Kapitel 117
Shawn Mendes ft. Khalid - Youth
Die Tage vergehen mit immer mehr Hoffnung, endlich zu Ardan zu dürfen. Die Tage haben wir alle gefiebert und jetzt ist es endlich so weit! Seit gestern ist er wach, aber noch sehr müde und zum Teil noch verwirrt. Aber er ist wach! Ich habe mich gestern sofort testen lassen und auch nachgeschaut, ob ich irgendwelche Impfungen auffrischen muss. Ich darf ihn besuchen gehen. Man darf ihn nur einzeln besuchen. Gerade sind Cihan und Elif bei ihm. Ich darf danach. Ich bin schon im Krankenhaus, warte sehnlichst darauf, dass Cihan fertig ist. Beide haben sich viel Zeit genommen, was absolut verständlich ist. Sie sind seit Stunden bei ihm, erzählen ihm wahrscheinlich, was passiert ist und was passieren wird. Wir können endlich einen Schritt weitergehen. Ardan wird bald in die Rehabilitationsklinik gehen können. Das heißt, dass ich für zwei die Schulbank drücken werde. Miran bemüht sich schon einer ordentlicheren Schrift für die Mathenotizen, die er für Ardan stellvertretend machen wird, aber sogar seine Mathelehrerin meint, dass er selbst ohne Lernen eine glatte Eins schreiben würde - Ardan mag aber nur die Zensur 15 Punkte, 1+ in seinen Matheklausuren. Ich freue mich so sehr! Ich warte und warte, nehme absichtlich die Treppen, in der Hoffnung, so mehr Zeit schinden zu können und auf beide Elternteile zu treffen, aber als ich Elif im Flur alleine sitzen sehe, weiß ich, dass Cihan noch bei ihm ist. Das ist kein Problem. Das ist mehr als nur verständlich. Ich schreite mit einem wachsenden Lächeln auf sie zu. Sie ist in Gedanken versunken, weshalb sie mich erst bemerkt, als ich sie an ihrer Schulter berühre.
"Hallo, Liebes", flüstert sie. Ihre Augen sind gereizt. Sie hat wieder geweint, aber wirkt trotz der Gewichtsabnahme vitaler. Elif erwidert meine Umarmung im Sitzen. Lange. Ich spüre, dass sie wieder emotional wird und fahre ihr deshalb über ihre schulterlangen Haare. Als sie dann leise zu schniefen beginnt, werde auch ich emotionaler, aber noch kann ich mich halten. "Es wird wieder. Es geht ihm gut. Er ist aber sehr dünn geworden. Ich muss ihn wieder dick kriegen." Ich lache mit ihr über die Vorstellung, wie wir Ardan Zwangsfüttern. "Ich kaufe eine Tonne an Zitronen und mache ihm Limonade. Vitamin C ist gut. Er wird ganz viele Vitamine brauchen. Deine Mutter hat mir eine Ernährungsmedizinerin empfohlen. Ich habe ganz viele Listen und Rezepte zu Hause." "Dann sollten wir anfangen, diese auszuprobieren und Ardan vollzustopfen", lächele ich. Elif löst sich nickend von mir, wischt sich die kleinen Tränen weg. Ihr geht es viel besser. Es ist schön, sie wieder viel vitaler zu sehen als die letzte Zeit. Was ein Trauma das wohl in ihr hinterlassen hat. "Cihan ist gleich fertig. Ich habe ihm gesagt, dass du kommst." "Ist Ardan sehr müde?" Wenn es gar nicht geht, komme ich morgen ... auch wenn ich viel lieber jetzt zu ihm gehen würde. "Ihm geht es viel besser." Die Tür geht auf. Oh Gott. Die. Tür. Geht. Auf! Mein Herz. Mein Herz rast. Es rutscht mir in die Hose. Cihan tritt heraus, lächelt mir ermutigend zu. Oh Gott, ich kann zu ihm. Ardan! Ich desinfiziere mir zitternd meine Hände und Handgelenke, schmiere mir den Rest sogar auf den Mund, damit ich potentielle Keime abtöte, falls ich mich nicht beherrschen kann und ihn küsse. Ich darf zu ihm!
Ich drücke Cihan nur einmal und entschuldige mich, dass ich so hektisch bin, aber er versteht, dass ich zu Ardan will und da ist er! Mein Ardan ... so dünn, so blass, aber mit seinen wunderschönen, grünen Augen und seinen Grübchen, die jetzt entstehen. Da ist er. Oh, Ardan! Mir steigen die Tränen auf, als ich die Tür schließe. Er ist so dünn geworden, dass sein rechtes Grübchen fast so stark wie sein ausgeprägtes, linkes Grübchen hervorsticht. Seine Haare sind zerzaust. "Meine Mopsi", murmelt er rau. Oh Gott, wie sehr ich seine Stimme vermisst habe. "Ardan", flüstere ich. Meine Tränen verschwämmen mir die Sicht, aber ich finde ohne jegliches Stoßen an eines der Sachen zu seinem Bett. Seine Arme breiten sich wissend aus, empfangen mich in den Türen meines liebsten Herzes. Mein Herzensdieb. Er riecht so sanft und so angenehm. Er ist so schön warm und wohlduftend. Ich knie mit einem Bein auf dem Bett, lege mich halb auf ihn, als ich ihn in meine Arme ziehe. Ich habe ihn so sehr vermisst. Ich habe das Gefühl seiner Wärme um mich vermisst. Das Gefühl seiner weichen Haare, wenn ich mit meinen Fingern durch sie gleite. Seine Hände, die über meinen Rücken fahren. Ich will ihn am liebsten erdrücken, aber das wäre jetzt mehr als nur unangemessen. "Wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe, Cana." Wenn er weiterhin so sanft redet, heule ich wie ein Wal los! Ich löse mich schniefend von ihm, warte nicht einmal, als ich ihn küsse. Nur einmal. Ein bisschen länger. Ich habe ihn vermisst. So unfassbar vermisst. Ich spüre leichte Stoppel unter meinen Händen, als ich sein Gesicht fester umfasse, seinen Kopf fast lenke, um jeden Millimeter seiner Lippen zu berühren.
Ich besinne mich aber wieder. Würde ich weitermachen, würde ich nur über ihn herfallen. Außerdem zuckt Ardan von selbst mit zusammengezogenen Augenbrauen zurück. Als er sich über seine Lippen fährt, die aufeinanderpresst und leckt, erröte ich. "Was ist?", murmele ich. Zwiebeln und Knoblauch habe ich nicht zu mir genommen. "Entweder kommt es von den Tabletten oder ... keine Ahnung. Schmeckst du plötzlich bitter?" Oh Gott! Ich lache los. Armer Ardan. Da küsst seine Herzensdiebin ihn nach so langer Zeit wieder und er muss den bitteren Nachgeschmack von Desinfektionsmittel hinnehmen. "Ich habe mir eventuell den Mund gerade mit desinfiziert", grinse ich und sofort steigen seine Augenbrauen überrascht hoch, woraufhin er zu lachen beginnt. Seine Hand hält sich den Brustkorb, sein Gesicht verzieht sich leicht und sein Lachen wird schwächer. Meine Hände zucken alarmschlagend, aber Ardan beruhigt mich mit seiner anhebenden Hand. "Tut nur weh. Ich hab zwar Schmerzmittel, aber ich bin nicht komplett taub." Ouh ... okay. Ich nicke. Mir ist zwar vor Angst noch etwas warm, aber es geht ihm gut. Das ist gut. Sehr gut. Ich drücke seine Hände, küsse seine Fingerspitzen. Sein rechter Zeigefinger hat einen kleinen Bluterguss. Vielleicht wurde sein Blutzucker gemessen. Ich kann nicht glauben, dass ich ihn wieder bei mir habe. Mein Ardan. Mein schöner Ardan.
"Du hast abgenommen." Ich schlage die Decke zurück und krempele vorsichtig sein T-Shirt hoch. Ardan schnaubt amüsiert. "Es ist unerhört, wie dreist eine angehende Ärztin ihre Patienten nach dem künstlichen Koma befummelt. Und schon wieder ist keiner in meiner Nähe, der mich vor den Klauen von Dr. Mopsi schützen kann." Ich grinse, zwicke ihm sanft in seinen weichen Bauch. Links seitlich wurde ihm eine Drainage gelegt. Die Wundauflagen sind nicht mehr so dick und in Mengen vorhanden wie vor den fast drei Wochen. Es wird schon wieder. Ich streiche vorsichtig über seine Bauchdecke, tippe auf seinen Bauchnabel. "Du musst wieder viel essen. Wir stopfen dich voll." Ich nicke nachdrücklich. Ardan schmunzelt schief. Sein linkes Grübchen sticht hervor. "Und du musst deine Muskeln wieder aufbauen." "Pah!", stößt er empört hervor. Ich lache hinter meiner Hand, tätschele mit der anderen seinen flachen Bauch. Es fühlt sich wunderbar an. Als wäre ich in einem Rausch. "Unmöglich! Erst werde ich genötigt, mich nackt zu machen und jetzt kritisiert diese freche Dame meinen Körper. Ich möchte Beschwerde einreichen und diese kleine Ärztin eigenhändig bestrafen." Bestrafen ... nein, nicht so denken, wenn Ardan erst aus dem Koma erwacht ist. Ich lächele verlegen. Das heben wir uns für eine stabilere Zeit auf. Jetzt muss Ardan erstmal heilen. Ich verschränke unsere Finger, drücke sie daraufhin bestärkend. "Ich bin so froh, dass du wieder wach bist, Ardan. Du weißt nicht, wie wir uns alle gefühlt haben und wir besorgt wir waren. Ramzi ist die Tage so hyperaktiv und ungeduldig." "Er hat mich schon über FaceTime angerufen. Er war unter der Dusche, auf Toilette und beim Essen. Ich habe ihm angeboten, ihn nach all den Tätigkeiten wieder anzurufen, aber er wollte nicht auflegen, also habe ich die einen oder anderen interessanten Laute hören dürfen", schmunzelt er. Das ist schön. Das ist perfekt und typisch Ramzi.
Ich senke meinen Blick zufrieden auf unsere Hände. Die Hand, die ich ewig halten möchte. Beide Handrücken weisen keine Blutergüsse mehr auf. Mein wunderschöner Ardan. Ich streiche über seinen Bauch. "Als du im Koma lagst ..." Meine Augen wandern zu seinen und wieder auf seinen freien Bauch, den ich nachfahre. "Ich habe einige Tagebucheinträge geschrieben. Ich habe sie in dein Büchlein gelegt, weil ich nicht direkt reinschreiben wollte." "Es hätte mir nichts ausgemacht", wendet er ein, woraufhin ich meine Schultern zucken lasse. "Hätte ich mir schon denken können, aber ich war mir nicht allzu sicher. Die Tage waren der Horror für mich. Als du dann plötzlich die Infektion hattest, aber vor allem war es schlimm, als du glücklich durch die Tür gegangen bist und nicht mehr wiederkamst, Ardan." Meine Stimme wird am Ende leiser. Ich kann den Tag immer noch nicht vergessen. Ich hätte ihn verlieren können. Er hätte sterben können, hätte man nicht schnell genug reagiert. Aber es geht ihm wieder gut. Ich atme tief durch. "Das Verfahren gegen den Arzt läuft. Er wird seine Lizenz verlieren, so viel ist sicher." Ich bin gespannt, wie der Anwalt ihn verteidigen will. Da gibt es überhaupt nichts zu verteidigen. "Ich hatte kurz daran geglaubt, dass all unsere Träume platzen würden, Ardan. Ich hatte so schreckliche Angst um dich." Aber er ist wieder da. Er lebt. Er wird gesund. Ihm geht es besser. Ich darf seine Hände, vom ihm geführt, wieder an meinen Wangen spüren und wie er mich küsst. Meine Stirn, meine Nase, meine Lippen. Ich darf all das wieder haben. "Es ist endlich vorbei", beruhigt er mich mit seiner warmen Stimme. Ich nicke. Es ist endlich vorbei. Wir können nach vorne schauen.
"Ich habe noch ein Versprechen einzulösen. Ich bin erwacht und ich werde dich heiraten, Cana." Oh, wie erleichternd es sich anfühlt! Wie der sanfte Aufprall, auf den ich gewartet habe nach dem langen Fall. Ich nicke stark, spüre schon, wie mein Gesicht langsam spannt, weil ich weinen möchte. Es tut so gut, ihn endlich wieder lebendig in meinem Herzen willkommen heißen zu können. "Wir müssen nur noch die Reha gut meistern und dann können wir heiraten." "Ich habe meiner Mutter den Ring gezeigt, den du so gerne haben magst. Sie kennt einen guten Juwelier." Wie aufregend sich das anhört. Mein Ehering! "Mama weiß Bescheid." Ardans Augen weiten sich. Ihm steht der Schock ins Gesicht geschrieben. "Wie? Wann ... oh!" Seine flache Hand schlägt gegen seine Stirn. "Natürlich. Meine Eltern haben mir erzählt, was passiert ist. Ehrlich, wäre sie nicht da, wäre ich wahrscheinlich tot." Ich will gar nicht daran denken. Ardan geht es gut. Es ist gut ausgegangen. Er lebt. Seine Hände sind real, als sie meine drücken. Er wird nie wieder gehen. "Ja. Sie hat überraschend gut reagiert. Ich dachte, mich würde Ärger oder Enttäuschung erwarten, aber nein. Gar nichts! Im ersten Moment war sie aber auch sichtlich überfordert. Du lagst im Sterben, sie sieht mich im Flur auf dich warten mit deinen Eltern. Deine arme Mutter wirft sich völlig am Weinen an sie. Sie wird wütend wegen des Scheißarztes. Es war echt viel los an dem Tag." Wenn ich daran denke, wie der Tag angefangen hat und wie er endete, war es der chaotischste Tag meines Lebens. Der 24. Dezember wird ein memorabler Tag bleiben.
Es klopft an der Tür und ich schrecke sofort zurück, obwohl es nur Mama ist. Puh! Sie hebt überrascht die Augenbrauen, wissend, dass Ardan und ich ein Paar sind und ihre belustigten Augen kleben an uns, selbst als sie sich die Hände desinfiziert. Ein Blick zu Ardan reicht, um zu sehen, dass er sichtlich verlegen ist. "Perfekt. Dann fangen wir mit dem Aufklärungsunterricht an." Warte ... was?! "Mama", setze ich warnend an. "Scheiße", flüstert Ardan hinter mir. Oh Gott! Das ist ja alles seine Schuld! "Nana, Ardan. Wir hatten doch schon ein Gespräch. Erinnerst du dich nicht mehr?" "Dr. Jamil, ich entschuldige mich für ein schamloses Fragen und schäme mich in Grund und Boden-," "Ich glaub dir kein Wort, Kind", unterbricht sie ihn trocken. Hilfe! Sie ist so sadistisch! Ich drehe mich verzweifelt zu Ardan, der schon rote Wangen hat. Wahrscheinlich wünscht er sich, wieder im Koma zu liegen. "Mama", flehe ich. Das kann sie uns nicht antun! Das ist Folter! "Was denn?" Wieso zieht sie sich Handschuhe an? "Der Sexualkundeunterricht ist sowas von schlecht an Schulen. Ihr habt eine wunderbare, gebildete Ärztin mit genug Ahnung." Das ist die Strafe, die wir jetzt davontragen, weil Ardan ja so schlau sein muss und ausgerechnet meine Mutter nach der Sexkonsens fragen muss und ich es vor ihr verheimlich habe. Ich sehe hilfesuchend zum traumatisierten Ardan und dann zu Mama, die Riesenspaß daran hat und mir mit dem Schnalzen ihrer blauen Handschuhe verdammt viel Angst macht! "Wie verhütet ihr? Kondom? Pille?" Sowohl Ardan als auch ich geben keinen Musk von uns. Das ist so peinlich! Nie wieder verheimliche ich ihr etwas.
"Na ja, also Kondome benutzt man immer nur einmalig. Niemals dasselbe Kondom zweimal und niemals nach dem Anal-," "MAMA!" Ich drehe durch! Ich muss raus hier. Mama hält sich ihr Lachen zurück, auch wenn ich ganz genau weiß, dass sie am liebsten schreien würde vor Lachen. Ardan wird nur noch roter und versteckt sich schon unter der Decke. Hilfe! Ausgerechnet jetzt muss ich an unser letztes Mal denken. Großer Gott, nie wieder! Ich stecke meinen Kopf selbst unter Ardans Decke, stöhne leise auf, als ich meine Stirn gegen seine stoße. Mama zieht uns lachend die Decke weg. "Bitte, Mama! Nie wieder machen wir sowas." Ich wirke wie ein Häufchen Elend, vor allem wenn sie von oben so hinabgrinst. Das werde ich niemals vergessen. Nie wieder werde ich so einen Fehler machen. "Na gut. Wir reden noch einmal über Verhütung für die Zukunft und worauf ihr wirklich achten müsst, auch aus islamischer Sicht. Analsex und während der Menstruation sind verboten." Sie schielt zum verstummten Ardan, der unterwürfig nickt. Nein. Sie kann nichts von vom letzten Mal wissen. Nein, sie schüchtert uns nur ein. SIE WEIß NICHTS! "Sein Immunsystem wird unterdrückt. Damit solltet ihr nicht zu leicht umgehen. Die Maßnahmen zum Reinigen und auch für deine Hündin werden sich ändern, aber das kriegst du alles noch einmal in schriftlicher Form. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ich wollte euch nur quälen und muss mich für eine OP fertigmachen. Bleibt artig." Mama kneift noch einmal vielsagend die Augenlider zusammen, ehe sie uns verlässt. Oh mein Gott!
Ich schaue fassungslos zu Ardan, der mich genauso mit offenem Mund ansieht. Das war ein traumatisches Erlebnis. Ich bin so unfassbar froh, dass sie operieren muss, denn ich hätte mir wirklich vorstellen können, dass sie uns mit Liebe und Leidenschaft alles detailreich erklärt hätte. "Ich ... ich werde ihr nicht mehr in die Augen schauen können." Ardan senkt seinen Blick. Ich pruste. Das war eine ganze Austreibung. "Wir hoffen einfach, dass es ein Geheimnis bleibt." "Ärztliche Schweigepflicht. Wenn nicht, können wir gerichtlich gegen sie vorgehen", schmunzelt er. "So wie ich meine Mutter kenne, würde sie gewinnen." "Glaube ich auch. Am Ende macht sie den Richter so verlegen, dass er den Raum verlässt." Und sofort brechen wir in Gelächter aus. Oh Gott, das werden wir niemals vergessen. Ardan wirkt so unbeschwert, auch wenn er das Gesicht verziehen muss durch den Schmerz beim Lachen. Seine Hand ruht auf seiner Brust. Ob er mir diesen Platz jetzt gewähren würde? Ich schaue zu ihm auf, registriere seinen Blick auf mir. Mein sanftes Lächeln wirkt ein wenig verlegen, weil ich mich nicht traue, es anzusprechen. Ich würde sehr gerne, wirklich unfassbar gerne meine Hand auf seine Brust legen, auch wenn sie noch bedeckt ist. Wie gerne ich seinem Herzschlag lauschen will. So sehr! Ich strecke schon ganz ungeduldig meine Fingerglieder auf meinem Oberschenkel, schaue immer wieder von seiner Brust zu seinen warmen, grünen Augen und zurück.
"Denkst du, du fühlst dich jetzt bereit ... also ..." Ich nicke verdeutlichend auf seine Brust. Sein sanftes Lächeln schenkt mir Zuversicht. Wie dünn er doch geworden ist. "Weißt du, wie viel du eigentlich abgenommen hast?" "Gute zehn Kilo." Zehn Kilo. Wow. Er hat zehn Kilo verloren! "Die müssen schnell wieder rauf, sonst rutscht dir noch die Hose beim Abiball runter." Der Gedanke alleine lässt mich lachen. Mein Blick fällt immer wieder auf seine Brust. Ich habe selbst seine Nippelchen vermisst. "Die kriegen wir sicherlich wieder drauf, aber es wird dauern." Wird es, aber wir haben Zeit. Genug Zeit. Ich nicke, den Blick immer noch auf seine Brust gerichtet. Meine Hand zuckt wollend, kreist aber vorerst auf seinem Unterarm herum. Seine Venen schimmern bläulich durch seine helle Haut. Er ist viel blasser als ich, aber jetzt kommt er mir noch heller vor. "Wann würdest du dich bereitfühlen, mich an deine Brust zu nehmen?" Die genannte Stelle hebt sich beim tiefen Einatmen. "Ich weiß es nicht", seufzt er. "Immer noch nicht? Selbst jetzt?", hake ich verzweifelt nach. Ardan nickt mitfühlend. Oje. Na gut. Es ist schade, aber so einfach ist es nun mal nicht. Meine Lippen zucken trotzdem demotiviert. "Ich hab ein wenig mit deinen Eltern und Mama über die Zukunft gesprochen", setze ich an, fahre dabei seine Venen am Unterarm auf und ab. "Meine Eltern haben es mir schon erzählt. Ich freue mich jetzt schon darauf." Das lässt mich besser fühlen. Nur macht mir mein Vater sorgen, aber das will ich Ardan nicht erzählen.
"Hast du eigentlich geträumt während des Komas?" Ardan atmet überfordert aus. "Da stellst du mir eine Frage, Mopsi. Es war ein großes Nichts. Ich weiß überhaupt nichts, aber irgendwie habe ich da eine kleine offene Tür im Kopf und du bist auch dabei, aber irgendwie auch nicht." Seine Augenbrauen ziehen sich nachdenklich zusammen. "Aber ich komme nicht darauf, was genau da war und ob es wirklich real war. Das ist mit dem zu vergleichen, was einem auf der Zunge liegt oder man geträumt hat, aber es nicht erklären kann. Da ist etwas, aber ich weiß nicht was." Seine Augen kneifen sich zusammen, als würde es ihm helfen, an diese kleine Erinnerung ranzukommen, aber am Ende seufzt er ergebend. "Ich weiß es nicht. Es kann sein." Ich nicke, lächele leicht. "Vielleicht hast du uns ja wahrgenommen. Wir haben dich oft berührt und geredet." Das wäre schön, aber es herauszufinden, ist schier unmöglich. Doch, dass Ardan da etwas im Kopf hat und ihn fühlen lässt, als hätte er etwas mitbekommen, ist ein großes Indiz dafür, dass er uns doch irgendwie hören konnte. Sein Herz ist anwesend, selbst wenn es sein Bewusstsein nicht ist. "Aber über Mathe habt ihr nicht geredet. Sonst hätte ich das sicherlich mitbekommen." Oh mein Gott! Ich stöhne entsetzt auf. Wie kann dieser verrückte Fanatiker nach seinem Koma direkt an Mathe denken? Das ist nicht mehr normal! Das Kneifen seines Unterarms ist eine berechtigte Strafe dafür.
"Miran hat sich um die Mathenotizen gekümmert und ich mich um Bio, Englisch, Spanisch, Deutsch und Chemie. Im Philosophie-LK bist du auch abgesichert." "Schreibst du auch in den Fächern für mich?", schmunzelt er. Mein Blick fällt auf seine Lippen, die blasser wirken. Ich habe sogar Labello dabei, den ich mir letztens erst gekauft habe - und noch nicht benutzt habe. "Hier, trag das auf." Ich nehme die Kappe des nach Beeren riechenden Pflegestifts ab und nehme dann sein Gesicht in meine Hand, spüre wieder die kleinen Stoppeln. Ein leichter Dreitagebart würde ihm sicherlich stehen, aber glattrasiert ist er perfekt. "Sehen meine Lippen so abscheulich aus?" "Beweg dich nicht", murmele ich konzentriert. Ich fahre mehrmals über seine hübschen Lippen, die jetzt rötlich schimmern. Steht ihm. Ardan presst nachträglich seine Lippen aufeinander und verteilt alles noch einmal ordentlich, ehe er seine Lippen spitzt und den Geruch wahrnimmt. "Beeren?" Ich nicke. "Steht es mir?" "Durch dich wird die Verkaufsrate steigen", schmunzele ich. Bei seinem sanften Lächeln schaue ich wieder auf sein sonst so kleines, rechtes Grübchen. Durch die starke Gewichtsabnahme wirkt es so kräftig. Mein armer Ardan. "Dir geht es besser." Sein sanftes Nicken bestätigt es mir. "Uns steht nichts mehr im Weg, Mopsi. Ich muss nur ein wenig auf die Beine kommen und dann hast du mich für dich ganz alleine." Der Gedanke an uns beide in einer Wohnung macht mich wieder so glücklich. Ich stelle mir schon vor, wie wir beide auf einem Bett schlafen, sogar auf einer Matratze auf den Boden und um uns herum noch die ganzen Baustellen. Ich stelle mir vor, wie ich meinen Kopf auf seiner Brust ruhen lassen kann und wir gemeinsam in der Nacht zufrieden an die Decke schauen.
Die Vorstellung an all das Ersehnte erfüllt mein Herz mit all den schönen Gefühlen, die von der Trauer unterdrückt wurden.
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