Kapitel 112
Bellah - Evil Eye
Ich kann es nicht glauben ... WAS?! Ardan kriegt ein Spenderherz! Mir entkommt ein fassungsloses Keuchen, meine Mundwinkel steigen sowie meine Tränen. "Es ist endlich vorbei!" Ich kann mich nicht mehr halten! Mein ganzer Körper füllt sich voller Energie, die mich zu Ardan schwingt. "Ich kriege ein Spenderherz! Ich kriege endlich ein Spenderherz!" Ardan drückt mich an sich. So fest, dass es mir schon ein wenig wehtut, aber sowohl das als auch die begrenzte Menge an Luft, die ich durch ihn aufnehmen kann, nehme ich hin. Ardan kriegt ein Spenderherz! "Der 24. Dezember ist wirklich ein guter Tag", grinse ich. "Das ist er wahrlich, Cana. Ich muss packen und meine Eltern anrufen." "Ich rufe deine Mama an. Pack du schon mal deine Sachen." Ich zittere, als ich mich von Ardan löse und mir mein Handy zur Hand nehme. Gott! Ich kann es nicht fassen! Ardan. Kriegt. Das. Spenderherz! Endlich! "Cana, ich ... ich kann es nicht fassen." Ouh ... ich drehe mich bei seiner leisen Stimme zu ihm, halte die Luft bei seinen glasigen Augen an. Oh nein! "Ardan!" Wegen ihm steigen mir die Tränen auf. Er wirkt ganz angespannt. Seine Hand drückt den Griff seines Transporters. "Ich warte mein ganzes Leben drauf. Du kannst mir nicht glauben, was für eine Erleichterung das ist." Ardan atmet zitternd durch, schaut hoch an die Decke. Mein Herz bebt bei diesem Anblick. Ich nähere mich ihm. "Ich habe letztens mit meiner Oma geredet und sie hat mir das Tahajjud-Gebet erklärt und was es bewirken kann und kaum habe ich es getan und meine Bitte geäußert, geht sie in Erfüllung. Du kannst mir nicht glauben, wie erleichtert ich bin, Cana. Du weißt nicht, was für eine Last mir damit abfällt." Sein Gesicht verzieht sich weinend und selbst als ich ihn an mich drücke, spüre ich seine Tränen an meinem Nacken.
Ich bin so unfassbar froh für ihn. Ich bin so erleichtert, dass er endlich einen Teil seines Lebens zurückbekommen kann, den er so verdient wie niemand anders. Mein Herz füllt sich mit so vielen Emotionen, dass ich das Gefühl habe, es bebt in meiner Brust. Er darf endlich diese Last von seinem Herzen schmeißen! Er darf sein Herz endlich neu erblühen lassen. "Ich freue mich so sehr für dich, Ardan. Es geht endlich komplett bergauf. Haben wir das hinter uns, wird uns nichts mehr aufhalten." Ich nehme sein beträntes Gesicht in meine Hände, wische ihm die kullernden Tränen aus seinen gereizten Augen. Selbst verweint sieht Ardan wunderschön aus. Die geröteten Augen lassen sein Grün nur noch stärker leuchten. "Du musst packen, Ardan. Aber keine grauen Jogginghosen!", witzele ich und schaffe es auch damit, uns beide zum Lachen zu bringen. Tut das gut. Es tut unseren Herzen so unfassbar gut. "Okay. Ich hol schnell eine Tasche!" Ardan läuft ganz fröhlich aus dem Zimmer und als ob Roxy die gute Nachricht erschnüffelt hat, rennt sie die Treppen hoch. Im Flur bleibt sie vor Ardans Tür stehen, legt den Kopf schief, als sie mich sieht. Ihr Hecheln und ihre wedelnde Route lassen mich lächeln, aber als ich realisiere, dass ich immer noch nur Unterwäsche trage, pruste ich los. "Roxy! Man guckt Frauen nicht an, wenn sie halbnackt sind!" Oh Gott, das habe ich ja komplett vergessen! Ich ziehe mich schnell an, wähle solange die Nummer seiner Mutter raus, als ich mir die Hose anziehe.
"Hi, Liebes? Alles gut?"
"Alles gut. Könnt ihr zurückfahren?"
"Ist etwas passiert? Cihan ist gerade in der Firma. Ich kann ihn gleich anrufen." Oh Gott, meine Brust bebt wieder vor Freude!
"Ja, ist es. Ardan wurde von der Spenderzentrale angerufen."
"Und?!", unterbricht sie mich ganz aufgeregt.
"Er kriegt ein Spenderherz!", kreische ich fröhlich. Roxy tappt einmal aufgeregt auf und springt dann im nächsten Moment auf mich. Es ist still am Hörer. Ist die Verbindung weg?
"Hallo?"
"Cana, Liebes. Ich flehe dich an. Sag mir bitte, dass das kein Scherz ist", flüstert sie. Oje, mir steigen die Tränen auf, weil ich weiß, dass ihr die Tränen aufsteigen.
"Es ist die Wahrheit. Ardan packt gerade seine Sachen." Gerade spreche ich von ihm, da kommt er wieder ins Zimmer, voller Freude, voller Energie.
"Oh Gott! Çok şükür yarabbim! Cana, bitte", schluchzt sie. "Das ist wirklich kein Witz, oder?" Ich wäre gottlos, wenn ich so einen asozialen Witz wirklich bringen würde.
"Nein", hauche ich. Mein Nacken füllt sich mit Druck. Ardan stellt sich fragend vor mich, doch ich winke nur lächelnd ab.
"Oh Gott! Ich ... ich bin so erleichtert. Ich muss anhalten. Ich muss Cihan anrufen. Wir kommen sofort nach Hause. Wir sehen uns gleich." Sie schnieft, genau wie ich.
"Bis gleich, ciao."
Ich atme tief durch, bevor ich mir die Tränen wegwische. Der Tag kann nicht wunderbarer werden. "Wurde dir gesagt, wann du operiert wirst?" "Vermutlich sogar heute. Alle Tests wurden schon gemacht. Meine Ärzte wissen wahrscheinlich mehr über meinen Körper als ich selbst." Ich lächele, genau wie er. "Sobald ich Medizin studiere, werde ich diese Arbeit übernehmen." Ardan hockt sich zu mir hinunter, umschließt mein Gesicht, um mich zärtlich zu küssen. "Es gibt nichts mehr, was uns aufhalten könnte. Sobald ich wieder von der Narkose erwache, werde ich dich heiraten." Heiraten. Meine Lymphknoten kribbeln. Wenn wir das geschafft haben, kann uns nichts mehr aufhalten. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich will. Ich will es so sehr, dass ich mich am liebsten jetzt mit Ardan vermählen möchte. Ich hole seine Hygieneartikel aus dem Bad, falte die Handtücher für ihn klein und packe ihm noch mehr Boxershorts ein. Ich kann es nicht glauben! Ardan kriegt das Spenderherz! Dann muss er sich nie wieder schämen. Nie wieder muss er sich sorgen um das Excor machen. Nie wieder wird Ardan Komplexe haben. Es geht nach vorn! Unten geht schon die Haustür auf, woraufhin Roxy nach unten zu den Eltern rast. "Ardan?", ruft die Mutter. Der Vater rennt die Treppen hinauf. Seine grünen Augen sind gerötet. Ouh, oje. Er hat geweint und auch die grünen Augen seiner Mutter sind ganz rot. Jetzt steigen mir schon wieder die Tränen auf. Ich bin so verdammt glücklich!
"Hast du deine Versichertenkarte? Alle Dokumente?" "Ja, Baba. Alles. Alle Dokumente liegen im Krankenhaus vor." Ich stelle mich zur Mutter, die ihre Tränen gar nicht mehr bremsen kann und umarme sie. Das ist ein so wunderbarer Moment. Er ist so kostbar, dass ich gar nicht mehr aus meiner Blase kommen möchte. "Ich bringe Roxy zu den Nachbarn. Wer weiß, wie lange wir wegbleiben. Ich komme sofort! Roxy, komm!" Die Mutter rennt mit der aufgeregten Hündin aus dem Haus, während der Vater Ardan weiter beim Packen hilft. Er wirkt so stolz und kann seinen Sohn gar nicht mehr aus den Augen lassen. Der Anblick rührt mich so sehr. Wie erleichternd es sein muss, so unbeschreiblich, dass der einzige kranke Sohn endlich eine bessere Chance zu leben bekommt. Was für eine Angst sie als Eltern haben müssen, dass ihrem einzigen Sohn etwas passieren könnte, dass ihn für immer von ihnen trennen könnte, nach all den kläglichen Versuchen, ein Kind zu zeugen. Ich gönne ihnen diese gute Nachricht vom ganzen Herzen. "Lass. Ich packe den Rest für dich. Du wirst eine Weile dortbleiben." Ardans Blick gleitet zu mir. Sein Lächeln wird nur noch stärker. Ich kann es gar nicht abwarten, endlich im Krankenhaus zu sein! Der Tag hat gerade erst begonnen. Es ist nicht einmal 16:00 Uhr und schon dürften wir Teil eines so schönen Momentes sein. Die Fahrt ins Krankenhaus fühlt sich so surreal an. Einerseits vergeht sie schnell. Der Verkehr ist gut, kaum stockend, aber andererseits habe ich das Gefühl, dass wir länger als sonst brauchen, aber gleich sind wir auf dem Parkplatz und jetzt können wir aussteigen! Ich halte schon die ganze Zeit Ausschau nach einem Helikopter oder einem besonderen Transporter, finde aber noch nichts dergleichen.
Ich drücke Ardans Hand ganz fest, während die Eltern an der Pforte Bescheid geben und wir zum Aufzug gehen. Erst auf die Kardio-Station, wo er von einem anscheinend, mir, neuen Arzt im Untersuchungszimmer noch einmal abgecheckt wird, ihm doch noch einmal Blut abgenommen wird und wir solange gemeinsam diese Freude teilen. Das Labor scheint schnell zu sein. Verständlich. Es handelt sich hierbei auch um eine Transplantation. Ardan führt jetzt ein Gespräch mit dem Anästhesisten, wobei ich mir sehr sicher bin, dass er sich auch selbst die Menge an Narkosemittel pro Kilo ausrechnen könnte. Gott, alles geht gerade so schnell! Ich halte die ganze Zeit die Hand der Mutter, bete und stelle mir schon unser Leben danach vor. Es vergeht eine Stunde bis wir von der Ungeduld erlöst werden und zum Aufzug gehen dürfen. Etage 6, der OP-Bereich. Ich drücke ganz aufgeregt seine Hand. Mein Herz schlägt so unfassbar schnell. Mein Bauch kribbelt. Ich bin so hibbelig, dass ich am liebsten durch das ganze Krankenhaus rennen würde. Als sich die Türen öffnen, halte ich bei dem starken Kribbeln im Bauch den Atem an. "Bismillah", flüstert die Mutter, als wir raustreten. Sie betet die ganze Zeit, drückt uns alle abwechselnd und muss sich jetzt zusammenreißen, als Ardan in den OP-Saal muss. Die Chirurgen geben uns die Zeit dafür. Der jüngere sieht mir nach einem Assistenzarzt aus. Was ein Glück er haben muss, bei so einer großen OP dabei sein zu dürfen. "Nicht weinen, Mama." Ardan umarmt seine Mutter lächelnd und schenkt ihr einen Kuss auf die Schläfe. Ihr Schniefen regt meine Tränendrüsen immer wieder an. "Ich bin so froh. Ich habe aber trotzdem Angst." Sie nimmt sein Gesicht in ihre Hände, küsst seine ganze Stirn und seine Wangen ab, ehe sie ihn noch einmal fest drückt.
Auch der Vater drückt Ardan fest an sich. Als ich die leichten, unterdrückten Anzeichen des Weinens auf seinem Gesicht sehe, verzieht sich mein Gesicht. Ich finde es immer so herzergreifend, wenn Väter weinen. "Pass auf dich auf." Bei dem Kuss auf Ardans Stirn könnte ich wirklich losweinen. Mir wird die Luft bei diesen ganzen Emotionen abgeschnürt. Ich will nur noch, dass Ardan aus diesem OP-Saal wieder rausgefahren wird. Ardan und sein Vater lösen sich aus ihrer Umarmung und jetzt schaut er zu mir. Ouh, oje. Mir wird plötzlich ganz warm. Ich hebe verlegen die Schultern an. Wären seine Eltern nicht hier, würde ich ihn bis zur Atemlosigkeit küssen. "Mopsi, kriege ich keinen Abschiedskuss?" Ich schnalze empört mit meiner Zunge, schaue errötet zur Mutter, die kichernd versteht und sich mit ihrem Mann umdreht. Oh Gott! So meinte ich das gar nicht! "Ardan!", murre ich. Ouh Mann, das ist so intim! Aber ich kann es mir nicht nehmen lassen, mich von ihm zu verabschieden. "Wir warten dann im Saal auf Sie, ja?", meldet sich der ältere Chirurg zu Wort und verabschiedet sich mit den anderen von uns. Oh Gott, jetzt oder nie. Ardan nähert sich mir. Ich werde jetzt zum letzten Mal die Pumpgeräusche des Excors hören. Verrückt. Es kommt mir so vor, als hätte er es erst seit gestern.
Seine Augen glänzen so schön, als er zu mir hinuntersieht. So voller Freude, so voller Erleichterung. Seine grünen Augen schauen mich mit voller Zufriedenheit an und sofort habe ich das Gefühl, dass sich all diese Empfindungen wie ein Mantel um mich legen. Es kribbelt am ganzen Körper, dabei hat Ardan mich noch nicht berührt. "Also, Mopsi." "Also", flüstere ich. Oje, hoffentlich lasse ich die Eltern und die Chirurgen und OTAs nicht alle warten. Ich schmeiße mich in seine Arme, setze unruhig ganz viele kleine, lautlose Küsse auf seinen warmen Hals, inhaliere seinen wunderbaren Duft. "Ich liebe dich", flüstere ich. So sehr, Ardan. Ich liebe dich über alles. "Ich liebe dich, Cana. Selbst in dem Moment, indem kein Herz in mir schlägt. Selbst in dem Moment, indem ich nicht wach bin und atme." Mir steigen die Tränen auf. Ich will ihn nicht loslassen. Ich will ihn wieder mit nach Hause in sein Bett nehmen und dort für immer liegen. Ich nehme sein Gesicht in meine Hände, blinzele gegen die warmen Tränen, die mir über meine Wangen fließen, als ich seine Wangen streichele. Nur noch ein letzter Kuss ... ein noch längerer Kuss darauf und dann lasse ich ihn mit einem letzten Händedrücker los. "Okay, bis später, Ardan." Die Eltern drehen sich um. Ardan winkt uns, selbst als er durch die elektronische Schiebetür durch die zweite Tür rechts endgültig verschwindet.
Ich seufze einmal tief, ehe ich mich schniefend zu seinen Eltern umdrehe. "Okay. Jetzt geht es los", murmele ich. Jetzt heißt es hoffen und beten. Wir belegen die drei grünen Sitze, verfallen in eine Stille, in der wir alle beten. Die Narkose wurde sicherlich schon eingeleitet. Ardan wird sicherlich gerade Intubiert und an alle Geräte geschlossen und danach wird sein Oberkörper sicherlich mit Jod desinfiziert, wenn davor keine Markierungen angesetzt wurden. Die Chirurgen reden sicherlich, wie sie angehen wollen, welchen Schnitt, bis wohin. Wie gerne ich dabei wäre. "Wie gerne ich wissen würde, was genau gemacht wird." "Weißt du es denn nicht mehr von mir?", fragt ... Cihan Elif. Ich muss mich wirklich daran gewöhnen. "Wie?" Ich drehe mich überrascht zum Vater. "Hattest du auch eine Herz-OP?" "Ich hatte selbst KHK und die Transplantation hinter mir." Meine Augen weiten sich. Wie?! "Also hat er das von dir?" Mir wird nach meiner Frage warm. Das ist unhöflich, auch wenn ich wirklich aus reiner Neugierde frage. Beide lächeln sanft. "Das Schicksal hat es so erwählt. Ich hoffe einfach nur, dass es für ihn genauso gut ausgeht." Ich hoffe es auch. So sehr. "Und dann heiraten meine zwei Kleinen, nicht wahr?" Elifs grünen Augen füllen sich wieder mit Tränen. "Und haltet ganz fest einander. Selbst, wenn es, aus welchem Grund auch immer, jemand nicht akzeptiert. Ich nehme euch auf. Ihr lebt in meinem Haus dann." Ich sehe das Leid in ihren Augen. Was sie wohl alles erlebt hat, nur weil ihre Familie ihre Liebe nicht akzeptiert hat. Ich bin froh, dass sie jetzt ein gutes und eigenständiges Leben führt.
Ich lehne mich an ihre Schulter, drücke ihre zierlichen, langen Finger. "Mein einziger Wunsch ist es, dass ihr beide gemeinsam glücklich werdet. Mehr will ich nicht." "Elif", setzt Cihan sowohl seufzend als auch lächelnd an und kassiert wirklich einen Klaps gegen seine Brust von seiner Frau. "Lass mich! Ich darf das." Ich kichere leise. "Wart ihr eigentlich mit meinen Eltern befreundet? Ihr wart doch auf einer Schule." Cihan presst belustigt seine Lippen aufeinander. "Shana ist meine Kindheitsfreundin. Nach einigen Reibereien haben wir uns während des Studiums vertragen." "Ouh, was ist denn passiert? Hat Mama dich angegriffen?" Schon wieder presst er seine Lippen aufeinander. Elif setzt sich neu auf, schaut in den Flur und dann zur Glastür der OP-Säle. "Wir hatten unsere Differenzen. Ich war ein ziemliches Arschloch." Ouh ... okay. Irgendwie muss ich schmunzeln. Elif schaut zu Cihan und lehnt dann ihren Kopf an seine Schulter. Das Bild erwärmt mein Herz. "Wir sind alle reifer geworden. Wenn ich darüber nachdenke, wie ich früher war, will ich mir solange den Kopf stoßen bis ich meine ganze Zeit in der Oberstufe vergesse." "Der Mathe-LK mit mir war das Beste, was dir passieren konnte." Oh Gott, beide waren im Mathe-Leistungskurs? Das ist ja gruselig, wie sie alles an Ardan weitervererben. Ich verziehe ungewollt das Gesicht, weshalb beide anfangen zu lachen. "Ganz die Mutter." Cihan schüttelt nach seiner Feststellung amüsiert den Kopf.
Hinter mir geht die elektrische Schiebetür auf, woraufhin zwei OTAs an uns vorbeirennen. Mein Lächeln fällt. Aus welchem OP-Saal kamen sie? Ich drehe mich zur Glastür, finde aber keine Anhaltspunkte. Woher kamen sie? Wieso rennen sie? Auch Ardans Eltern sind neben mir verstummt. "Habt ihr gesehen aus welchem Saal sie kamen?" Elif ist wie eingefroren. Mein Bauch zieht sich zusammen. Nein. Nein, bitte nicht. Cihan steht auf, schaut sich unruhig um. Mich erfasst eine kalte Gänsehaut. Nein, das ist sicherlich nur ein Missverständnis. Vielleicht fehlt nur eine Blutkonserve. Nein, das kann nichts Schlimmes sein. Ich weiß nicht, was ich sagen könnte, um diese unglaublich unangenehme Stille zu überbrücken. Es fühlt sich so an, als würde sich etwas um mich legen, das mich daran hindert, zu sprechen. Ich atme viel schwerer. Mir wird heiß und kalt. Wohin sind die OTAs gerannt? Was ist passiert? Wieso brauchen sie so lange? Cihan stellt sich ungeduldig vor die Glastür. Seine geballte Faust schlägt mit dem Handrücken immer wieder ungeduldig gegen die Klingel bis eine ältere Dame aus dem OP kommt ... sie kommt aus der zweiten Tür rechts. Da, wo Ardan liegt. Nein. Nein, bitte nicht. Alles, bloß das nicht. Ich will nicht, dass sich die Schiebetür öffnet und ich will auch nicht, dass sie jetzt ihre Maske absetzt. "Was ist passiert?", blafft Cihan schon fast panisch. Elif sitzt neben mir immer noch in ihrer Starre. Das einzige Lebenszeichen sind ihre Tränen, die ihr nach und nach aus den Augen kullern. Was passiert hier? Das kann nicht wahr sein. Nein.
"Es gab einen Zwischenfall. Wir holen gerade die zuständige Oberärztin." Meine Blase zerplatzt in tausend Einzelstücke. Nein. Bitte nicht. "Was. Ist. Schiefgelaufen?" Cihan atmet viel schwerer. Er geht einen Schritt zurück. Elif schnieft neben mir. Mein Kopf dreht sich. Was für einen Zwischenfall? Ein Transfusionszwischenfall? Wurde zu wenig Narkosemittel eingeleitet? Was heißt das? Wieso ist das passiert? Das ist nicht das erste Mal, dass in diesem Krankenhaus Transplantationen durchgeführt werden. Wieso muss es ausgerechnet bei ihn zu einem Zwischenfall kommen?! Ich will etwas sagen, ich will reagieren, aber ich bin in diesem Moment gefangen. Ich kriege kaum Luft. Ich will weg. Ich will weg von hier. Der Tag ist gelaufen für mich. Ich will nicht mehr hier sein. Ich will raus aus diesem Krankenhaus. Mein Herz schlägt so schwer in meiner Brust, dass ich es mir am liebsten rausreißen würde. "Bitte beruhigen Sie sich. Wir setzen alles daran, dass es Ihrem Sohn gutgehen wird." Ihre Worte bringen nichts. Sie stillen keines unserer drei weinenden Herzen. Es schürt nur noch mehr Schmerz. Wenigstens kann er noch sprechen. Ich und Elif sind verstummt und vermummt. Einzig und alleine unsere Tränen zeigen die einzige Regung. Wird er noch mit Sauerstoff versorgt? Wird er reanimiert? Was passiert da, nur wenige Meter von mir? Meine Brust fühlt sich so schwer an. All die Lasten drücken mich hinunter. Ich dachte, es wäre endlich vorbei. Wieso? Wieso musste das passieren? Ich höre hinter mir wieder die hektischen Schritte der Mitarbeiter. Endlich falle ich aus meiner Starre und drehe mich sofort zu ihnen, nur um wieder zu erstarren, als ich sie sehe.
Mama.
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