Kapitel 109

Montell Fish - Fall in love with you

Für mich bleibt gerade die Welt stehen. Ich kann mich weder bewegen, noch kann ich reagieren. Sein leises Schluchzen schnürt sich um mein Herz, sorgt dafür, dass mein Körper sich versteift. Wie lange trägt er diese Gedanken mit sich? Ardan wirkte sonst immer so gefasst. Was ist mit seinem Zitat? Wann kam es zu dieser Angst? War sie schon da oder hat es mit dem Wissen der anstehenden Operation angefangen? Was soll ich machen? Wie kann ich ihm helfen? Was kann ich tun, damit meine Liebe nicht mehr in meinen Armen weint? "Ardan", setze ich heiser an. Mir rinnen die heißen Tränen über die Wangen. Es tut weh. Es tut so weh. "Was soll ich tun, Cana?" So sehr ich seine sanfte Stimme liebe, so sehr wünsche ich mir, dass er gerade schweigt. Mein Herz erträgt sein Leid nicht. Ich drücke ihn fester an mich, kann meine bebende Brust nicht kontrollieren. Ich kann nicht antworten. Was soll ich denn auch schon sagen? Wie kann ich sein Herz beruhigen? Trauer tut ihm nicht gut. "Wirst du nicht", flüstere ich. Ich komme mir so nutzlos vor, aber ich bin zu überfordert. "Mir geht es immer schlechter. Ich schaffe das nicht mehr." Hör auf! Meine Augen schließen sich gequält, mein Nacken verspannt sich durch den Druck, der dort entsteht. Wieso sagt er sowas? Wenn er das Gerät bekommt, dann kann er die Zeit doch überbrücken? Was hat die Ärztin gesagt? Ich habe den Tag vor seinem Krankenzimmer wieder vor Augen. Ardan wirkte so, als ob er etwas akzeptieren müsste ... ist es das?

Meine Arme fühlen sich plötzlich so schwer an. Nein ... das kann nicht sein ... oder? "Was meinte die Ärztin, Ardan?" Ich fühle mich gerade so überrollt, dass meine Frage so ungewöhnlich fest von mir kommt. In mir herrscht ein Chaos. Mir ist schwindelig und gleichzeitig habe ich das Gefühl, nichts zu fühlen. Ardan schnieft, wischt sich seufzend über sein Gesicht. "Es tut mir so leid, Cana. Ich flehe dich an, mir zu verzeihen." Ich kann mir das nicht mehr anhören! Ich will es nicht hören. Ich will es nicht akzeptieren und auch nicht wahrnehmen, halte ihm deshalb wehleidig den Mund zu, um mein weinendes Herz zu beruhigen, aber mir fließen immer mehr und mehr Tränen hinab. Ich spüre seinen Schmerz über meine Finger fließen. Er soll nicht weinen. Das tut seinem Herzen nicht gut. "Wir schaffen das schon, Ardan. Die Pumpe hilft dir doch." Ich atme tief durch. Ich muss mich von dem beklemmenden Gefühl meines Herzes ablenken. "Mein Herz ist sehr schwach, Cana. Ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte." Er soll aufhören damit! Bitte! Ich kann mir das nicht anhören. Es tut weh. Es tut im Herzen weh. So sehr, dass ich schon wieder das Stechen spüre. Ich drücke seinen Kopf fester an meine Brust, verteile verzweifelt Küsse auf seinem nassen Haar, in der Hoffnung, dass es ihn heilt. Wie soll ich ihn so alleine lassen? Wie soll ich es aushalten, warten zu müssen, bis ich ihn wiedersehen kann? Was ist, wenn ihm was passiert und ich ihn nie wieder sehen kann? Nein, das kann und darf nicht sein.

"Nein, das wird nicht so ausgehen. Du kriegst die Pumpe und dann wird es dir Stück für Stück besser gehen. Dann kannst du auch öfter frittiertes Hähnchen essen vielleicht. Dann werden wir ganz viele schöne Momente haben. Wir müssen noch Roxys Abschluss feiern und zusammenziehen und heiraten und wir müssen noch Bilder für unseren Abschlussball machen und ..." Ich kann nicht weiterreden. Meine Trauer versperrt mir jegliche Glückseligkeit. Was kann ich jetzt machen? Wie kann ich helfen? Wie kann ich dafür sorgen, dass Ardan schnell möglichst ein Spenderherz kriegt? "Du wirst dich vor mir ekeln." "Werde ich nicht. Hör auf damit!", bricht meine Stimme am Ende. Wieso denkt er nur so? Ich helfe ihm freiwillig und er denkt, dass ich mich ekeln werde, sobald ich ihn mit der Pumpe sehe. Mein Drang, bei ihm bleiben zu wollen, würde dadurch nur noch weiter steigen. "Ich verbiete dir diese Gedanken, Ardan." Meine Hände umschließen sein Gesicht, drehen es zu mir und wischen ihm die Tränen seiner wunderschönen, grünen Augen weg. "Du bist mein Philosoph. Du bist der weise Teil meines Herzens. Du bist mein Gegenstück. Ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst. Das tut uns beiden nicht gut." Meine Unterlippe bebt, mir fließen erneut Tränen ab. "Wie kann ich vor Gedanken fliehen, wenn sie mich umkreisen?" "Wieso ist mein Realist plötzlich ein Pessimist? Was ist mit der Wahrscheinlichkeit, dass es doch gut geht?" Meine Argumente kommen mir gerade so entkräftet vor, weil er hoffnungslos seine Augenbrauen zusammenzieht.

Ardan antwortet nicht. Er senkt nur seinen Blick, den ich wieder anhebe. Ich will nicht, dass er wegschaut. Ich schöpfe Kraft durch das Grün seine Augen. "Wie soll ich mit dieser Pumpe jemals in der Lage sein, dich komplett glücklich zu machen? Es würde nicht lange dauern bis du dich für mich schämen würdest." Ich weiß nicht, ob ich erschüttert oder wütend sein soll, aber es gefällt mir überhaupt nicht, dass Ardan so von mir denkt. Aber ich darf nicht vergessen, dass es einen Grund dafür gibt und ich verfluche jede einzelne Person bis zum Tod dafür, dass sie Ardans armes Herz so verletzt haben. "Sowie du es jetzt auch immer geschafft hast, Ardan. Hör auf, dir das einreden zu lassen, was andere Idioten ohne Wissen gesagt haben. Ich habe mich in dich verliebt, noch bevor ich die Wahrheit wusste und ich will dich heiraten, jetzt wo ich es weiß. Wenn ich könnte, würde ich jetzt sofort einen Imam holen, damit wir heiraten können, Ardan. Wieso sagst du sowas?" Meine Augen füllen sich noch beim Reden wieder mit Tränen, dessen Trauer meine Stimme einnimmt. Es tut mir so unglaublich weh, dass selbst das Stechen meines Herzes mir lieber ist als die Tatsache seines Herzensleids. "Wie willst du jemanden heiraten wollen, der dich nicht beschützen kann und pflegebedürftig ist?" Ich kann nicht fassen, dass mein sonst so weitdenkender Ardan tief im Inneren so verletzlich und unsicher ist.

"Wieso stellst du es so dar, als ob ich jeden Tag attackiert werde? Du hast mich schon beschützt, du hast mir schon geholfen und wenn es mir etwas ausmachen würde, dass du ein wenig Hilfe im Alltag brauchst, würde ich nicht hier sein und deine Tränen wegwischen. Du siehst doch, dass ich mit dir fühle. Du siehst doch, dass ich trotz des Schicksalsschlags die Heirat erwähne. Heirate mich! Heirate mich, Ardan!" Ich bin so verzweifelt und überfordert, dass ich alles tun würde jetzt. Er hat es nicht verdient, in diesem jungen Alter mit diesem reinen Herz so schlecht behandelt zu werden. Er verdient jedes schöne Licht dieser Welt. Ich will nicht, dass es ihn den Rest seines Lebens so beeinflusst. Ardan senkt seinen Blick und dieses Mal wende ich nichts ein. Ich wische ihm seine Tränen weg, dann mir und lasse wieder Wasser über seine reine Haut fließen. Mal mehr, Mal weniger. Je nachdem, wie laut sein Schniefen ist. "Ich verstehe deine Unsicherheit, Ardan, aber du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich niemals solche Empfindungen gegen dich haben würde. Ist es kein Beweis, dass ich mich um dich kümmere und mit Zukunftsplänen ankomme?" "Ist es nicht erbärmlich für dich, dass du mir im Badezimmer einen indirekten Heiratsantrag machen musst? Willst du nicht lieber, dass ich es in gesunder Verfassung mache?", spottet er schon. "Ardan", setze ich fassungslos an. Was ist nur los mit ihm? Er war doch vielleicht vor gut 15 Minuten noch mein ruhiger, entspannter Ardan.

"Ich finde diesen Moment unfassbar intim und schön. Es zeigt Verbunden- und Verwundbarkeit. Es zeigt doch genau das, was sich die anderen immer versprechen. Nämlich, dass sie in guten und in schweren Zeiten füreinander da sind. Gerade jetzt halte ich doch dieses Versprechen ein." Ich kann verstehen, dass er sich so fühlt. Ich verstehe es wirklich, aber ich hoffe, dass ihm klar wird, dass mir all das nichts ausmacht, solange ich ihn habe. Seinerseits kommt keine Antwort mehr. Ich weiß, wie er sich fühlt. Ich weiß, dass es ihm gerade schwerfällt zu sprechen, aber ich verstehe nicht, wie er so von mir denken kann. Klar, diese gottverdammten Gestalten seiner Vergangenheit haben ihn extrem beeinflusst und geprägt, aber ... ich bin doch nicht sie. Aber ich muss bedenken, dass Traumata sich eben auf das gesamte Verhalten auswirken können, auch wenn ich als Person nie solche Dinge getan habe. "Es ist okay, Ardan", sage ich, als ich seine Haare erneut schamponiere. "Eine Beziehung beruht auf Pflege. Wir pflegen unsere Herzen, wir pflegen unsere Seelen. Ich finde es sehr schön, dass ich dich jetzt reinigen darf. Das ist etwas sehr Intimes. Es zeigt, wie sehr ich dich liebe." Und jeder weiterer Wille, es tun zu wollen, zeigt dir, wie weit meine Liebe für dich geht. Ich spüle ihm das Shampoo wieder aus den Haaren, greife nach seinem Schwamm und Duschgel. "So wie du mir gesagt hast, dass ich mich nicht schämen soll und brauche, bitte ich um dasselbe." Ich schniefe einmal und wische mir die Flüssigkeit meiner Nase an meinem Unterarm weg. "Und ich danke dir, dass ich diese Erfahrung machen darf, Ardan."

Ich lasse nach dem Einseifen das Wasser ablaufen und spüle seinen müden Körper mit dem Duschkopf ab, halte ihm daraufhin das Handtuch hin, als er sich langsam aufstellen will. "Ich hole dir deine Kleidung. Schaffst du das?" Er nickt. Ich halte ihm trotzdem meine Hände hin, bis er sicher auf dem Klodeckel sitzen kann, spurte in sein Zimmer und hole ihm die dickste Kleidung, die er besitzt, halte ihm schon die Boxershorts hin, die er mir aus der Hand nimmt. "Ich schaffe es alleine, Cana. Danke." Mich verletzt sein distanzierter Ton ein wenig, aber ich will es mir nicht anmerken lassen. Außerdem verstehe ich, dass er sich gerade nicht sonderlich toll fühlt. "Okay, ich warte im Zimmer auf dich." Nach seinem finalen Nicken lasse ich ihn auch endgültig alleine. Ich will ihn nicht bedrängen, auch wenn ich ihn nicht alleine lassen möchte. Ich weiß nur nicht, wie ich sonst handeln könnte, damit er sich auch wirklich geliebt und unterstützt fühlt. Ich entscheide mich dazu, in der Küche ein wenig Obst für ihn kleinzuschneiden, lächele, als ich Roxy an meinem Bein spüre. "Hast du dich ausgetobt?" Sie setzt sich vor mich hin, hechelt fröhlich und wedelt mit ihrer Route auf dem Boden herum. Ich lächele, schneide ein Stück Apfel für sie, über das Roxy sich so sehr freut, dass sie mich schon anspringt. "Der Rest ist aber für dein schönes Herrchen. Komm." Ich spüle das Messer ab und tapse mit Roxy die Treppen hoch zu Ardan, der sich schon hingelegt hat. Auch wenn er mich nur halbherzig anlächelt, freue ich mich. "Ich hab Obst für dich geschnitten."

Ardan rutscht für mich zurück, damit Platz für mich vorhanden ist. Noch will ich mich nicht hinlegen. Ich stelle den Teller neben ihm ab, fahre durch sein nasses Haar. "Geht es dir besser?" Ardan quittiert meine Frage mit einem Schulterzucken. "Ich denke, ich werde es den anderen am Freitag sagen", setze ich an. Seinerseits folgt keine Reaktion, aber immerhin nimmt er sich ein Stück Apfel zur Hand. "Und wenn du dich bereit fühlst, dann würden wir danach zu dir." "Nein." Ouh ... okay. Meine Mundwinkel zucken leicht betrübt. "Verständlich. Ich erzähle es aber erst Ramzi und dann dem Rest." Ardan nickt darauffolgend. So schön das Grün des Apfels und der Trauben sind, sie sind nicht annähernd so anschaulich wie das Grün seiner Augen. Ich fahre seine Kopfhaut nach. Ich will ihn gerne mit Worten beruhigen, aber ob das gerade hilft, ist eine andere Frage. Vielleicht braucht er die Ruhe gerade. Ich verbleibe in der Stille mit ihm, streichele Roxy, die sich zu uns aufs Bett setzt. Ich will ihm gerade ganz viele Fragen zur anstehenden Operation stellen, aber ich will ihn nicht weiter stressen. Wie stehen die Chancen mit dem Excor? Ist das Ding gut? Wie wird es danach sein? Was ist mit der Schule? Wird er sehr starke Schmerzen danach haben? Wie lange bleibt er auf der Intensivstation? "Ich freue mich, dich dann wiederzusehen", murmele ich. Von ihm kommt nichts. Ardan schaut stumm an die Decke.

"Ich werde so oft bei dir sein, wie du nur möchtest. Wir könnten ja im Sommer wieder ans Wasser." "Nein." Ouh ... schade. Dass er das so schnell und direkt sagt, verletzt mich ein wenig. "Wieso?" "Wer sagt, dass ich bis dahin wieder auf den Beinen bin?" "Und wenn du es bist?" Ardan antwortet nicht. Er atmet nur tief durch. "Okay", flüstere ich, trommele auf seinem Bauch herum. Wenn er nicht möchte oder kann, dann ist das okay. Es muss ja nicht sein. Es gibt ja viele andere Möglichkeiten und selbst wenn: Ardans Bett ist der liebste Ort für mich. "Ist es in Ordnung, wenn ich mich ein wenig ausruhe?" Ardan muss sich räuspern, weil seine Stimme so rau ist. Ich nicke. Er soll alles tun, was er möchte und was ihm guttut. "Möchtest du kein Obst mehr essen?" Er verneint es und mir steigen die Tränen auf. "Danke dir." "Okay." Dann essen Roxy und ich den Rest. Ich gebe ihm noch einen keuschen Kuss auf seine Lippen und decke ihn bis zum Hals zu, ehe ich mich aufsetze und Roxy zu mir locke, um mit ihr die letzten Stücke zu verspeisen. Danach höre ich, wie die Tür aufgeschlossen wird. Die Mutter ist wieder da, also entscheide ich mich dazu, ihr Gesellschaft zu leisten. Wir reden zu wenig miteinander, habe ich das Gefühl. Ich will die Bindung weiter stärken. Roxy bleibt bei Ardan, was ich auch so befürworte, während ich die Tür einen guten Spalt weit offen lasse und die Treppen zu ihr hinabsteige.

"Hallo, Liebes." Sie lächelt mich sanft an, was ich erwidere. "Möchtest du auch Nudeln?" Ich verneine es, als sie mir ihren Teller hinhält. "Hab schon genug gegessen, aber danke." "Nimm dir doch eine Kleinigkeit. Schläft Ardan?" Ich nicke und nehme mir ein Pingui aus dem Kühlschrank. "Er wollte sich ein wenig ausruhen. Ich habe ihm beim Waschen geholfen." Ich weiß gar nicht, wie einfach ich das sagen konnte. Früher hätte ich mich geschämt, es nur anzusetzen und jetzt füllt es mich mit Stolz, seiner Mutter davon zu erzählen, die mir ihr schönstes Lächeln schenkt. Ihre Tränen sorgen für Tränen bei mir. "Danke dir, Cana. Das beweist viel Stärke und Mut." Ich senke verlegen meinen Blick und wische mir verstohlen die kleinen Tränchen weg. "Und wie hat er sich dabei gefühlt?" "Er hatte Selbstzweifel", setze ich leise an. "Aber ich verstehe, wieso. Auch wenn es mir nicht gefällt, dass er auch so bei mir denkt. Es ist schwer, wenn man eine so belastete Vergangenheit hat." Ich wende meinen Blick wieder zu ihren grünen Augen. "Ich hoffe einfach nur, dass er bald Frieden und komplette Gesundheit erlangt. Er leidet viel zu lange. Es ist so schade, dass seine komplette Jugend davon beeinflusst wurde. Kann man sonst nichts tun?" Sie verneint es schniefend. "Nur hoffen und beten." Das tue ich in der letzten Zeit sehr oft. Soll all das Gute, was mir widerfahren wird auf ihn übertragen werden.

"Meine Mama grüßt dich und deinen Mann." "Du kannst ruhig Cihan sagen", schmunzelt sie. "Und mich kannst du auch Elif nennen." Ich weiß nicht wieso, aber ich finde es manchmal so unangenehm, Ältere beim Namen anzusprechen. Ich schäme mich dann. "Ich bemühe mich", murmele ich. Mir kommt das Schicksal der beiden wieder in den Sinn. Ardan hat mir erzählt, dass er keinen Kontakt zu seinen Großeltern mütterlicherseits hat. "Kann ich dir eine Frage stellen?" "Bitte, nur zu." Ihr Lächeln ermutigt mich. "Aber wenn es zu viel für dich ist, gib mir bitte Bescheid." Ich will ihr nicht zu nahetreten. Das kann sie bis heute noch belasten. Sie hebt abwinkend ihre Hand. "Stell mir so viele Fragen wie du möchtest, Liebes." Ich reibe mir ein wenig die Hände, um Mut zu fassen, weil ich mir sicher bin, dass es sie doch ein wenig treffen könnte. "Ardan hatte mir damals erzählt, dass ... also du und deine Eltern keinen Kontakt mehr habt." Ich pausiere, um ihr Zeit zu geben. Sie nickt, legt ihre Gabel ab. "Richtig. Meine Eltern sind extrem politisch und gegen die Nation meines Mannes. Ich war anfangs ehrlichgesagt auch etwas beeinflusst davon, aber mit der Zeit und der passenden Aufklärung und vor allem mit dem Kontakt zu Cihan und seiner Familie habe ich wirklich sehen können, wie eingeschränkt meine Eltern doch in ihrer Sichtweise sind. Für sie Stand die Nation an erster Stelle und für mich nicht." Wie schlimm es sein muss, von den Eltern verstoßen zu werden, nur weil man liebt.

"Und wie war das für dich?" "Ich kann es gar nicht richtig in Worte fassen. Ich wusste von Anfang an, dass meine Eltern es niemals akzeptieren würden. Kam ich von einem wunderschönen Treffen mit Cihan nach Hause und in den Nachrichten wurde irgendetwas zu Kurden berichtet, waren meine Eltern sofort dran, sie schlechtzureden und mich hat es verletzt. Das hat mir immer und immer wieder klargemacht, dass sie es niemals akzeptieren werden. Das setzt einem jungen Mädchen ganz schön zu." Oh und wie. So sehr, dass schon das Herz schmerzt. Ich nicke mitfühlend. Ich spüre sogar unangenehmen Trauerdruck auf meinem Nacken bei ihrer Erzählung. "Deshalb verstehe ich dein Problem auch, Cana. Es ist ein schweres Gefühl, wenn man weiß, dass man die Eltern enttäuschen könnte, aber ich bin mir sehr sicher, dass du nicht diese Probleme haben wirst. Wenn doch, stehe ich dir zur Seite, aber so wie ich Shana einschätze, würde sie ihre Kinder niemals alleine lassen." Elif drückt meine Hand unterstützend. Das habe ich letztens im Wohnzimmer auch sehen können, als sie Aiman beschützt hat. Mama hasst Drogen über alles und verachtet alles, was damit zusammenhängt und trotzdem hat sie ihn nicht alleine gelassen. "Und wie habt ihr es dann geschafft zu heiraten?" "Ich habe gesagt, dass ich woanders studieren will, um mich von ihm zu entfernen und über ihn wegzukommen. Dabei war es gelogen. Cihan und ich haben uns dazu entschlossen, in Hamburg während unseres Studiums gemeinsam in einer Wohnung zu leben ... in Ruhe." Ihr Gesicht verzieht sich leicht. Sie unterdrückt es sich, emotional zu werden, weshalb ich zu ihr auf rutsche und sie in den Arm nehme.

"Ich bin froh, dass ich Cihan und seine Familie hatte, aber ich hatte solche Angst, dass er mich verlässt. Ich bin eine Zeit lang wirklich verrückt geworden und hatte mit meinen frischen 20 Jahren mein erstes graues Haar." Sie schnieft lächelnd. "Aber es ist endlich vorbei. Mich schmerzt mehr meine damalige Angst als das Handeln meiner Eltern, wenn ich ehrlich bin. Dadurch weiß ich, dass ich niemals so handeln werde und ich habe erwachsener handeln können. Gott, wenn ich mich wieder daran erinnere, wie nervig ich als Teenager war, kann ich einiges verstehen." Sie wischt sich lächelnd über ihre Augen. "Ich musste viel Geduld aufweisen, auch wenn es eine relativ kurze Zeit war, aber es hatte viel Leid mit sich getragen. Jetzt bin ich glücklich mit meinen zwei Männern und meiner kleinen Roxy und nun auch mit dir." Ihre grünen Augen leuchten, als sie mir durchs Haar fährt. "Ist Roxy bei Ardan?" Ich nicke, atme einmal tief durch bei ihrer rührenden Erzählung. Ich bleibe noch bei ihr bis sie zu Ende isst, setze mich dann mit ihr ins Wohnzimmer bis ihr Mann kommt und ich vor Schüchternheit zu Ardan gehe, der schon wach ist und Roxy ausgiebig krault. Er wirkt nicht mehr so zerknirscht. Das ist gut. "Gut geschlafen?" Er nickt, schlägt die Bettdecke für mich zurück. Es ist echt warm hier. "Was hast du solange gemacht?" "Mich mit deiner Mama unterhalten. Hast du von mir geträumt?" "Selbstverständlich. In meinem Traum konntest du Mathe", neckt er mich und kriegt dafür als Strafe ein Knuffen gegen seinen Oberarm. "Das bleibt dann wohl nur ein Traum." "Wer weiß? Vielleicht werden Träume wahr." "Dieser sicher nicht", schmunzele ich. Es freut mich, dass es ihm besser geht. Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange, ehe ich mich an ihn schmiege.

"Magst du mich wirklich heiraten wollen oder hast du das nur aus Mitleid gesagt?" Ich ziehe voller Entgeisterung meine Augenbrauen zusammen, unterdrücke mir aber eine negative Reaktion, so sehr mich seine Frage jetzt auch überrumpelt und empört. Ich weiß, dass er negativ gestimmt ist durch seine Vergangenheit und will deshalb verständnisvoller an die Sache rangehen. Ihn geht das sehr ans Herz und ich will ihn nicht irgendwie reizen. "Natürlich, Ardan. Wir haben uns doch sogar schon Ringe angeschaut." Ich hätte nicht gedacht, dass ein so - nach außen - ausgeglichener heranwachsender Mann mit seiner Reife und seinem Intellekt doch so unsicher sein kann. "Ich will nur nicht, dass du dich verpflichtet fühlst." "Ardan, Schluss damit." Ich setze mich lächelnd auf seinen Schoß, fahre ihm durch sein braunes Haar. "Nenn mir einen schlüssigen Grund, nicht seine große und wahre Liebe heiraten zu wollen." Ich warte, obwohl ich die Antwort weiß. Sein verlegenes Lächeln ist Antwort genug. "Siehst du? Da gibt es auch sicherlich keine Matheformel, die dir ein logisches Ergebnis dazu liefern könnte. Wenn der Stein meines Eherings nicht der Farbe deiner Augen entspricht, will ich ihn nicht", schmunzele ich und entlocke ihm damit ein sanftes Auflachen. Wie gut es meinem Herzen doch tut, diese Lache zu hören. "Da hast du Recht, Mopsi." "Natürlich habe ich recht. Wann habe ich denn nicht recht?" "Nun ja, ein kleiner Einblick in deine Matheaufgaben-," Ich halte ihm sofort den Mund zu, sorge somit für sein sanftes Gelächter und Roxys aufmerksame Nase an meiner Hand.

"So gefällst du mir eher." Ich nehme lächelnd meine Hand von seinem Mund. "Soso, so gefalle ich Ihnen eher? Wem gebührt denn sonst Ihre charmante Aufmerksamkeit, liebste Mopsi?" Ich grinse frech. "Roxy." Seine grünen Augen gleiten zum goldenen Fell seiner Hündin. "Nehmen Sie mir unverhohlen meine Freundin weg? Das ist unverschämt, werte Roxy." Diese scheint absolut keinen Plan zu haben und legt sich viel lieber auf den Rücken, damit wir ihr den Bauch kraulen. "Wie glücklich sie doch ist", schmunzele ich. Roxy lässt sofort ihre Beine und ihre Route zappeln, als wir sie mit Streicheleinheiten belohnen. "Der Weg zum Glück besteht darin, sich um nichts zu sorgen, was sich unserem Einfluss entzieht und Roxy tut genau das." "Du solltest es auch tun", erwidere ich nun sanft. Ardans Lächeln wird kleiner, aber es ist noch da. "Das stimmt, aber es ist immer einfacher gesagt als getan." Das stimmt. "Wenigstens bist du jetzt glücklicher. Das ist doch schon Mal ein Anfang." "Das stimmt, Mopsi. Dich auf mir zu haben, ist ein sehr plausibler Grund, glücklich zu sein." Ich grinse sowohl verschmitzt als auch verlegen. So könnte ich Stunden, Tage und Jahre verbringen und ich sehne mich schon nach der Zeit, in der wir gemeinsam Leben und Lieben werden in unserer eigenen Wohnung. Wie sehr ich mich darauf freue und mir schon vorstelle, wie er die Literanzahl an Wandfarbe errechnet.

Der Besuch neigt sich leider dem Ende zu, aber immerhin kann ich Ardan in gefassterer Persönlichkeit verlassen. Ich verabschiede mich mit einem letzten Kuss, ehe ich den Eltern unten winke und aus dem Haus trete. Ich habe Ramzi vorhin geschrieben, dass er doch bitte rauskommen soll, weil ich etwas ansprechen will. Ich will es nicht weiter aufschieben. Außerdem kann es gut sein, dass Ramzi einige Tage braucht, bis er es wirklich verdaut. Er ist bei solchen Themen extrem sensibel. Ramzi wartet schon auf der Bank weiter weg von mir unter dem Laternenmast. Ich habe ihm nicht gesagt, worum es genau geht, aber ich habe ihm klargemacht, dass es nichts mit ihm persönlich zu tun hat. Ich sehe schon vom weiten, wie sein Bein vor Ungeduld wippt. Armer Ramzi. Ich beschleunige, damit er mich bemerkt und entspannen kann. "Hi." Ich umarme ihn, setze mich zu ihm auf die kühle Bank. "Ist das ein Geheimauftrag oder was ist los?" "Ein bisschen", schmunzele ich. Aus meinem Rucksack hole ich die geöffnete Packung Waffelröllchen und Schokobonstüte raus. Ardan hat nur wenig davon genommen, aber es hat mich zufriedengestellt. Solange es in Maßen ist, ist ja alles gut. "Ihr habt ohne mich genascht? Obwohl ich der leckerste Leckerbissen bin?" Ramzi hält sich empört die Hand an die Brust. Ich grinse, drücke ihm das Waffelröllchen gegen seine geschwätzigen Lippen. "Du redest zu viel." "Ich bin hübsch und darf das. Bei dir gilt das Gesetz nicht, wollte ich nur mal so anmerken", summt er süffisant am Ende, weshalb ich ihm meinen Ellbogen in die Seite stoße. "Iss jetzt, sonst verprügele ich dich!" "Ich mach ja schon, Schlägerbraut-Cana!", schluchzt er.

Voller Belustigung sehe ich Ramzi dabei zu, wie er sich ein neues Grinsen aus den Waffelröllchen herstellt. "Erzähl", nuschelt er. Ich halte meine Hände vor seinen Mund, als er zu kauen beginnt, um die fallenden Röllchen abzufangen. "Ich habe mit Ardan über eine sehr wichtige Sache geredet", setze ich an und halte ihm die restlichen Waffelröllchen hin, die er alle in seinen Mund stopft. "Es ist eine Sache, die er lange für sich behalten hat und langsam möchte er es zumindest ein Stück weit beichten. Er wollte aber zuerst, dass ich es dir erzähle und dass wir es dann gemeinsam den anderen erzählen." Er nickt stumm. "Aber wieso erzählt er es nicht?" "Das verstehst du, wenn ich es dir erzähle, aber kau erst zu Ende." Daraufhin kaut er so schnell, dass er sich verschluckt. Ich halte ihm schmunzelnd meine Wasserflasche hin, die er ext und sich dann seufzend zu mir wendet. "Ich bin bereit." Okay, wie genau fange ich damit an? "Du weißt ja, dass Ardan ... Diabetes hat." Ramzi nickt. "Das stimmt so gar nicht." "Wie?" Ich wusste, dass sich seine Augenbrauen zusammenziehen werden. "Es hat einen Grund, wieso er das gesagt hat. Ardan hat durch schlechte Erfahrungen in seiner Vergangenheit angefangen, über seine Gesundheit zu lügen." "Also ist er gar nicht krank?" Ich wünschte, Ramzi. Ich wünsche es mir so sehr. "Doch ... leider", flüstere ich. Mir steigen schon wieder die Tränen auf. "Er ist unfassbar krank, Ramzi." Ich senke meinen Blick, presse meine Lippen aufeinander, als mir die Tränen über die Wangen rollen. Ich hoffe so sehr, dass es ihm nach der Operation besser gehen wird.

"Was hat er?", fragt Ramzi zögernd. Ich spüre seinen Arm um mich. "Er ist Herzkrank." Ich erwidere Ramzis schockierten Blick. "KHK. Er braucht ein Spenderherz. Ihm geht es nicht gut, Ramzi." Fassungslosigkeit macht sich auf dem Gesicht meines besten Freundes breit, auch wenn mir die Tränen die Sicht versperren. Gott, es tut so weh, daran zu denken! Ich vergrabe schluchzend mein Gesicht in meinen kalten Händen. "Es geht ihm so schlecht, dass er mit einer Pumpe versorgt werden muss, weil sein Herz nicht noch länger warten kann. Er trägt die Angst in sich, dass ihn keiner mehr mögen würde, wenn sie es wüssten." Ich verfluche all die Gestalten bis zum Tod und darüber hinaus für das, was sie meinem Ardan angetan haben! Möge ihnen niemals dafür verziehen werden und mögen sie bis auf den letzten Herzschlag gerecht bestraft werden. Wegen ihnen geht es Ardan noch schlechter. Ich würde sie am liebsten umbringen! Ich atme tief durch, wische mir seufzend über meine Augen, als ich zu Ramzi sehe. Sein Mund steht offen, seine Augenbrauen sind wehleidig zusammengezogen. "Wie?", flüstert er. Ich sehe Tränen in seinen Augen aufsteigen. "Was meinst du, er braucht ein Spenderherz? Ist er deshalb nicht da? Ist er deshalb im Sportunterricht zusammengebrochen?" Ramzis Stimme bricht am Ende seiner Frage. Ich nicke, erinnere mich wieder an den Moment im Krankenhaus, wo er hinnehmend seiner Ärztin zugehört hat, die ihm wahrscheinlich erzählen musste, wie schlecht es ihm geht.

Ramzi dreht sein Gesicht weg von mir, doch ich sehe seinen Kiefer zittern. Ich sehe doch, wie angespannt er ist. Ich weiß, dass er weint. Dieses Mal lege ich ihm den Arm um die Schulter. "Wie lange ist das schon so?" "Seitdem er ein kleines Kind ist." "Und wieso denkt er, dass wir ihn nicht akzeptieren würden?", flüstert Ramzi. Mir steigen bei seinem Schicksalsschlag wieder die Tränen auf. "Weil er über seine ganze Schullaufbahn nicht akzeptiert wurde deshalb." Mein Gesicht verzieht sich wieder, als ich an Ardans Angst denke. Die Furcht, ihm würde von niemanden aus seiner Klasse geholfen werden, wenn er keine Luft mehr kriegen würde, weil ihn keiner mochte. Es tut mir so weh, dass ich ihn nicht schon früher kennenlernen durfte. Ich hätte ihn viel früher aus diesem Leid befreien können. "Welche Hurensöhne haben das getan?", fragt Ramzi aufgebraucht. Wenn ich es doch nur wüsste. "Scheiße! Ist ... wird es ihm wieder gutgehen?" Ramzi wischt sich schniefend mit dem Ärmel seiner Jacke seine Nase trocken, als er zu mir schaut. "Er kriegt diese Woche eine Pumpe transplantiert und muss über längere Zeit im Krankenhaus bleiben." "Und mit dieser Pumpe wird er wieder gesund?" Ich schüttele den Kopf, ganz zu Ramzis Bedauern. Es tut mir so leid, dass seine kurze Hoffnung zerstört wurde. "Es hilft ihm nur, die Zeit durchzustehen. Sein Zustand bessert sich zwar, aber das einzige Heilmittel quasi ist ein Spenderherz." "Deshalb hast du nach Organspenden gefragt?" Ich nicke. Das mindeste, was wir tun können, ist es Blut und Plasma zu spenden, um anderen zu helfen.

"Oh Gott!" Ramzi seufzt in seine Hände rein, als er sich vorbeugt. "Wann kann ich ihn besuchen? Ich habe ihn zu wenig besucht. Ich hätte mehr Zeit mit ihm verbringen sollen!" "Er freut sich über jede Interaktion. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel es ihm bedeutet." Ramzis Gesicht verzieht sich wieder weinend, weshalb ich ihn in den Arm nehme. "Wann kriegt er ein Herz?" "Das wissen wir nicht", murmele ich. Ich hoffe und bete jeden Tag, dass er endlich die erlösende Nachricht kriegt. "Scheiße!" Ramzi schnieft und atmet immer angestrengter. Ich spüre seine Tränen auf meine Haut fallen. "Niemals würde ich ihn vernachlässigen oder nicht mehr mögen. Gott, wie?!" Ich atme tief durch. Es freut mich trotz seiner Trauer, dass er so für Ardan empfindet. Obwohl ich nicht von diesem Schicksal persönlich betroffen bin, heilt es mich. "Ich gehe ihn morgen direkt besuchen. Von mir aus schwänze ich die Schule." Ramzi löst sich von mir, um sich sein gerötetes Gesicht trocken zu wischen. "Alter ... ich kann gerade nicht mehr." "Schon okay, Ramzi." Ich lächele ihn aufmunternd an, als ich ihm den Rücken reibe. "Ich habe einfach nichts verstanden. Die ganze Zeit über war er Herzkrank und ich Trottel hab nichts hinterfragt. Mein Onkel hat doch Diabetes!" "Es war entlastender für ihn, als niemand etwas wusste." "Was können wir für ihn tun?" "Aktuell nur unterstützen, wenn wir ihn wiedersehen dürfen. Wenn er sich bereit dazu fühlt." Und ich hoffe so sehr, dass er nicht in Selbstzweifel verfällt, sobald die Operation beendet ist. Ich hoffe so sehr, dass er sich nicht vor mir versteckt, weil er Angst hat, ich würde mich vor ihm ekeln.

Ich hoffe so sehr, dass er sein sensibles Herz nicht vor meinem versteckt.

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