Kapitel 107

Khalid - Better

"Tatsächlich." Es legt sich ein Lächeln um die Lippen seiner Mutter. "Das ist mein kleiner Ardan und daneben seine Zukünftige. Unglaublich! Ich erinnere mich gar nicht an diese Bilder." Das sind tatsächlich Ardan und ich. Ich kann das gar nicht glauben. Was ein Schicksal! Ich drücke ganz aufgeregt Ardans Hand. "Ich schaue mal in den Fotoalben nach. Vielleicht haben wir ja auch welche." "Hast du auch Nacktfotos von Baby-Ardan?" "Mopsi", murrt Ardan. Seine Mutter und ich kichern. "Ich hole sie dir. Hier." Sie reicht mir meine Fotos zurück und huscht ins Schlafzimmer für die Alben. Das ist so aufregend! "Anscheinend kennen wir uns ein Leben lang", lächelt er mich an. Er hat schon viel mehr Farbe im Gesicht und wirkt durch unser kleines Ausruhen auch wacher. "Wieso hast du mir nicht schon damals deine Liebe gestanden?", frage ich streng. Durch sein Grinsen muss ich mir meins unterdrücken. "Ich bin schüchtern, Mopsi. Du kannst ziemlich einschüchternd sein. Da brauchte ich meine Zeit." "So lange?" "So lange", wiederholt er. Ardan hört gar nicht mehr auf zu lächeln und mich steckt er damit an. Ich fange über seine Wangen. "Die tun schon vom Lächeln weh", erzählt er mir. "Positiv empfundener Schmerz." Das erinnert mich an eine seiner vergangenen Philosophien.

"Hast du irgendwelche Schmerzen?" Ich fahre mit meiner Hand seinen Hals hinab. "Nein. Hast du Beschwerden?" Ich verneine es zungenschnalzend. "Wo mag dein Bruder mich treffen wollen? Kommst du mit?" "Natürlich! Als ob ich dich alleine zu ihm lasse. Ich bin mir sicher, dass wir ins Restaurant gehen. Ich halte ihn zurück. Er ist ein lieber Kerl." "Ich hoffe, ich kriege seinen Segen", lächelt Ardan. Mein Daumen legt sich auf sein linkes Grübchen. "Kriegst du. Ich verprügele ihn sonst." "Soso. Mopsi scheint die Aggressive in der Familie zu sein." Ich nicke stolz. "Ich habe meinen Vater schon im Kleinkindalter mit einer Gabel attackiert." "Furchtlos selbst bei jemanden der bestimmt fünfmal so groß wie du warst in dem Moment." Er lacht leise. Ich nicke stolz. "Also solltest du es wagen, mir etwas antun zu wollen, kannst du dir sicher sein, dass du danach zählen musst, wie viele Zähne du verloren hast." "Dafür lässt sich sicherlich eine Formel einrichten. Die Mopsi-Formel. X stellt die fehlende Anzahl der Zähne da und das Sigma-," Ich drücke ihm seufzend meine Hand auf den Mund. Es ist verstörend, wie er alles mit Mathe verbindet. Die Mutter kommt wieder ins Zimmer, hebt amüsiert die Augenbrauen bei unserer Lage. "Belästigt mein Sohn dich wieder mit seiner Matheliebe?" "Es ist nicht in Worte zu fassen, wie schlimm es ist", schmunzele ich. Ardan und ich rutschen zur Mutter auf, die vor uns drei verschiedene Alben ablegt. Er und sie tauschen kurz Blicke aus, woraufhin sie ihn anlächelt. Ardan senkt den Blick auf die Alben, lächelt nur kurz. Ist alles okay?

"Hier, Cana. Das waren die ersten Bilder von meinem Wonneproppen. Er hatte so helle Haut. Auf manchen Bildern leuchtet sein Hintern deshalb", prustet sie los und ich gleich mit her. "Das muss ich sehen!" "Mopsi", murrt er neben mir. Diese Chance werde ich mir nicht entgehen lassen. Oh Gott, ist er süß! Als Kind hatte er hellbraunes Haar und schon damals wirkten seine Augen stechend grün. Ich muss sofort mitlächeln, als ich ihn auf einem Bild zahnlos in die Kamera lachen sehe. Er war verdammt blass als Kind. Blasser als Dilan und das heißt schon was. Als die Nacktbilder in der Wanne kommen, muss ich kichern. "Das Bild muss ich mir kopieren lassen." Ich kitzele Ardans weißes Popöchen auf dem Bild. Wie niedlich er auf dem Bauch liegt und seine kleinen Ärmchen ausstreckt. Über das ganze Album erduldet er meine Neckereien. Jetzt kann ich mir das nächste zur Hand nehmen. Dabei bemerke ich schon wieder, wie die beiden Blicke austauschen. Der, der Mutter ist dieses Mal ... keine Ahnung. Der Blick wirkt so, als ob sie sich bei Ardan absichern möchte. Ich frage ihn, wenn wir wieder alleine sind. Ardan ist auf den Bildern schon ein gutes Stück gewachsen, aber laut der Mutter noch kein Jahr alt ... und schon damals hat es anscheinend mit seiner Krankheit angefangen. Auf einem Bild trägt er eine Sauerstoffbrille, auf dem anderen liegt er in einem Krankenhausbettchen und neben ihm sein Vater. Im Hintergrund sehe ich die ganzen Monitore. Oh Mann. Das macht mich verdammt emotional.

In diesem Album ist er erschreckend oft im Krankenhaus oder zu Hause mit medizinischem Equipment ausgestattet. Jetzt verstehe ich auch, wieso er mir damals keine Bilder von sich zeigen wollte. Ardan hatte ja von Anfang an kein leichtes Leben. Oh Mann, meine Augen füllen sich mit Tränen. Ich wische sie mir weg, blättere immer weiter, hoffe auf Bilder, ohne medizinische Unterstützung. Es sind so wenige hier dabei. Selbst an seinem ersten Geburtstag muss er mit Sauerstoff versorgt werden. Oh Mann. Das macht mich ganz emotional. So kann ich gar nicht mehr die Bilder seines weißen Hinterns oder seines kleinen Würmchens genießen. Ich schniefe einmal, schaffe es aber doch einmal loszulachen, als ich Ardan in einem Eimer gefangen und grimmig dreinsehend erblicke. "Das muss echt verdammt schwer für euch gewesen sein", murmele ich. Die Mutter nickt wehleidig. Wie schlimm das für sie sein muss. "Ja, das war es", flüstert sie heiser. Ihr steigen schon wieder die Tränen auf, die meine Tränendrüsen auch wieder stimulieren. "Aber mein kleiner Schatz hat sich wacker durchgeschlagen. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn ..." Sie kann den Satz nicht einmal beenden, aber selbst der Ansatz reicht, damit ich Tränen vergieße. "Mama", seufzt Ardan. Er legt einen Arm um mich und um sie und auch Roxy bemüht sich, uns beide zu trösten. "Schon gut." Sie atmet einmal tief durch. Ich will nicht weinen, weil ich Angst habe, dass es Ardan belastet und ihn zu belasten ist das Letzte, was ich tun will und darf. "Ich gehe ins Wohnzimmer. Wenn was ist, ruft mich sofort. Ja?" Ich nicke lächelnd, drücke mich wieder an Ardan, als die Mutter mit Roxy die Tür schließt.

"Oh Mann", seufzt er. "Oh Mann", murmele ich. "Alles gut?" Ich nicke. Wenn ich in seinen Armen liegen darf und seinem sanften Herzschlag lauschen kann, beruhige ich mich. Wie gerne ich bei ihm übernachten würde. "Sollen wir wieder ein wenig für Mathe-," "Wenn du es noch einmal wagst, Ardan, dann ersticke ich dich mit deinem Kissen!" Ich drehe noch durch mit ihm und seinem Mathefetisch! "Schon gut, Mopsi", schmunzelt Ardan. Er wirkt so müde, so erschöpft. "Willst du schlafen?" "Nein, Mathe wäre mir lieber. Komm." Ich lasse mich nur widerwillig darauf ein. Ich sollte es aber positiv sehen, denn so verbessere ich meinen Schnitt und kann dabei seine Stimme und Nähe genießen. "Wenn du dieses Mal die Vorzeichen vertauschst oder vergisst, kriegst du Hiebe, verstanden?" Ehrlich gesagt will ich es sogar. Ich vermisse unsere Intimitäten, aber ich kann es nicht fordern. Das würde erschreckenderweise Lebensgefährlich für ihn werden. "Denkst du, wir können irgendwann Eislaufen?" "Wann magst du denn?" Ich zucke mit meinen Schultern. "Nur, wenn du gesundheitlich in der Lage dazu bist. Ich will nichts riskieren. Darfst du das eigentlich? Es ist kalt und dein Herz hat ja schon Probleme mit dem Pumpen. Am Ende wird dir extrem kalt und das wird dir sicherlich nicht guttun." Und alleine der Gedanke daran, wie er leidet und vor Schmerzen schreit, ruft mir die Tränen hervor. "Vielleicht, wenn ich mich dick genug-," "Nein, vergiss es! Wir kuscheln lieber", murre ich. Spinnt er, dass er es riskieren will?"

Nach dem intensiven Matheunterricht, ruhen wir uns aus. Ich liege an seiner Schulter und genieße seine sanften Krauleinheiten an meinem Rücken, während ich unter seinem Oberteil seinen Bauch nachfahre. "Es kann sein, dass ich bald operiert werde." Ich halte in meiner Bewegung inne. Wie? Wieso? "Warum?", hauche ich. Mir steigen schon Tränen auf, weshalb Ardan mir über meine Wange fährt. "Alles ist gut, Cana. Meine Ärzte sorgen sich um mich und weil keiner weiß, wann ich endlich das Spenderherz kriege und meine ... und es mir gerade nicht so gut geht, steigen wir auf ein unterstützendes System um." Das ist ... das ist gut, oder? Ich weiß es nicht. "Wann?" "Voraussichtlich diese Woche noch." "In der Herzklinik?" Ardan nickt. "Und wie lange bleibst du dort?" "Ich weiß es nicht. Je nachdem, wie lange ich brauche, bis es mir wieder gut geht." "Und ich darf dich nicht besuchen?" Dieser unangenehme Druck auf dem Nacken ist wieder zurück. "Anfangs denke ich nicht. Ich werde auf der Intensivstation betreut. Ich weiß es nicht, Cana, aber wein bitte nicht. Sobald es mir besser geht, gebe ich dir sofort Bescheid. Ich werde in unser Krankenhaus danach verlegt und dann kannst du mich immer besuchen kommen und von mir aus, mir sogar helfen, mich zu waschen", schmunzelt er. Wie kann er so locker dabeibleiben? Wie lange weiß er das? "Diese Woche schon?" Er nickt. "Das ist aktuell das Beste und einzige, was man für mich tun kann." "Aber ... was ist das?" "Eine Blutpumpe, die sich außerhalb befindet. Sie wird über Kanülen mit meinem Herzen verbunden." Ich kann mir gerade nichts darunter vorstellen. Ich bin gerade zu baff. Er erzählt mir erst jetzt, dass er bald operiert wird.

Ich drücke mich seufzend an ihn. Ich werde ihn jeden Tag bis zu seiner Operation besuchen kommen und sobald er sich bei mir meldet, renne ich ins Krankenhaus. "Wirst du es denn anderen sagen?" Er seufzt. "Ich weiß nicht ... vielleicht. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir immer noch unangenehm. Sollte ich mich dazu entscheiden, würde ich dich bitten, es zuerst Ramzi zu erzählen und dann den anderen. Ich weiß ganz genau, dass ich mich unwohl fühlen würde, wenn ich es tun würde." Ich tue alles für ihn. Das ist gar kein Problem. "Aber dann kannst du Amir doch gar nicht treffen." Das würde ich auch gar nicht wollen, wenn er weiterhin so schwach ist. "Das habe ich nicht bedacht." "Nicht schlimm. Er kann warten. Brauchst du etwas? Hast du Durst?" "Ein wenig." Ich setze mich sofort auf, hebe Ardans Kopf mit der einen Hand an und lege mit der anderen die Flasche an seinen Lippen. Wieso schmunzelt er jetzt so? Er soll sich auf das Trinken konzentrieren und mir nicht auf die Brust schauen! "Was gibt es zu glotzen?", murre ich, als er schmunzelnd die Flasche zurückschiebt. "Schöne Aussicht." "Ardan!", warne ich. Mir wird ganz heiß auf den Wangen, wenn er von meinen Brüsten spricht. "Was denn? Ich fühle mich gerade wie ein gestilltes Kind. Das gefällt mir." Oh Gott! Ich halte ihm prustend den Mund zu. "Denkst du, als Baby war ich schon zu dir hingezogen?" "Hoffe ich mal auch für dich! Wehe, du hast mit anderen Babys deinen Schnuller geteilt." "Niemals, meine Teuerste! Ihn habe ich immer nur für dich aufbewahrt, damit ich ihn für einen Ring eintauschen kann." Ein Ring. Das wäre schön. Aber Ardan muss zuerst heilen. Mein Lächeln wird sanfter. "Willst du noch trinken?" Ardan verneint es, schmiegt sein Gesicht an meinen Bauch.

"Wie stellst du dir deinen Ring vor?" Ich mag die Frage. "Ich weiß nicht. Vielleicht ein grüner Stein?" "Wieso grün?" "Ich mag deine Augenfarbe. Sie ist so intensiv." "Magst du direkt meinen Augapfel auf deinem Finger tragen?" "Wenn du noch einmal so die Stimmung ruinierst, dann passiert es ohne dein Einverständnis", drohe ich ihm. Ardan hat einen grauenhaften Humor. Wenigstens ist seine Lache wunderbar und beruhigend. "Ach, Mopsi. Du bringst mich immer wieder zum Lachen." Das ist das Mindeste, was ich gerade für dich tun kann, Ardan. Mein Blick fällt auf seine schönen Lippen. Ich habe sie vermisst. Ich habe ihn vermisst. Ich will wieder ihre Sanftheit auf meinen spüren, lege mich deshalb zu ihm. Mein Bein legt sich um seine Hüfte, zieht ihn näher an mich. Wie gerne ich wieder intim mit ihm werden möchte. "Was wünschst du dir, Cana?" Mein ganzer Körper kribbelt, wenn er meinen Namen so sanft und gleichzeitig so rau ausspricht. "Nur kurz", murmele ich, bevor ich seine Lippen mit meinen vereine. Wie sanft sie doch sind und wie perfekt sie mit meinen harmonieren. Und wie herrlich seine Finger sich plötzlich auf meiner Haut anfühlen. Mich umhüllt eine Energie, die mich lebhafter macht. Ich unterbreche den Kuss nicht, als ich mich auf seinen Schoß setze. Meine Hände fahren beschwingter über seinen Oberkörper, während sich meine Lippen inniger an seine schmiegen. Fühlt sich das gut an. Eine Hand gleitet zu seinen weichen, braunen Haaren, ziehen an ihnen. Meine Hüften bewegen sich ungeduldig.

"Cana", murmelt er in den Kuss hinein. Ich summe nur erwidernd ... aber er hört auf. Ouh ... Ardan braucht eine Pause. Oje, ich bin so blöd. Er atmet einmal tief durch. "Ich würde dich niemals unterbrechen wollen dabei, aber-," "Schon gut. Nicht schlimm. Ich hätte mich nicht direkt auf dich setzen müssen." Wenn ich ehrlich bin, ist mir das gerade ein wenig peinlich. Hoffentlich habe ich nichts irgendwie verschlimmert oder so. "Alles gut." Er tätschelt lächelnd meine Hüften, während er weiterhin kräftiger atmet. "Ich wollte es ja auch. Es ist gerade nur etwas anstrengend." Leider. Ich nicke, kann es mir nicht verkneifen, ihm noch einen kurzen Kuss zu geben. "Wird Mopsi wieder unersättlich?", schmunzelt er, woraufhin ich ihm noch einen Kuss gebe. "Unverschämt, diese kleine Diebin. Sie raubt mir noch meinen letzten Kuss." "Alles meins", lächele ich. Meine Hand fährt von seinen Haaren seine Wange hinab, fährt zögernd über seine Brust. Ich spüre es kaum. Da sich sein Ausdruck ändert, will ich schnell weitergleiten, aber er hält sie dort fest. "Nein, alles gut." Ardan drückt seine Hand auf meine. "Bald wird alles wieder gut. Es wird schon wieder." "Es wird schon wieder", wiederhole ich leise, spiele an dem silbernen Armband herum, das ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe. "Immer, wenn ich das kleine eingravierte Mopsi sehe, habe ich immer deine meckernde Stimme im Kopf." Ich lächele zeitgleich mit ihm. "Besser für dich." Er lacht auf. "Mopsi scheint wieder ihre verborgene, gefährliche Seite an einem armen, unschuldigen, wehrlosen Jungen rauszulassen." "Unschuldig?" Meine Augenbraue hebt sich schmunzelnd. "Wahrlich, Mopsi. Bin ich in deinen Augen nicht rein?" "Würde ein unschuldiger Junge ein Mädchen für Fehler in ihren Matheaufgaben versohlen?" Ich beiße mir grinsend auf die Unterlippe und auch er verkneift es sich. "Also früher war das gang und gäbe." Und jetzt schlägt er mir sogar auf den Hintern!

Ich kann ein wenig beruhigter nach Hause. Der Tag war schön, auch wenn ich mir noch Gedanken um ihn machen werde. Ich will ein wenig wegen dieser Blutpumpe recherchieren. Vielleicht weiß Mama ja was ... vorausgesetzt, sie ist zu Hause. Mein Bauch zieht sich ehrlich gesagt dabei aufgeregt zusammen. Wie wird es sein? Wir haben keine Möglichkeit gefunden, zu reden, aber ich weiß auch gar nicht, ob ich das will. Für mich ist es schon in Vergessenheit geraten irgendwie. Ich weiß nicht. Mal sehen, was sich ereignen wird. Ich trete durch das Tor und öffne die Tür, ziehe mir meine Schuhe aus. Rocky und Tyson begrüßen mich herzlich. "Baba?" Keine Reaktion. Anscheinend ist er noch auf der Arbeit. Ich stelle meine Tasche und Jacke in meinem Zimmer ab und will mir einen Pudding holen. Ich muss noch Amir sagen, dass das mit Ardan ins Wasser fällt. Das kann ich ja nach dem Essen machen. Ich folge Rocky in die Küche, bleibe aber verdutzt stehen. Mein Herz macht einen kurzen Aussetzer. "Mama", setze ich überrascht an. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie hier ist. Mir wird ganz heiß. "Hallo, Cana." Mama schiebt mir den Stuhl zurück, klopft einmal einladend auf den Sitz. Auf dem Tisch steht neben ihrer Tasse ein Schokopudding. Verrückt! Woher wusste sie das? Ich gehe langsam auf den Esstisch zu, setze mich zögernd. Verrückt, wie ich gerade noch an sie gedacht habe. Sie sieht gut aus. Gar nicht zerknirscht oder gestresst. Ihr roter Lippenstift harmoniert perfekt mit ihren Locken.

Gerade bin ich zu verlegen, um den Pudding zu essen. Was genau wird sie sagen? "Wie war die Schule?" "Gut", murmele ich. Ich kann ihren Blick nicht standhalten. Keine Ahnung wieso. Er schüchtert mich ein, obwohl sie ganz neutral schaut. "Wo warst du?" "Hab mit Ardan gelernt." Scheiße! Ich wollte das gar nicht sagen! Oh Gott. Ich nehme mir den Pudding zur Hand, um mich von meiner Panik abzulenken. Mist! Wieso habe ich das gesagt? Mir ist verdammt heiß. "Ach so. Wofür?" Oh Gott, pocht kein Herz heftig! "Mathe", murmele ich. Sie hakt nicht weiter nach, summt nur. "Er ist ein kleines Mathegenie bestimmt. Seine Eltern sind es ja immerhin. Cihan ist Ingenieur und Elif Landschaftsarchitektin." Sie kennt die Eltern ja ... oh Mann. Hoffentlich kann mich der Pudding ablenken. Oh Gott, ich bin so dankbar, dass ich mich damit nicht in eine unangenehme Lage geritten habe. Oh Gott, das war verdammt riskant! "Cana, sieh mich an." Oh Mann, ich kann aber gerade nicht. Ich drehe mich zu ihr, schaue aber immer noch auf meinen Pudding. Es macht mich nervös, jetzt bei ihr zu sitzen. "Es ist alles in Ordnung. Du brauchst dich nicht zu verspannen." Das sagt sich immer so leicht. Sie seufzt einmal, trinkt aus ihrer Tasse, während ich meinen Pudding in mich reinstopfe. "Du kriegst gleich Schluckauf." Bestimmt nicht. So schnell esse ich ja nicht. Und schon hickse ich auf! Wieso wird mir deshalb so warm? Ich verstehe es nicht! Mama lacht leise neben mir, aber wenigstens nimmt mir das ein wenig die Last ab. "Was ist eine Blutpumpe?"

Mamas Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Was genau meinst du?" "Es gibt wohl ein Gerät ... oder so, dass Herzkranken hilft, die Zeit bis zur Transplantation zu überstehen." "Ach, du meinst Excor! Ja, das Ding ist eine echte Erleichterung. Das kann eine Unterstützung für die linke, rechte oder beide Herzkammern sein, je nach Ausprägung der Herzinsuffizienz. Da ist ein Schlauch, über den Luft in die Luftkammer der Pumpe rein und raus kann. Dadurch entsteht eine pulsierende Bewegung und das sorgt dafür, dass Blut über Kanülen aus dem Körper in die blutführende Seite der Pumpe hinein und wieder zurück in den Körper gepumpt wird. Ein ganz interessantes Gerät und vor allem sehr hilfreich. Ich war bei der Anbringung an einem 5-Jährigen vor drei Jahren dabei." "Und hat er überlebt?" Mama nickt. "Er hat nach einem Jahr endlich die Erlösung auf ein Implantat bekommen und lebt wieder ein weniger eingeschränktes Leben." "Wieso weniger eingeschränkt?" "Weil du dein ganzes Leben lang Immunsuppressiva einnehmen musst." Ouh ... stimmt. Das heißt, dass Ardan danach trotzdem besonders gut auf sich aufpassen muss, weil es zu Einschränkungen der körpereigenen Abwehrmechanismen kommt und er somit sehr anfällig für Infektionen sein wird. Selbst dann hat der Arme keine Ruhe. "Aber wie kommst du darauf?" "Ach, nur so. Mein Biolehrer hat das heute angesprochen, weil jemanden ja ein Schweineherz transplantiert wurde." Mama summt. "Stimmt, das habe ich auch mitbekommen. Verrückt, was Gesetze alles für Möglichkeiten zulassen." Es wird wieder still. Mein Pudding ist bis auf die letzten Reste leer und Mama schaut mich wieder an.

Ihre Fingerknöchel fahren mir sanft über meine linke Wange. Es ist die Wange, die sie getroffen hat, als ich wütend wurde. Oh Mann, das macht mich verdammt emotional. Ich will gar nicht so stark reagieren, aber es sammelt sich so plötzlich Luft in meinem Brustkorb auf. "Komm her, Süße." Ich schlinge meine Arme um sie, erlaube es mir, mein Gesicht weinend zu verziehen. Und ich dachte, dass ich es gut wegstecken kann. "Es tut mir leid, Cana." "Mir auch", murmele ich halb atmend. Ich wusste nicht, dass es mich noch so bedrückt. Ich wusste nicht, dass es mir so zusetzt. "Ich wusste nicht, was Aiman hatte." Ich seufze schwer atmend nach meiner gemurmelten Aussage. Ich will doch nur, dass alles wieder gut wird. "Es wird schon wieder. Er bleibt solange bei meinen Eltern bis er sich bereit genug fühlt, zurückzukommen. Wir helfen ihm und dann geht es ihm wieder besser." Ich nicke, löse mich von ihr, um mir mit meinem Ärmel die Flüssigkeit von Auge und Nase wegzuwischen. Oh Mann, das habe ich echt gebraucht, ohne es zu wissen. "Alles gut?" Ich nicke, schniefe einmal, nehme dann dankend das Taschentuch von ihr an. "Wie war das Gespräch, das ihr nach unserer Auseinandersetzung geführt habt?" "Ziemlich angeregt. Dein Vater war verdammt sauer." Oje. "Hat er dich angeschrien?" Ich schiele vorsichtig zu ihr. Sie nickt ... wieso schmunzelt sie dabei? "Er hatte jedes Recht dazu. Immerhin habe ich seine Tochter verletzt. Ich habe gar nichts abgestritten. Ich hätte nicht so reagieren sollen, auch wenn deine Worte sehr verletzend waren." Ich nicke beschämt. Hätte ich das gewusst, hätte ich schneller reflektiert gehandelt und gedacht.

"Und wegen Samstag?" Mama seufzt. "Es wird schon wieder. Klar, ich bin sauer auf ihn, aber ... es ist schwer, wenn man einen so sensiblen Mann hat und sich auch noch um seine Kinder kümmern muss. Ich hab mir auch sorgen um ihn gemacht. Ich weiß, wie unruhig er dann schläft. Er schlief auf meiner Bettseite, oder?" Ich nicke und sie lächelt wieder. "Dass man sich streitet, ist normal. Wie man es austrägt, bestimmt über den weiteren Verlauf, aber denkt bitte niemals, dass ich dich hasse, wenn wir uns mal streiten. Dasselbe gilt für jeden anderen hier aus der Familie oder deinem Freundeskreis." Diesen Gedanken hatte ich vor allem, als Aiman sauer wurde. "Okay?" Ich nicke, genieße ihre Fingerknöchel, die mir sanft über meine Wange streichen. "Gut. Liegt dir noch etwas auf dem Herzen?" Ardan. "Wie kann man jemanden helfen, schneller ein Transplantat zu bekommen?" Mamas Augenbrauen ziehen sich stutzig zusammen. "Wie kommst du darauf?" Oh Mann. Ich will Ardans Geheimnis nicht weitererzählen, auch wenn es aus medizinischen Gründen ist. "Einfach so. Man muss ja schon lange warten." "Leider. Es spenden einfach zu wenige. Viele wissen nicht einmal, dass sie ihre Organe nach dem Tod spenden können. Manche haben auch extrem komische Vorstellungen und denken, man spendet an die Organmafia", gibt sie am Ende schmunzelnd von sich. Zeitgleich verdrehen sich unsere Augen. "Kann man als behandelnder Arzt da nicht irgendwie ein wenig pfuschen und den Patienten schlechter dastehen lassen? Keine Ahnung, ein wenig an den Herzraten oder so?" "Cana, die Regelungen dafür sind extrem streng und werden kontrolliert. Sollte es dazu kommen, dass der Betrug auffliegt, kann der Arzt oder die Ärztin ihre Lizenz sofort zerreißen. Von den weiteren Konsequenzen wollen wir gar nicht anfangen." Oh Mann.

Ich ziehe meine Knie an mein Kinn, seufze einmal tief. "Wieso fragst du?" Weil es Ardan extrem schlecht geht und er bald dieses Gerät bekommt, damit er die Zeit gut durchsteht und ich nicht will, dass er allzu sehr leidet und ich ihn unbedingt heiraten will. Ich zucke träge mit meinen Schultern. "Hat mich die Tage beschäftigt", murmele ich. Ich will Ardan schreiben. Was macht er gerade? "Sonst noch was?" Ich will ihn heiraten, auch wenn du es für viel zu früh hältst. Mama hat erst im letzten Abschnitt ihres Studiums geheiratet. Ich bin nicht einmal 20 und will es schon. Verrückt, wie sehr wir uns doch unterscheiden, obwohl ich wie sie sein möchte. "Nichts, nur Schule. "Kommst du gut zurecht?" Ich nicke, entspanne mich beim sanften Trommeln ihrer Nägel auf dem Tisch. "Ich lerne morgen wahrscheinlich wieder mit Ardan." Ich weiß nicht, woher ich den Mut habe, das zu sagen, aber es sorgt für keine negative Reaktion bei ihr. "Grüß ihn und seine Eltern schön von mir. Lernt ihr bei ihm?" Oh Mann, muss sie das fragen? Das macht mich ganz nervös. Ich hebe verlegen meine Schultern an, will nicht antworten, obwohl meine Reaktion ihr die Antwort schon sagt. "Okay, Cana. Es ist für die Schule und ich kann mir vorstellen, dass er durch seine schwankende Gesundheit öfter zu Hause bleiben muss. Sag es aber bloß nicht deinem Vater, sonst dreht er durch." Mama hat nichts dagegen? Ich bin baff! Wow! Ich schaue verdutzt zu ihr. Ihre roten Lippen heben sich schmunzelnd, sodass ihr rechtes Grübchen hervorsticht. Sie erlaubt es mir? Mama ist sonst total streng bei dem Thema Jungs ... aber sie denkt ja, dass wir nur lernen.

Ich will etwas ansetzen, als die Tür aufgeschlossen wird. Mamas Lächeln wird sanfter. Anhand ihrer Augen und ihrer aufrechten Haltung jetzt erkenne ich, dass es Baba ist, der durch den Flur läuft. Das macht mich nervös und ich bewundere Mama dafür, dass sie sich nichts anmerken lässt. Sie haben sich nur in der Konferenz wirklich gesehen. Wie sie jetzt reagieren werden, weiß ich nicht und ich bin extrem gespannt. Man sieht seinen Schatten schon im Wohnzimmer und dann die Ansätze seines schwarzen Mantels. Als er dann in die Küche schaut, bleibt sein Mund offen. Ich muss wegen dieser Reaktion lächeln. Mama erwidert seinen Blick mit ihrem sanften Lächeln. "Willst du dich auch zu uns gesellen?" Ich liebe die Aura, die von ihr ausgeht. Sie ist immer so verdammt sicher und in solchen Situationen so beherrscht, als ob sie nichts aus der Fassung bringen könnte. Ich bewundere sie so sehr und ich wünschte, ich wäre mehr wie sie, auch wenn ich mir eingestanden habe, dass ich nicht so bin, aber ich liebe die Kraft, die von ihr ausgeht. Baba tritt zu uns, lächelt mich sanft an, ehe er sich zwischen Mama und mir stellt. Er weiß nicht, was er zu tun hat, genau wie ich, als ich in die Küche getreten bin. "Willst du deine Frau nicht umarmen?", fragt Mama mit ihrem neckischen Schmunzeln. Als hätte er auf diese Frage gewartet, wirft er sich ihr erleichtert in die Arme, wie ich es vorhin gemacht habe. Verrückt, was für Parallelen hier auftreten. Mama erhebt sich lächelnd, umarmt Baba innig, während sie mir über meinen Kopf fährt. Mich überkommt jetzt immer stärker das Gefühl, Ardan schreiben zu wollen, weshalb ich mich von ihnen verabschiede und mir direkt mein Handy nehme. Er hat mir sogar geschrieben!

'Wie findest du diese Form?' Ardan hat mir wirklich einen Ring geschickt. Oh Gott! Ich hüpfe vor Freude in meinem Zimmer herum. Mein Herz schlägt wie verrückt!

'Er ist wunderschön', tippe ich grinsend und mustere das Bild des Rings. Die Fassung ist mit drei kleinen Kristallen zu einem Dreieck links und rechts geformt und als Hauptstein wird ein wunderschöner, grüner Kristall mit abgerundeten Ecken verwendet.

'Ich habe noch einige. Leg dich nicht sofort fest, Mopsi.' Ich könnte platzen vor Freude!

'Hier. Was ist mit dem?' Ich giggele freudig auf meinem Bett, kann mein Herz gar nicht beruhigen.

'Der ist auch schön.' Dieser Ring besitzt kleine Kristalle in der verdünnten Fassung. Ein außergewöhnlicheres Modell, aber es betont den grünen Hauptstein umso mehr.

'Der hier gefällt mir am meisten. Er ist eine gute Mischung aus den Beiden.' Ardan schickt mir das Bild des dritten Rings, der mir wirklich am meisten von den dreien gefällt. Er ist wunderschön.

'Ja, ich will', tippe ich grinsend. Der Ring ist wirklich verdammt schön. Er hat eine dickere Fassung, besitzt wie der erste Ring, dreieckig angeordnete Kristalle und einen ovalen, wunderschönen Kristall in Grün.

'Denkst du, man kann einen anderen Hauptstein auswählen?'

'Gefällt dir Grün doch nicht mehr?'

'Doch, aber es ist nicht so kräftig wie dein Grün. Ich will eins, das wirklich deiner Augenfarbe entspricht.'

'Kriegst du. Für dich gebe ich mein Auge her, Mopsi.' Oh Mann, er macht mich ganz verrückt! Ich giggele wieder wie verrückt, speichere den letzten Ring in meiner Galerie ab.

'Wie geht es dir?'

'Bin ein wenig müde, aber sonst will ich mich nicht beklagen und dir?'

'Viel besser. Mama und ich haben uns vertragen und deine Bilder haben mir noch mal alles versüßt.'

'Das hört sich wunderbar an. Ich freue mich für dich.'

'Ich habe ihr sogar gesagt, dass ich bei dir gelernt habe und morgen wieder bei dir lerne.' Für einen Moment antwortet er nicht.

'Und sie hat kein Problem damit? Mopsi, du bist ziemlich mutig! Vor dir sollte ich mich in Schutz nehmen, bevor du mich mit deinem Mut noch überwältigst und sonst was anstellst.' Ich grinse stolz.

'Da kannst du mal sehen, was ich alles kann.'

'Wahrlich ein mutiges Wesen mit schöner Natur.' Ich mag diesen Satz. Ich favorisiere ihn. Mein Grinsen tut schon weh vor Freude. Ich schicke ihm ein Foto davon.

'Danke für mein neues Hintergrundbild.' Oh Mann! Ich kreische glücklich auf. Jetzt habe ich noch einen favorisierten Satz.

'Sollen wir morgen wieder Spongebob gucken wie damals? Und die Nudeln essen?' Oh Mann, wie nostalgisch. Ich weiß noch, wie ich meinen Mund mit den Nudeln eingesaut habe und er mir dann mit einem Taschentuch die Mundwinkel saubergemacht hat. Gott, mein Herz füllt sich mit Schmetterlingen, als ich wieder daran denke.

'Putzt du mir dann wieder den Mund ab?'

'Ich tue alles, was du willst.'

'Den Satz speichere ich für meine Gelüste', tippe ich grinsend.

'Mopsi, Mopsi, Sie unsittliche kleine Blume. Welch empörende Gedanken Sie doch mit sich tragen und wie frivol Sie mein Leben dafür benutzen wollen.'

'Nur deinen Körper', entgegne ich kichernd.

'Warte nur bis morgen ab. Meine Hand wartet nur auf deine schöne Rundung.' Sie wartet auch auf dich.

'Ich freue mich auf Morgen.' Ich bin gerade so gut gelaunt, dass ich ihn mit ganz vielen roten Herzen vollbelade.

'Ich mich auch. Du tust mir gut, Cana. Verdammt gut sogar. Wenn ich jetzt ins Krankenhaus gehen würde für eine Kontrolluntersuchung, würden meine Ärzte erfreut feststellen, wie positiv meine Werte sind.' Oh Mann, das macht mich gerade echt emotional. Ich freue mich jetzt schon auf seinen nächsten, getippten Satz.

'Du bist das Mittel für ein befreites Leben.
Du füllst meine Seele mit dem Licht deiner Augen.'

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Wie findet ihr Canas Charakterentwicklung? Was haltet ihr von den Parallelen zu ihrer Mutter und ihren aktuellen Wünschen?

Und weil einige gefragt haben: Ja, auf Spotify gibt es auch zu Ardan und Cana eine Playlist. Gebt die Namen der beiden ein und sie sollte draufkommen, aber nicht alle Lieder sind drin, weil nicht alle auf Spotify vorhanden sind, aber die Reihenfolge ist so gut wie möglich gleich behalten.

- Helo

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