Kapitel 116

Ariana Grande, Justin Bieber - Stuck With U

Ardans Werte haben sich verbessert. Es geht ihm besser! Ardan wird es wieder gut gehen. Ich kann es selbst nicht glauben. Er wird aus dem künstlichen Koma geholt die nächsten Tage. Ich kann es nicht fassen! Das Einzige, was mich traurig macht, ist der Fakt, dass wir ihn nicht besuchen dürfen, solange er nicht komplett stabil ist. Er darf aber endlich wieder erwachen. Heute wird schon die Dosis des Narkosemittels runtergesetzt. Ich kann es nicht glauben. Ich weine vor Freude! Meine Nachrichten an meine Freunde sind voller Fehler, aber sie verstehen es trotzdem und fiebern mit mir. Wir warten nur darauf, ihn endlich sehen zu dürfen. Hoffentlich kann er uns antworten. Ein Samstag kann gar nicht besser laufen. Mama hat die letzten Tage für Ardan durchgemacht und ist vorerst befreit, hat aber immer ihren Pager bereit für den Fall der Fälle, der hoffentlich nicht eintritt. Elif hat sie zum Essen eingeladen, als Dank für die ganze Mühe. Das ist echt aufregend. Sie hat die ganze Familie eingeladen, aber ... "Ich weiß nicht, ob dein Vater mitkommen wird", seufzt Mama. Oje. "Aber wieso?", frage ich verständnislos. Wieso möchte Baba nicht mit? Was hat er gegen sie? Hat er was gegen Ardan? Das ist unmöglich. Ardan kann man nur lieben. Er ist der Musterschwiegersohn, wenn man mal sein schamloses Fragen, ob er Sex mit der Tochter seiner Ärztin und Lebensretterin haben darf, weglässt. Baba darf das niemals erfahren. Niemals. Sonst herrscht wieder Lebensgefahr und ich kann und will das kein weiteres Mal durchmachen.

"Cana, Maus. Wir waren Idioten während der Schulzeit und vor allem dein Vater." Mama schüttelt seufzend ihren Kopf. "Ich kann und werde nicht genau sagen, was passiert ist, weil ich mich bis heute dafür schäme und mich frage, wie dumm ich sein konnte-," "Aber was ist denn passiert?" War es was Schlimmes? Wer war schuld? "Es waren multiple Dinge. Es gab einige Fehler, die gemacht wurden und die wir gemacht haben. Wäre ich nicht damals schon in deinen Vater vernarrt gewesen, ohne es gewusst zu haben, hätte ich mich sicherlich besser durchgesetzt, außer das kurze Verteidigen am Anfang." Ich habe absolut keine Ahnung, wovon Mama redet, aber ich bemerke daran, dass sie auf dem Fahrersitzt herumrutscht, dass es ihr immer noch Gewissensbisse macht. "Es ist ja endlich vorbei, aber dein Vater ist sturer und nachtragender als ich eingeschätzt habe. Schlimmer als ich sogar!" Sie lacht fassungslos auf. "Ich sage mal so: dein Vater und Cihan haben seit der Jugend einige ... Diskrepanzen. Elif und ich hatten auch unsere Diskrepanzen und auch Cihan und ich hatten unsere Diskrepanzen auf der Schule, obwohl wir Kindheitsfreunde sind." Sie schmunzelt kopfschüttelnd. "Ich verstehe gar nicht, wieso Can ausgerechnet bis heute noch den Groll hegt, wenn er doch ... obwohl." Sie summt jetzt nachdenklich. "Okay, bei dem, was Cihan ein- oder zweimal abgezogen hat, kann ich verstehen, wieso er ihn nicht mag, aber ich habe es doch verziehen und ... ach." Mama winkt ab. "Das ist zu kompliziert und gehört der Vergangenheit an. Wichtig ist, dass es bei euch nicht so ist." Ich habe absolut keine Ahnung, was in ihrer Jugend passiert ist. Nur, dass Baba bis heute nicht vergeben und vergessen kann.

Das beunruhigt mich mehr als es sollte, denn Mama würde niemals zulassen, dass mir der Wunsch der Heirat verwehrt wird. "Wann können wir ein Xeftan für mich schneidern?" "Meine Mutter will sogar wieder nach Zaxo, also kann ich ihr direkt Bescheid geben. Welche Farben hättest du gerne?" "Rot und grün." Rot für die Hennafeier und grün für die islamische Vermählung. Ich will seine Augenfarbe als Kleid. Mama lächelt. "Können wir heute auch mal einige Ringe anschauen?" Und schon wirkt sie überrascht. "Ach, deshalb ein rotes Xeftan?" Ich nicke schüchtern. Ich will heiraten. "Ach so ... oje", seufzt sie schmunzelnd. "Was?", murmele ich. Mich schüchtert keiner so schnell ein wie meine eigene Mutter, obwohl sie nur lächelt. "Nichts, Süße. Ich muss mich nur daran gewöhnen, dass mein kleines Baby so schnell heiraten möchte. Du bist nicht einmal 18." "Muss ich ja nicht für die islamische Vermählung. Die große Hochzeit kann ja sowieso nach dem Abitur stattfinden. Ich will es jetzt schon einmal besiegeln, damit ich nicht noch mehr Sünden mache." Das Schmunzeln auf ihren roten Lippen wird sanfter. "Du hast recht. Wenn ich mir dich anschaue, bereue ich es, nicht auch so gehandelt zu haben. Als ich mit deinem Vater zusammenkam, habe ich meinen Glauben viel weniger gepflegt. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen. Ich finde es schön, dass du so denkst. Ich wünsche mir nur, dass du nicht deinen Glauben vernachlässigst, auch wenn du jetzt Zina begangen hast." Ihre Hand greift nach meiner, drückt sie und küsst sie einmal. Mama atmet tief durch und fängt an, schneller zu blinzeln.

"Alles gut?" "Ja, ihr werdet nur alle so schnell groß", flüstert sie. Oje, ihre Augen sind glasig. "Und du willst heiraten", fügt sie mit höherer, heiserer Stimme zu. Ihr strömen die Tränen übers gesamte Gesicht, als sie beim Einparken nach hinten sieht. Ouh, oje. Ich will sie gar nicht so aufwühlen. "Mama", setzte ich lächelnd an. Sie winkt nur lächelnd ab. "Schon gut. Alles gut, wirklich. Ich muss nur klarkommen damit und bei deinem Vater kann ich das gerade nicht." Was er dazu sagen würde, wenn er von meinen Plänen erfährt? Mama wischt sich seufzend ihre Tränen weg und schaltet den Wagen ab. "Oh Gott, das war zu viel für mich. Wir beruhigen uns jetzt und gehen einkaufen. Adam braucht neue Unterhosen. Ich verstehe nicht, wieso er immer so schnell Löcher da reinkriegt", seufzt sie. Ich lache bei dem Gedanken, wie Mama resigniert den Kopf schüttelt, während sie seine Unterhosen aufhängt. Als wir aussteigen und ins Center laufen, erinnere ich mich an den Tag, an dem wir mit Amir einkaufen gegangen sind und ich einen kleinen Zusammenbruch in der Kabine hatte, als ich zwei neue Oberteile ausprobiert habe. Ich habe mir so viel Druck gemacht, dass ich sogar geweint habe. Und Mama dachte, es läge an meinen Brüsten. Jetzt erinnere ich mich wieder daran, dass mir die letzte Attacke von Didem nichts anhaben konnte und bin wieder stolz.

"Komm, ich muss mir neue Unterwäsche kaufen." Mama und ihre Liebe zu Unterwäsche. Sie hat so viele! Aber ich profitiere davon, weil sie mir oft immer das gleiche Set in meiner Größe holt. "Ich finde es immer so lustig, wenn ich Unterwäsche für dich kaufe. Meine BHs sind groß und meine Unterhosen sind klein im Gegensatz zu deinem saftigen Hintern, wo ich immer Unterhosen in L holen muss und süße BHs in B. Deine Früchte sind gewachsen. Hat Ardan dich da angefasst?", fragt sie mich ernst. Oh Gott! "Mama!", murre ich. Gott, ich habe wieder unser letztes, kleines Techtelmechtel im Kopf. Vergessen! Nicht bei Mama an sowas denken! "Ich frag nur. Sie sehen voller aus." Ich winde mich murrend, als sie mir kichernd in der Unterwäscheabteilung an meine Brüste grapscht. "Weg mit dir!", murre ich erhitzt, doch sie lacht nur. "Willst du auch Unterwäsche?", fragt sie beiläufig, als sie sich ihre Größe raussucht. "Wenn ich dabei nicht belästigt werde." "Willst du sie für dich oder für Ardan?" "Mama!", knurre ich. Oh Gott, ich will keine Unterwäsche mehr. Und vor allem nicht, wenn sie mich auslacht. Ich gehe mit Yasmin lieber Unterwäsche kaufen ... nein, sie wird genauso sein und noch schlimmer. Hilfe. Alle Frauen um mich herum sind so pervers, außer Elif, aber mit ihr gehe ich niemals Unterwäsche kaufen, auch wenn sie niemals sowas sagen würde. Nein, nicht mit der Mama des Sohns, den ich beim letzten Mal ohne Verhütung geritten habe.

"Was würde Baba eigentlich dazu sagen, dass ich früh heirate?" Oje, ihr Seufzen spricht für sich. "Er wird es zu früh finden." Hm. Ich verstehe ihn ja, aber ... trotzdem. Ich hoffe einfach nur, dass es klappt. "Wirst du ihn heute wegen des Essens fragen?" Um 16:00 Uhr sollen wir bei Elif sein. Vielleicht kommt Baba doch mit. "Ich werde es auf jeden Fall ansprechen, aber ob der Riese heute mitkommt, ist eine andere Sache." Sie tastet den blauen BH ab und packt es dann unter ihren Arm. Über den weiteren Einkaufsverlauf bin ich ruhiger und unsicher, was Baba angeht. Ich weiß nicht, wie ich ihn anschauen soll, wenn ich doch weiß, dass er ein Problem mit der Familie meines Freundes hat. Oje. Ich suche mir ein schönes Outfit für das heutige Essen und stoße auf ein echt schönes olivgrünes Kleid mit Herzausschnitt und Schnürungen an der Brust. Das ist noch von der Silvesterkollektion und einfach zu süß. Ich will es haben. Ich kann es mit einem weißen oder schwarzen Rollkragenpullover und meiner blickdurchlässigen Strumpfhose kombinieren. Ja, das klingt nach einem guten Plan. Das nehme ich. Kostet auch nur zehn Euro, wieso dann nicht? Es ist zu schade, dass Ardan es heute nicht sehen kann, aber ich beschreibe es dann, wenn ich den Eintrag heute fortsetze. Ich finde auch kleine herzförmige Perlenohrringe, die ich Mama zeige. Sie summt begeistert. Bei ihrer Schmuckliebe habe ich auch nichts erwartet. Wir ziehen weiter, aber finden nur wenig und laufen gerade durch die Stadt an einigen Juwelieren vorbei. Ich schaue immer wieder auf die Ringe, weiß aber gar nicht, wie Ardan seinen haben möchte. So, wie ich ihn einschätze, würde er einen simplen silbernen Ring tragen.

"Ich spreche heute noch einmal in Ruhe mit Elif über das zukünftige Vorgehen. Dann können wir uns auch in Ruhe Ringe anschauen. Mach dir nicht so viel Stress und schau nicht immer so ruckartig zur Seite. So reizt du am Ende nur deinen Hinterhauptsnerv." Ich ziehe verdutzt den Kopf zurück. Mama hat kein einziges Mal zu mir geschaut, während wir durch die Stadt laufen. Benehme ich mich so auffällig? Die Frage beantwortet sich im weiteren Verlauf. Ich will nach Hause. Ich bin verdammt unruhig. Ich will jetzt schon am liebsten in der Küche bei Elif und Cihan sitzen. Amir kommt auch mit. Noch konnte er Ardan nicht kennenlernen, aber bald wird er es. Mein Herz setzt einen Moment aus, als ich direkt in Babas grellen Augen sehe und sofort erstarre ich mitten im Flur. Mir wird warm. Ich bin sofort nervös und oje, seine Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen. Mama! Mach was!, flehe ich innerlich und Gott sei Dank, begrüßt sie ihn. "Kommst du heute mit?" Oh, Scheiße! Sie spricht es ja sofort an. Ich ziehe mir unruhig meine Stiefel aus, lasse mir dabei alle Zeit der Welt, die Schnürsenkel zu öffnen. "Wohin?" "Wir wurden zum Essen eingeladen bei Cihan und Elif. Ardans Werte haben sich wunderbar gebessert und als Dank kocht sie. Sie sind dir und deiner Mühe auch sehr dankbar." Keine Antwort. Keine einzige Antwort und ich höre nicht einmal irgendein Geräusch von ihm. Nein, er steht da ausdruckslos im Flur mit seiner großen Statur.

Ich halte mich unruhig am Geländer fest, schaue zwischen Mama und Baba hin und her, die sich dem wortlosen Blickduell aussetzen. Mamas Augenbraue hebt sich. "Und?" Von Baba kommt nichts. Er bleibt nach wie vor trocken im Flur stehen. "Muss nicht sein." Innerlich stöhne ich hoffnungslos auf. "Aber wieso nicht Can? Ayba." Ich nicke zustimmend. Es ist wirklich unhöflich, wenn er nicht mitkommt, aber ihn scheint das gar nicht zu interessieren. Stattdessen läuft er wortlos ins Wohnzimmer. Mama verdreht die Augen, als sie zu mir schaut. Es verunsichert mich von Mal zu Mal mehr, dass Baba kein Interesse daran hat, diese nette Familie ins Herz aufzunehmen. Es würde schon reichen, wenn er sie ins Perikard aufnimmt. Mann, das wird echt schwer. Mama zieht sich seufzend ihre Schuhe aus und geht ihm nach - und ich watschele ihr unsicher hinterher. "Can, wie viele Jahre ist es schon her?" "Es sind trotzdem unverzeihliche Dinge." "Es sind doch Dinge, die ich verziehen habe." Baba schaut zu mir und dann zu Mama. Sein Blick ist so streng und so prüfend, als würde er gerade meine Gedanken abscannen und mir jede Sekunde sagen, dass ich mit dem Sohn der Familie zusammen bin, die er nicht mag. "Das besprechen wir nicht vor unserer Tochter." Was ist denn passiert, dass sie es nicht ansprechen wollen? "Wir besprechen es vor unserer Tochter, weil wir nicht alles wieder neu rauskramen müssen, Can. Wir gehen auf die 50 zu und du bist immer noch nachtragend. Dass Elif dich mit einlädt, obwohl die Dinge passiert sind, sollte gelobt und mit Respekt anerkannt werden. Zieh dich an und raff dich endlich." Sie dreht sich seufzend zu mir. "Geh dich fertig machen, Süße und gib deinen Brüdern Bescheid."

Ich nehme die Tüten im Flur mit hoch, schmeiße meine gekauften Sachen in mein Zimmer, ehe ich zu Adam renne und ihn frustriert mit seinen neuen Boxershorts abschmeiße. Für einen Moment versteht er die Welt nicht, aber bei dem Anblick der Boxershorts grinst er zufrieden. "Mozzarella, willst du mich in meinen neuen Boxershorts sehen?" Ach, deshalb hat er Ohrhörer drin. "Adam", murmele ich. Ich brauche jemanden, der mich jetzt beruhigt. "Ich ruf dich zurück, Mozzarella. Wenn ich dusche, schicke ich dir Bilder von den Boxershorts", grinst er und legt dann auf. Ich sollte Dilan vorsichtshalber blockieren, bevor sie davon schwärmt, wie hübsch mein Bruder in seinen neu gekauften Höschen aussieht. "Was ist los?" Ich setze mich zu ihm aufs Bett. "Baba schüchtert mich ein." "Er schüchtert jeden ein. Selbst Herr Barndt war bei meinem ersten Elternabend sichtlich überrascht, als der zwei Meter Mann kam." Ich wimmere verzweifelt. Er versteht das nicht! "Es geht um Ardan und mich", nuschele ich leise aus Angst, dass er uns hören kann. Adams brauen Augen weiten sich. "Scheiße! Hat er es erfahren?" Gott bewahre! Ich schüttele meinen Kopf. "Aber es gibt wohl einige Meinungsverschiedenheiten zwischen Baba und seinen Eltern, wobei nur Baba diese Meinungsverschiedenheit hat und zu stur ist, um sich zu vertragen!", murre ich. Am liebsten würde ich diesen Mann wieder mit einer Gabel attackieren! Was ist bitte passiert, dass Mama darüber hinwegkommt, aber er nicht?

Adam fährt sich summend über seinen imaginären Ziegenbart. "Und er will heute nicht mit zum Essen!", knurre ich frustriert. Ich bin sauer! Und Adams Bein muss dafür hinhalten! Soll er es aushalten und es nkcht zischend wegziehen! "Alter! Was hast du für Fäuste? Hast du die von Baba?" Mann! Was soll ich jetzt machen? Ich laufe verzweifelt aus dem Zimmer und trete schon fast Amirs Tür ein. Er hebt überrascht den Blick von seinem Laptop. "Hallöle, Fräulein. Würde es dir was ausmachen, sanfter mit der Tür umzugehen?" Diese knalle ich zu und werfe mich auf sein Bett. Ich bin verzweifelt! Und sein Tätscheln hilft mir auch nicht. "Brauchst du eine psychologische Beratung?" "Ja!", jammere ich. Er soll Baba therapieren! "Was ist die Basis für deine Verärgerung?" Ich lache verzweifelt. Ich weiß, dass Amir die Fingerkuppen wie ein klischeehafter Psychologe gegeneinander tippen lässt. "Dass Baba was gegen die Eltern von Ardan hat." "Und denkst du, es hat einen Grund?" "Die Gründe gehören der jahrelangen Vergessenheit an." Ich hebe mein Gesicht aus seinem Kissen an, schaue in seine braunen Augen, die mich abwartend ansehen. "Er soll sein Nachtragen ablegen. Hypnotisier ihn!" Amir schmunzelt, obwohl es mein kompletter Ernst ist. "Mach was!" "Cana, was soll ich machen?" "Was bist du für ein Psychologe, Mann!" Ich knuffe ihn frustriert, woraufhin er aufschreit. "Was hast du für eine Faust? Hast du die von Baba geerbt?" Mir reicht es! Ich klappe genervt seinen Laptop zu und stampfe raus dem Zimmer. Und jetzt? Ich stehe vor Aimans Tür ... soll ich es bei ihm versuchen?

Ich klopfe zögernd an seiner Tür, ehe ich hineintrete. Wir hatten in der Vergangenheit Diskrepanzen, weshalb ich ihn oft gemieden habe, aber ... das ist doch ein guter Moment, um uns wieder einander zu schweißen. Aiman legt das Buch zum Leben des Propheten zurück und zieht seine Beine an, als ich die Tür schließe und auf sein Bett zugehe. Mir kommt kein Wort über die Lippen, als ich ihn ansehe. Er sieht Baba am ähnlichsten und vor allem jetzt, wo er seine Augenbrauen fragend zusammenzieht. "Baba ... keine Ahnung." Ich schüttele seufzend meinen Kopf. "Du kommst ja auch heute mit oder?" Aiman nickt. "Baba will halt nicht und ich bin voll unsicher, was meine Zukunft mit Ardan deshalb angeht." Weil es mir so unangenehm ist, drücke meinen Handrücken. "Ich will ihm sagen, dass ich einen Freund habe und es eben der Sohn der Familie ist und dass er mir zuliebe Frieden schließen soll, aber ich habe verdammt viel Angst vor seiner Reaktion." Aiman nickt verstehend. Er weiß ja, wie sich sein Zorn anfühlt. "Hast du mit Mama darüber geredet?" "Nicht so richtig. Sie redet gerade mit ihm und versucht ihn dazu zu bringen, heute mitzukommen, aber ob das klappt, weiß ich nicht." "Sag es ihm vorerst nicht." Ich will es auch irgendwie gar nicht mehr. Das macht mir verdammt Angst. Mehr als bei Mama. "Meinst du, er wird es akzeptieren?" Aimans Blick senkt sich auf seine Bettdecke, als seine Kiefermuskeln für einen winzigen Augenblick hervorblitzen.

"Er wird seine Zeit brauchen, aber dann wird er all seine unterdrückte Liebe und Reue zeigen." Meine angespannten Schultern sinken. Dadurch, dass ich an meinen eigenen Problemen fast ertrunken bin, habe ich gar nicht bemerkt, was er durchgemacht hat. Die ersten Tage, die er wieder zu Hause war, wirkten angespannt. Aiman war immer in seinem Zimmer und kam nur runter, wenn Baba nach ihm gerufen oder ihn selbst runtergebracht hat. Aiman war anfangs sehr zögernd, was Babas Nähe anging, aber irgendwann ging es schon wieder. Wann, weiß ich nicht genau. Irgendwo zwischen den Tränen und Tagebucheinträgen in meinem Bett. "Dann nimmt er dich auch in den Arm und weint stumm." Ich atme tief ein, gerührt von dem, was Aiman mir da gerade so ruhig und beherrscht sagt. Meine Augen tränen schon bei dem Bild vor meinem geistigen Auge. "Wie geht es dir jetzt?" Ihm weicht ein ganz leises Seufzen durch die Nase. "Besser." Ich nicke mitfühlend. "Wie kam es aber dazu, Aiman? Also ... warum?" Ich kann bis heute nicht glauben, dass Aiman wirklich Drogen konsumiert hat. Er! Der autoritärste Sohn der Familie. Seine Noten glänzen. Er hat niemals in seinem Leben ans Schwänzen gedacht im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder. Sein Leben war eine perfekte Routine. "Psychischer Druck." Sein Blick bleibt gesenkt. Sein Finger zeichnet Kreise auf seine dunkelblaue Bettdecke.

"Leistungsdruck. Irgendwann zweifelt man schon daran, wenn man einen Punkt weniger hat bei einem Thema, das man sonst beherrscht. Mama sagt, dass es normal ist und ich mir keine Sorgen machen soll, aber ich bin es nicht losgeworden. Schlimmer wurde es, wenn jemand aus dem Kurs es angesprochen hat." Ich verstehe, was er meint. Wenn man dafür bekannt ist, sehr gute Leistungen zu zeigen und es plötzlich alle von einem erwarten, fühlt man sich unter Druck gesetzt und manchmal schämt man sich schon für die kleinsten Fehler. Man ist ja das Genie. Man muss es können. "Und ich wurde ausgenutzt", murmelt er rau. Sein Finger kreist immer noch auf der Bettdecke. Wie? Wer hat ihn ausgenutzt? Meine Augenbrauen ziehen sich streng zusammen. Etwa eine Schlampe wie Delin? "Wer?" "Ein Mädchen, für ihren Ex." Oh, diese elendige kleine Hure! "Wie kann sie ihren Ex vor dir bevorzugen? Obwohl, nein. Sie hat dich gar nicht verdient. Du bist das und hast alles, was sie sich nur erträumen kann, diese dumme Schlampe." Was ist das für ein Fluch in der Familie, dass die Söhne ausgenutzt werden? Muss ich jetzt auch noch ein Auge auf Dilan werfen vorsichtshalber? Aimans Schultern zucken. Er tut mir so verdammt leid. "Mama hatte recht. Beziehungen in der Jugend führen zu nichts." Nicht immer! Ardan ist nicht so. Ardan ist perfekt. "Man kann aber auch schon im Jugendalter die wahre Liebe finden." "Selten", erwidert er matt. Noch immer bewegt sich sein rechter Zeigefinger über seine Decke.

"Ich habe mich ein wenig leiten lassen. Als ich zugelassen habe, dass sie ein wenig mit mir schreiben durfte, habe ich angefangen, keine vollen Punktzahlen mehr zu erreichen und dann begann meine Panik. Mama hat mir immer wieder gesagt, dass ich keine volle Punktzahl haben muss und dass es in Ordnung ist, auch mal schlechtere Noten zu haben, aber ich will nicht. Ich bin das nicht." Sein Finger kreist schneller, unruhiger. "Dann kam diese kleine vaterlose Hure mit ihrem Joint und ich war schon abgefuckt wegen meinen Leistungen, weil meine Lehrer sich einzeln Sorgen um mich gemacht haben. Sie hat mir die ganze Zeit gesagt, dass es mich entspannen würde und es hat es auch." Ich zucke zusammen, als Aiman so plötzlich den Blick anhebt. "Ich habe immer öfter gekifft, weil es mich entspannt hat bis Mama es herausgefunden hat und ich noch gefickter war. Als sie mir danach noch Koks andrehen wollte, damit ich mich entspanne, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich war kurz davor, sie zu schlagen. Ich war wütend. Ich bin immer noch wütend. Ich wollte, dass mir jemand zuhört und sie wollte nur, dass ich Drogen nehme, damit sie ihren Junkie-Hurensohn-Freund eifersüchtig machen kann, weil es deren Ding war. Sie wollte sogar ficken, aber dann habe ich sie von ihrem Bett geschmissen, als ich seinen Namen auf ihrem Handy gesehen habe. Ich ..." Aiman vergräbt sein Gesicht seufzend in seinen Händen.

Ich umarme ihn augenblicklich. Es dauert bis er das verkraften und verdauen wird und er soll wissen, dass er Unterstützung kriegt. "Ich mache nie wieder diesen selben Fehler", murmelt er. "Was hat Adam dazu gesagt?", frage ich besorgt. "Sie fertiggemacht. Es tat gut, dass sie dadurch nicht mehr zur Schule kam. Ich will, dass sie leidet." Ich nicke verstehend, als ich mich wieder von ihm löse. "Aber es reicht mir trotzdem nicht, dass Adam sie unwohl fühlen lässt, sobald sie in den Klassenraum tritt. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich so dumm war. Wegen so einer Hure habe ich fast die Beziehung zu meinem Vater zerstört. Ich habe Mama enttäuscht und sie zum Weinen gebracht durch meine Wut. Ich habe fast gekotzt vor Stress." Ich bin fassungslos. Fassungslos, was er durchmachen musste und wie wenig ich davon mitbekommen habe. Aiman legt den Kopf in den Nacken, schließt seine Augen zur Besinnung. "Aber langsam wird es wieder oder?" Aiman nickt. Ich sehe die Müdigkeit in seinen braunen Augen. "Ich muss mich jetzt zusammenreißen, damit mein Schnitt perfekt bleibt. Ich muss für die Abschlussprüfungen lernen." Aiman schafft das. "Mama hat mir gesagt, ich soll nach dem Abitur erstmal nichts tun und ein Jahr Pause machen. Vielleicht Urlaub machen mit unseren Cousins." Ich nicke. "Du hast Zeit. Komm zur Ruhe und dann kannst du machen, was du willst." Aiman senkt seinen Blick wieder. "Hat mich mehr geprägt als es sollte", murmelt er, woraufhin ich eine wegwerfende Bewegung mit der Hand mache. "Das verarbeitet jeder anders. Es ist eben etwas Tiefergehendes. Unterdrück deine Gefühle deshalb nicht. Es wird schon wieder." Diesen Satz zu sagen, bestärkt mich. Ardan geht es ja auch wieder besser. Es wird schon wieder.

Das Gespräch mit Aiman hat mir verdammt gutgetan. Baba hat sich zwar geweigert, mitzukommen, aber ich fühle mich trotzdem viel sicherer. Wir sind gleich da. Wir müssen nur einige Häuser passieren und dann werde ich Roxy wieder sehen. Das ist so verrückt! "Also spiele ich heute den Vater?" Amir spannt grinsend seine Oberarme an, woraufhin Mama ihn mit seinem Klaps gegen den Hinterkopf wieder auf den Boden holt. "Du wirst meinen Mann niemals ersetzen. Er braucht nur ein wenig Prügel und dann gibt er klein bei." Mama war sichtlich frustriert darüber, dass Baba sich geweigert hat, aber sie hat mir versichert, dass es nicht ewig so laufen wird. Ich hoffe es. "Ihr sagt alle gleich schön höflich hallo und helft sofort beim Anrichten und Abräumen", warnt Mama uns, als wir vor der Tür stehen. Mein Herz schlägt so aufgeregt, obwohl ich so oft hier war. So oft vor der Tür stand und geklingelt habe und so oft Roxy bellen und gegen die Tür tappen gehört habe. Elif öffnet uns strahlend die Tür und sofort steigen ihr die Tränen auf, als sie mich und Mama sieht. "Herzlich willkommen. Kommt rein, das Essen steht schon bereit." Sie nimmt Mama fest in die Arme und ich muss den Blick abwenden, weil ich fast schon mitweine, als Elif die Tränen über die Wangen laufen. Cihan lächelt uns schon alle freudig an und nimmt mich in die Arme, als ich meine Stiefel ausziehe. "Jetzt wird alles wieder gut", murmele ich. Er bestätigt es mir summend. Elif umarmt mich daraufhin innig, während Cihan Mama umarmt und dann knuddelt Elif all meine Brüder durch, die Cihan freundlich die Hand geben und natürlich muss jeder Roxy ordentlich durchknuddeln, die schon jeden im Wechsel anspringt.

Als ich das Essen sehe, seufze ich. Es wäre perfekt, wenn Ardan hier wäre und auch Baba. Wenn ich den Eintrag heute fortsetze, werde ich die ganzen schönen Leckereien erwähnen, die ich gerade auf dem Tisch stehen sehe. Mantı! Oh Gott, wie lange habe ich sie nicht mehr gegessen? Durch Ardan durfte ich in den Genuss dieser kleinen, leckeren Teigtaschen kommen. Roxy kann nicht aufhören, die Jungs zu beschnüffeln und krabbelt am Ende auf Amirs Schoß. "Roxy", ermahnt Cihan sie sanft sowie Ardan es sonst tun würde. Gott, ich vermisse ihn so schrecklich! "Alles gut. Ich mag die hübsche Dame", schmunzelt Amir und krault sie hinter ihren Ohren. "Weißt du schon, wann wir zu ihm dürfen?" Elifs grünen Augen glänzen hoffnungsvoll, als sie zu Mama sieht. "Die Blutkultur wurde ins mikrobiologische Labor geschickt. Es kann sein, dass ihr euch erst Testen lassen müsst, bevor ihr zu ihm dürft. Das ist das Sicherste nach dem ganzen Schlamassel." Ich mache jeden Test, der nötig ist, damit Ardan beschützt bleibt. "Und dann heiraten meine Kleinen endlich." Amir verschluckt sich an seinem Wasser und wird durch Roxys Zunge und ihre Vorderpfoten nur noch weiter überfordert. Adam prustet, Mama schmunzelt, Aiman schaut zögernd zu mir und ich ... ich sinke verlegen auf meinem Stuhl ab. Also ... ja, ich will, aber meine Brüder sollten das noch nicht wissen. "Alles gut, Amir?", schmunzelt Mama. Oh Mann. Amir nickt nur überfordernd, hustet sich aber die Seele aus dem Leib.

"Äh ... heiraten?", fragt er dann irritiert. Ich murre. Er sitzt zu weit von mir, um ihn zu treten. Elif zieht die Augenbrauen an. Die Arme dachte wohl, dass jeder - außer mein sturer Vater - Bescheid wüsste von unseren Plänen. "Ja", spricht Mama stellvertretend für mich. Ihre Hand, die meinen Schenkel drückt, beruhigt mich ein wenig. Amir ist nach wie vor perplex, Adam immer noch amüsiert und Aiman so ruhig wie schon die ganzen Wochen zuvor. "Aber ... also wann?" Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll bei Amirs Überforderung. Ich schaue hilfesuchend zu Mama, die endlich mal aufhören kann, so zu grinsen! "Die Sunnah sagt, dass man so früh wie möglich heiraten soll, Amir." Damit hat sie ihn mundtot gemacht. Aus seinem Mund kommen nur abgehakte Laute. "Aber ... Cana ist nicht einmal 18. Oder nach dem Abi?" "Islamisch kann sie ja vorher schon heiraten. Das ist das Wichtigste." "Aber ..." Amir schaut perplex zu mir und zu Ardans Eltern und dann zu unseren Brüdern. "Wollt ihr nicht auch etwas dazu sagen?" Mama prustet. Elif und Cihan verkneifen sich ihre Belustigung. Adam hebt abwehrend seine Schultern und Hände. "Ich mische mich nicht in Canas Leben ein. Am Ende trage ich Verletzungen davon." Schon mal einen mehr auf meiner Seite. Amir schaut schon fast hilfesuchend zu Aiman, der mit der Ruhe eines Mönches seine Suppe zu sich nimmt. "Aiman?" Als Reaktion auf Amir schließt er seine Lider. Alle warten schon gespannt auf seine Antwort, doch er nimmt sich die Zeit, der er möchte beim Trinken und Abwischen seines Mundes.

"Wenn es ihr Herz sagt, soll sie es tun. Ardan ist der vernünftigste Junge, den ich kenne und wahrscheinlich schon reif gewesen, wo wir alle noch nicht einmal in der Pubertät waren." Danke! Ehrlich! Elif und Cihan freuen sich sehr über diese Antwort. Es ist schön, dass Ardan endlich für seinen wunderbaren Charakter geschätzt wird nach all den Jahren der Ausgrenzung. Ich schaue warnend zu Amir, zucke drohend mit der Gabel in meiner Hand, als Mama sie schmunzelnd runterdrückt. "Die Gabel erinnert mich an gute alte Zeiten. Ich weiß gar nicht mehr, wen ich mit der Gabel auf der Hochzeit erstechen wollte. Entweder Cihan oder deinen Vater." Cihan hustet sofort los und es bricht ein Gelächter am ganzen Esstisch aus, das Roxy fröhlich auf Amirs Schoß bewegen lässt. Die Gespräche beginnen am Tisch. Unter anderem werden meine Brüder gefragt, was sie gerade tun und machen wollen. Amir erzählt von seinem Psychologiestudium und Adam davon, wie er daran interessiert ist Sportmediziner zu werden. Nur Aiman weiß nicht, was er tun möchte. "Ich dachte auch erst an die Medizin, aber ich weiß nicht. Irgendwie bin ich auch an Technik und Bauen interessiert." "Was ist denn mit Medizintechnik?", schlägt Cihan vor, woraufhin Aiman die Schultern zuckt. Mamas Augen liegen traurig auf Aimans gebeugte Haltung. "Ich war letztens auf einer freiwilligen Fortbildung für kardiologische Medizintechnik. Ich kann dir ja gleich die Broschüren dafür geben und dir vom Ingenieursstudium erzählen." Aiman nickt. "Wäre nett. Dankeschön."

Meine Brüder kümmern sich um das Abräumen des Geschirrs, während ich mit Mama, Cihan und Elif im Wohnzimmer sitze, verlegen an meinem Kleid zupfe und die Ärmel meines weißen Rollkragenpullovers richte. "Habt ihr ein gewisses Alter für Ardan im Kopf zum Heiraten?", fragt sie gedämpft. Elif und Cihan sehen sich einmal an und dann zu mir, weshalb ich mich schon verlegen hinter Mama verstecke. Das ist so verdammt intim. "Das Thema ist bei den beiden schon einige Male aufgekommen. Beide wirken ziemlich sicher damit. Das ist eine Entscheidung, die in den Händen der beiden liegt. Wir unterstützen sie dabei." Mich beruhigen Elifs Worte sehr, genau wie Mamas Reiben meines Rückens. "Ich auch. Wie der Vater es sieht, wird noch eine Weile ein Rätsel bleiben. Was aber im Vordergrund steht, ist Ardans Rehabilitation. Er wird eine Weile in der Reha bleiben und solange sein Zustand nicht wieder komplett zufriedenstellend ist, soll noch nichts gemacht werden." Ich nicke sowie Cihan und Elif. Das ist nur fair. Ardans Gesundheit steht an erster Stelle. Wir müssen schauen, wie wir es so gesundheitskonform wie möglich halten können, damit ihm nichts passiert. Am besten sitzt Ardan auch während seiner Abiturprüfungen alleine und ganz weit weg von den anderen, damit nichts passieren kann. Ich freue mich so sehr, dass wir bald einen großen Schritt wagen können. Ich kann nicht glauben, wie sehr ich mich doch vom eigentlichen Vorbild zu meiner Mutter unterscheide, obwohl ich wie sie sein wollte.

Ich kann nicht glauben, an welche schönen Orte mich der Wille meines Herzes trägt.

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