Kapitel 113
Chord Overstreet - Hold On
Es geht alles so schnell. Zu schnell. Ich befinde mich in einem Zustand, indem mein Herz von zwei großen, starken Händen so fest gedrückt wird, dass mich ein ermüdendes Gefühl einholt. Es ist alles vorbei. All meine Träume zerplatzen in dem Moment, indem Mama in meine geröteten Augen schaut und eins und eins zusammenzählt. Es tut mir so leid, Mama. Ich schließe schluchzend meine Augen. Ein kleiner Teil in mir hofft, dass das Ganze ein schlimmer Albtraum ist, aber als ich höre, wie Cihan auf sie zugeht und Elif flehend ihren Namen schluchzt, weiß ich, dass all das real ist. "Bitte, Shana. Bitte, rette mein Kind. Ich habe nur ihn. Ich tue alles für dich, nur rette meinen Sohn." Mein Gesicht verzieht sich weinend, als ich Elifs Weinen höre. Wie groß ihre Angst sein muss, ihren einzigen Sohn zu verlieren? Ich öffne meine Augen schweratmend, schaue flehend zu Mama, obwohl ich ihr keinen Druck machen will. Bitte, Mama. Bitte rette ihn. Ihr Blick gleitet zu mir. Ihre Augen zeigen gemischte Gefühle, aber sie nickt. Ihr Nicken bestärkt mich ungemein, obwohl keiner von uns in die Zukunft sehen kann. "Setzt euch. Ich hole erst einmal diesen gottverdammten Wichser aus dem OP und dann gebe ich die Anleitungen. Setzt euch. Holt mir Buckard raus!", schreit sie schon fast zu den OTAs, die die Schiebetür öffnen. Mama stürmt hindurch, rein in die zweite Tür rechts. Sie ist weg. Es liegt in ihrer Hand. Ich hoffe so sehr, sie kann ihm helfen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Ardan stirbt. Nein. Mein Herz lebt mit seinem und mein Herz stirbt mit seinem.
Mein Blick bleibt auf das Glas gerichtet. Mein Herz macht einen Satz, als Mama aufgebracht rausstürmt und diesen Assistenzarzt am Kragen rauszerrt. Sie ist sauer. Sie kocht vor Wut. Ihre Faust knallt gegen den Knopf um die Schiebetür zu öffnen. "Du kannst deine Lizenz sofort zerreißen. Du wirst nie wieder mit deiner Arroganz ein Menschenleben gefährden, du gottverdammter Wichser!" "Er war es", keucht Cihan. Er erhebt sich, seine Muskeln sind abgespannt, seine Oberarme zeigen die Kraft, die er besitzt, als er auf den Assistenzarzt losgehen will. "Cihan, nicht!" Mama drückt ihn zurück, schubst mit der anderen den 1.80 Höllenbewohner weiter in den Flur, durch den er stolpert. "In das Büro meines Mannes! Du wirst die Konsequenzen dein Leben lang als Unfähiger zu spüren bekommen. Ich will dich nie wieder sehen!" Mama schüchtert mich ein. Sie ernüchtert meine ganze Trauer, die sich langsam in Angst umwandelt. Ich will nicht nach Hause. Ich habe Angst vor den Konsequenzen, die mich treffen werden. "Ich muss das delegieren. Ich darf und werde selbst keine Hand anlegen. Nicht in meinen Zustand. Nur im aller schlimmsten Notfall. Wir reden später." Ich weiß nicht, ob ihr letzter Satz nur an mich ging, aber sie hat zu Elif und Cihan gesprochen, bevor sie wieder durch die Tür in den OP rennt.
Sie hat mir für einen Moment die Sicherheit gegeben, dass alles wieder gut wird, aber kaum sehe ich sie nicht mehr, füllt sich mein Körper wieder mit Angst. Cihan bleibt angespannt vor der Tür stehen, Elif gleitet weinend die Wand hinab, hält sich schniefend ihre Brust und ich? Ich fühle mich leer. Als hätte man mir Herz und Seele rausgerissen. Mir ist schwindelig. Ich spüre kaum noch etwas außer dieses leichte Kreisen, das in meinem Kopf herrscht. Ardan liegt nur wenige Meter von mir entfernt und doch fühlt es sich so an, als wäre er oben im Himmel und ich lebendig vergraben. Ich kann nichts tun. Ich bin gefangen. Ich bin gefangen in einer Situation, auf die ich mich trotz meines anfänglichen Pessimismus nicht vorbereitet habe und vorbereiten konnte. Was wird passieren? Was ist passiert? Was hat dieser gottverdammte Wichser mit meinem Ardan gemacht?! Ich will ihn erwürgen. Ich will meine Wut an ihm rauslassen und am liebsten das fühlen lassen, was Ardans Körper jetzt durchhalten muss. Mama soll dafür sorgen, dass er nie wieder in seinem Leben im medizinischen Bereich arbeiten darf und so wütend, wie sie gerade war, wird sie auch alles daransetzen, dass es so passiert. Meine Wut lässt mich zittern. Ich will zu Baba. Ich will es ihm sagen, auch wenn der Typ gerade selbst zu ihn gegangen ist, aber ich will und kann mich gerade nicht wegbewegen. Ich will Ardan nicht verlassen. Ich will in den OP stürmen, um zu wissen, was gemacht wird, aber ich bleibe hier. Ganze fünf Stunden und 12 Minuten vergehen. Ich bin kaputt. Wir sind kaputt und verstummt. Erst als Mama wieder aus dem OP-Saal tritt, erwacht wieder Leben in uns.
Als sie ihre Maske abnimmt, zeichnet sich Sorge auf ihrem Gesicht ab. Nein. Nein, Mama. Nein, bitte nein. Nein! "Shana", flüstert Elif. Cihan muss sie stützen. Sie ist kurz davor umzukippen. Sag es nicht, Mama. Sag nicht, dass er es nicht geschafft hat. "Ich musste ihn ins künstliche Koma versetzen." Ich atme tief durch. Ardan liegt im Koma. "Aber er lebt? Er hat es geschafft?" Mamas Nicken auf Elifs Antwort ist die Antwort Gottes für all die stummen Gebete, die wir seit Stunden geäußert haben. Ich breche wieder in Tränen aus. Cihan und Elif überwältigen Mama mit ihrer Umarmung. Es wird schon wieder. Es wird ihm wieder gutgehen. "Shana, ich bin dir bis zu meinem Tod und darüber hinaus dankbar. Ich tue alles für dich." Elif fällt vor ihr auf die Knie, ringt nach Luft, als sie sich an Mama klammert, die Elifs Kopf beruhigend an ihre Brust drückt, als sie sich zu ihr hinunterbeugt. "Alles wird gut. Ich verstehe dich. Ich setze die höchsten Schutzmaßnahmen für ihn ein." Mama atmet ganz angestrengt. Sie hält ihre Tränen zurück. Sie ist ganz erschöpft. Was ihr wohl durch den Kopf schwirrt? Sie hatte eine unfassbare Last auf ihrem Rücken, aber sie hat es geschafft. Ich wische mir meine Tränen weg. Mein Nacken schmerzt vom Druck. Wo ist Ardan? Ich will ihn sehen. Ich muss ihn sehen ... aber er liegt im Koma. "Wann können wir ihn sehen?", fragt Cihan, der mit Mama Elif aufhilft. Sie seufzt nur.
"Ich würde sagen, in zwei Tagen. Ich würde euch sofort zu ihm lassen, aber nachdem, was er gerade aushalten muss, will ich kein Infektionsrisiko eingehen, bevor ich den Rest eingeleitet und organisiert habe. Er hat das Spenderherz wunderbar angenommen. Ardan ist ein sehr gesunder Junge und wird ein gutes Leben führen, aber gerade braucht er die Kraft, weil wir sein Blut reinigen müssen." Sein Blut reinigen. Was ist passiert? "Aber wie?", haucht Elif. Ich habe Angst, dass sie jederzeit umkippt. Mamas Augen lodern wieder vor Wut. "Weil dieser selbstsüchtige Idiot an seiner Doktorarbeit hängt und ein neues Medikament untersucht. Die OTAs müssen das tun, was der Arzt sagt und haben es ebenfalls bereitgelegt. Das Medikament hat kaum Studien und viele Nebenwirkungen und weil er den positiven Effekt sehen wollte, hat er es ohne jegliches Wissen aller Ärzte eingeschmuggelt. Ardans Vitalzeichen haben sich urplötzlich verschlechtert und dann wurde ich gerufen. Ich konnte das Organversagen noch vorbeugen. Wir haben die Apheresemaschinen schneller bekommen als geplant und das hat Ardans Leben gerettet." Ich bin so dankbar, dass Baba Mamas Idee dazu umsetzen konnte bei dem letzten Gespräch über Blutwäsche! "Und wie oft wird sein Blut gewaschen?", fragt Cihan überfordert. "Ich habe Blut für das Labor abnehmen lassen. Sein Zustand ist stabil, aber ich würde eine weitere Blutwäsche in Erwägung ziehen. Ich lasse meine Schichten wechseln, damit ich bei Ardan auf der Kardio-Station bleiben kann, sobald er von der Intensivstation übergeleitet werden kann." Mamas festen Worte beruhigen mich. Sie hat alles geplant und durchstrukturiert. Es wird schon wieder ... hoffentlich.
"Darf ich nicht einmal sehen? Bitte, Shana. Ich werde nicht schlafen können, wenn ich ihn nicht sehen darf. Ich flehe dich an, erfülle mir diesen letzten Herzenswunsch." Wie könnte Mama da nein sagen? Sie ist selbst Mutter. Ihre Augen sind durch Elifs Zustand ganz glasig. Sie drückt ihre Hände und nickt, stellt sich mit ihr an die Wand, um zu warten, bis Ardan rausgefahren wird. Ihr Blick gleitet zu mir und sofort senke ich meinen Blick. All meine Lügen kommen jetzt raus. Ich weiß nicht, wie sie reagieren wird und was sie sagen wird. Aber gerade fühle ich kaum was. Ich stelle mich den Tatsachen einfach. Es wird schon wieder. "Wie lange bleibt er in dem Koma?", fragt Cihan. Seine Stimme ist ganz rau und leise geworden. Seine Augenlider sind gerötet. "Ardan muss heilen. Sein Körper muss sich voll und ganz auf das Heilen konzentrieren. Vielleicht mehr als eine Woche, je nach dem, was die Tests sagen werden." Ardan wird mehr als eine Woche in einem Zustand sein, in dem er weder sprechen, noch uns wahrnehmen kann. Ich werde jeden Tag, an dem ich darf, zu ihm kommen. Seine weiche Haut mit Wasser und Lappen reinigen. Seine Arme und Beine anheben, damit sie in Bewegung bleiben und ihm zusehen bis ich nach Hause muss. Er hat gesagt, dass wir heiraten werden, sobald er aus der Narkose erwacht und ich will damit nicht abschließen. Nein!
"Er kommt." Mein Kopf schwingt hoch. Mein ganzer Körper wird mit neuer Energie durchflutet. Ich stehe kerzengerade, als Ardan von den OTAs rausgefahren wird ... und mit ihn all die Geräte. Sein so schöner Anblick wird von so vielen medizinischen Gerätschaften verdeckt. Mama hebt die Hand, damit das Bett zum Stillstand kommt. Damit wir ihn sehen können. "Ich darf ihm keinen Kuss auf die Stirn geben, oder? Wegen der Immunsuppression." Elif wird von dem bemitleidenden Nicken meiner Mutter enttäuscht. Sie nimmt seine leblose Hand, küsst und schmiegt sie an ihre nasse Wange. "Sen annenin kalbisin. Sen benim ruhumsun. Ich sterbe für dich, Ardanim benim." Cihans Brust hebt sich wieder so angestrengt. Er bemüht sich so sehr, keine Tränen zu vergießen, doch als seine zitternden Hände durch Ardans braunes Haar fahren, kullern sie hinab. Seine rechte Hand liegt frei. Seine Handinnenfläche zeigt hoch, als würde er mir sagen, dass ich sie greifen soll. Ich tue es. Mama hat es doch schon verstanden. Ich kann es nicht mehr geheim halten. Ich will es nicht. Ich will ihn heiraten. Ich will mein ganzes Leben und Gesundheit und Krankheit mit ihm an meiner Seite verbringen. Ja, ich wollte erst studieren und dann einen Mann finden, aber woher sollte ich wissen, dass mein Herz schon vor Jahren für grüne Augen und die philosophische Seele eines heranwachsenden Mannes bestimmt wurden? Ich kann ihn nicht loslassen und ich will nicht. "Bitte gib mir über jede Entwicklung und Veränderung Bescheid. Gib mir sofort Bescheid, wenn ich ihn besuchen darf." Mama verspricht es Elif, nimmt sie noch einmal in den Arm und drückt Cihans Schulter aufmunternd.
Ich befinde mich gerade im Zimmer des Chefsekretariats, indem Mama mich hingebracht hat und Birgit schwören musste, kein einziges Wort über mich zu verlieren. Das hat mich echt ganz schön beunruhigt, aber Mama hat mich auf dem Weg hierhin keinmal schlecht fühlen lassen und der Kakao, den Birgit mir gerade gibt, lässt mich auch ein wenig besser fühlen. Mich schüchtert ihre laute Stimme nebenan und wie sie den Assistenzarzt anschreit aber extrem ein. Die Polizei ist auch dabei. "Deine Mutter sieht nicht gut gelaunt aus." Ich nicke. "Der Assistenzarzt", wispere ich. Ich muss mich räuspern, weil meine Stimme so rau ist. "Dieses Arschloch!" Sie seufzt frustriert. "Deine Mutter hat sich schon oft über den aufgeregt. Er ist ein Nazi." Ihre Augen verdrehen sich und meine weiten sich. "Wie?" "Man hat ihm seine Ausländerfeindlichkeit angesehen. Was glaubst du wohl, wieso deine Mutter und er oft Auseinandersetzungen hatten? Aber da der Ärztemangel so groß ist, haben wir ihn erduldet. Deine Mutter hat es ihm aber nie leicht gemacht. Würde ich auch nicht, wenn er nur mit männlichen und deutschen Ärzten arbeiten will." Sie summt nur verachtend. Ich hoffe, dass es schnell zum Gerichtstermin kommt. Tante Shevin wird uns da sicherlich unter die Arme greifen können. "Aber was ist mit dir? Hat deine Mutter dich etwa auch vor lauter Stress angeschrien?" Ich verneine es. Bei dem Geschehen kommen mir wieder die Tränen hoch. "Mein Freund war das Opfer", wispere ich. Ihre roten, dünnen Mundwinkel fallen. "Och, Herzchen!" Sie drückt bekräftigend meine Hand und kommt dann doch zu mir um ihren Tisch, um mich in ihre Arme zu ziehen. Ich brauche das. Ich brauche ganz viel davon. "Wir werden alles daransetzen, dass er seine Strafe bekommt und das hoffentlich von einer nicht-deutschen Frau." Ich hoffe es. Ich hoffe es so sehr.
Die Tür hinter mir geht auf. Mama ist wieder da und scheint immer noch mächtig Wut in sich zu haben, laut ihres Seufzend. "Alles gut?", fragt sie uns und ich erröte sofort. Birgit löst sich von mir, drückt mir noch ein letztes Mal aufmunternd die Schultern. "Ja, alles gut. Deine Kleine braucht gerade viel Unterstützung. Ich sage dem Papa nichts. Ich weiß doch, wie eifersüchtig er bei seinen Frauen wird", kichert sie. Oje, Baba wird einen Anfall erleiden. Ich sehe zögernd zu Mama, die ihre Lider einmal beruhigend schließt. "Komm. Wir fahren ins Restaurant." Ins Restaurant. Nicht nach Hause. Ich habe noch nicht gegessen. Nur einige Kleinigkeiten, als wir Roxys Abschluss gefeiert haben. Die Feier fühlt sich an, wie vor drei Tagen. Es ist stockdunkel draußen und ich bin müde und kaputt, als ich im Auto sitze. Ich habe die Tasse mitgenommen, um den heißen Kakao zu trinken. Mama spricht kein Wort und das verunsichert mich. Elif hat mir geschrieben, dass ich mich melden soll, wenn ich mit Mama gesprochen habe. Es läuft keine Musik, kein Radio. Nur die Sitzheizung der C-Klasse bis wir auf dem Privatparkplatz ankommen und ins Restaurant eintreten. Ich war so lange nicht mehr hier. Ich wollte doch mit Ardan noch hierhin ... ich hätte es tun sollen, bevor er ins Koma versetzt wurde. Durchatmen, Cana. Tief durchatmen. Ich seufze tief, sehe schuldbewusst in die neutralen Augen meiner Mutter, dir gegenüber von mir sitzt.
Sie hebt ihre Hand. So elegant, so unbekümmert, als hätte sie nicht gerade die Karriere eines Fast-Mörders zerstört und das Leben eines einzigen Sohnes und zukünftigen Ehemannes gerettet mit der Last von drei Angehörigen auf ihren Schultern. Sie begrüßt Charmant die kleine Kellnerin und nennt ihr ihre Bestellung. Crispy Mirishk. Ich nehme das gleiche und schon sind Mama und ich wieder alleine. Die Befragung beginnt jetzt. "Wie lange schon?" "Seit meinem Geburtstag." Ich kann nicht. Ich muss ihrem Blick ausweichen. Er ist zu eindringlich. "Cana, ich habe dich oft gefragt, ob du mir etwas sagen möchtest und ob du doch einen Freund hast. Wieso hast du es nie gesagt?" Als ob das so einfach ist! Ich atme tief durch. "Weil ich Angst hatte." Ich hebe meinen Blick zögernd an. Es beruhigt mich, als ich die Sanftheit in ihren Zügen bemerke. Sie atmet einmal tief durch. "Und wie fühlst du dich?" "Wie noch nie", hauche ich. Mir steigen augenblicklich die Tränen auf. "Ich hatte anfangs Angst. Ich habe gezögert, wirklich! Aber er ist es, Mama. Er ist der Richtige. Er ist so sanft, so zart. Er besitzt so viel Respekt und Anstand und verdient die Liebe, die er gibt. Er verdient ein schönes Leben und das kann ich ihm geben! Ich will ihn heiraten." Mama hält die Luft an. Ihr Blick bleibt neutral, aber ich weiß ganz genau, dass sie bei meiner letzten Aussage doch ein wenig mehr Diskutieren würde. Ihr Blick gleitet einmal durch das Lokal, als würde sie sich sammeln, bevor sie weiter zum Sprechen ansetzen muss.
Aber dann lacht sie nur. Es trifft mich. Es trifft mich sehr, dass sie jetzt lacht. Meine Laune sinkt immer mehr. Da hilft auch das Servieren der Burger nichts. "Danke. Für die Getränke gebe ich Bescheid." Mich nervt ihr Lächeln. Was ist so lustig?! "Entschuldige, Cana. Ich habe nicht wegen dir gelacht." Ouh ... okay. Weshalb dann? "Und wieso?" Ihr Lächeln sieht gerade schon verzweifelt aus. "Dein Vater wird durchdrehen", flüstert sie ... oje. Wenn sie das sagt, dann bin ich sowas von geliefert. "Aber wieso? Er würde mich sofort heiraten!" Das ist unfair! "Cana, darum geht es gar nicht. Es geht ... ich will es gar nicht ansprechen." "Du musst!" "Ich weiß. Iss doch ein wenig." Ich kann nicht essen, bis sie mir das Problem sagt. "Sag mir, was sein Problem ist." "Die Familie selbst", flüstert sie. Ihre Lippen pressen sich aufeinander. Mein Herz setzt aus. Nein. Nein, nein, nein! Wie?! "Aber ... aber seine Familie ist so herzlich und hat nie ein schlechtes Wort über euch verloren." Mama lächelt. "Das sind sie auch, aber dein Vater ist bei diesem Punkt nachtragender als ich. Er und Cihan haben sich noch nie gemocht. Während Cihan mit der Zeit reifer wurde, blieb das Gehirn deines Vaters bei diesem Punkt noch stecken." Heißt das, dass Baba diese Liebe niemals akzeptieren wird? Meine Sicht verschwimmt. "Cana, ganz ruhig! Ich lasse nicht zu, dass er dir das verbietet. Mach dir keinen Stress. Ich will nur, dass du weißt, dass es etwas steinig wird." Steiniger als der heutige Tag kann es nicht werden. Ich muss mich beruhigen. Ich muss schlafen. Ich muss mich um Ardan kümmern. Ich muss meinen Freunden sagen, was heute passiert ist. Ich muss damit klarkommen, dass Baba dagegen sein wird.
Mamas Blick gleitet während des stummen Essens immer wieder zu mir. Das geht solange weiter bis wir zu Hause sind und sie mich in ihr Schlafzimmer zieht. Wieso schließt sie die Tür ab? Mir wird ganz mulmig dabei. Ich will viel lieber in mein Zimmer. Mama atmet tief durch, fährt sich über ihr Gesicht. Sie ist unruhig. Wieso? Ist es mit Baba doch schlimmer, als sie es gesagt hat? Geht es Ardan schlechter, als sie es gesagt hat?! "Mama, stimmt etwas mit Ardan nicht?" "Nein. Ich werde mich um ihn kümmern." Wieso kommt sie nicht aufs Bett? Wieso steht sie dort und schaut mich so ... ich kann ihren Blick nicht definieren. Irgendwie ist er betrübt und besorgt und irgendwie auch neutral und betreten. "Ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal ansprechen müsste." Sie lacht hysterisch auf. Ich verstehe nicht, was los ist. Mama entfernt sich noch weiter von mir und lehnt sich angespannt an ihren Schminktisch. Was ist los? Was habe ich verpasst? "Mama, was ist los?" "Ich weiß es, Cana." Ihr urplötzlich fester, strenger Ton verdutzt mich. Mir wird heiß, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon sie redet. Wieso habe ich dieses nervöse Bauchziehen? Was habe ich übersehen? Was weiß sie? "Was denn?" Sie soll mich nicht so quälen! Wieso ist Mama plötzlich so gehemmt, zu sprechen? Sonst nimmt sie kein Blatt vor den Mund. "Ihr habt stets verhütet, oder?"
Nein. Nein. Nein, nein, nein, nein, nein! Ich erstarre. NEIN! Scheiße! Nein! Mir wird eiskalt. Woher ... woher weiß sie das? Ich kann nicht einmal das Leugnen ansetzen, weil mein Körper mich verrät. Woher weiß sie das?! "Ardan ist mein Patient, Cana. Als er mich gefragt hat, wie es mit dem Geschlechtsverkehr aussieht, habe ich nicht gewusst, dass er meiner Tochter die Jungfräulichkeit nach meinem Zusagen nimmt." Heilige Scheiße! Ich will ... ich will mich verprügeln! Ich will Ardan verprügeln! Gott, nie wieder lüge ich! Wie konnte ich das nicht wissen? Ardan hat mir nie gesagt, dass meine Mutter seine behandelnde Ärztin ist! "Wieso hast du mir nie gesagt, dass du Ardan behandelst?" Ich bin fassungslos. Ich schwitze schon! "Weil er es so wollte. Er hat sich geschämt. Scheint wohl doch einen anderen Grund zu haben." Ihre perfekt gezupfte Augenbraue hebt sich und sofort verfalle ich in noch mehr Scham. "Nein! Er schämte sich wirklich! Er hat niemanden anfangs von seiner Herzkrankheit erzählt. Mama, bitte! Das alles hört sich bestimmt total schlimm an, aber du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass Ardan eine reine Seele ist. Er hatte vor mir niemanden und ich hatte vor ihm niemanden." Ich fühle mich Stück für Stück immer verzweifelter. Der 24. Dezember ist der mit Abstand nervenaufreibendste Tag meines Lebens! Oh Gott, wie denkt Mama jetzt nur von mir? Ich sehe sie flehend an. "Mama, bitte", flüstere ich. "Hass mich nicht. Ich habe mich doch nur verliebt." Ich könnte noch mehr Lasten echt nicht ertragen. In meiner Brust zieht es schon seit der OP immer wieder leicht. Ich brauche jetzt vor allem Unterstützung.
Ihre Züge werden sanfter und endlich kommt sie zu mir aufs Bett und zieht mich in ihre Arme. Das brauche ich. Ich brauche es so sehr, dass ich schon wieder emotional werde. "Bist du sauer?", murmele ich. Sie seufzt nur tief. "Cana, ich kann dir nur sagen, was du tun sollst und nicht. Ich kann dich nicht kontrollieren. Du weißt, dass Zina eine große Sünde ist, aber ich finde es gut, dass du an Heirat denkst. Ich bin selbst ein wenig überfordert." Verständlich. Sie hat alles zusammengezählt. Mama hat recht. Mit allem. Hätte ich gewusst, dass das passiert, hätte ich meine Lust gezügelt. Ich würde nicht wollen, dass das unser letzter Akt gewesen wäre, wenn Ardan dem Tod entkommen ist. Wenn es nicht dein letztes Wort sein soll, dann sprich es nicht und wenn es nicht deine letzte Tat sein soll, dann tu es nicht. Das hat er mir heute noch gesagt, als wir auf das Thema Wut zu sprechen kamen. Ich schmiege mich enger an sie, lege mich unter die Decke mit ihr. Das alles fühlt sich so komisch an. So surreal. Ich fühle mich schuldig, weil ich jetzt nicht permanent an Ardan gedacht habe, aber ich weiß, dass er mir in meiner Lage niemals sauer wäre. "Aber das darf dein Vater niemals erfahren. Sonst kriegt er wirklich einen Anfall." Ouh Mann. Sie prustet los, bricht in ein heiseres Gelächter aus, von dem sie sich kaum einkriegt. "Aber das bleibt ein Geheimnis, das ich mit ins Grab nehme." Ich hoffe es. Lügen kommen immer ans Licht. Das habe ich jetzt am eigenen Leib spüren dürfen. Gott, wie peinlich! Ich will gar nicht wissen, wie Ardan reagieren wird ... Ardan.
"Stehen seine Chancen wirklich gut, Mama?" Ich will nur das. Von mir aus nehme ich den Stress mit Baba in Kauf, nur soll Ardan wieder gesund werden. "Ja, Cana. Ich will aber nicht zu viel versprechen. Ich muss mir erst die Studien anschauen. Die Wirkung des Medikaments. Seine Organe müssen durchgeprüft werden. Das wird nicht einfach, aber das wird schon wieder." Es wird schon wieder ... ich hoffe es so sehr! "Das wird eine Menge Arbeit die Wochen. Ich hatte eigentlich Schluss, als die Mädels plötzlich zu mir gerannt sind." Zum Glück haben sie es noch rechtzeitig geschafft. "Warst du heute auch bei ihm?" Oh Gott, wenn ich daran denke, was wir alles in seinem Zimmer gemacht haben ... großer Gott. Ich hoffe, Ardan hat nicht expliziter nachgefragt. "Ja. Wir haben Roxys Abschluss gefeiert." "Seine Hündin? Süß." Ich nicke, lächele über die Erinnerung, die sich so anfühlt, als wäre sie vor Tagen geschehen. "Ich hoffe, ich kann ihn so schnell besuchen wie es nur geht. Er war so glücklich, Mama. Er hat das nicht verdient." Ardan, wie er von seinen Emotionen überwältigt wird und weint. Ardan, wie er sich freut und ihn die Erleichterung durchströmt. Er konnte ja nicht wissen, was für ein Schicksal ihn trifft und es erleichtert mich, dass er nichts davon mitbekommt.
Es erleichtert mich, dass seine sanfte Seele einmal dem Krieg der Realität entfliehen darf.
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