Kapitel 119

Ruel - Younger

Okay! Heute ist es so weit! Ardan wird seinen Schwiegervater kennenlernen. Ich habe das Gespräch mit Ardan nur kurz gehalten, weil ich so unruhig bin. Ich muss mein Gesicht waschen, mich ein wenig herausputzen und schnell mit dem Flächendesinfektionsmittel so viel wie möglich desinfizieren, bevor Ardan kommt. Oh Mann! Ein Glück habe ich gestern geduscht. Ich bewege mich hektisch hin und her, verharre überfordert in meiner Position, weil ich nicht mehr weiß, was ich tun soll. In der Küche riecht es unglaublich gut. Ich weiß nicht, ob Mama oder Baba kocht oder doch beide, aber ich weiß vor allem nicht, was ich anziehen soll und was passieren wird und wie Baba auf Ardan reagieren wird und wie Ardan antworten wird und ob und wie und wenn und argh! Ich könnte zusammenbrechen. Mascara! Mascara ist ein guter Anfang. Ich tusche mir vorsichtig meine Wimpern ... und jetzt? Anziehen! Ich springe in meine hellblaue Jeans, dann in ein simples, weißes T-Shirt, noch ganz viel Deo, ein wenig Parfüm und schon bin ich fertig. Okay! Wie lange braucht Ardan? Duscht er noch? Das braucht er nicht. Er riecht immer gut. Oh Mann. Ich werfe mich ungeduldig auf mein Bett. Ardan hat nichts geschrieben. Wieso schreibt er nichts? Was macht er gerade? Es klingelt! Oh mein Gott! Es klingelt! 

Ich renne wie eine Geisteskranke die Treppen hinunter, springe die letzten vielen Stufen ab und nehme die Schmerzen im Fußgelenk hin, um Ardan die Tür zu öffnen! Er ist da! Mein Herz macht das heute wirklich nicht mehr mit. "Hi!", flüstere ich aufgeregt. Am liebsten würde ich ihn abknutschen, aber ich weiß nicht, ob Baba es doch plötzlich, mit seiner super guten Sehkraft, sehen könnte, auch wenn er in der Küche ist. "Hallo, Cana." Ardan lächelt sanft wie immer. Was eine Ruhe doch von ihm ausgeht. Die Hunde beschnüffeln ihn, als er eintritt und sich die Schuhe aussieht. Wie faszinierend es doch ist. Wie beruhigend seine Präsenz auf mein Herz wirkt. Wie gut er aussieht. Er trägt ein dunkelgrünes Poloshirt, das sich so unfassbar schön an seine Oberarme schmiegt. Ardan sieht so gut aus! Er wirkt so glatt gezeichnet, während man mir noch meinen Zusammenbruch ansehen kann. "Fühlst du dich bereit?" Selbst das Schließen seiner Lider, als er nickt, besänftigt mich. Er ist mein Sedativum. "Da ist ja mein hübscher Schwiegersohn." Ardan lächelt sanft bei Mamas Stimme. Wenigstens eine Person, die zufrieden mit ihm ist. "Jungs!", ruft sie streng durch das ganze Haus, ehe sie auf Ardan zukommt, der ihr entgegenkommt und sie sich umarmen. "Du siehst toll aus." Mich macht es nervös, dass meine Brüder jetzt alle herunterkommen, auch wenn Adam und Aiman ihn schon kennen. Amir schüttelt ihm freundlich die Hand und zieht ihn dann in eine Umarmung. Aiman und vor allem Adam lassen den Handschlag weg. "Mein Schatz", murmelt Adam gegen Ardan. "Geht in die Küche und helfen. Los, los!" Mama klatscht jedem einzelnen Sohn auf den Hintern, damit wir alleine sind. Oje. Fehlt nur noch einer.

Und da steht er schon. Wie ein Bodyguard an der Türschwelle, die Hände vor dem Becken zusammengelegt. Der Blick nichtssagend. Ardan lässt sich davon gar nicht beirren und geht freundlich lächelnd auf Baba zu. Wenigstens kommt er ihm entgehen. "Hallo. Freut mich sehr." Babas schüttelt nickend seine Hand. Sein Kiefer zuckt, als er schluckt. Er ist noch sichtlich überfordert, aber er sollte Mamas drohenden Blick hinter Ardans Rücken ernst nehmen. "Setz dich. Das Essen dauert noch ein wenig." Es freut mich ungemein, dass Baba nicht distanziert zu Ardan spricht und sogar seine Hand auf Ardans Schulterblatt legt, als er ihn ins Wohnzimmer führt. Ardan zeigt mal wieder, dass er die besten Manieren dieser Welt hat, als er erst Baba bittet, sich zu setzen. "Er ist so gut erzogen", summt Mama hinter mir. Ich nicke stolz. "Ich hole mal Wasser." So wie ich Ardan kenne, würde er sich keines der Snacks aus den Schüsseln nehmen, die auf dem Tisch vor ihm stehen. Wohin soll ich mich jetzt setzen? Neben Baba oder neben Ardan? Ich bin unsicher, als ich mich halb in der Ecke auf dem Sofa vergrabe, auf dem Ardan sitzt. Baba sitzt prüfend vor uns. Eine Hand auf der Armlehne, die andere auf dem Schenkel. Ardan hingegen lässt seine hübschen Hände in seinen Schoß fallen. Und Mama? Sie summt mit ihren roten Lippen zu uns und hält Ardan das Tablet mit den hübschen Gläsern hin. Die Jungs sind in der Küche fleißig am Kochen und aufräumen, schauen aber schön schaulustig zu uns.

"Dankeschön." "Gerne, mein Lieber. Bedien dich an den Kleinigkeiten. Ich hoffe, du bist nicht allzu hungrig." Ardan hebt dankend seine Hand, als er zum Trinken ansetzt. Wie hübsch er beim Trinken aussieht. So vornehm. "Alles gut. Vielen Dank für die Mühe." Mama grinst überglücklich, stellt vor uns die Gläser ab und setzt sich dann zum Prüfer der heutigen Stunde. "Du möchtest also meine Tochter heiraten, huh?" Oh Gott. Ich schaue beschämt weg. Baba! Lass den Mörder in dir weg! "Das war mein Wunsch, ja." "Und wie stellst du dir das vor?" "Eigentlich wie jetzt auch. Nur, dass wir dann zusammenleben." Wie kann Ardan so ruhig bleiben? Ich schiele verdrossen zu Baba. Kann er mal ein bisschen freundlicher schauen? Wie kann er so eiskalt sein und nicht bei Ardans Sanftheit schmelzen? Kann Mama ihn mal schlagen? "Und was willst du werden? Kannst du für meine Tochter sorgen?" "Baba", murre ich. Wieso tut er so, als würde er mich finanziell nicht unterstützen? Und wieso grinst Mama die ganze Zeit so? "Ich bin der festen Überzeugung, dass ich als Ingenieur gut genug verdienen werde, um für uns beide zu sorgen, sollte Cana doch nicht mehr den Wunsch haben, Medizin studieren zu wollen." Ardan besitzt eine so wunderschöne Artikulation. Ich nicke vielsagend in Babas Richtung. Ich hole gleich wieder die Gabel! "Wie viele Beziehungen hattest du vor meiner Tochter?" "Keine", antworten wir beide. Er ist meine erste große Liebe und ich seine. Er ist mein Herzensdieb. "Wie weit geht deine Frustrationstoleranz?" Was sind das für Fragen? Sind wir beim Psychologen? Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen.

"Recht weit, würde ich behaupten." Ich rechne nicht damit, dass Ardan zu mir schaut und wenn ich ehrlich bin, macht es mich verdammt verlegen, dass er mich vor Baba anschaut. "Oder?" Ich nicke. Ardan ist der geduldigste Mensch, den ich kenne. "Ich bin die Ungeduldige von uns", füge ich hinzu, woraufhin Mama schmunzelt. "Ganz der Vater", murmelt sie. "Wir sind ein abgestimmtes Paar", schmunzelt Ardan. Oh, wow, sieht er hinreißend aus, wenn er lächelt. Am liebsten würde ich ihm in seine schnuckeligen Arme beißen. Er hat dort schnell wieder an Masse gewonnen. Ich freue mich, wenn er wieder diese hübschen Brüste kriegt. "Wie oft hast du dich schon geschlagen?" Ouh. "Selten." Ardan wendet den Blick ab, schaut nachdenklich auf seine Hände. Ich erinnere mich sofort wieder an den Tag am See, wo diese Idioten kamen und Ardan sich meinetwegen belastet hat. Ich kann es mir immer noch nicht verzeihen. Ardan ist nie gewaltbereit. "Er hat mich immer beschützt", setze ich an. "Und das, obwohl ihm hohe Belastung nie guttat." Baba nickt. Hoffentlich bin ich Ardan damit nicht zu nahegetreten. "Wie sieht es mit dem Nachgehen der religiösen Pflichten aus?" Ich seufze leise. Baba möchte wirklich alles wissen. "Nachdem ich einigermaßen stabil war, habe ich nach langer Zeit endlich wieder eine Moschee besuchen können. Ich konnte das eine sehr lange Zeit nicht." Mamas Augenbrauen verziehen sich bemitleidend. 

"Das ist schön, mein Lieber. Cana hat mir von deiner Belesenheit erzählt. Du scheinst auch deine Stärken zu kennen. Er hat im Mathe-LK 15 Punkte, Can. Er kann wahrscheinlich die Hirnwellen berechnen", schmunzelt Mama. Baba bleibt noch angespannt und trocken. Hm ... hoffentlich wird das was. "Wieso kam es zu den Streitigkeiten?" Oje, bitte nicht. Ich schaue unsicher zu Ardan, der sich erstaunlicherweise gar nichts anmerken lässt. Stattdessen schenkt er Baba ein sanftes Lächeln. "Wenn man seit Anbeginn der Schulzeit ausgeschlossen wird, weil man eine Erkrankung hat, sammelt sich Frust in einem auf." Sofortige Wirkung. Bei beiden. Mamas Augen werden schon glasig und Baba fällt tatsächlich aus seiner harten Schale. Er setzt sich auf, beugt sich ein wenig zu Ardan vor und nickt ihm zu. Ardan streckt einmal seine schönen Finger, auf die er einen Moment abschaut. "Ich bin mit der Herzkrankheit auf die Welt gekommen und scheine damit für viel Verärgerung bei meinen Mitschülern gesorgt zu haben. Sie haben sich zum Teil sogar vor mir gefürchtet, wenn ich dann einmal doch mit einem Sauerstoffgerät oder einem Langzeit-EKG zur Schule kam. Auf der weiterführenden Schule wurde es nicht besser. Warum auch immer haben sich einige viele durch mich bedroht gefühlt. Es hatte den Anschein, als würde es ihnen missfallen, dass die Lehrer mir aufgrund meiner Krankheit doch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit gaben. Gepaart mit meinem zuvorkommenden Verhalten und meinen guten Noten, unter anderem bei einem sehr strengen Mathelehrer, begann das Ausschließen und auch das Beleidigen." Ardan senkt wieder seinen Blick auf seine Hände. Ich kann nicht anders! Ich muss zu ihm aufrutschen und seinen Rücken bestärkend streicheln. 

"Ja." Ardan seufzt einmal tief, nickt anschließend, als er Baba wieder ein kleines Lächeln schenkt. Er erwidert es nicht. Der Ausdruck in seinem Gesicht, vor allen in seinen Augen, zeigt Mitgefühl. Sehr viel. Baba atmet tief durch, spannt seinen Kiefer an, als er schluckt. Ist bei ihm alles in Ordnung? "Es ist mir immer noch ein wenig unangenehm. Verzeihung." "Nein, alles gut", murmelt Baba nachdenklich. Ich schaue zu Mama, die gegen ihre Tränchen blinzelt. Die Jungs schielen immer noch neugierig zu uns. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Nichts davon ist deine Schuld." Baba fährt sich jetzt selbst angespannt über seine Hände. Die Stille, die im Raum herrscht, ist mir ein wenig unangenehm. Ich will nicht, dass es so bleibt. Nur bin ich überrascht, dass Baba so sanft reagiert. Obwohl ... nein, es sollte mich nicht überraschen. Als das Theater mit Didem angefangen hat, war er auch aufgebracht und unruhig. "Schon mal getrunken?" Mama schnalzt verachtend mit der Zunge, hebt ihre Hand, als würde sie Baba mitteilen, was für ein Idiot er ist. "Er war bis vor kurzem noch herzkrank. Weder trinkt er, noch nimmt er Drogen oder raucht. Ich kenne seine gesamte Krankenakte." Ihr Zwinkern ... oh Gott. Ich schaue betreten zu den Hunden, die in den Garten latschen. Am liebsten würde ich ihnen nachgehen. "Was sind deine Hobbys?" Eigentlich das, was er auch in der Schule macht. Der Komische. Mein Komischer.

"Ich beschäftige mich in meiner Freizeit gerne mit philosophischen, mathematischen und physikalischen Gegebenheiten. Aktuell auch islamisch." Baba nickt, wendet seinen Blick von Ardan ab, um aus seinem Glas zu trinken. "Wünschst du dir jetzt schon Kinder? Würdest du sauer auf meine Tochter sein, wenn sie keine Kinder will?" Oh Gott. Ich senke beschämt meinen Blick. Wenn er nur wüsste, dass ich sehr oft die Hosen anhabe und der arme Ardan unter meinen Gelüsten nachgibt. "Nein. Ich denke, ich spreche für uns beide, dass wir aktuell und in ferner Zukunft primär an die Bildung als an Fortpflanzung denken." Ich nicke peinlich berührt. "Was für eine schöne Wortwahl. Can, wieso sprichst du nicht so?" Was wäre ich jetzt ohne Mama? Ohne sie hätte ich wahrscheinlich schon Muskelverspannungen, weil es mir so unangenehm ist. "Wenn ich ehrlich bin, hat Cana mehr zu sagen als ich." Oh Gott, nicht! Ich weiche Ardans Blick aus, schaue lieber nach rechts, als seinen Blick zu erwidern. Ich könnte mich dafür umbringen, weil ich wieder an unser letztes, kleines Techtelmechtel denken muss. Mama kichert. "Hat sie von ihrer Mama." "Eher ihrem Vater." "Ruhe." Der leise Klaps, gegen Babas Schulter wahrscheinlich, entspannt mich. "Amir? Schau nach dem Hähnchen." "Dauert noch, Mama." Ich kriege langsam echt hunger. Ein Glück kann ich mich mit dem Essen der Sonnenblumenkerne ablenken, während Baba Ardan noch ein wenig über seinen Berufswunsch abfragt. Bis jetzt ist es gut. Bis jetzt läuft es sehr gut sogar.

Mama und ich lassen die beiden alleine. Sie schließt sogar die Tür zur Küche mit einem steigenden Grinsen. Meine Brüder sind hier, also kann sie keinen schlüpfrigen Witz ablassen. "Wir haben es überstanden", seufzt sie erleichtert. Mama hebt ihre Hände betend und dankend in die Luft, als hätte sie gerade ein Bittgebet beendet, kreischt dann hyperaktiv und zieht mich unerwartet in ihre Arme. "Mein Baby wird heiraten!" Mein ganzes Gesicht wird abgeknutscht und wäre ihr Lippenstift nicht wasserfest, hätte ich jetzt überall rote Spuren. Was Baba und Ardan besprechen, weiß ich nicht. Ich kann ja nicht einmal lauschen, weil Mama jetzt auf die schnelle noch Suppe vorbereitet und wir neben des Ofenhühnchens jetzt auch noch Fisch machen. "Na toll! Wir haben keine Kutilks mehr da", murrt sie und weil Adam neben ihr ist, kneift sie ihm strafend in den Hintern. Warum er nur grinst, statt zu reagieren, will ich ehrlich gesagt nicht wissen. Mama ist plötzlich ganz hektisch, aber warum? "Wieso hast du es so eilig?" "Weil Cihan und Elif kommen werden. Gott, ich bin nicht vorbereitet auf dieses Treffen. Ich ... oh Gott!" Mama bindet sich ihre Locken hoch, schiebt Aiman sanft zur Seite, damit sie nach dem Reis und der Beilagensuppe schauen kann. Im selben Atemzug zwingt sie Amir, einen Salat zu schneiden, ihn aber noch nicht zu würzen, bis sie es sagt. Ich bin immer noch ein wenig konfus. Sie kommen nach? Also ... aber wann wurde Bescheid gegeben? Oder hat Ardan es ihnen gesagt? Oder hat Mama es ihnen gesagt?

Mama scheint gar nicht aufhören wollen, uns alle zu hetzen. Die Söhne hat sie zum Putzen verdammt, während sie sich in Windeseile umgezogen hat und an einigen Stellen auch die Deko neu anordnet. "Ich habe nie verstanden, wieso meine Mutter immer so einen Aufstand bei Besuch gemacht hat, aber jetzt, wo du heiratest, kann ich es ein bisschen nachvollziehen. Die Tage sollen perfekt sein. Heute wird nur gesprochen, aber jetzt können wir auch perfekt die Besprechung planen. Yasmin ist da die Managerin. Gott! Wir müssen so viel machen. Ich nehme mir Urlaub. Wir müssen noch über die-," Mama dreht sich einmal zur geschlossenen Tür und wieder zu mir. "Verhütung reden", flüstert sie. Oh Gott. "Lass dir vorerst Blut abnehmen. Ich habe trotz Hormonstäbchen Asman und Amir gekriegt, weil mein Körper sich vor allem durch meine Allergien und die ganzen basophilen Granulozyten durchgesetzt hat, wird vermutet. Keiner hat es so recht verstanden und ich bin zu faul, um nachzuforschen, aber wir schauen vorerst, ob dein Körper eine Neigung zum Abstoßen hat. Oh Gott und wir müssen uns noch um eine Wohnung kümmern und um Möbel und um das ganze Geschirr und-," "Mama", unterbreche ich sie lächelnd. Sie ist ganz atemlos. Wann habe ich sie das letzte Mal so gesehen? "Alles ist gut. Wir haben Zeit. Wir ziehen ja noch nicht sofort zusammen, sondern erst nach dem Abitur. Tief durchatmen." Ich hoffe, Mama holt in den nächsten zehn Sekunden Luft, denn außer mich anzustarren, als wäre ich ein Alien, tut sie nichts ... bis sich ihre Augen mit Tränen füllen und sie weint.

"Mama!" Ich nehme sie lachend in die Arme. "Mein Baby heiratet. Ich komme nicht klar damit." Mama weint laut auf, als sie mich an sich drückt. Ihre Brust bebt so stark, dass ich es auch abbekomme. "Es ist alles gut", lache ich, blinzele gegen die Tränen, die ihretwegen aufsteigen. Das ist ein so besonderer Moment in meinem Leben, den ich niemals vergessen werde. Mama möchte mich gar nicht mehr loslassen und auch kann sie gar nicht mehr aufhören zu weinen und mich zu küssen. "Meine kleine Tochter heiratet. Tu dile mine, Cana min." Ouh, oje. Ich schmolle. Ich will nicht losweinen, aber wenn sie so emotional wird, kann ich gar nicht anders. Es ist aber nur mehr als unpassend, dass die Tür jetzt von einem aufgebrachten Baba geöffnet wird, der wahrscheinlich das Weinen seiner Frau mitbekommen hat. "Geh weg, du zerstörst unseren Moment", murmelt sie. Ich kann gar nicht anders, als loszulachen. Baba seufzt erleichtert. "Shana, ich dachte, es ist etwas passiert." "Ist es auch", wimmert sie. Oje, ich spüre, dass ihre Tränen wieder aufsteigen und sie erneut zu weinen beginnt. Ich streichele ihr unbeholfen über ihren Rücken, scheuche Baba wieder raus aus der Küche, damit Mama sich langsam beruhigen kann. "Ich zeige dir das beste Reinigungsmittel für jede Ecke. Wascht nur so viele Erdbeeren wie ihr esst, sonst werden sie nach Stunden schon schlecht. Ich will gar nicht, dass die Tage vergehen und du bald schon in einer eigenen Wohnung lebst." Ich bemühe mich wirklich, aber bei ihrer gebrochenen Stimme kann ich mir keine Tränen verkneifen.

Baba und Ardan laufen gemeinsam durch den Garten und sind gerade auf dem Weg zum Gewächshaus. Er darf niemals erfahren, dass Ardan dort quasi eingebrochen ist und wir unseren ersten Kuss hatten. Das Haus wurde vom unauffälligen Staub gereinigt, die Jungs sind ordentlich angezogen - sogar die Hunde wurden gekämmt! - und jetzt stehe ich wieder an der Tür mit Mama, damit wir Ardans Eltern gleich empfangen. "Ich bin verdammt aufgeregt. Das wird nach fast dreißig Jahren das erste Treffen sein. Oh Gott!" Mama zerquetscht meine Hände fast mit ihren. "Die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Dein Vater und dein Ehemann scheinen eine gute Philosophie gefunden zu haben." Etwas in ihrem Blick verändert sich. Da ist wieder dieser eine traurige Ausdruck in ihren Augen. "Was ist los? Vorhin war die Stimmung auch schon etwas anders, als Ardan seine Mobbing-Erfahrung angesprochen hat." Mama summt nickend, schaut noch einmal über ihre Schulter in den Garten. "Dein Vater hat auch so etwas durchmachen müssen." Was? Baba? Meine Augen weiten sich. "Wie?" "Bei ihm hat es auch in der Grundschule angefangen. Wäre dein Vater dort nicht geschmolzen, hätte ich ihm sein Glas in die Augen gerammt. Wahrscheinlich tauschen sie sich gerade über ihre Erfahrungen und Empfindungen aus." Ich bin baff. Baba wurde gemobbt? Wieso? Hat man nichts Besseres zu tun, als schon im Kleinkindalter andere zu verletzen?

Ich will zum Fragen ansetzen, als es dann klingelt. Sie sind da. Meine Schwiegereltern. Oh Gott! Ich öffne vor Mama die Tür, lächele von alleine wie ein Grinsemonster, als ich die beiden grünen Augenpaare sehe. "Adam, Aiman, Amir!", ruft Mama wieder streng. Oh Gott! Das erste Essen zusammen! Ich begrüße beide mit einer Umarmung, sowie Mama es tut. Meine Aufregung steigt mit jedem Schritt, den beide nach dem Ausziehen ihrer Schuhe ins Wohnzimmer begehen. Meine Brüder empfangen sie beide herzlich. Fehlt nur noch Baba. Ich bin verdammt gespannt, wie es sein wird, obwohl ich die Gründe für die Diskrepanzen nicht kenne. "Ardan und Can sind gerade im Garten irgendwo am Herumlungern. Jungs, geht alles anrichten und den beiden Wasser holen. Elif, Cihan, setzen. Cana, leiste ihnen Gesellschaft. Ich hole mal meinen Mann und Schwiegersohn." Und schon joggt Mama davon. Es ist verdammt lustig, sie so unruhig zu sehen. Ich bin glücklich. Ich bin zufrieden. Gerade geht es mir verdammt gut und es ist nicht zu beschreiben, wie gut es mir geht. Es scheint alles so perfekt zu sein. Wie ein Traum. Und da kommt auch meine Zukunft schon: Ardan. Wie warm seine braunen Haare durch die Sonne wirken. Wie sanft sein Lächeln erscheint. Baba lässt ihm den Vortritt zu seinen Eltern, die sich jetzt erheben. Mama beißt sich schon aufgeregt auf die Daumenkuppen, als Baba zu Cihan tritt. Ich habe mit einer erneuten Grundanspannung bei Baba gerechnet, aber zu meiner Überraschung schüttelt er Cihans Hand und umarmt ihn sogar! Huch! Mamas Augen weiten sich, sie hält sich sogar stumm die Brust, weshalb Tyson sich schon alarmbereit aufstellt.

Auch Elif scheint sichtlich überrascht zu sein. Sie scheint keine Ahnung zu haben, was sie tun soll, als Baba und Cihan sich lösen und er sich vor sie stellt. Sie ist ein wenig größer als Mama, aber neben Babas zwei Metern wirkt jeder mickrig. Elif streckt zögernd die Hand aus, die Baba zwar auch nimmt, aber keiner von uns rechnet damit, dass er sich zu ihr hinunterbeugt, um sie zu umarmen. Ich schaue zögernd zu Mama, die sich ihre Hand vor den Mund hält, schon Tränen in den Augen hat bei dem Anblick. Ich persönlich bin ein wenig verwirrt. Ist es denn jetzt vorbei? Elif schließt schon fast ängstlich ihre Arme um ihn. Sie wirkt so zerbrechlich in seinen Armen und vor allem jetzt, wo sich ihre Augen schließen. Ich verstehe nicht, was er ihr zuflüstert, aber es reicht, um sie emotional zu machen. Sie nickt, weshalb auch immer. Wieso? Was ist passiert? Ich schaue mich zu allen um, die das Ganze stumm betrachten. Vor allem Mama ist gerührt. Beide lösen sich langsam voneinander. Baba gefasst, Elif mit Tränen in den Augen. Er nickt Cihan noch einmal lächelnd zu, ehe er sie in die Küche führt. Irgendetwas ist passiert, das nur die vier wissen. Meine Brüder fragen mich alle nonverbal, was gerade los war und genauso unwissend wie sie zucke ich mit den Schultern. Ich habe absolut keine Ahnung, was gerade los war und was sich in der Vergangenheit abgespielt hat. Ich weiß nur, dass es jetzt endlich vorbei ist.

Ich weiß nur, dass sich die Stege unserer Herzen immer mehr zu einer Brücke binden dürfen.

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