie um!" "Didem, hast du das Armband geklaut?" "Nein", gibt sie patzig zurück. Ich werde rasender. "Sie hat es!", schreie ich schon. "Greif in ihre hintere Tasche", murmelt Ardan zu Yasmin. Diese geht sofort auf sie zu und greift hinein. "Fass mich nicht an!" "Du elende Lügnerin!" Yasmin schubst Didem nach ihrer Aussage und bringt mir mein lila Samtsäckchen. Zitternd schaue ich hinein und hole mein unversehrtes Armband raus. "Das gibt eine Konferenz!", schimpft Herr Rinke in Didems Richtung. "Hey, ganz ruhig", beruhigt mich Dilan mit sanfter Stimme. Ihre Hand fährt über meinen Rücken. Ich bin so wütend. Erst hat sie versucht, mich mit Lügen zu beeinflussen und jetzt klaut sie auch noch? "Wieso kriegt sie keine Konferenz, weil sie an meinen Haaren gezogen hat?", meckert Didem. "Es reicht!", ruft Herr Rinke.

Ich halte mein Säckchen fest in meiner Hand, meine Hände zittern. Ich will es nicht aus den Augen verlieren. "Danke, Yasmin." "Bedank dich bei Ardan, er hat es gesehen." Ich denke nicht einmal nach, bevor ich ihn umarme. Ich bin so froh, dass ich mein Armand zurückbekommen habe, dass mir Tränen aus den Augen fallen. "Danke, Ardan." "Gerne. Setz dich und atme erstmal durch." Ich höre auf ihn und setze mich auf die Bank. Woher weiß Didem von dem Verhältnis zwischen Ardan und mir? Wann hat sie uns gesehen? Und was will sie mit dieser Information machen? Will sie es verbreiten? Soll sie es doch! Verdammt, nein, das soll sie nicht! Ramzi darf es nicht erfahren. Außerdem will ich nicht, dass die anderen es ebenfalls erfahren. Ich will dieses Miststück umbringen, damit sie mir nie wieder so etwas antun kann! Gedanklich stelle ich mir schon vor, wie ich sie verprügele. Gott, sie macht mich so rasend! Diese zwei Stunden sind die einzigen Stunden, die mir viel zu lange vorkommen und als sie endlich vorbei sind, mache ich mir keine Mühe, um mich umzuziehen oder mich frisch zu machen und stürme in meinen Sportsachen aus der Kabine. Ein Glück ist Amir überpünktlich, sodass ich nicht warten muss. "Was ist los?" Ich antworte nicht, sondern schnalle mich bockig an. "Die Prinzessin ist schlecht gelaunt." Ich verdrehe meine Augen. "Baba kommt heute früher nach Hause. Irgendwelche Männer kommen wegen des Krankenhauses zu uns." Auf diese Männer habe ich überhaupt keine Lust. "Er müsste sogar jetzt zu Hause sein, wenn ich mich nicht irre. Ich bin vor einigen Stunden mit Yusef und Sami gewesen." Ich schreibe Yasmin, dass ich später zu ihr komme. Ich will mich erst etwas abregen.

Schnell steige ich aus und laufe durch die Haustür. Nebenbei antworte ich Ardan. "Übrigens, wer hat dir diese Rose geschenkt?" "Du hast in meinem Zimmer geschnüffelt?", rufe ich erbost. Hat er die Rose weggeschmissen? Mein Herz schlägt wieder ganz schnell. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Beruhige dich mal, ich habe nach Blättern gesucht." "Wieso bist du dafür nicht ins Arbeitszimmer nach unten gegangen?" Er setzt einen Schritt auf mich an. "Wer hat dir die Rose geschenkt?" "Was geht dich das an? Werden alle Männer in diesem Haus zu trockenen Skeptikern?" Mich macht alles so wütend. Ich bin so verdammt emotional geworden, wegen Didem. "Hast du einen Freund?", fragt er rau und erzürnt. "Selbst wenn, was geht es dich an?!", brülle ich. Meine Knie zittern und mir steigen die Tränen auf. "Was ist hier los?" Baba kommt aus dem Arbeitszimmer. "Ich will zu Mama", murmele ich wimmernd. Schnell laufe ich die Treppen hinauf und lasse die Hunde in mein Zimmer, ehe ich die Tür abschließe. "Cana?" Baba klopft an der Tür. Ich will mit Mama reden. "Mach die Tür auf, Prinzessin." Wütend wische ich mir die Tränen weg und kraule Rocky schniefend. "Cana, bitte." "Ich will mit Mama reden." "Geht es mit mir denn gar nicht?", fragt er gekränkt. Seufzend halte ich mir die Stirn und laufe langsam zur Tür. Seine besorgten Augen machen mich noch emotionaler. "Hey, was hast du?" Sanft fährt er mir über meinen lockeren Zopf. Mir steigen neue Tränen auf und ich schluchze gegen seinen Oberkörper. "Was hat Amir gesagt?" "Er soll sich nicht in meine Privatsphäre einmischen." "Soll ich ihn verprügeln?" "Ja!", maule ich. Lachend küsst er meinen Scheitel. Rocky und Tyson haben sich zu uns gesellt. Rocky möchte nach meiner Hand greifen, damit er mich wieder zu seinem Trauerloch, neben dem Grab meines ältesten Bruders, bringen kann.

"Ich rede gleich mit ihm, ja? Nur wein bitte nicht mehr." Ich nicke schniefend und wische mir die Tränen weg. Ich will trotzdem mit Mama reden. Rocky nimmt meine Hand in sein Maul und führt mich in den Garten. Dort zieht er meine Hand zu seinem gebuddelten Loch. Immer, wenn er seine Schnauze in dieses Loch steckt, ist er traurig und sucht Trost. Leicht winselnd legt er seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Das habe ich gerade wirklich nötig. "Danke, Rocky", nuschele ich. Ich lege mich auf die Wiese und schließe die Augen. Die Sonne wärmt mich. Wann soll ich zu Yasmin? Ich habe gar keine Lust. Ich will einfach nur im Bett liegen. Wann Mama wohl kommt? Diese Woche ist doch die OP-Woche. Dann kann ich sicherlich lange warten, bis sie kommt. Ich bleibe ein wenig im Garten liegen, bis ich dann höre, dass die Tür klingelt und ich sofort nach oben renne. Ich gehe einfach so zu Yasmin. Ist Ardan schon im Fitnessstudio? Baba schreibe ich, dass ich zu Yasmin gehe, ehe ich mich die Treppen hinunterschleiche und mir die Schuhe erst anziehe, als ich die Tür schließe. Schlendernd mache ich mich auf den Weg zu Yasmin und klingele. Ich hoffe, es gibt schon Essen. "Hallo, wer besucht uns denn da?" Ramzi schließt mich in seine Arme und drückt mich ins Haus. Ob er ein feindliches Gefühl hatte, als ich Ardan umarmt habe? Hoffentlich nicht. "Ist sie es? Cana", säuselt Yasmin. Lächelnd schmeißt sie sich in meine Arme. "Du hast Glück. Heute gibt es Shawirma und Kibbeh." Mir läuft das Wasser schon im Mund zusammen. "Ich habe jetzt auch Lust auf das Shawirma deiner Mutter. Sie macht das Fleisch ganz anders, aber es schmeckt." Ich laufe in die gut duftende Küche und umarme Tante Meryem. "Na, meine Hübsche? Du hast dich lange nicht mehr blicken lassen. Wieso kommst du so selten?" "Ich versuche öfter zu kommen", verspreche ich ihr.

Neyla und Elyas kommen die Treppen hinunter und begrüßen mich. "Wo bleibt euer Vater?", seufzt sie. Ich würde mich auch freuen, wenn meine Eltern so früh nach Hause kommen könnten. Wann saßen wir zuletzt gemeinsam an einem Tisch in unserem Zuhause? Ich seufze. Zwar gibt es noch den Sonntag, aber die Tage kann ich nicht ganz genießen. So stolz ich auch auf meine Eltern bin, ich wünsche mir manchmal, dass sie Jobs hätten, die weniger Zeit in Anspruch nehmen. Ich sollte nicht so negativ denken. "Oh, wer ist denn das? Ist das die Tochter von Cani-Bani?" Schmunzelnd schaue ich zu Onkel Ramazan. "Ich bin Cani-Bani." "Du bist Cani-Bani 2.0." Er kneift mir in die Wange. "Mit Shani-Banis knuffigen Wangen." Er setzt sich hin und seufzt. "Arbeiten ist schon anstrengend." Einmal lässt er den Kopf kreisen und schneidet dann eine Grimasse, als er mich anschaut. "Wie geht es dir? Alles gut?" Ich nicke. Es gab bessere Tage, Onkel. Yasmin legt den großen Teller voller Shawirma vor uns hin, zu den Pommes. "Iss ganz viel, Cana, ja? Ich packe dir dann noch etwas für dich und deine Familie ein." Tante fährt über mein Haar und stellt die Getränke ab. Als alles fertig ist, können wir beginnen. "Wann kommen deine Eltern uns wieder besuchen?", schmollt mein Onkel. Mich macht heute wirklich alles emotional. "Ich weiß es nicht", murmele ich. Ich würde sie ja selber öfter sehen wollen. "Sie sind Chirurgen, Ramazan. Shana muss die ganze Woche durcharbeiten, die Arme." Kann Baba ihr nicht einfach freigeben? Er ist doch der Chefarzt. Ich realisiere erst jetzt, wie wenig ich meine Eltern doch sehen kann. Ich will nicht emotional werden. Ich blinzele gegen die Tränen an, konzentriere mich auf das leckere Essen.

"Soll ich auch Dilan und Amal anrufen?" "Ist mir egal", murmele ich. Leicht monoton schaue ich an die Decke. "Was ist los? Ist es noch wegen der Hure?" Ich nicke. Wenn es mir nicht aufgefallen wäre, dass sie mein Armband hatte ... ich will gar nicht denken, wie wütend und traurig ich wäre. "Scheiß auf sie! Didem kriegt erstmal eine fette Konferenz. Ich glaube sogar, wenn sie noch einmal Scheiße baut, dann fliegt sie. Ist man in der Oberstufe geht das ja viel leichter." Meine Hand wandert unter Yasmins Kissen. Ich wünsche mir so sehr, dass sie endlich von der Schule fliegt. Wie ich sie hasse! "Ich habe gesehen, wie sie aus unserer Kabine kam. Im ersten Moment dachte ich mir, dass da etwas nicht stimmt, denn sie zieht sich doch jetzt in der anderen Kabine um. Als du dann wütend auf sie losgegangen bist, habe ich dich innerlich angefeuert." Ich muss schmunzeln. Sie fährt mir über meinen Schenkel. "Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst? Egal, was es ist: Ich stehe zu dir." Das macht mich wieder emotional. Ich umarme ihren Rumpf. Ich fühle mich immer noch nicht bereit. Solange Ramzi nichts sagen möchte, werde ich Schwierigkeiten damit haben. "Das war echt süß, wie du Ardan umarmt hast. Er hat so glücklich gewirkt." Lächelnd schließe ich meine Augen. Ich liebe ihn, Yasmin. "Würdest du mir erzählen, wenn du und Ardan etwas versuchen wollt?" Ich bin froh, dass sie mein Gesicht nicht sieht. "Wie kommst du darauf?", murmele ich. Brummend genieße ich ihre kraulenden Finger. "Ich finde, dass ihr einfach so gut zusammenpasst und als ich die Umarmung heute gesehen habe, da habe ich mich so zufrieden gefühlt. Es war einfach so perfekt." Da kann ich nur zustimmen, Yasmin.

Ich warte ganz ungeduldig auf meine Mutter. Ich will sie einfach nur sehen, in den Arm nehmen und alles erzählen. Vom Aiman bis zu Didem. Als ich höre, wie die Tür unten aufgemacht wird, renne ich schon die Marmortreppen hinab und ziehe sie rein. "Hi, Süße." Sie wirkt ganz kaputt. "Lässt du mich erst einmal auf Toilette? Meine Blase platzt gleich." Sie läuft seufzend ins Bad. Ungeduldig warte ich vor der Tür. Ich will sie in mein Zimmer ziehen, sofort. Wieso braucht sie so lange? Wie voll ist ihre Blase? Irgendwann werde ich von der Qual befreit und kann sie die Treppen hochziehen. "Cana, bitte, lass mich erst etwas essen." Ich quengele. "Leg dich in mein Bett, ich hole es dir." Müde lächelt sie und steigt die Treppen hinauf. Wie will sie das die ganze Woche aushalten, wenn sie jetzt schon erschöpft ist? Ich tue ihr ganz viele Nudeln auf den Teller und hole in der Zwischenzeit, in der die Mikrowelle die Nudeln erwärmt, Glas und eine Flasche Cola raus. Noch bevor die Mikrowelle die Null erreicht, öffne ich die Tür. Flasche unter meinen Arm, Gabel in die Nudeln, Taschentuch zwischen die Lippen und Glas und Teller in jeweils eine Hand. Die Treppen laufe ich hinauf und schließe dann die Tür mit meinem Po. "Dankeschön, Cana." Ich schenke ihr Cola ein und setze mich dann neben sie. "Erzähl, was ist passiert?" "Wieso ist Aiman so scheiße?" Sie schmunzelt. "Findest du?" "Mama", murre ich. "Okay, erzähl mir, wieso er scheiße ist." "Er ist total Trocken, ein richtiger Spielverderber. Egal, was man sagt oder was er sieht, sofort zieht er seine Augenbrauen zusammen und spielt den radikalen Vater. Ich hasse ihn." "Nana", tadelt sie mich kauend.

"Wieso ist er so?" "Er kommt nach deinem Vater", schmunzelt sie. "Baba ist sanft und süß, aber Aiman nicht." "Glaub mir, dein Vater war ganz früher auch so. Aiman ist da aber, meiner Meinung nach, ein Ticken schlimmer. Er wollte mich sogar wegen meines Oberteils kritisieren. Hätte ich meine Hand nicht mit Absicht an seiner Wange vorbeifliegen lassen, dann würde er sicherlich weiterhin so hochmütig mir gegenüber sein." Ich verdrehe meine Augen. Selbst bei seiner eigenen Mutter konnte er seine Dummheit nicht lassen? Das macht mich wieder wütend! "Kann er nicht einfach aufhören damit? Wieso ist er nicht sowie Adam? Gestern hat Dilan aus Spaß gesagt, dass ich mich mit meinem Freund treffe und natürlich war er zu dumm, um die Ironie zu verstehen. Er ist immer so, Mama und ich hasse das!" Seufzend binde ich mir meine Haare neu. Dieses Haargummi ist schon ganz ausgeleiert, ich brauche ein Neues. "Ich rede mal mit ihm. Erzähl mir mehr." "Heute war ein sehr emotionaler Tag für mich." Sie legt ihren Arm um mich, wischt sich den Mund ab und pausiert das Essen. "Warum?" Ich liebe diese sorgsame, sanfte Stimme. "Heute hat mir Didem mein Bettelarmband geklaut." Mamas Miene verfinstert sich. "Sie kam in meine Kabine und nach einer kleinen Diskussion habe ich aus Rage mein Säckchen nicht in meinen BH gesteckt, sondern auf der Bank vergessen. Als es mir wieder eingefallen ist, bin ich in die Kabine zurückgegangen und dann lag es nicht mehr da. Mama, ich war so wütend. Ich habe sie an den Haaren gezogen und sie hat die ganze Zeit geleugnet. Wäre Ardan nicht da, dann hätte ich es sicherlich nicht zurückbekommen." "Was fällt diesem Miststück eigentlich ein?" "Herr Rinke meinte, dass es zu einer Konferenz kommt." "Ich will, dass sie von der Schule fliegt. Was ist das für ein Kind?", fragt sie empört. "Ein Kind, bei der so einiges schiefgelaufen ist." "Sie kommt ganz nach ihrer Mutter. Sie ist ja noch skrupelloser. Hallo? Klauen?"

"Hat sie es Ardan erzählt oder wie hast du es erfahren?" "Ardan hat zu Yasmin gesagt, dass sie in Didems Gesäßtasche greifen soll und da hat sie es versteckt." "Ein Glück hat er es gesehen." Ich nicke. Ich bin ihm so dankbar. "Und heute", setze ich murmelnd an. "Da habe ich mich mit Amir gestritten." "Wieso?" Sie fährt mir über meine Wange. "Er hat wegen der Rose gefragt und ich habe mich in meiner Privatsphäre gestört gefühlt. Ich war so sauer deshalb und dann hat er mir unterstellt, dass ich etwas verstecke und dass ich einen Freund habe." Auch wenn es stimmt. "Ach, Cana", seufzt sie. Aufmunternd fährt sie mir über meinen Arm. "Du hast sehr emotional gehandelt. Vermutlich wegen des Bettelarmbandes, ich weiß ja, wie sehr du es liebst." Ich nicke. "Du warst sicherlich sehr aufgebracht und Amir hat das brennende Fass zum Leuchten gebracht." Das stimmt. "Ich spreche mit deinen Brüdern, ja?" Ich nicke wieder. Es tut gut, mit Mama darüber zu reden. Sie beginnt wieder mit dem Essen. "Und da ist noch etwas." Meine Augen werden wieder etwas feucht. "Könnt ihr es nicht so machen, dass ihr früher nach Hause kommen könnt?", murmele ich betrübt. Sie hebt ihren Blick bemitleidend an. "Ich habe heute bei Yasmin und ihrer Familie gegessen und dort so wirklich realisiert, wie wenig ich euch sehe." Unwillkürlich kullern mir Tränen hinab. "Hey, nicht doch." Sie schließt mich in ihre Arme. "Cana, hey, nicht weinen." Mama küsst meine Schläfe, während sie über meinen Rücken fährt. "Ich vermisse dich doch auch schrecklich, aber ich habe mich schon für diesen Beruf entschieden." Trotzig zucke ich mit meinen Schultern. "Und nach dieser Woche sieht meine Arbeitswoche viel entspannter aus. Da nehme ich mir auch frei, denn diese Woche wird mich echt auseinandernehmen." "Kannst du mich dann die ganze Woche krankschreiben?", schniefe ich. "Natürlich nicht", sagt sie mitfühlend. Ich muss lachen und sie gleicht mit.

Ich lasse mir die Tränen wegwischen, beschließe jedoch, Mama dabei zu helfen. "So siehst du schon viel hübscher aus. Du bist ja richtig emotional. Von wem du das wohl hast?", fragt sie gegen Ende keck. Schmunzelnd wische ich mir die Nase sauber. "Gibt es noch etwas, was dich bedrückt?" "Gerade nicht." Mir fällt erst jetzt ein, dass Tante Meryem Essen für sie und die anderen eingepackt hat. "Tante hat mir Shawirma und Kibbeh mitgegeben." Sie summt. "Die nehme ich mir morgen mit auf die Arbeit." Sie hält mir die Gabel mit Nudeln hin. "Mund auf." Mit Flugzeuggeräuschen führt sie mir die Nudeln in den Mund. "Afiya", lobt sie mich, als sei ich noch ein Kleinkind. Nachdem sie fertiggegessen hat, schlinge ich meine Arme um sie. "Geh noch nicht", murmele ich. Sie seufzt. "Ich muss morgen zum Glück erst um 09:35 Uhr im OP sein" Wir legen uns in mein Bett, ich lege meinen Kopf auf ihre Brust. "Du bist seit der elften Klasse ziemlich anders." Ich weiß auch weshalb. "Wie habe ich mich denn verändert?" "Du wirkst viel, viel emotionaler, meine Süße. Du setzt dich unter Druck, Stress. Hättest du das nicht, hätte ich niemals von deiner Kardiomyopathie erfahren." Ich schnurre, weil sie mich krault. "Du bist in einer neuen Phase. Sei vorsichtig, denk genau nach, bevor du handelst." Wieso lässt mich das unwohl fühlen? "Warst du auch so?" "Nein. Nur habe ich in der dreizehnten Klasse die Veränderung gespürt: die Gefühle für deinen Vater. Trotzdem konnte ich mich noch irgendwie beherrschen." Ich atme tief durch. Wie sehr wir uns in diesem Thema doch unterscheiden. "Du wolltest keinen Typen und hast es auch durchgezogen." "Oh ja, ich bin bis heute noch stolz darauf." Ich bin leider nicht so, wie ich es haben wollte.

"Wie war es eigentlich, als ihr zusammen wart?" Sie grinst. "Mich hat alles an ihm fasziniert. Er ist zwar jetzt super hübsch und wird immer hübscher, je älter er wird, aber in seinen Zwanzigern war er einfach nur göttlich. Dein Vater hat sogar gemodelt. Sein Aussehen hat mich um den Verstand gebracht und seine Art und Weise war, trotz vieler Ausnahmen, einfach wie für mich geschaffen. Ich liebe bis heute seine Brustwarzen und selbst sein Bauchnabel hat mich fasziniert. Sein Bauchnabel ist so süß, er sticht heraus, wie ein kleines Fleischbällchen", quietscht sie. Wegen ihren Vorlieben muss ich lachen. "Ich habe es auch nicht bereut, mich so spät auf ihn eingelassen zu haben. Lass dir Zeit, Cana. Konzentriere dich jetzt auf deine Schule. Die Liebe kann warten, wenn es die richtige Liebe ist. Ich und dein Vater sind das perfekte Beispiel." Wenn du nur wüsstest, seufze ich innerlich. Ich habe mich in einen Jungen verliebt, der mir so rein vorkommt. Er ist für mich der wahrhaftig wunderschönste Junge auf dieser Erde. Seine grünen Augen haben mich anfangs verfolgt, ich habe nur Grün gesehen. Dieser Junge bedeutet mir so viel. Er hat nicht nur ein schönes Antlitz, sondern auch einen wunderbaren Charakter und seine Intelligenz ist beneidenswert. Wenn ich ihn lachen sehe, dann fühle ich mich so zufrieden. Alles an ihm fasziniert mich, selbst seine Blutgefäße lenken mich vom Wesentlichen ab. Ist das normal? Egal, was er macht, ich bin hin und weg. Ich würde mich ihm voll und ganz hingeben, so sehr vertraue ich ihn und das, obwohl ich ihn bald nur ein ganzes Jahr kenne. Zwar weiß ich nicht alles über ihn, doch eines steht fest:

Ich liebe diesen Jungen mit Herz und Seele.

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