Kapitel 38
gnash - ilusm
Ich fühle mich seit gestern so schlecht. Schlecht, wegen des Videos. Keine Jungs. Wäre ich nicht auf Ardan gestoßen, dann wäre es ja auch so. Dann würde ich mit dem Gewissen leben, dass meine Eltern auch wirklich stolz auf mich bleiben, aber nein, so wird es nicht mehr sein, wenn sie wissen, was da alles schon zwischen uns beiden geschehen ist. Ich kriege wieder Schuldgefühle und das regt mich auf. Ich will mich nie, wirklich nie unter Druck setzen, aber, wenn ich einmal in Ruhe auf meiner rosa Wolke schweben darf, kommt irgendetwas, was meine Wolke verfärben lässt. Von Rosa auf Durchsichtig. Von Verträumt und wunderschön auf Tatsache und Realität. Aber ist die Art von Liebe, die ich gerade bekomme, nicht auch die Realität und Tatsache? Aber die Realität und Tatsache ist, dass ich das gar nicht darf. Das ist die schmerzhafte Realität und Tatsache, die mir überhaupt nicht gefällt. Wie soll ich mich denn dagegen wehren? Ich kann es nicht. Ein weiteres Problem ist ja die kleine, nervige Angst, verlassen zu werden. Und dann gibt es noch die andere Sorge, dass es doch nicht so wird, wie ich es mir vorstelle. Dass ich es falsch verstehe, dass ich mir umsonst Hoffnungen gemacht habe. Wie soll ich mich durch das alles durchschlagen? Meine Gedanken überschlagen sich mit ihrer Negativität, das ist schon abnormal für mich. Gott, wäre Ardan nicht da, wäre ich immer noch die zielstrebige Cana, die sich keine Sorgen um ihre Gefühle machen würde und schön ihrer Mutter nacheifern würde.
Ich seufze frustriert und drehe mich auf die andere Seite meines Bettes. Sein Armband ist immer noch um mein Handgelenk gebunden und das bleibt auch so - hoffentlich. Ich bin so unentschlossen, obwohl ich mir bei einigen Dingen so sicher bin. Ich bin mir da nur sicher, weil ich dann keine Konsequenzen im Kopf habe. Das ist so verdammt kompliziert. Keine Jungs. Keine Jungs, das ist untersagt. Aber ist das nicht unfair? Nein, eigentlich nicht, denn Mama will auch bei meinen Brüdern nicht, dass sie jetzt Beziehungen haben - selbst bei Amir ist sie noch kritisch, obwohl er schon älter ist. Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf reagieren soll. Eigentlich wie früher auch. Ich habe es akzeptiert und war echt zufrieden damit, keine Jungs in mein Leben zu lassen, um irgendwelche Affären zu haben, aber jetzt? Es macht mich schon auf irgendeine Art und Weise wütend, weshalb ich es schon lächerlich finde, dass ich deshalb wütend werde. Alle sind unten, nur Baba nicht - er ist noch im Krankenhaus. Mama wartet schon auf mich, aber ich will gerade nicht runter zum Frühstücken. Sollte ich mich doch zurückziehen? Ich habe doch noch so viel Zeit, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Es ist doch alles noch zu früh. Aber dann würde ich doch mit seinen Gefühlen spielen oder nicht? Dann wäre ich ja eine Heuchlerin, weil ich doch meine Freundinnen angemeckert habe, wegen ihrer Aktion. Nein, ich will nicht mit seinen Gefühlen spielen - ich wäre die letzte Person, die das in Erwägung ziehen würde. Vor allem bei ihm. Er hat doch ein so sanftes Herz.
Ich gehe ins Bad, putze mir meine Zähne, wasche davor mein Gesicht. Ich muss an die erste Übernachtung von ihm denken, wo er mir die Kleidung gegeben hat. Sein so schöner Duft ... ich vermisse ihn und würde ihn gerne wieder einatmen. Gestern habe ich spät eine Nachricht von ihm erhalten, dass er heute im Restaurant essen gehen möchte. Da werde ich sicherlich wieder auf andere Gedanken kommen, obwohl ich genau dort diese Gedanken nicht verlieren sollte. Seufzend verlasse ich das Bad und trete in die Küche. Meine Tasse steht schon auf meinem Platz. "Diesmal hat sie dein Vater rausgenommen. Heute war er ganz mutig", erzählt Mama schmunzelnd. "Er kann sie ruhig benutzen", meine ich. Baba werde ich nicht mehr, wie früher, deshalb anschreien und angreifen. "Er trägt schon das Trauma mit sich." Ich schütte mir Kelloggs in meine Schüssel und gebe die Milch hinein. Es ist so ruhig hier, das stört mich. Sonst wird immer geredet. Hat irgendjemand etwas von Ardan und mir mitbekommen? Waren doch Kameras eingebaut, von denen ich nichts wusste? Ich darf bloß nicht auffallend werden. Aber es kann niemand mitgekriegt haben. Nein, das kann nicht sein. Ich verstehe es nur falsch ... hoffentlich. Was soll ich heute anziehen? Heute ist es wärmer, als die Tage zuvor. Bleiben wir lange im Restaurant? Ich habe gerade echt keinen Redebedarf, weil ich mit meinen Gedanken beschäftigt bin. Dieser Fastkuss ... das ist echt verrückt. Wie es jetzt wohl wäre, wenn er mich doch geküsst hätte? Die Welt würde ganz anders aussehen. Das ist irgendwie beängstigend.
Eine einzige Aktion kann so vieles verändern, das ist erstaunlich. Einige Zentimeter hätten das Etwas zwischen Ardan und mir von Grund auf verändern können. Gefühle und Gedanken hätten einen anderen Geschmack, wenn es passiert wäre. Schon erschreckend, was winzige Bewegungen alles anstellen können. Menschen können durch die kleinsten Worte oder Aktion gar verrückt werden. Bin ich auch verrückt? Ich komme mir nämlich so komisch vor. Aber verrückt ist sicherlich nicht der passende Begriff. Dumm? Nein ... oder? Ich weiß nicht. Widersprüchlich ist ganz passend. Bin ich denn wirklich dumm? Schließlich komme ich mir nicht so vor. Verzweifelt wäre da womöglich angemessener, aber nur, wenn es von mir selber kommt. Wenn mir wer anders damit ankommen würde, dann wäre ich sicherlich beleidigt, weil ich es dann nicht einsehen könnte - glaube ich. Hach, ich glaube so vieles, weiß jedoch so wenig. Ich hoffe einfach, dass das Ganze keine Illusion ist. Aber es kann gar keine Illusion sein, wenn Ardan doch eindeutige Signale sendet. Er sendet doch welche, oder? Ich bin entweder wirklich dumm oder habe einfach nur Verständnisprobleme. Ich hoffe, ich bin weder das noch habe ich das andere. Es wird heute sicherlich so wie immer mit Ardan ... Moment, es gibt immer zwei Situationen zwischen uns: Die Traurigen oder die Wunderbaren. "Hm", summe ich ganz leise, verträumt und nachdenklich. An meinen Babyhaaren zwirbelnd, schaufele ich mir die Kelloggs in den Mund. Halb bei der Sache beobachte ich Mama, wie sie Amir in seine dürre Wange kneift und durch sein Haar wuschelt.
Die Zeit vergeht schweigend für mich. Ich helfe im Haushalt und ziehe mich dann an. Ob ich mich wirklich freue, weiß ich doch nicht. Heute fühle ich mich einfach nur komisch und reuevoll. Hinsichtlich des Treffens hoffe ich einfach nur, dass es meine Laune ankurbelt. Mama ist duschen und irgendwie will ich ihr nicht Bescheid geben, weshalb ich schnell aus dem Haus laufe. Am Ende schreibe ich ihr trotzdem, dass ich jetzt draußen bin. So kommt es nicht zu Telefonaten, die Misstrauen erwecken könnten. Ardan besteht darauf, mich zu fahren, aber ich will irgendwie laufen. Das Problem ist, dass das Restaurant ein gutes Stück entfernt ist, also muss ich wohl oder übel gefahren werden. Ich laufe zum Anfang unserer Siedlung und warte am Straßenrand auf seinen Audi. Ich müsste dringend meine Spitzen schneiden. Am besten gebe ich Opa Bescheid. Werden wir gesprächig sein? Wie wird das Gespräch ablaufen? Nach unserem Fastkuss hatten wir es ja nicht sonderlich ereignisreich. Der schwarze Audi kommt vor mir zum Stehen. Ich laufe um das Auto und setze mich auf den Beifahrersitz, unfähig, ihn verbal zu begrüßen. Deshalb ein sanftes Nicken in seine Richtung. "Hallo, Cana", begrüßt er mich mit sanfter Stimme und sanftem Lächeln. Mir wird warm im Gesicht, ich erröte sicherlich. "Hallo, Ardan", bringe ich dann doch flüsternd raus, ehe ich mich anschnalle. Es liegt etwas in der Luft. Irgendetwas Unterdrückendes. Liegt es am Fastkuss? Bereut er es? Ich hoffe nicht. Vielleicht ist er auch so wie ich nur im Monolog heute aktiv. Wir fahren los. Ich halte den Blick gesenkt, lasse die Haare vor mein Gesicht zu einem Vorhang fallen, damit man mich nur vage bis gar nicht erkennen kann. Entweder erfahren es meine Eltern, indem sie mich sehen oder gar nicht. Ich habe keine Lust, dass sie es von wem anders erfahren.
"Musst du heute irgendwohin oder kannst du dir Zeit lassen?" "Ich hab' Zeit", antworte ich leise. Meine Augen schielen zu ihm. Beide Hände sind um das Lenkrad geschlossen, er trägt ein braunes Lederarmband an seinem rechten Handgelenk, welches mit den leicht herausragenden Venen harmoniert. Ardan hat schöne Hände, so maskulin und gepflegt. Im Gegensatz zu seiner Nagelhaut, ist meine an einigen Stellen zerfetzt. Am linken Daumen habe ich den meisten Spaß, wenn es ans Knibbeln geht. Da er ein Navigationssystem besitzt, muss ich ihm nicht den Weg erklären - weniger sprechen. "Das ist gut." Er lächelt mich sanft an. Oje, sein Lächeln ist so schön. Ich liebe es, wenn seine Grübchen hervorstechen. Ich mag sein Lächeln sehr. Ich mag ihn sehr. "Was ist los?" Ich winke ab. "Nur in Gedanken." "Du kannst sie mir ja beim Essen beichten." Ob das wirklich eine so gute Idee ist, weiß ich nicht. Wir kommen vor dem Restaurant an. Die Parkplätze sind wie immer gut befüllt, aber wir werden fündig und treten hinein. Mein Herz schlägt ein Ticken schneller. Was, wenn Baba hier ist? Es ist zwar weder Anfang noch Ende Monat, aber wenn er Hunger und Zeit hat, kommt er immer hierhin. "Gibst du mir deinen Schein und deinen Ausweis?" Ardan nickt und übergibt mir beides. Ich sehe Mickael, auf den ich zulaufe und antippe. Sofort lächelt er. "Ah, Cana, minha querida. Was hast du da für mich?" Er nimmt mir den Zettel und Ardans Personalausweis ab. "Meu Deus, das ist ja wie ein Sechser im Lotto." Ich grinse und bestätige es ihm. "Auf die Kosten des Hauses, aus gesundheitlichen Gründen. Na, diese Probleme hätte ich auch gerne." Ardan kratzt sich den Nacken.
"Da wäre ich mir nicht so sicher." Mickael summt leise und sagt, dass er Ausweis und Papier kopieren geht. Wir sollen uns solange einen Platz suchen. Ich führe uns zu einer Ecke und setze mich mit dem Rücken zu den anderen. Man weiß ja bei meinem Vater nie, wer hier sitzt. "Was bedrückt dich, Mopsi?" Ich kann mir bei dem Kosenamen ein kleines Schmunzeln einfach nicht verkneifen. Moment, ist es ein Kosename oder ein Spitzname? Ach, für mich ist es ein Kosename. Sein Lächeln ermutigt und entmutigt mich zur gleichen Zeit. "Gab es einen Grund für deine ... abwendende Art gestern?" Ich kann natürlich alles fehlinterpretieren. Seine Augenbrauen heben sich überrascht. "Ich war dir gegenüber abwendend? Nein, das kann nicht sein." Ich zucke unsicher mit meinen Schultern und spiele an der Tischdecke herum. "Kam mir so vor", murmele ich. "Ich konnte doch nicht so mit dir reden und mich vor dir so preisgeben, wie, wenn wir alleine sind, in der Anwesenheit deiner Mutter." Stimmt, ich bin blöd. Das ist erleichternd. "Untereinander ist unser Verhältnis freier, als, wenn jemand dabei ist." Er lächelt leicht verlegen. "Außerdem ... es lag ja etwas Frisches in der Luft, nach meinem Versuch." Er fährt sich über seine Stirn. Oh ... mir wird warm. Wir reden über unseren Fastkuss im Restaurant meines Vaters - er würde einen Anfall kriegen. "Stimmt." Also war es ihm auch so unangenehm wie mir. Ich räuspere mich. "Aber bereuen ..." "Nein, nein!", ruft er schon fast. Eine leichte Röte legt sich auf sein Gesicht. Sicherlich bin ich rot wie eine Tomate. Noch bevor er weiterreden kann, kommt ein Kellner.
"Wisst ihr schon, was ihr wollt?", fragt er uns. Ich verneine es. "Ich rufe dich gleich einfach", meine ich zu ihm. Ich kenne ihn vom Gesicht, aber nicht vom Namen her. Geflissentlich greift Ardan nach der Karte, was ich ihm nachtue. Heute will ich etwas Neues probieren. Welche Küche sollte ich heute ausprobieren? Asiatisch? Vielleicht Südamerikanisch? Ich spitze meine Lippen. "Wow, ihr habt euch viel Auswahl." Ich nicke. "Baba konnte zwar nicht um die Welt reisen, aber er hat von vielen Nationen Köche eingestellt und als Aufnahmeprüfung mussten sie ein Nationalgericht kochen. Ich kann mich noch bei Mickael, dem Koch von gerade, erinnern. Er war echt nervös, weil Baba sein Pokerface aufgesetzt hat und total streng war. Ich weiß zwar nicht, was genau das war, aber den Geschmack werde ich nie vergessen." "Du bist also auch Jury?" "Nein, ich hatte an dem Tag einfach Hunger und Baba hat mich dann mitgenommen." "Mopsis Hunger zu stillen hat die höchste Priorität", schmunzelt Ardan. Ich kann mir ein kleines - oder großes - Lächeln echt nicht verkneifen. Wir wählen unsere Gerichte aus, woraufhin ich den Kellner wieder rufe und Mickael zur gleichen Zeit zurückkommt. "Hier einmal unterschreiben und da auch." Ardan tut es leicht verdutzt und kriegt dann seinen Personalausweis und den Schein zurück. "Bring den Schein vorsichtshalber immer mit, ja?" Er nickt, woraufhin Mickael in die Küche geht. "Das Restaurant ist echt beliebt." Ich nicke. "Nicht nur hier." "Ach, das Restaurant gibt es in mehreren Städten?" Ich nicke wieder. "Das Mutterrestaurant, sage ich mal, ist in Köln. Da hat alles angefangen. Mein Opa war Chefkoch und Besitzer des Restaurants und nach seinem Tod hat mein Vater es weitergeführt." Ich sollte mir auch ein Stück Schokokuchen danach holen, aber erst muss ich gucken, ob mein Appetit dafür reicht.
Ich realisiere erst jetzt, dass wir durch den Kellner bei unserem intimen Gespräch gestört wurden. Er bereut es nicht, das ist gut. Das beruhigt mich echt. "Und", setze ich an. Ich komme mir irgendwie bekloppt vor, weil ich ihm alles aus der Nase rausziehen möchte. "Wie wird das jetzt weitergehen ... mit uns?" Wieso habe ich das gefragt? Mir wird sehr warm. Nicht, dass es mir aus den Ohren dampft. Ardan wirkt zurückhaltend. Irgendetwas in seinen Augen zeigt Angst und diese Angst kränkt mich. Ich schlucke. "Es ... es geht doch weiter, oder?" Mir schlägt das Herz abermals schneller, weil ich mich wieder in einer Gefahrenzone befinde. Er will doch nicht mehr? Das kann nicht sein! "Hoffentlich", erlöst er mich dann. Meine Schultern fallen, meine unbewusst zusammengezogenen Augenbrauen gehen zurück auf ihren eigentlichen Platz. Ich will noch weitere Fragen stellen, aber mein Stolz sagt mir, dass er auch etwas dazu beitragen soll. Deshalb schweige ich. Die Konsequenz ist jetzt aber die peinliche Stille, die zwischen uns herrscht. Ich wäre froh, wenn jetzt unser Essen kommen würde, aber das dauert noch etwas. Ich spiele an meinem Bettelarmband herum und zwirbele danach meine Babyhaare, wobei mir zwei oder drei Stück ausfallen. Diese Stille ist echt unangenehm. Wir sind beide in einem Territorium, indem wir nicht ganz frei sind. Deshalb sind wir zurückhaltend und das wird vieles erschweren. Seufzend spiele ich mit dem Besteck herum, zucke dann zusammen, als ein Löffel meine Gabel attackiert. Ich sehe in Ardans schmunzelndes Gesicht, welches immer den Effekt hat, mich ebenfalls schmunzeln zu lassen.
Unser Besteckkampf beginnt, sofort verfliegen die negativen Gedanken für einen Moment, aber dann sind sie wieder zurück. Mein Lächeln fällt leicht. Meine Gabel klemmt seinen Löffel ein und drückt ihn zu Tisch. "Gewonnen", lächele ich. "Das Essen geht auf mich." Wir fangen an zu lachen, doch danach wird es wieder still. Das leicht gezwungene Aufrechterhalten einer Konversation zieht sich quälend in die Länge, bis der Kellner uns mit dem Essen - Gott sei Dank - unterbricht und danach auch schnell die Getränke holt. Ich stürze mich sofort auf das Essen, öffne davor Gürtel und Reißverschluss. Was er wohl denkt? Und weshalb er so denkt? Ich würde gerne in seinen Kopf gucken wollen, aber abgesehen von Hirnmasse werde ich nicht nach Worten fündig. Ich sehe nur, wie ihm das Essen sehr zu schmecken scheint. "Ich danke deiner Mutter, dass ich hier gratis essen darf." Natürlich muss ich wieder lächeln, anders geht es gar nicht mehr. Er sieht so toll aus, wenn er isst. Seine Kiefermuskeln treten leicht hervor und ich würde gerne über diese Kaumuskeln streichen; ganz kurz, ganz sanft. Er hält das Besteck so toll, ich schwärme zu viel, statt wie am Anfang zu futtern. Ganz konzentriert auf mein Essen, stelle ich mir vor, wie er mich beobachtet. Das tut man doch manchmal oder oft. Was er wohl denken würde, falls er es in Erwägung zieht, mich zu beobachten? Nicht, dass man meine Unterhosenränder durch die Hose sieht und er darauf schauen würde. Moment, wieso sollte er auf meinen Hintern schauen? Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und sehe geradewegs in grüne Augen, die mich beobachten. Oh ... upsala?
"Was beschäftigt dich?" Diesen Gedanken werde ich totschweigen. Niemals werde ich diesen Gedanken laut aussprechen. "Nichts", murmele ich. Nur Unterhosenränder und Beobachtungen. "Deine Mimik war nachdenklich und dann streng. Wer hat dich in Gedanken geärgert?", fragt er am Ende kindlich. Ein weiteres Lächeln kann ich mir nicht verkneifen - nie. "Keiner", nuschele ich schmunzelnd. "Sicher? Ich würde zu gerne wissen, was sich da abgespielt hat." Oh Gott. "Du mutierst mir zum Stalker." Mit einem leicht süffisanten Lächeln zuckt er schlicht die Schultern. "Wenn ich so meine Informationen bekomme, bin ich gerne dein Stalker." "Iss lieber das Essen, du Stalker." "Das lasse ich mir nicht zweimal sagen." Das leicht unangenehme Schweigen ist jetzt weg und wenig später schauen wir uns satt an. Ich muss kurz mit Mickael sprechen. Nicht, dass er irgendwann mit meinem Vater über Ardan und mich spricht. "Ich komme gleich, ja?" Nachdem ich Mickael nach mehreren Minuten fündig gemacht habe und die Versicherung bekommen habe, dass er auch ja nichts preisgeben wird, laufen wir zu Ardans Auto. "Magst du nach Hause oder sollen wir noch etwas zu mir?" Ich lächele. "Zu dir." Ganz leise flüstert er ein Gut und fährt los. Also möchte er mich bei sich haben. Das lässt mich gleich viel sicherer werden. Wieder lasse ich meine Haare zu meinem persönlichen Vorhang werden, bis wir in der Garage sind. Er schließt die Tür auf, sofort springt Roxy ihn an, die freudig mit ihrem Schwanz wedelt. "Na, meine Süße?" Sein schönes Lachen ertönt kurz. Ich finde es echt toll, seine Bindung zu Roxy beobachten zu dürfen. "Begrüße unseren Gast." Roxy springt mich sofort an und will mich abschlecken. "Hallo, Roxy", lächele ich.
Ich will mich im Wohnzimmer hinsetzen, nachdem ich Schuhe und Jacke abgenommen habe, aber Ardan hält meinen Unterarm fest und zieht mich zu den Treppen. Oh, wir gehen auf sein Zimmer. Ich habe sein Bett sowieso lieber als das Sofa. Langsam lasse ich mich auf dem weichen Bett nieder und sehe zu, wie er seine Sachen ablegt und sich neben mich setzt. Wir schweigen, aber gerade finde ich dieses Schweigen sehr angenehm; nicht wie das anfängliche Schweigen im Restaurant. Das hier strahlt etwas Beruhigendes aus. Wir sind ganz alleine, nebeneinander und das nah. Ich würde mich gerne an ihn lehnen, ihn in den Arm nehmen, weil ich mich nach mehr sehne. Hach, wie schön es wäre, wenn da mehr zwischen uns wäre. Ich mag ihn sehr ... aber würde das reichen? Für das ganze Drum und Dran? Plötzlich steigen mulmige Gefühle in mir auf. Ich mag ihn sehr, aber fühle ich mehr? Was ist mit ihm? Ich muss mir sicherer werden, sonst kann ich das mit dem Mehr vergessen. Ich atme leise ein, halte kurz inne und atme wieder aus, als ich meinen Ringfinger kratze. Er regt sich und dann legt er seinen Arm um mich! Ja! Seine große Hand legt sich auf meinen Oberarm, rutscht dann zu meinem Unterarm. Eine Gänsehaut empfängt mich auf. Mir ist sehr wohl bei der Sache, dass er seinen Arm um mich gelegt hat. Und genau deshalb lege ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Das ist ein wunderbares Gefühl, ich fühle mich so geborgen. Es ist so faszinierend, was eine einzige Berührung alles mit einem Menschen anstellen kann. Mein Herz schlägt ein Ticken schneller, mir ist ein wenig wärmer geworden. Ich fühle mich gerade einfach so wunderbar.
Meine Hand wandert zu seiner Brust, tastet nach seinem Herzschlag. Es erschüttert mich, dass er meine Hand schon fast wegschlägt. In meiner Brust zieht es sich zusammen. Erschrocken schaue ich ihn an, seine Mimik zeigt mir dasselbe. Gerade bereue ich es stark, dass ich mich darauf eingelassen habe. "Wieso?", hauche ich. Er wirkt leicht zerknirscht, unwillig. "Nicht ... noch nicht." Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. "Das ist ein großer Schritt." "Ich verstehe nicht." Ardan steht auf, sieht mir nicht in die Augen. "Tut mir leid, falls ich gerade etwas rabiat wurde, aber das hat für mich etwas mit Akzeptanz zu tun." Ich kann ihm echt schwer böse sein, wenn er so traurig wirkt. Verstehen kann ich ihn trotzdem nicht. "Was ... aber ich akzeptiere dich doch?" Mit offenem Mund starre ich ihn an. Er kratzt sich den Nacken, läuft hin und her und schüttelt den Kopf. "Ardan, rede mit mir", fordere ich leicht wütend. Es mag sein, dass er verletzt ist - weshalb auch immer -, aber es kränkt mich ebenfalls. Stur schüttelt er seinen Kopf. Will er nicht? Resigniert seufze ich. "Ganz ehrlich, dann hat das hier keinen Sinn." Ich stehe auf und laufe zur Tür, die Ardan ganz schnell blockiert. Seine Augen flehen mich an, zu bleiben. "Bitte." Er hält meine Arme fest, seine Augenbrauen ziehen sich plötzlich erbost zusammen. "Wieso willst du mich jetzt auch verlassen, nur weil ich mich nicht sofort öffne?" Sein blaffender Tonfall überrascht und schockiert mich zugleich. Was ist los mit ihm? "Weil ich mich nicht auf etwas einlassen will, was keinen Sinn ergibt", gebe ich im selben Ton zurück. Er zieht seine Hände sofort zurück.
Das war wohl das endgültige Zeichen. Ich nicke mit bebender Lippe. "Verstanden", flüstere ich. Dann war's das wohl. "Cana", setzt er stockend an. Seine Aura strahlt etwas Widerwilliges aus. "Das muss ich mir nicht antun." Das war ein Fehler, ein fataler Fehler. Hätte ich einfach alles abgeblockt. Es ist ja schon fast lächerlich, dass ich mir irgendetwas erhofft habe. Es war doch eine Illusion. Die Treppen rase ich schon fast hinunter und ziehe mir so schnell es geht die Schuhe an. Dass er ebenfalls die Treppen hinunterkommt, lässt mein Herz schneller schlagen. "Cana, bitte." Ich ignoriere ihn, das ist das Beste. Seinen Blick will ich nicht erwidern, weil es mich noch schwacher und verletzlicher machen könnte. Langsam aber sicher steigen mir schon die Tränen auf, mein Herz krampft leicht. Ich will nur noch weg. Es war nur eine reine Illusion. Eine Illusion für mein Herz. Gott, wieso bin ich bloß so dumm? Schnell stehe ich auf, ignoriere die neugierige Roxy beim Anziehen meiner Jacke und verfluche Ardan, dass er wieder auf mich zukommt. Rückwärts laufe ich nach hinten, spüre die Tür hinter mir. Ich greife nach der Klinke, seine Hand legt sich auf meine. Es fühlt sich so falsch an. So wunderbar falsch. "Mach das nicht", haucht er flehend. Es brennt, es brennt im Herzen. Sein Blick tut mir so weh, allein, weil er so viel Schmerz trägt. Das verwirrt mich. "Solange du dich nicht entscheiden kannst, gehe ich nicht weiter." Mit diesem Satz ziehe ich von irgendwo neue Kraft und kann meine Hand aus seiner befreien. Die Wärme verlässt meine Haut sofort. Schnell laufe ich durch die Tür, verdränge das Stechen in meiner Brust und laufe. Ich laufe und laufe und das schnell. Meine Tränen und mein Schniefen kann ich nicht mehr aufhalten. Es kommt mir so vor, als ob alles eine Lüge war. Als ob alles eine Illusion war. Diese Schmerzen, dieses Leid.
Es kommt mir so vor, als ob mein Herz zerbricht.
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