Kapitel 43
John.K - OT
"Es war eine schöne Klassenfahrt", erzähle ich Mama am Samstagabend auf dem Sofa. Ich bin vor einigen Stunden erst wieder angekommen. Sie lächelt und streicht mir die Haarsträhnen nach hinten. "Gut, das höre ich zu gerne." Sie räuspert sich und schaut plötzlich spöttisch. "Auf meiner ersten Stufenfahrt habe ich mich mit Didems Mutter geschlagen und habe deinen Vater und sie als Huren beleidigt." Ich pruste und schaue zu Baba, der seufzend hinter ihr sitzt und über ihre Schulter fährt. "Fass mich nicht an!", faucht sie und schlägt die Hand weg. "Das ist über dreißig Jahre her." "Mir doch egal", murrt sie. "Ich geh mal ins Arbeitszimmer", seufzt er. Schmunzelnd winke ich ihm und sehe Mamas Grinsen. "Ich liebe es, ihn zu ärgern." Armer Baba. "Und sonst? Hast du schon deinen Ehemann kennengelernt?" Oh Gott. Oh mein Gott. Ich darf bloß nicht nervös werden. Aber mir ist so warm. Ich schüttele den Kopf. Mamas Augenlider kneifen sich zusammen. Mama!, kreische ich innerlich. "Sicher?" "Ja, wieso?" Mir wird noch wärmer. "Du wirkst irgendwie ziemlich frisch." "Ich habe auch geduscht." Sie lacht. Oh Gott, ich habe sie ablenken können. Ich will weg hier! "Hast du, als du verliebt warst, es jemandem erzählt?" Sie verneint es. "Ich habe es ziemlich spät realisiert und sehr lange nicht eingesehen. Und als ich dann mit deinem Vater zusammen war, habe ich es neun Monate lang verheimlicht." "Was? Ganze neun Monate?" Wow, da sind wir uns von den Zügen ähnlich. "Jap. Deinem Vater hat es nicht gefallen, aber naja." Sie zuckt mit ihren Schultern. "Ich wollte es einfach nicht." Wie Baba sich wohl gefühlt hat?
"Aber hatte es gar keinen speziellen Grund?" "Anfangs wollte ich es langsam angehen, da wusste es niemand, außer Ramazan und Malik, weil sie es irgendwie gespürt haben", erzählt sie schmunzelnd und augenverdrehend. "Hat jemand gefragt, habe ich es verneint. Dein Vater und ich haben uns oft deshalb gestritten, aber ich fand es besser, dass keiner davon weiß. Ich wollte in meiner Blase leben." Sie zuckt mit ihren Schultern. "Wieso, hast du einen Freund?" Verdammt, wieso habe ich diese Frage gestellt? "Nein", murre ich. Ich mag es überhaupt nicht, Mama anzulügen. Zum Glück kommt gerade Rocky aus dem Garten, den ich an mich drücke. "Früher hat mir meine Mutter auch immer diese Fragen gestellt und ich habe es nicht verstanden, aber jetzt verstehe ich es. Zudem macht es Spaß, dich zu kompromittieren." "Danke, echt nett", bedanke ich mich sarkastisch. "Hach, ich vermisse irgendwie die alten Zeiten. Früher, als Can und ich noch studiert haben. Er war in der Bibliothek und wir haben uns dafür natürlich wieder in die Haare bekommen. Ich hatte irgendwie meine Notizen nicht mehr und dann habe ich mich ihm vorsichtig genähert, damit ich weiß, ob er mich tötet oder nicht. Am Ende habe ich die Notizen dann abschreiben können." Sie grinst. "Oder einmal, in der Zeit, in der ich realisiert habe, dass ich deinen Vater liebe, da gab es eine Studentenparty und er wollte nicht, dass ich dahingehe und dann kam mir diese blöde Idee in den Sinn, so zu tun, als ob ich betrunken wäre und bei ihm aufzukreuzen." "Du hast was?!", brüllt Baba plötzlich. "Scheiße!", kreischt Mama, die um ihr Leben rennt. Rocky rennt ihr bellend hinterher und ich beginne zu lachen, als Baba ihr droht und Mama hysterisch lacht.
Schmunzelnd laufe ich in den Garten und rufe Tyson zu mir. Ich habe Lust, ins Gewächshaus zu gehen. Warum hier keine Kameras sind? Ich weiß es nicht, aber es war sehr vom Vorteil. In diesem Teil des Gartens kann keine Kamera etwas aufnehmen und da das Gewächshaus so groß ist, kann man sich dort gut verstecken. Wie ich Ardan hier wohl verstecken könnte? Er könnte durch die Hintertür des Gartenhauses rein. Dort sind keine Kameras! "Komm, Tyson." Schmunzelnd laufe ich mit meinem Rottweiler in das Gewächshaus im Stile einer Orangerie und klaue mir eine kleine Erdbeere. Für Tyson pflücke ich auch eine. Hier ist es einfach so wunderschön. Aus dem Brunnen springt Wasser und das heißt, dass wir bald hier essen werden und nicht in der Küche. Mama liebt es hier und das sieht man auch. Sie hat ein kleines Paradies erschaffen. Und hier hat Ardan mich fast geküsst. Oh Gott. Ich setze mich auf den Rand des Brunnens und streichele Tyson. "Hier habe ich meinen ersten Kuss fast verloren", flüstere ich ihm zu. Er schaut unbekümmert auf den Rosenstrauch. Ich erinnere mich an das eine Mal, wo Mama Tyson so stark angemeckert hat, dass er schon gewinselt hat. Deshalb sollte man sich lieber nicht an Mamas geliebten Rosen vergreifen. Schmunzelnd kraule ich ihn hinter den Ohren. Ich wünschte, ich hätte mehr Temperament von ihr. Ich bin Auseinandersetzungen so gut wie immer aus dem Weg gegangen, außer in der elften Klasse. Mama war schon früher mutiger und selbstbewusster. Nur schickt sie mich gerne vor, wenn sie etwas nicht findet und man den Mitarbeiter fragen muss. Wieder schmunzele ich.
Ich stehe wieder auf und will mit Tyson aufs Zimmer. Ich finde auch Rocky, der hechelnd und mit wedelndem Schwanz auf der Couch im Wohnzimmer sitzt und sich die Serie ansieht. "Hat Mama dir das befohlen?" Hechelnd springt er mich an. Ich nehme ihn kichernd mit aufs Zimmer. Auf dem Weg nach oben begegne ich Amir. "Na, kleiner Furz?" "Na, großer Furz?" Er grinst und zieht mich die Treppen wieder hinab. Ich muss an unsere Auseinandersetzung denken und wie ich ihm gesagt habe, dass ich mit Ardan auf mein Zimmer gehe. Wow, ich bin schon sehr mutig. "Wohin geht's?" "In die Küche. Du leistest mir Gesellschaft, während ich mir etwas zu Essen in den Teller tue." "Aber haben wir nicht vor Stunden gegessen?" "Ich bin ein großer Mann mit großem Magen." Schmunzelnd nicke ich. "Hast du schon deine zwei Meter erreicht?" Er verneint es. "Ich bin nur 1.96 Meter groß. Ob ich Babas Größe jemals überschreite, weiß ich nicht, weil er schon in der Oberstufenzeit so groß war." Ardan ist auch groß. Zwar nicht so groß wie Amir, aber er ist groß. Er macht sich sicherlich gut zum Kuscheln. "Und? Hast du etwas zu erzählen?" Amir zuckt mit seinen Schultern. "Habe heute eine Prüfung geschrieben und bald habe ich Semesterferien, während ihre alle noch schön zur Schule müsst. Und wenn die Ferien für euch wieder vorbei sind, dann habe ich immer noch Ferien. Ist das nicht schön?" Ich murre eifersüchtig. "Ich dachte an etwas mehr Aufregenderes. Du weißt schon ... Beziehungen", säusele ich. Er tut seinen Teller in die Mikrowelle und dreht sich zu mir. "Wieso? Bist du etwa in einer?" Wieso ist er so wie Mama?! Ich verneine es murrend. "Ich muss mir erst Mamas Segen für solche Gedanken holen. Du weißt ja, wie sie ist." Ich würde gerne wissen, wo sie gerade ist.
"Und du hältst dich auch streng dran?", frage ich sehr neugierig, während ich gleichzeitig versuche desinteressiert zu wirken. Er schmunzelt. "Ich habe Angst, natürlich halte ich mich dran." Meine Augen weiten sich. "Also bis jetzt gibt es keine Herzensdiebin in meinem Leben." Oh. Ich nicke. Bei mir schon, aber danke, dass du nicht nachfragst. "Okay", säusele ich. Ich höre Schritte und dann Adam und Aimans Stimmen. Auf Aiman habe ich jetzt schon keine Lust. "Hey, Freunde", grinst Adam, der sich auf die Marmortheke schmeißt. "Du weißt, dass Mama das bemerkt", merke ich an und schon geht er runter und setzt sich stattdessen auf den Barhocker. "Was ist los?", schmunzele ich. Adam grinst dümmlich und kann seine Daumen nicht stillhalten. "Ach, nichts." Er hüpft und zieht Aiman zu sich. Es wäre lustig, wenn es eineiige Zwillinge wären. Aber vielleicht ist es besser, dass sie zweieiig sind. So kann ich mich besser darauf konzentrieren, Aiman nicht zu mögen. Zwar ähneln sie sich sehr, aber man kann sie auseinanderhalten. "Sicher?" Ich habe ziemlich das Gefühl, dass ich den Grund sehr gut kenne. Wann ich wohl bereit bin, es den Mädels zu erzählen? In einer Woche beginnt der Juni schon und dann dauert es nicht mehr lange, bis es mein Geburtstag ist. Der siebzehnte Geburtstag, der bei meinen Freundinnen eine große Bedeutung hat. Na ja, ich habe die Erfahrung schon mit sechszehn gemacht. Bin ich jetzt verflucht? Nachdenklich streichele ich Rockys fluffiges Fell. Ich vermisse Roxy. Die Hunde wollen sicherlich irgendwann wieder mit ihr spielen. Wie wohl ein Welpe von seinem Golden Retriever und meinem Rottweiler oder Berner Sennenhund aussehen würde?
"Wie war die Klassenfahrt?", fragt Adam. "Ganz nett." Ob er wohl auf Dilan anspielen will? "Und? Haben sich zwei zusammengefunden?", nuschelt er. Verstehend grinse ich meinen ertappten Bruder an. "Gibt es etwas Spezielles, das du wissen möchtest?" Er verneint es stur. "Gut, denn es haben so einige zusammengefunden und einige hatten auch eine Affäre." Ardan und ich haben zum Beispiel zusammengefunden. Wow, was würde wohl passieren, wenn ich das erzählen würde? "Erzähl. Mich interessiert deine ganze Stufe sehr." "Ach, du musst da schon präzisere Fragen stellen." "Ich gebe dir Geld." "Wie viel? Und hol es jetzt." Finster sieht er mich an. Ich lächele überlegen. "Gut, ich schaue im Telefonbuch nach und rufe jeden an." Schnaubend steht er auf und verlässt die Küche. "Muss ich das verstehen?", fragt Amir. "Weißt du es nicht?" Ich dachte, er und Aiman wissen es. Er schnalz verneinend mit der Zunge. "Dann bin ich still." "Mit wem ist er zusammen?", fragt Aiman skeptisch. "Wer ist mit wem zusammen?" Wir erschrecken uns, als Mama mit Turban auf dem Kopf streng in unsere Gesichter guckt. "So ein Sänger", rettet Amir Adam. "Ich weiß, dass ihr lügt." "Gar nicht", versucht Amir es noch zu retten. "Lüg mich weiter an und du wirst es bereuen." Sofort verstummt er. Prüfend sieht sie uns an und macht sich einen Kakao. Ich mag ihr Duschgel. "Wo ist Baba?", frage ich. Sie dreht sich zum Fenster. Ich sehe ihr Grinsen und bereue es, dass ich gefragt habe. "Im Arbeitszimmer, aber er geht gleich duschen", summt sie leicht. Okay, mehr will ich nicht wissen. Ich erschaudere. "Ich gehe aufs Zimmer." Damit verabschiede ich mich und schließe dann meine Tür. Ardan schreibt mir zur perfekten Zeit.
'Da bin ich wieder.' Er war duschen ... oh nein, ich will nicht falsch denken.
'Hat es Spaß gemacht?' Wieso muss ich das schreiben?
'Sehr. Roxy ist mir nicht von der Seite gewichen.' Ich schmunzele.
'Moment, hat sie dich nackt gesehen?'
'Wärst du eifersüchtig?' Ich lache empört.
'Ich würde es eher komisch finden.'
'Ich finde es auch sehr komisch, aber gegen Roxys Neugierde kann ich nichts tun. Kaum drehe ich mich um, steht sie halb in der Dusche.' Wie süß.
'Ich vermisse sie.'
'Du kannst auch ehrlich sein und sagen, dass du zu mir kommen willst.'
'Ich will nicht zu dir, sondern zu Roxy.' Natürlich will ich zu ihm.
'Kleine Lügnerin.' Ich grinse.
'Vielleicht bin nicht ich die Lügnerin, sondern du der Lügner.'
'Wie kommst du denn darauf?'
'Vielleicht willst du mich ja bei dir haben und hast deshalb die Nachricht geschrieben, dass ich zu dir kommen will. Einfach, weil du mich zu dir locken willst.' Hat das überhaupt einen Sinn ergeben?
'Ich habe dich liebend gern bei mir.' Ich kreische und schmeiße mein Handy auf meine Matratze. Grinsend wälze ich mich auf meinem Bett herum und nehme mir wieder mein Handy zur Hand.
'Ich weiß', tippe ich grinsend. Ich strahle.
'Und du hast mich auch liebend gern bei dir.'
'Kann schon stimmen.'
'Ich weiß :)'
'Bloß nicht übermütig werden.'
'Du musst bald wieder für Mathe lernen.' Frustriert stöhne ich auf.
'Musst du mir schlechte Laune machen?' Ich hatte gerade doch so eine gute Laune.
'Ich weiß, wie ich dich glücklich mache.' Mein Mund öffnet sich. Moment. Wie meint er das? Was will er machen und wie?
'Wie?', traue ich mich zu tippen.
'Mit mir macht das Lernen doch immer Spaß.' Ich muss aufhören, so pervers zu denken.
'Es ist ganz okay.'
'Wir werden sehen, ob es bei dem nächsten Mal nur ganz okay ist.' Wieso denke ich wieder so schmutzig?!
'Okay.'
Wow, entweder meint er es zweideutig oder ich nehme es so auf, obwohl es nicht so ist. Schreibt er nach dem Duschen immer so zweideutig? Ich sollte nicht weiter darüber nachdenken. Bald sind schon Sommerferien. Und zwei Tage nach dem Beginn der Ferien ist schon mein Geburtstag. Ich weiß echt nicht, wie ich ihn feiern soll. Und dann nur unter Mädchen? Ich weiß nicht. Was soll ich dann den Jungs sagen? Nein, ich lade sie auch ein. Dann habe ich Ardan bei mir, und er ist doch derjenige, der zur Bedeutung des siebzehnten Geburtstages beiträgt. Das ist immer noch so verrückt für mich. Ich liebe ihn! Von ihm kamen schon einige Zeichen. Ob er auch schon eingesehen hat, dass er mich liebt? Hoffentlich. Wann würde er es mir gestehen? Er wird es mir doch gestehen, oder? Oder sollte ich es ihm gestehen? Nein, er soll den ersten Schritt machen! Ich will einkaufen gehen und mir neue Sachen kaufen. Ich will etwas mehr Gewagtes. Vielleicht kaufe ich mir ja einen Rock oder so. Ob diese kleinen Veränderungen gut sind? Ich weiß nicht, aber bis jetzt fühlt es sich nicht schlimm an. Und vielleicht kaufe ich mir auch etwas andere Tops. Vielleicht ein wenig knapper und enger. Ich habe meistens nur lockere Oberteile, wegen meinen Brüsten. Wachsen wollen sie ja nicht und wenn alle um mich so große Brüste haben, fühle ich mich dezent unwohl. Mama will mir bei meinem Problem auch nicht weiterhelfen. Seufzend schaue ich aus dem Fenster. Ich würde jetzt gerne zu ihm, aber es ist schon spät. Ich habe echt keine Lust auf den Unterricht am Montag, aber wenigstens sehe ich Ardan, der mir gerade wieder schreibt.
'Wo kann man eigentlich am besten nicht von den Kameras bei euch gesehen werden?' Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen.
'Willst du bei uns einbrechen?'
'Nein, aber es hat ebenfalls einen Überraschungseffekt.'
'Durch die Hintertür des Gewächshauses.'
'Gut, danke.'
'Wieso?'
'Lass mich dein Herz überraschen.'
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top