Kapitel 21
Lauv - Never Not
Zwei Monate sind vergangen und ich bin froh, dass die Zeit so schnell im Flug vergangen ist. Morgen fliege ich mit meiner Familie nach Dubai und bin erstmal weg von der kalten Stadt Hamburgs. Ich konnte mich diese zwei Monate nach der Klausurphase gut entspannen und beruhigen. Erstaunlicherweise konnte ich mich auch gut zähmen, was die Gefühle und Gedanken Ardan gegenüber angehen. Ich habe mich nach diesen paar freien Tagen gesehnt. Ich wollte einfach nur noch weg und meinen Kopf abschalten, denn trotz des Zähmens konnte ich nicht ganz keusch bleiben. Ich musste ab und zu an ihn denken, aber nur, weil ich ihn eben gesehen habe. Das wird nicht mehr der Fall sein, für die Tage, die ich auf einem anderen Kontinent bin. Wie es die Tage ohne mich sein wird in der Schule? Wird sich Didem an Ardan ranschmeißen? Das könnte ich diesem Miststück zutrauen. Das stört mich. Schnaubend nehme ich mir mein Handy zur Hand und will gerade den Mädchen schreiben, dass sie ein Auge auf Didem haben sollen, bis ich in meiner Bewegung verharre. Wieso sollte ich ihnen diesen Befehl erteilen? Ardan kann tun und lassen, was er will. Er mag Didem doch sowieso nicht, also brauche ich nichts zu befürchten. Aber was ist, wenn er plötzlich mit ihr redet? Sofort packt mich ein wütender Impuls, weshalb ich den Mädels doch schreibe. Wenn er wirklich mit ihr reden wird - richtige Konversationen - und dann noch in den Pausen, dann ... dann wäre ich echt enttäuscht.
'Ich will, dass ihr mir Bescheid gebt, wenn Didem mit Ardan redet.'
'Oh, wird da jemand eifersüchtig?', fragt mich Yasmin, die ganz viele Mondgesichts-Emojis an ihre Frage gesetzt hat.
'Das sieht doch ein Blinder', merkt Dilan an.
'Ihr könnt auch einfach einwilligen.'
'Natürlich werden wir ein Auge auf Ardan werfen, der ganz traurig sein wird, dass seine Cana nicht bei ihm ist.' Auch Amal muss ihren Senf dazu geben.
'Ja, denn er muss jetzt auf seine Hand zurückgreifen, weil du nicht mehr da bist.' Oh mein Gott, Dilans Nachricht erinnert mich an Ardan im Handtuch ... er wollte sich ja eine entspannte Dusche gönnen.
'Macht euch lieber fertig, statt so viel Mist abzugeben!', schreibe ich zynisch und lege murrend und gleichzeitig schmunzelnd mein Handy weg.
Wir wollen uns alle gleich treffen, bevor ich morgen fliege. Gemeinsam wollen wir den Tag genießen. Ardan wird auch dabei sein und sofort kreische ich. Das ist so verdammt komisch. "Cana?", ruft Mama von unten. "Ja?" "Was ist los?" "Nichts." Ardan ist nur los, mehr auch nicht. Die Koffer sind schon gepackt. Mama hat schon vor einer Woche alles geplant, weil sie bei sowas nicht entspannt. Alles muss perfekt für die Route sein und wenn einer von uns nur eine Minute zu spät aus dem Haus geht, wird er angemeckert. Ich will mich umziehen und greife nach langem wieder nach meinem weißen Rollkragenpullover. Ich mag ihn echt, obwohl mit ihm eine Demütigung kam. Er betont meine Oberweite einfach so schön. Die schwarze Hose tausche ich gegen meine Hellblaue und flechte mir zwei Bauernzöpfe. Ich wünschte, er würde mir wieder über meine Haare fahren. Ich halte mir die Stirn und schüttele den Kopf. Heute werde ich ihn einfach so gut es geht ignorieren ... aber das wäre doch unhöflich. Er ist da, um sich von mir zu verabschieden, er ist in seiner freien Zeit in meiner Nähe. Ich öffne die Tür und höre das Gekicher meiner Eltern. "Can, nicht, die Kinder sind alle da", flüstert sie. Und sofort renne ich zurück in mein Zimmer. Mit einer versteinerten und leicht verstörten Miene laufe ich auf mein Bett zu und versuche zu ignorieren, was sich da unten wohl abspielen könnte. Eigentlich ist es ja süß, aber trotzdem. Niemand will seine Eltern beim Techtelmechteln erleben. Schmunzelnd setze ich mich auf mein Bett und lese Ardans Namen. Wie von fremder Hand öffne ich die Nachricht und sofort steigen meine Mundwinkel empor.
'Das wahre Glück ist: Gutes zu tun.'
'Was bringt dich dazu, Sokrates zu zitieren?'
'Du wirst morgen fliegen und in mir stieg das Gefühl der Distanzierung zwischen uns auf.' Meine Mundwinkel sinken wieder.
'Und wie hängt Glück mit Distanzierung zusammen?'
'Es ließ uns alle doch glücklich erscheinen, als die Klausurphase vorbei war oder magst du jetzt eine neue Matheklausur schreiben?' Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht. Ich verstehe trotzdem nicht, worauf er hinauswill.
'Doch, aber die Distanz ist doch nicht von langer Zeit.'
'Relativ.' Mich stört sein Philosophieren.
'Was willst du mir mit dem Zitat sagen?'
'Ich wollte mich nur vergewissern, dass wir vor deinem Flug nicht mit schlechten Gefühlen und Gedanken alleine bleiben.' Mein Inneres zieht sich zusammen. Gefühle und Gedanken.
'Inwiefern ist das eine gute Tat?'
'Ich hege Gedanken um dich, was negative Spannungen anbelangt. Diese will ich aus der Welt schaffen und bin der Ansicht, dass ich damit eine gute Tat vollbringe.' Ich bin vollkommen berauscht von seiner Reifheit mit seinen achtzehn Jahren. Er wählt so wohlklingende Worte, die meine Sinne umschmeicheln. Wie schön sich seine Intention liest.
'Vor allem vor einem Flug und das noch ganz weit weg, über mehrere tausend Kilometer, sollte man immer mit reinem Gewissen an die Sache angehen.' Ich seufze, hin und weg von seinen Gedankengängen. Sie sind so wunderschön. Ich bin so entspannt von seinen Worten, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
'Wie kam es dazu, dass du es als Distanz aufgenommen hast?'
'Es war mehr als unverkennbar, wie du dich geniert hast, einen Tag, nachdem du bei mir warst.' Ich erschaudere.
'Ansprechen konnte ich dich nicht, weil mir deine Körpersprache nicht zugesagt hat und weil es missinterpretiert werden könnte. Ich kann mir allzu gut vorstellen, dass es dich kompromittieren würde.' Ja, weil die Mädels mich bis zum Tod und darüber hinaus necken würden.
'Und deshalb nach zwei Monaten per WhatsApp?'
'Hattest du in den zwei Monaten eine bessere Idee?'
'Ich habe nicht darüber nachgedacht.'
'Und ich habe oft darüber nachgedacht, ehe ich diesen Schritt endlich angegangen bin.' Ich will dieses Gespräch so schnell wie möglich enden lassen, weil ich es irgendwann mal bereuen werde, mit ihm so - für unsere Verhältnisse - intim geschrieben zu haben. Er hat oft darüber nachgedacht, also auch über mich. Was soll ich darauf antworten?
'Möchtest du nichts dazu beitragen?' Ich habe das Gefühl, dass er verärgert ist.
'Ich würde gerne, aber ich weiß nicht, was ich schreiben soll ... es kam so plötzlich.'
'Was? Die Distanzierung oder meine Nachricht?'
'Alles.' Genau dieses Wort hauche ich auch. Es kam alles so plötzlich. Plötzlich war er da, plötzlich war er so nett und zuvorkommend, plötzlich war er in meinen Gedanken.
'Was hat dich diese zwei Monate beschäftigt?' Wieso interessiert ihn das so?
'Nichts.'
'Nichts? Dieses Nichts kam plötzlich? Oder doch das Alles?'
'Tut das was zur Sache?'
'Ich möchte, dass du mit klaren Gedanken nach Dubai fliegen kannst und ich mit klaren Gedanken hierbleiben kann.'
'Was verschleiert denn deine Gedanken?' Ardan tippt und tippt und ich schaue wie gebannt auf das Ardan schreibt ... aber es kommt nichts.
'Tut das was zur Sache?' Wir können den Spieß gerne umdrehen, Ardan.
'Ich möchte, dass du mit klaren Gedanken hierbleibst und ich mit klaren Gedanken nach Dubai fliegen kann.'
'Touché.'
'Du wirst mir keine Antwort geben und mich mit verschleierten Gedanken nach Dubai reisen lassen?'
'Du hast mir ebenso wenig den Schleier zur Seite genommen.'
'Es war deine Intention, mich mit einem klaren gewissen fliegen zu lassen.' Er fängt langsam an, einem Widerspruch nahezukommen.
'Ja und mit der Intention wollte ich deine Gedanken offenbart bekommen.' Und schon hat er sich klug von dem Widerspruch entfernt.
'Ein wenig überheblich, wie ich finde.'
'Was bringt dich zu diesem Gedanken?'
'Auf meine Kosten zu kommen, ohne mir deine Gedanken zu offenbaren. Wie soll ich so mit klaren Gedanken fliegen?'
'Ein berechtigtes Argument.' Und schon geht er offline. Das verärgert mich.
'Ich mutmaße, dass du mich doch mit verschleierten Gedanken loslassen willst.' Ich schaue mindestens eine Minute auf unseren Chat, doch er kommt nicht online.
Seufzend lege ich das Handy zurück. Jetzt will er selber nicht seine Gedanken preisgeben. Das heißt doch was. Ich würde zu gerne seine Gedanken wissen. Mir steigen urplötzlich Hoffnungen auf. Vielleicht werde ich heute ein Zeichen bekommen. Sehnsüchtig warte ich auf ihn ... aber auch auf die anderen. Ich kann Ardan ja nicht bevorzugen. Außerdem ist er gerade vor der Fortsetzung unserer Konversation geflüchtet, da sollte ich mir doch nicht allzu viel erhoffen. Ich streiche mir über die locker geschnittenen Ärmel und fahre mir seufzend über meine Oberschenkel. Kann er mir nicht einfach seine Gedanken schildern? Das war eine Konversation mit versteckter Ambivalenz. Hinter den Worten steckt viel mehr. Leicht schmolle ich, weil ich die Konversation noch weiter aufrechterhalten wollte. Was soll ich jetzt machen, bis die anderen kommen? Ich bin gerade so ungeduldig und kann nicht einmal nach unten zu meinen Eltern, weil sie weiß Gott was da machen. Zwanzig Minuten lang verschlinge ich einige Kapitel und gehe dann auf Toilette. Meine Eltern flüstern nicht mehr, sondern reden über irgendeinen Patienten, weshalb ich endlich wieder zu ihnen gehen kann. "Ja, aber ich muss erst auf die neuen Ergebnisse warten", meint Mama, die frisch geduscht ist. Oh Mann, so natürlich es auch ist, es ist mir ein wenig peinlich. "Na?" Sie grinst mich an und öffnet ihre Arme, in die ich mich fallen lasse. "Can, deine Tochter möchte heiraten." Ich murre, genau wie Baba. "Sie wird gar nichts tun." Ich finde es immer wieder lustig, wie grimmig er wird, wenn es um mich und Bindungen geht.
"Doch, wir suchen ihr einen Scheich und schon wird sie ein Vermögen haben." "Mit Arabern habe ich keine gute Erfahrung, genauso wie du." Verwirrt schaue ich zu Mama, deren Lippen leicht geschürzt sind. "Und was ist mit Ramazan?" "Erinnerst du dich noch an seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag? Ich habe mich noch nie in meinem Leben so unmännlich gefühlt." Seufzend fährt sich Baba über sein Gesicht, während Mama sich schlapp lacht. "Du musst wissen, dass dein Onkel und dein Vater eine Affäre hatten." "Shana." Babas Ton ist warnend. "Aber ich akzeptiere ihre Liebe." Ich pruste und lehne mich an ihre Brust. "Alles Brustfanatiker, genau wie der Vater." "Der Grund steht auch vor unseren Augen." Ich murre wieder, weil ich diese Gespräche nicht hören will. Mama lacht verstehend und hält mir die Ohren zu. "Ich freue mich schon auf die ganzen neuen Inventionen, die zur Revolutionierung der Medizin beitragen." Mama drückt mich freudig und quietschend an sich. "Und natürlich auf die sexy Ärzte." Sie kann es nicht sein lassen, ihren eifersüchtigen Ehemann zu ärgern. "Seit wann stehst du auf Männer, die doppelt so alt wie du sind?" "Na ja, sie stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mich und Abwechslung schadet nicht." "Shana", ermahnt er sie. Gleichzeitig kichern Mama und ich. Jetzt sehne ich mich wieder nach so viel Liebe. Nach der Liebe, die sich meine Eltern gegenseitig schenken. Natürlich muss mir Ardan sofort in den Sinn kommen, weshalb ich mich wie ein kleines Kind an die Brust meiner Mama drücke, in der Hoffnung auf Schutz vor diesen Gedanken.
Es klingelt, sofort stehe ich auf und mit mir die Hunde, die alle begrüßen. Alle. Meine Augen fixieren Ardans Augen sofort, doch ich wende automatisch den Blick ab. Stattdessen schaue ich auf Yasmins dunkelgrünen Parker. Na toll, das Grün-Sehen-Phänomen beginnt wieder. "Hereinspaziert", lächele ich, ehe ich zur Seite trete und allen zusehe, wie sie sich ihre Schuhe ausziehen. Ich verfluche mich innerlich dafür, dass ich verstohlen Ardans Outfit begutachte. Er hat einen tollen Geschmack und seine schwarzen Timberland Boots stehen ihm ausgezeichnet, lassen ihn noch maskuliner wirken. Innerlich bete ich, dass sich unter seinem schwarzen Parker ein weißes Leinenhemd befindet und kreische innerlich, als ich es sehe. Alle laufen schon durch den Vorraum und werden herzlichst begrüßt. Ardan schaut kurz zu mir und übergibt mir dann eine Tüte mit Schokobons. Diese Geste lässt mich innerlich fiebern. "Dankeschön", flüstere ich und laufe schnell mit der Tüte hoch, die ich dort verstecke, wo damals das nach ihm duftende T-Shirt untergebracht wurde. Lange will ich nicht daran denken und laufe zu den Stufen, wo ich alle nach oben rufe. "Also, Cani-Bani, wie willst du mich heute haben? Extra süß oder doch etwas fruchtig?" Ramzi beißt sich mit einer dümmlichen Grimasse auf den Zeigefinger und streckt seinen Hintern zur Seite, der an den entgeisterten Miran knallt. Ich klopfe auf mein Bett und zeige auf Sofa und Stuhl. Spontan fällt mir der Wunsch ein, einen Hängesessel haben zu wollen, wie er im Garten am Baum hängt.
Dass Ardan in meinem Zimmer ist, bringt mich ein wenig aus der Fassung. Er war schon einmal hier und hat hier auch übernachtet, aber er ist nie in mein Zimmer getreten. Das ist eine neue Art der Intimität zwischen uns beiden - für mich. "Wieso nicht beides?", schmunzele ich. Dilan grinst dreckig und Yasmin streckt sich ein wenig zu aufreizend. Sofort schaue ich weg und bin froh, dass mein Schmunzeln nicht verräterisch wirkt. "Ich will, dass du mir vier Frauen aus Dubai mitbringst. Pack sie bitte sorgfältig in einen Koffer, damit sie auch nicht knittern, danke." Miran gibt Ramzi einen Klaps. "Was denn?", murrt er und kassiert einen weiteren Klaps - diesmal von seiner Schwester. "Warte ab, das sage ich Mama", droht Ramzi Yasmin, die es herzlichst wenig tangiert. "Die Tage in der Schule werden ohne dich total langweilig sein", meint Amal. "Ja, wer soll sich jetzt in Biologie melden?", fügt Dilan hinzu. "Die Tage haltet ihr bestimmt ohne mich aus." Ich lächele. "Eine Person wird es ganz schwer haben." Mein Lächeln fällt und ich werde ein wenig sauer, weil Dilan sich so indiskret verhält. Ardans Blick huscht vom Boden kurz nach links, wo Dilan ist und dann wieder zum Marmorboden. "Didem", fügt sie dann mit einem verräterischen Grinsen hinzu. Die Kurve hat sie noch gekriegt. "Das Push-up Monster?" Ramzi versucht Zombiegeräusche zu imitieren, was kläglich scheitert. Ich will mich unter die Decke legen, tue es aber nicht, weil ich mein Outfit so gerne mag. "Noch vier Monate und dann geht es an die Ostsee." Miran grinst Ramzi an, weil Ramzis Ton verräterisch ist. "Ihr ekeligen." Amal rümpft ihre Nase. "Ach, für dich finden wir schon eine Mülltonne, keine Angst", meint Ramzi gelassen. "Wieso suchen, wenn eine Mülltonne mit mir redet?" Sofort grölen und lachen wir los. Wir schlagen bei Amal ein und schauen zum schmollenden Ramzi. Dabei musste ich an Ardan vorbeiblicken, der sein Lächeln hinter seiner Hand versteckt hat. Sein Grübchen habe ich trotzdem gesehen.
Mehrere Stunden vergehen, als wir dann essen konnten und wieder gequatscht haben. Inzwischen ist es schon kurz vor zwölf, als alle dann aufbrechen wollen. "Geht schon mal vor, ich glaube, ich muss kacken." Ramzi rennt in Adams und Aimans Badezimmer, noch bevor einer der beiden protestieren konnte. "Was? Ihr geht schon?", fragt meine Mutter überrascht. "Ja, Tante. Ich wünsche dir und meinem Onkel noch eine gute Reise mit viel Spaß." Dilan küsst meine Mama auf die Wange, was sie voller Freude erwidert und drückt sie an sich. Mein Vater taucht auch auf, der sie lächelnd umarmt. Es entsteht eine ganze Kuschelrunde, wobei Ardan nur schüchtern in der Ecke steht. Ich lächele ihn vorsichtig an, was er erwidert. Danach schaut er zu meiner Mutter und wird ganz verlegen. "Eine angenehme Reise wünsche ich Ihnen, ohne viel Tumult und Stress." Mama grinst und tätschelt seinen Kopf, ehe sie ihn drückt. "Dankeschön, kommt gut nach Hause, ja?" Er nickt leicht errötend und schüttelt meinem Vater die Hand. Zwar sieht Baba nicht wütend aus, aber sein natürlicher Blick hat niemals freundlich gewirkt. Deshalb stößt meine Mutter ihm in die Seite und drückt seine Mundwinkel hoch. Das lockert Gott sei Dank die leicht peinliche Stimmung für Ardan, der sicherlich froh ist, als alle aus der Tür treten. "Warum warst du so unfreundlich?", meckert Mama ihn an. "Wieso war ein Junge bei Cana?", fragt er rau. Seine Unzufriedenheit spürt man sehr. "Miran und Ramzi?" "Das sind ihre Brüder." Baba schaut zu mir, sofort senke ich den Blick und höre ihn seufzen. "Er ist auch ein Freund und auch der Freund von Adam und Aiman. Außerdem hat er mich oft vor Didem verteidigt", nuschele ich. "Guck, er ist ein potentieller Ehemann. Jetzt husch, husch ins Schlafzimmer."
Mama zieht Baba hinter sich her in ihr Zimmer und auch ich gehe nach oben, wo ich mich erschrecke, weil ich vergessen habe, dass Ramzi noch auf Toilette musste. "Und? Hast du das Bad verseucht?" Er winkt ab. "War doch nur Pipi. Komm, wir gehen ein wenig spazieren." "Um diese Uhrzeit?" "Warum denn nicht? Die Siedlung ist so sicher wie sonst was, weil jeder hier Kameras hat. Kein Trottel würde es hier versuchen." Er nimmt meine Hand, zieht mich nach unten und zieht sich Jacke und Schuhe an. Ich sollte meinen Eltern Bescheid geben, aber irgendwie befürchte ich, dass sie gerade sehr beschäftigt sind. Ich schüttele diesen Gedanken ab und ziehe mich ebenfalls an. Beide Hunde nehme ich mit und trete aus der Tür, die Ramzi schließt. Im Licht der Wandleuchte wirkt er leicht besorgt. "Alles gut?" Er nickt. "Natürlich." Schon taucht sein typisches Grinsen auf, wenn auch übertriebener als sonst. Wir laufen los und genießen die Atmosphäre, so kalt es auch ist. Sein Arm streift meinen, der Schnee knirscht unter unseren Schuhsolen. "Bis wo genau sollen wir spazieren?", frage ich ihn. "Lass uns zur Bank dort." Wir steuern auf diese zu und setzen uns hin, nachdem wir den Schnee von der Sitzfläche gewischt haben. Die Laternen leuchten auf uns hinab. "Hast du alles eingepackt?" Ich nicke. "Auch dein Köfferchen für Notfälle?" Ich nicke noch einmal. "Mama hat vorsichtshalber noch einen geholt für mich." "Dann ist ja gut." Seine Stimme ist nicht mehr so voller Elan wie sonst auch. Ich erlebe ihn nicht oft so. Seine Stimme ist tiefer, ernster und seine Haltung verspricht auch nichts Gutes.
"Was ist los?" Ich lege meine Hand auf seinen Rücken und streichele ihn. "Hey, mein Ramzi ist sonst immer gut drauf." Schwach lächelt er und tätschelt Rocky. Er will etwas ansetzen, doch dann schüttelt er mit einem schwachen Auflachen den Kopf. "Ich bin in einer Zwickmühle, Cana." Seine Stimme ist so rau geworden. "Wie kann ich dir helfen?" Ich bin ganz aufmerksam. Er seufzt. "Das ist verdammt ... ach, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll." "Was genau ist denn passiert? Weiß dein Bruder Bescheid, dass du in Schwierigkeiten steckst?" Spöttisch lächelt er mich an. Was ist los? "Ich bin nicht in Gefahr ... also nicht auf lebensbedrohliche Art und Weise." Er dreht sich mit seinem Körper zu mir. Ohne wirklich zu wissen, was los ist, schüttele ich den Kopf. "Wer tut dir etwas?" Seine Augen zeigen Nervosität und Angst. Seine Haltung ist nicht seine typische. Er wirkt ernst und gleichzeitig nervös. Das Licht, welches auf uns hinableuchtet, lässt es noch stärker zur Geltung kommen. Was ist los mit ihm? Ich will meinem besten Freund helfen, ihm zur Seite stehen. Wer ist für sein Problem verantwortlich? Was genau ist passiert? Ich mache mir Sorgen um ihn, weil ihm diese Emotionen überhaupt nicht stehen. Sonst ist er die Fröhlichkeit in Person. Vor Stunden hat er noch Witze gerissen und sich an die Jungs geschmissen, sich einen Spaßkampf mit meinem Vater erlaubt und sich tot vor die Hunde gelegt, in der Hoffnung, dass sie sich Sorgen um ihn machen. Wieso ist er plötzlich so? "Ramzi, sag mir bitte, wer dich dazu gebracht hat, ein innerlichen Chaos zu haben?"
"Du", presst er hervor.
Mein Mund öffnet sich ein Stück. Ich? Moment ... nein, nein, nein, das kann nicht sein. "I-ich?" Ich flüstere. Das kommt mir nicht real vor. Das kann doch nicht sein. Wie? Ramzi schüttelt frustriert den Kopf. "Ich wusste es." Er ist enttäuscht. "Ramzi, nein!" Ich halte ihn auf, als er aufstehen will. Mir persönlich ist total warm und mein Herz schlägt schneller. Ein beschämter Ausdruck liegt in seinen Augen. "Du ... du empfindest etwas für mich?", flüstere ich. Ich traue mich nicht ganz direkt zu fragen. Ich fühle mich gerade so komisch. Er ist doch mein bester Freund, mein Freund seit der Geburt. Ich hätte niemals gedacht, dass es jemals dazu kommen würde. "Schlimmer kann es ja nicht werden", seufzt er und schaut nach rechts, damit ich nicht in sein Gesicht schauen kann. "Aber ja, das tue ich." Leise, aber tief ziehe ich die Luft ein. Diese Erkenntnis trifft mich stark. Ramzi liebt mich ... und ich kann es nicht erwidern. Das tut mir gerade so verdammt leid. Das will ich doch nicht. "Wie lange schon?" "Ich weiß es selber nicht. Es kam dieses Jahr." Die Kälte in seiner Stimme tut mir echt weh, aber er verspürt gerade schlimmere Schmerzen. Trotzdem steigen mir leichte Tränen auf. "Einfach so?" "Kommt die Liebe denn jemals geplant?" Er hat recht. Ich bin so perplex, dass ich nicht weiß, was ich sagen oder antworten soll. Mein Mund öffnet sich, doch er schließt sich auch wieder. Ich kann nichts sagen, ohne, dass es ihn wieder verletzen würde. "Ramzi", setze ich leicht flehend an. "Ich habe schon verstanden, Cana." Er steht auf und läuft mit zügigen Schritten nach Hause. "Ramzi!", rufe ich verzweifelt, doch er ignoriert mich.
Niedergeschlagen laufe ich mit den Hunden zurück und kann es immer noch nicht ganz realisieren. Ramzi ist in mich verliebt und jetzt habe ich ihn verletzt. Ich schüttele den Kopf und wische mir über meine Augen. Er tut mir so verdammt leid. Wer wusste alles davon Bescheid? Wissen die Mädels davon? Hätten sie mir denn nicht etwas gesagt? Anspielungen gemacht? Hätte Miran ihn nicht geneckt? Ich weiß es nicht und wenn ich sie fragen würde, dann wäre das Risiko da, dass ich Ramzis Geheimnis verrate und das kann ich nicht tun. Wie geht es jetzt mit unserer Freundschaft weiter? Es wird doch nicht zum Abbruch kommen, oder? Ich sehe ihn trotzdem noch als meinen Ramzi. Gott, wieso hat er das jetzt gesagt? Damit ich Tage darüber nachdenken kann? Dachte er, dass ich vielleicht ebenfalls so empfinden könnte, weil wir uns so gut verstehen? Ich werde sicherlich daran denken müssen. Diese Beichte ... Gott, wie soll ich unbeschwert in Dubai sein? Sein nervöser Blick und seine Enttäuschung, das will ich doch gar nicht, aber genauso wenig kann ich seine Gefühle erwidern. Ich hoffe einfach so sehr, dass wir diese Tage irgendwie kommunizieren werden. Seufzend trete ich ins Haus, laufe nach oben und ziehe mir meinen Pyjama an, nachdem ich mir meine Kleidung für morgen zurechtgelegt habe. Mit wem soll ich darüber reden? Mit niemanden. Ich könnte mit Mama darüber reden, aber ich will Ramzis Vertrauen nicht brechen. Wie soll ich mit den ganzen Gedanken schlafen? Ich lege mich hin, spüre, wie ich mich entspanne, doch als ich eine Nachricht bekomme und Ardans Namen noch lese, verspanne ich mich wieder direkt.
'Ich will und werde dich nicht loslassen.'
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