Kapitel 104

Lauv ft. Julia Michaels - There's No Way

So! Es ist raus! Es ist wirklich raus. Ich habe es gesagt. Ich habe mich wirklich getraut, es Amir zu beichten. Ich weiß nicht, ob es die Tatsache ist, dass er mir indirekt gesagt hat, dass ich mich ihm anvertrauen kann oder der Fakt, dass ich durch seine Verletztheit hoffe, dass seine Reaktion nicht allzu schlimm ausfällt. Er hat nicht das Recht, auszurasten. Er hat ... hatte selbst eine Beziehung und wenn er Ardan kennenlernen würde, wüsste er sofort, dass er mir guttut. Er darf mir nicht sauer deshalb sein! Amir sagt auch gerade nichts. Er schaut mich nur mit großen Augen an. Seine Augenbrauen sind zu seiner Stirn hochgezogen und seine Lippen sind gespalten. Ich kann verstehen, dass ihn das ein wenig überrumpelt, da ich auch immer am meisten mit Aiman von den Idealvorstellungen von Mama und Baba geschwärmt habe. Nur wusste ich nicht, dass die Liebe ein so starker Prinzipienbrecher ist. Ich wusste nicht, dass ich mich verliebe und sogar Sünden vor Liebe begehe. Ich wusste nicht, dass ich mir schon so schnell eine Zukunft als Verheiratete vorstelle. Ich konnte ja gar nicht erahnen, dass Gott andere Pläne mit mir vorhat. Gerade in diesem angespannten Moment weiß ich nicht, ob ich sie noch wertschätzen soll, weil vielleicht gleich eine unschöne Reaktion folgen wird oder ob ich den Drang zulassen soll, ihn aufzufordern, etwas zu sagen. Ich will es wissen. Diese Stille macht mich wahnsinnig!

"Kannst du etwas sagen? Bitte?" Meine Stimme ist nichts als ein kleines Hauchen im Auto. Ich bin so nervös. Hätte ich es nicht gesagt. Sein Satz hat mich nur so weichgemacht. Wer weiß, was er gleich sagen wird? Amir wendet seinen Blick nach vorne. Er seufzt einmal und fährt sich über sein Gesicht. "Cana", setzt er an. Mein Bauch zieht sich zusammen. Diese Aufregung spüre ich sonst immer auf Achterbahnen, aber gerade jetzt ist es nur mein Herz, welches sich auf einem befindet. "Seit wann?" Er klingt wirklich verblüfft. Vielleicht ist es auch Überforderung, weil er gerade erfahren hat, dass er betrogen und ausgebeutet wurde. "Seit meinem siebzehnten Geburtstag." "Wer weiß alles davon?" "Adam, Yasmin und Ramzi." "Deshalb wurdest du immer so emotional, nicht wahr?" Erwischt. Ich nicke bedrückt, senke meinen Blick auf meine Hände. Es wird wieder still. Ich habe gerade keine Angst, aber ich würde trotzdem viel lieber essen und mich ablenken, als sein Seufzen zu vernehmen. "Ich ... keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Danke für dein Vertrauen." Oh Mann, er bringt mich wirklich damit zum Weinen. Es erleichtert mich ungemein, dass er das so positiv aufnimmt, vor allem da unsere letzten Diskussionen deshalb nicht so gut verliefen. "Danke für dein Verständnis", murmele ich, spüre, wie mir die eine dicke Träne auf den Handrücken tropft. "Wer ist es?" Er klingt jetzt etwas gefasster. "Ardan." "Dein Schul- ... freund?" Ich nicke, höre wieder, wie er tief zu seufzen beginnt. "Okay, Cana."

Mein Blick bleibt gesenkt, selbst als er mich an sich drückt und mir einen Kuss auf den Scheitel setzt. Erst jetzt fließen mir mehr Tränen ab. Er kann sich gar nicht vorstellen, wie entlastend das für mich ist. "Erzähl es bitte niemanden", flüstere ich. "Versprochen, Cana. Ich will aber immer wissen, wenn du zu ihm gehst." Mein einverstandenes Summen klingt durch mein Wimmern so gebrochen. So leicht ging das? Wie verrückt es ist, dass mich die Angst so einschränkt. Ich löse mich von ihm, wische mir schniefend meine kleinen Tränen weg. Amir greift nach dem Essen auf dem Rücksitz. "Komm, lass uns essen. Wir beide müssen uns beruhigen." "Lösch sofort ihre Nummer und blockier sie." "Du kannst mir glauben, dass mein Po mehr durch mein Handy gerade massiert wird als durch die Sitzmassage-Funktion. Die lässt mich gerade nicht in Ruhe." Mein Mund verzieht sich belustigt, lockert sich aber genauso schnell. "Mach es sofort. Wehe, du verzeihst ihr!" Ich weiß doch, wie schwer es ist, jemanden zu verlassen, den man so gernhat. Ich sollte Ardan schreiben. Wie geht es ihm? "Ich blockiere sie vor deinen Augen sowie ich ihre Nummer lösche, okay? Komm, jetzt sogar." Amir zückt sein vibrierendes Handy. Ihr schäbiger Name taucht unzählige Male unter dem kleinen WhatsApp-Emblem oben links in der Ecke auf und jetzt ruft sie auch noch an! Amir drückt sie weg. Ich sehe das Zittern an seinem Daumen, als er auf ihre Nummer tippt, um diese zu blockieren und anschließend zu löschen.

Ich habe es geschafft. Ich habe mich tatsächlich dazu überwinden können, Amir davon zu beichten. Vor allem durch die Diskussion im Auto und seinen dummen Argumenten, dass er älter und ein Typ sei, war ich trotz meiner Wut eingeschüchtert. So sehr, dass ich gar nicht mehr wahrhaben wollte, wie verständnisvoll er doch ist. "Weißt du, was Aiman hat?", nuschele ich mit vollem Mund. "Keiner weiß das. Mama und Baba streiten sich deshalb die letzte Zeit sehr oft. Mir will er sich nicht öffnen, deshalb habe ich ihn in Ruhe gelassen. Er möchte sich auch nicht ablenken lassen." Oh Mann. Es wird wieder still. Man sieht Amir an, wie bedrückt er ist. Hoffentlich leidet er nicht allzu lange darunter. "Und wie ist er so?" Ich muss schmunzeln. "Der Beste. Er gibt mir am Dienstag Nachhilfe in Mathe." "Kann ich auch." "Er ist ein Mathegenie." "Ich hatte Mathe als LK." "Und er ist das Kind von Mathematikern. Ingenieur und Architektin. Danke, Amir, aber Ardan ist wirklich sehr begabt." Ich finde es ja süß, dass er eifersüchtig ist. Trotzdem will ich den Dienstag mit Ardan verbringen. "Warst du wegen ihm manchmal so schlecht gelaunt?" Oh Mann, das versteht er nicht. "Liebeskummer. Kennst du doch." Oh ... Mist. Ich presse entschuldigend meine Lippen aufeinander. Das hätte nicht unpassender sein können. "War nicht so gemeint", flüstere ich. Amir winkt nur ab.

"Zum Glück habe ich Mama nichts erzählt. Das wäre mir ehrlich gesagt peinlich, wenn ich ihr davon erzählt hätte, nur um ihr kurz danach zu sagen, dass Schluss ist. Das ist wahrscheinlich besser so. Ab sofort nehme ich dich immer mit. Du scheinst einen Sensor zu haben und dabei bin ich doch der Psychologe." "Manche haben eben dieses stark ausgeprägte Bauchgefühl." "Leider fällt das oft in der Liebe hier und dort weg." Amirs Stochern in seinem Essen wird aggressiver. Er seufzt frustriert. "Wie konnte ich so dumm sein? Wie konnte ich das nicht bemerken?" "Die Liebe macht blind. Da kann man leider sehr wenig dagegen machen." Und bis heute bin ich beeindruckt von Mamas Disziplin, so lange gegenüber Baba standhalten zu können, bis sie nach mehreren Jahren sich erst eingestanden hat, dass sie ihn liebt. Vor einiger Zeit wollte ich auch diese Sturheit, diese Standhaftigkeit, aber jetzt bin ich froh, dass ich früh eingesehen habe, Ardan zu lieben. Wo wäre er und wo wäre ist, wenn wir stumm aneinander vorbeigelaufen wären? Wo wäre er und wo wäre ich, wenn ich niemals schon so früh ungewollt Kontakt gesucht hätte? Opa meint immer, dass alles geschrieben steht, selbst der Partner! Niemand ist grundlos im Leben eines anderen. Die Person ist immer eine Belehrung oder eine Bereicherung. Und Ardan ist eine Bereicherung. Eine reine Seele, die meine mit seiner beschenkt. Ich hoffe, es geht ihm gut.

"Wann hast du es Adam erzählt?" "Gar nicht. Er wusste es schon. Er hat Ardan und mich einmal auf dem Weg ins Restaurant gesehen-," "Ihr seid in unser Restaurant gegangen?", fragt er mich ungläubig. Sein Zeigefinger zeigt nachhakend raus, damit ich auch ja richtig verstehe, dass auch wirklich die Kette meines verstorbenen Großvaters gemeint ist. "Ja." "Du bist ja mal extrem abenteuermutig!" Wie überwältigt er das von sich gibt. Als sei er ein 60-Jähriger, der das Internet neu entdeckt. Ich grinse verlegen. "Adam hat dann die Jungs woanders hingeführt, damit ich nicht durch Aiman in Schwierigkeiten komme und einmal, als ich traurig war, hat er es mir gesagt. Alle haben es immer nur durch Zufall erfahren und du bist der erste, dem ich es willkürlich erzählt habe. Sei stolz." Er hebt beeindruckt seine Hände. "Ich weiß ein gutes Geheimnis zu wahren." Und dafür bin ich ihm auch sehr dankbar. Wir essen wieder. Nebenbei lasse ich Musik laufen. Shawn Mendes beruhigt mich. "Ich bin ehrlich, ein kleines Bisschen stört es mich schon, dass du eine Beziehung hast, aber da kommt der große Bruder aus mir raus. Das darf ich." "Kriegst einen Gutschein, der dir das erlaubt", schmunzele ich kauend. "Und ich will ihn persönlich kennenlernen. Noch diesen Samstag." Wow! Das wird ein ganz schönes Abenteuer für Ardan. "Aber sei nett zu ihm", warne ich unterdrückt. Er darf Ardan weder traurig machen noch anderweitig stressen. Das tut seinem Herzen überhaupt nicht gut und ich gebe mir Schuld an seinen letzten Angina Pectoris Anfall vor der Sporthalle.

"Ich werde ihn unter die Lupe nehmen und ihn mit meinen psychologischen Kenntnissen entlarven." "Ardan ist ein wahrer Engel ohne Hintergedanken, da kannst du mir vertrauen." Mich stört es, dass er so von ihm denkt. Ardan ist die friedlichste Seele, die ich kenne. Er würde nicht einmal einer Ameise etwas zuleide tun. "Ich will einfach nur nicht, dass dir das passiert, was mir gerade passiert ist." Oh ... ich sollte nachsichtiger sein. Meine Lippen zucken wieder bemitleidend. "Ich verstehe dich, aber bei ihm brauchst du dir diese Sorgen wirklich nicht zu machen. Sei bitte nett zu ihm. Er verdient es nicht, böse behandelt zu werden." Wenn ich daran denke, wie ich ihn ungewollt zur Anfangszeit behandelt habe und was für Sorgen er sich wohl gemacht haben muss, werden meine Augen ganz glasig. "Ich gebe mein Bestes", murmelt er. Amir wird die nächsten Tage viel zu bewältigen haben und Mama wird viel nachhaken, wenn sie nicht wieder nur mit Aiman beschäftigt ist. Ardan und ich haben viel zu bereden, wenn er dann willig ist, zu sprechen. Ich kann verstehen, dass er sich ein wenig angegriffen gefühlt hat bei unserem letzten Gespräch bei ihm zu Hause, aber ich würde es nie in Erwägung ziehen, ihn zu verlassen! Und dann war da wieder diese Frage, ob er mir einen Wunsch erfüllen kann ... und dann ging alles wieder den Bach runter. Ich darf nicht so harsch zu ihm sein. Nie wieder darf ich das. Sein Herz macht das nicht mit. Ihm geht nur noch mehr Lebensenergie damit futsch. Wir werden uns einen schönen Tag machen. Ohne Stress, mit viel Gefühl und Vorsicht.

"Gibt es diese Sarah überhaupt?" Oh Mann, mir ist es so peinlich, dass er all meine Lügen jetzt aufdeckt. Ich verneine es kopfschüttelnd. "Wieso hast du nie gesagt, dass du zu Yasmin oder Dilan oder so gehst?" "Weil ihr alle Kontakt zueinander habt und eine Frage alles auffliegen lassen würde." "Ziemlich schlau, muss ich zugeben", erwidert er schmunzelnd. Ich hoffe, ich kann ihn damit ablenken. "Gab es nur Delin in deinem Leben?" "Mit der Zeit entwickelt man nur Augen für eine Person. Gott, das kratzt wirklich an meinem Ego! Ich hätte so viele Frauen haben können, Cana!" Ich weiß zwar, was er mir damit sagen will, aber es ist trotzdem sehr überheblich und Mama würde ihn deshalb tadeln. Da ich ihn aber nicht allzu sehr bremsen will, ziehe ich nur warnend die Augenbraue hoch. "Du weiß, wie ich das meine." "Ja, schon. Klingt trotzdem sehr nach dem, was Mama niemals wollen würde." "Ich weiß und ich finde es ja gut so, dass sie uns nicht zu Playern mutieren lassen will, aber wenn man wirklich eine ... ohne es zu derb klingen zu lassen, Auswahl an wirklich schönen und wunderbaren Frauen hat und sich für eine Verdorbene entscheidet, obwohl man so viel Glück haben könnte, kratzt es an einem. Vielleicht sollte ich einfach die Moral daraus ziehen. Ihre Schönheit hat mich wirklich geblendet, das muss ich zugeben." "Guck? Du hast den Fehler erkannt und weißt, dass es beim nächsten Mal hoffentlich nicht so laufen wird." Er nickt.

Wir verweilen bis kurz vor Mitternacht noch im Auto, fahren durch die Stadt, versuchen uns beide mit Musik und guten Sprüchen abzulenken, ehe wir wieder vor dem Haus sind. "Danke dir, Cana. Du hast mich wirklich aufgebaut." Ich werde an seine Brust gedrückt, darf noch mehr Freude und Entlastung spüren, als er mir einen Kuss auf den Scheitel gibt. "Immer wieder gerne. Ich weiß doch, wie wichtig eine Bezugsperson ist." Ich spüre die Konsequenzen ja leider immer im Herzen. Wir treten vor die Haustür, als uns abgedämpftes Schreien entgegenkommt. Es wird diskutiert. Amir und ich schauen uns fragend an. "Mach die Tür schnell auf!" Amir ist genauso angespannt wie ich, als wir das laute Gespräch unserer Eltern mitkriegen. Selbst die Hunde bellen. Als wir Adam dann schockiert auf uns zurennen sehen, wissen wir, dass wir uns fürchten sollten. "Geh weg von ihm!", schreit meine Mutter. Mein Herz rutscht mir in die Hose. Amir rennt rein. "Was ist los?" Ich will nicht eintreten. Ich habe Angst. Adams Blick lässt mich hier verdattert stehen. Ich will nicht rein, aber ich will auch etwas dagegen tun. Meine Schuhe werden zitternd von meinen Fingern geöffnet. Mein Herz rast, als ich Mama schniefen höre. Sie weint. Wieso weint sie? "Was ist passiert?", flüstere ich. Adam fährt sich überfordert über sein Gesicht. "Aiman." Was hat er gemacht? Ich laufe mit ihm ins Wohnzimmer, spüre die Anspannung, die uns alle bedrückt.

Mamas Augen sind ganz verweint, von Aimans katastrophalen Ausdruck will ich gar nicht sprechen und Babas Wut verschlägt mir die Sprache. Amir muss ihn schon zurückhalten. Es hat den Anschein, dass er auf Aiman losgehen will, der von Mama an sich gedrückt wird. "Das ist doch deine schuld!" "Denkst du, deine Worte haben keine Macht, Can? Sieh nur, was du angestellt hast!" "Was bleibt mir für eine Wahl, wenn dein Sohn zum Junkie wird?" Junkie? Aiman nimmt Drogen? Mir bleibt die Luft weg. Aiman? Niemals. Nein. Das kann gar nicht stimmen. Aiman ist von uns allen der Autoritärste. Wenn sich einer an Regeln hält, dann er. "Dass du es wagst, über seinen Fehler zu urteilen, obwohl du selbst keine reine Weste hast, ist schwach, Can. Du weißt, wie schlimm du warst. Wag es nicht, über meinen Sohn zu urteilen, weil ich meine Fehler nicht gesehen habe." Was hat Mama denn getan? "Solange er sich nicht bessert, bleibt er nicht im Haus." "Baba", hauche ich fassungslos. Ich traue mich gar nicht zu sprechen, aber das Ganze ist katastrophal. So kenne ich ihn gar nicht. Ich kenne diese Situation so überhaupt nicht. "Es ist nicht nur dein Haus, aber wenn du ihn nicht hier haben willst, musst du mit der Konsequenz leben, dass auch ich nicht bleiben werde." Baba wird wieder wütender, will sich von Amir losreißen, sodass Adam ihm zur Hilfe eilen muss. Mein Körper füllt sich mit Panik. Ich muss etwas tun, aber ich kann nicht!

"Du stellst dich auf die Seite eines Kiffers?" "Und wenn ich mich für ihn scheiden lassen muss! Hör nicht hin, Aiman. Wir fahren zu meiner Mutter. Komm." Mein Bauch zieht sich zusammen. Sie würden sich nicht scheiden lassen, oder? Ich trete fassungslos zur Seite, erwidere ihren verletzten Blick, als sie mit Aiman in den Flur tritt, der seinen Blick nicht ein einziges Mal anheben will. Am besten schließe ich die Wohnzimmertür, damit Aiman nicht noch mehr hören muss. Wir vier schweigen. Es liegt ein so unfassbar beklemmendes Gefühl in der Luft, dass ich schon Schmerzen beim Schlucken verspüre. Solche Streitereien kenne ich nicht. Ich kenne uns nur als die Familie, die perfekte Familie. Wird sie jetzt auseinanderfallen? Amir lässt langsam von Baba ab, genau wie Adam. Der Wohnzimmerzisch ist verschoben. Wie lange ging die Diskussion? "Was ist passiert?", traut sich Amir als erster zu fragen. Baba bleibt angespannt, sein Blick ist auf das Familienfoto an der Wand gerichtet. Aiman nimmt Drogen, aber wieso? Seit wann? Wie kam es dazu? Er und Adam haben denselben Freundeskreis. Adam würde doch dagegen etwas tun, wenn dort mit Drogen hantiert wird. Ich kann es mir nicht erklären. Adam schiebt seufzend den Wohnzimmertisch wieder zurück, ordnet die Kleinigkeiten, die darauf platziert waren. Baba ist extrem wütend.

Mich verunsichert es, dass er seine Autoschlüssel nimmt und noch mehr, dass ihn die Jungs aufhalten. "Lasst mich. Ich folge ihnen nicht." Sein Ton ist beherrscht, auch wenn er kurz vorm Platzen ist. "Wohin dann?", fragt Amir. "Training." "Gut. Ich komme mit. Ich muss auch Dampf ablassen." "Beeil dich." Also bleiben nur Adam und ich alleine. Als Amir kontrolliert, ob Mama und Aiman weg sind, gehen auch Amir und Baba los. Nur wir sind noch hier. "Scheiße!", flüstert Adam erschöpft. Wir lassen uns auf dem Sofa nieder. "Ich hatte heute schon ein extrem ungutes Gefühl und vor allem, als ich bemerkt habe, wie angespannt Aiman ist, habe ich mich nur noch unwohler gefühlt. Als hätte Baba mich gerade angeschrien." Wie demütigend das wohl für Aiman war. "Meinst du, sie lassen sich wirklich scheiden?", flüstere ich. "Nein", beruhigt Adam mich. "Wann hat das angefangen?" "Vielleicht vor zwanzig Minuten? Ich war oben, wollte aufs Klo, als ich die Stimmen erst richtig wahrgenommen habe und ab dann ging es komplett bergab. Als ich dann Gegenstände verschieben und knallen gehört habe, bin ich runtergekommen. Als Baba mich angeguckt hat, hab ich mir fast in die Hosen gemacht. Er dachte, ich hätte auch etwas mit Drogen zu tun." "Wusstest du das also?" "Nein, aber er hat mich direkt gefragt, ob ich kiffe oder sonst was zu mir nehme. Obwohl ich nichts damit am Hut habe, habe ich gezittert. Diese Wut und Mamas Tränen und Aiman so verängstigt ... ich war überfordert. Ich hatte Angst, dass er jemanden etwas antut." Aber Baba würde das doch niemals tun.

Wie würde er dann reagieren, wenn er von Ardan und mir wüsste? Würde er mich auch so verachten? Würde er mir auch solche Beleidigungen an den Kopf werfen und mich vor der ganzen Familie bloßstellen? Mir wird ganz unwohl bei dem Gedanken. Gerade macht es mir mehr Angst, es ihm zu erzählen als Mama, obwohl er immer zu mir meinte, dass er mir nicht sauer wäre. "Ich habe es heute Amir erzählt." "Von Ardan und dir?" Ich nicke. "Und?" "Er hat es gut aufgenommen." Adam nickt, lächelt aufmunternd. "Wie kam es dazu? Ihr habt euch mit Delin getroffen, oder?" An die Schlampe will ich gar nicht mehr denken. "Die ist Geschichte", erwidere ich schroff. "Wie?" Adam wirkt ganz verdutzt von meiner Aussage. "Doch. War eine geldgeile Schlampe." "Als ob!" "Kannst du mir glauben. Als wir dann im Auto saßen und er so traurig war und mir gesagt hat, dass er hinter mir stehen würde, falls mir so etwas passieren sollte, hab ich es ihm einfach gesagt." Seine Augen sind ganz groß. "Krass." Krass? Ich pruste. "Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?" Ihm entweicht ein tiefes Seufzen. "Ich bin immer noch überfordert mit der Sache. Ich will mich einfach nur noch ablenken. Wäre ich mal mit den beiden ins Fitnessstudio gefahren." "Wir können uns ja alte Aufnahmen ansehen." Die werden uns sicherlich besänftigen.

Es wird uns beiden guttun, jetzt einen kleinen Filmeabend zu starten, um den ganzen Trubel zu verdrängen. Wir haben beide Mama und Aiman geschrieben, um zu wissen, ob es ihnen gutgeht. Es erschreckt mich immer noch, wie gravierend das Ganze war. Wie kam Baba dahinter? Wieso hat Aiman angefangen, Drogen zu nehmen? Wann kommen sie wieder? Wie lange braucht Baba, um sich zu beruhigen? Wie lange braucht es, bis alles wieder gut wird? Ich bete, dass sich alles wieder schnell einklinkt ... und ich bete, dass es Ardan wieder gutgehen wird. Ich sollte wirklich wieder mit dem Beten anfangen. Solange Adam die Snacks vorbereitet, schreibe ich Ardan, ob es ihn gutgeht. Vielleicht schläft er schon. Wir haben nach Mitternacht und er ist sicherlich erschöpft. Morgen gehen Adam und ich ihn wieder besuchen. Ob Aiman mitkommt, wissen wir nicht. Ardan wäre ihm aber auch nicht wütend, selbst wenn er den Grund nicht kennt. Ich hoffe einfach nur, dass bald alles wieder gut wird. Ich suche die Filmmaterialien, lenke mich aber währenddessen mit unseren Baby-Fotoalben ab. Mama hat wahrscheinlich hunderte von Euros ausgegeben, so viele Alben ich alleine habe. Mama hatte immer eine Vorliebe dafür, mich in kleine Brautkleider zu schmeißen, wie ich gerade bemerke. Ich bin sie so lange nicht mehr durchgegangen, stoße aber erst heute auf eine besonders neue Entdeckung. Ich und ein anderes Baby nebeneinander.

Und er hat grüne Augen.

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Und? Was sagt ihr?

- Helo

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