Kapitel 103

Sasha Sloan - Dancing With Your Ghost

Es vergehen Stunden, aber Mama und Baba sind immer noch im Krankenhaus. Es ist schon 20:00 Uhr und das bereitet mir ein mulmiges Gefühl, da Mama bald nach Hause kommen sollte, falls sie keine Überstunden macht. Ich kann mir nicht ausmalen, wie die Situation sein wird. Keiner weiß etwas über das, was Mama, Baba und Aiman so beschäftigt und es juckt mir in den Fingern, es herauszufinden. Hat Aiman irgendeine Anzeige bekommen? So sehr mich das auch interessiert, meine Gedanken schweifen zu Ardan. Ihm geht es hoffentlich bald wieder gut. Nur muss er seinen Lebenstil mehr eingrenzen. Wird er krankgeschrieben? Wird er das mit der Schule hinkriegen? Mathe und Physik kann er sowieso ausgezeichnet. Er ist ein echt fleißiger Junge, nur hakt es bei der Biologie. Wir wollen die versäumten Tage der Distanz nachholen. Das heißt, wir werden wieder miteinander sein! Diese Erkenntnis macht mich unfassbar glücklich. Was werden wir wohl machen? Oh Mann, wir können von mir aus in seinem Bett liegen und ich wäre glücklich. Das Glücksgefühl verwandelt sich jedoch abrupt in Nervosität um, als jemanden die Haustür aufriegelt. Mama und Baba sind da. Ich muss schlucken. Nur Rocky und ich sind im Wohnzimmer und dieser geht gerade die beiden im Flur begrüßen. Mama hört sich gutgelaunt an - wie immer, wenn sie die Hunde sieht. Soll ich irgendwas sagen? Ich will, aber irgendwie traue ich mich nicht. Ich warte einfach auf ihren Schritt und passe mich an.

"Sind alle zu Hause?", höre ich Babas raue Stimme fragen. "Sollten sie." Mein Herz schlägt so schwer, als ich sie sehe. Mir wird ganz warm, als ich sie sehe. Mama wirkt müde, ihre Haare sehen in diesem Dutt gut aus. "Hi, Süße", seufzt sie erschöpft. Und wieder wird mir ganz warm. Dieser Satz ist genauso schön wie der von Ardan heute, als er mich endlich wieder Mopsi genannt hat. "Hallo, Mama", murmele ich. Der Kosename hat mich ein wenig perplex gemacht, weshalb ich sie mit offenem Mund anschaue. "Habt ihr alle gegessen?", fragt sie auf ihrem Weg in die Küche. Ich bestätige es ihr und schaue Baba an, der mich fragend ansieht. Er weiß ja gar nicht, wie ich mich gerade fühle. Das weiß niemand. Es fühlt sich so komisch an, dass sich meine Sorgen so schnell in Luft auflösen. Ich sollte vielleicht nicht zu sehr hoffen, Mama hat ja nur Süße zu mir gesagt, aber das heißt doch was. Sie hat mir immerhin die letzten Tage keine Kosenamen gegeben. Soll ich zu den beiden in die Küche? Ich bin mir echt unsicher. Aber ich sollte es tun. Zögernd erhebe ich mich und lasse mich neben Mama nieder. Baba lächelt mich an, was ich erwidere. "Wie war dein Tag?", fragt er mich. Mich hätte es echt gefreut, wenn es von Mama kommen würde, da es mir mehr Sicherheit geben würde. "Ganz gut und bei euch?" "Ganz nett. Musste mich um Papierkram kümmern. Machst du in der Oberstufe eigentlich ein Praktikum?" Ich zucke mit den Schultern. "Bis jetzt habe ich nichts mitbekommen, aber ich gebe dir dann rechtzeitig Bescheid." Dass Mama nichts sagt, stört mich. Ich dachte, sie erzählt auch etwas von ihrem Tag.

"Heute war es erstaunlich ruhig auf der Allgemeinen. Selbst die OPs waren entspannend." Ich sollte nicht so voreingenommen sein, aber ich bin so ungeduldig! Ich will, dass alles wieder wie vor der Auseinandersetzung ist. Ich nicke als Antwort. Mir wird erst jetzt klar, dass Mama auf der Kardio-Station hätte sein können und Ardan und mich hätte erwischen können. Daraus schlussfolgere ich, dass ich das nächste Mal mehr Acht geben sollte. Aber ob sie etwas erahnt hat? Ich hoffe nicht. Ich frage mich immer noch, wie das Gespräch zwischen den beiden war. "Ruf gleich die anderen runter ins Wohnzimmer, falls keiner lernen muss", sagt Baba zu mir. "Aiman muss lernen." Und sofort verfestigt sich Babas Griff um den Löffel. Da bekomme ich ein mulmiges Gefühl, obwohl es mich nicht betrifft. "Sicher, dass er lernen muss?" Ich weiß, dass Baba sich gerade echt zurückhält. Sein zuckender Kiefer spricht Bände. Was kann es nur sein? "Ja, Can. Er ist zurzeit unkonzentriert und ich habe ihm empfohlen, jetzt schon einen Lernplan zu erstellen und die Themen zu sortieren. Lass ihn in Ruhe." Oje, Mamas Ton ist warnend. Irgendetwas ist da gewaltig schiefgelaufen mit Aiman. Ich kann mir nur nicht erklären, was es ist. Wann ich wohl alleine mit Mama bin? Irgendwie kommt mir das, was noch geklärt werden muss gleichzeitig so viel und so wenig vor. Mir kommt alles so harmonisch und gleichzeitig so angespannt vor. Irgendetwas ist doch da, was ich außer Acht gelassen habe.

Baba schnaubt nur als Antwort auf Mamas apodiktische Forderung, und schon ist es still. Unangenehm still. Verdammt, was hat Aiman gemacht? Soll ich fragen? Die Stille ist so erdrückend, dass ich mich ehrlich gesagt nicht traue, zum Reden anzusetzen. "Ich ... gehe auf mein Zimmer", murmele ich. Es ist verdammt unangenehm geworden, seitdem die beiden sich am liebsten zerfleischen wollen. Ohne auf eine Antwort zu warten, steige ich die Treppen auf und lasse mich auf meinem Bett nieder. Dabei höre ich Adam, der in seinem Badezimmer singt. Und was mache ich jetzt? Ich weiß es nicht. Meine Gedanken schweifen von Ardan zu Ramzi und zurück. Ardan, Ramzi, Ardan, Ramzi. Ramzi weiß nun mit Yasmin als Einziger von meiner Beziehung, außer mir weiß niemand von unseren Freunden von Ardans Schicksal, dass gerade für ein unangenehmes Bauchziehen sorgt. Aber es geht ihm gut - laut seiner Aussage. Er muss sich nur wieder ein wenig einschränken. Wie er wohl am Anfang damit klargekommen ist? Ich erinnere mich noch daran, wie Ardan mir erzählte, wie sehr er Essen liebt. Mit Herz und Seele tut er das. Ich erschaudere, als mir wieder die vielen Momente in den Sinn kommen, in denen wir - und vor allem Ardan - mit dem Wort Herz jongliert haben. Und ich Ahnungslose habe gedacht, es sei Diabetes. Ich sehne mich nach unserem Treffen. Wird es bei ihm sein? Das wäre das Beste und das Sicherste. Für Ardan vor allem, auch wenn er in unserem Restaurant sorgenlos essen kann.

Mann, ich will wieder mit Mama so entspannt reden, wie sonst auch. Murrend, weil mir langweilig ist, gehe ich in Amirs Zimmer, der gerade mit seinem Laptop auf dem Schoß auf seinem Bett sitzt, aber zu beschäftigt mit dem Handy ist. "Buh!" Statt sich zu erschrecken, hebt er den Blick an und lächelt. "Beim nächsten Mal gebe ich mir Mühe, mich zu erschrecken. Was gibt's?", fragt er mich sanft. "Nichts, mir ist echt langweilig und ... na ja", murmele ich zum Schluss. Er stellt Handy und Laptop weg und nimmt eine nachdenkliche Psychologenhaltung ein. "Und was na ja?" Soll ich es ihm erzählen? Was soll schon schiefgehen? Ich lasse mich seufzend auf seinem Bett nieder. "Mama", setze ich leise an. Ich sollte vielleicht die Tür schließen, aber ich habe keine Lust aufzustehen. "Was ist mit ihr?" "Sie ist so anders zu mir", flüstere ich niedergeschlagen. Ich spüre schon, wie mir die Tränen aufsteigen. "Seit der Auseinandersetzung fehlt mir ihre Wärme und ich bin es überhaupt nicht gewohnt, dass sie mir keine Aufmerksamkeit gibt." "Was für eine Auseinandersetzung?" "Wir haben uns einmal gestritten ... und dann hat sie mir eine gescheuert." Seine Augen weiten sich. "Mama doch nicht!" Amir kann es gar nicht glauben, dass Mama wirklich handgreiflich wurde. Ich konnte es mir bis zu dem Tag doch ebenso wenig vorstellen.

"Und seitdem fehlt mir ihre Wärme. Sie ist jetzt immer mit Aiman und was er hat, weiß ich nicht. Ich finde es ja nicht schlimm, dass sie mit ihm ist, es ist ja auch seine Mutter, aber wieso muss sie mich jetzt so vergessen?" Betrübt senke ich den Blick auf meine Hände. Dabei zupfe ich an Ardans Lederarmband. "Hey, komm her." Amir zieht mich aufmunternd in eine Umarmung, die ich nur zu gerne erwidere. "Wir werden dich heute mal ablenken. Willst du mit mir meine Freundin treffen? Wir wollen was essen gehen, dann kannst du sie endlich kennenlernen." Ich stimme einfach zu. Ablenkung ist das Beste, was ich jetzt benötige. Und da er sich so verliebt anhört, wenn er mir von ihr erzählt, wirkt sie sehr sympathisch. "Gut, ich schreibe ihr dann mal und du hilfst mir beim Aussuchen meiner Kleidung." Nachdem er seiner Freundin schreibt, schmeißt er sein Handy zu mir aufs Bett und öffnet seinen Schrank. "Wohin geht es denn?" "Wir wollen etwas essen gehen." "Bei uns im Restaurant?" Amir verneint es und meint, dass es noch nicht feststeht. Also mit Ardan kann ich da immer kostenlos essen, aber ob das immer so sicher ist, ist wiederum eine andere Sache. "Soll ich ein Hemd anziehen?" Ich verneine es, muss aber an das eine Profilbild von Ardan denken, wo er dieses kurzärmlige Hemd mit den Gänseblümchen anhatte. Oh Mann, sah das gut aus. "Nimm einen einfachen Pulli. Wieso nicht bei uns im Restaurant? Da ist es am besten." Außerdem spart er Geld. Bei uns gibt es so vieles, wieso dann in ein Lokal, wo die Auswahl nur halb so groß ist?

"Ich weiß nicht ... ich wollte nicht, dass es so sparsam rüberkommt." Nun ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. "Es ist nichts Schlimmes. Lass zu uns ins Restaurant." Amir ist jemand, mit dem man leicht Kompromisse schließen kann. Diskussionen mit ihm sind am angenehmsten und am wenigsten nervenaufreibend. "Gut, dann der schwarze Pulli. Helle oder dunkle Jeans?" Amir klemmt sich den Pullover unter sein Kinn und hält sich eine hellblaue Hose und eine dunkelblaue vor sich. "Wieso keine schwarze Hose?", schmunzele ich, weil er so lustig aussieht. "Ich weiß nicht. Ich will nicht zu schwarz auftreten." "Dann nimm die hellblaue Hose." "Gut." Beide Kleidungsstücke legt er auf seinen Schreibtisch, zieht sich sein T-Shirt aus, sprüht sich mit Deo und Parfüm ein, ehe er sich den Pullover überzieht. Ich stelle belustigt fest, dass Amir seinen Oberarm im Spiegel betrachtet und beeindruckt nickt. Als er meinen belustigten Blick im Spiegel sieht, lächelt er mit gesenktem Blick. "Ich war der Mädchenschwarm der Stufe", erzählt er mir bescheiden. "Ganz sicher." Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mein Lächeln zu mildern. "Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich will mir die Haare machen." "Willst du dir nicht erst die Hose anziehen?" Er hält in seiner Bewegung inne, dreht sich denn zu seiner Hose, die noch auf seinem Schreibtisch liegt und lächelt erneut verlegen. "Wäre gut, oder?" Als auch das erledigt ist, geht er ins Bad, um sich die Haare zu frisieren. Solange habe ich die Aufgabe, ihm Bescheid zu geben, falls seine Freundin ihm schreibt, die es gerade tut.

'Hmm, ok.' Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen.

Das ist jetzt sicherlich voreingenommen, aber diese Nachricht lässt sie echt unsympathisch wirken. Wenn jemand schreibt, dass die kleine Schwester mitkommt, dann wirkt es sympathischer, wenn man etwas Enthusiastischer antwortet. Mit dieser Antwort wird einem eher das Gefühl vermittelt, dass sie es einfach hinnimmt und eigentlich keine Lust hat. Na ja, wir sehen dann im Restaurant weiter. Ich gebe Amir Bescheid, dass sie geschrieben hat und gehe mich dann selber fertig machen. Mich macht ihre Nachricht immer noch stutzig. Mal gucken, was Amir da für eine Freundin an seiner Seite hat. Meine Gedanken schweifen aber von ihr zu Ardan. Was er wohl gerade macht? Wird er gut schlafen können? Ich will ihm schreiben, aber falls er antwortet, wäre das Risiko da, dass Amir es sehen würde. Dann später vielleicht. Ich binde mir meine Haare einfach zu einem Dutt, da mich meine Locken stören, sprühe ein wenig Parfüm auf meinen braunen Pullover und gebe Amir Bescheid, dass wir loskönnen. "Wohin geht es?", fragt Mama. Wieso bekomme ich ein Bauchziehen, wenn sie spricht? "Wir gehen was essen. Cana muss an die frische Luft", lächelt Amir, der seinen Arm um mich legt. Ich schaue von ihm vorsichtig zu Mama, die mich lange mustert. Das macht mich unfassbar nervös - und diese Tatsache kränkt mich ein wenig, da es nur zu diesen Gefühlen kommt, aufgrund unserer Auseinandersetzung. Mir wird ihr Blick zu viel, weshalb ich meinen abwende und mir die Schuhe anziehe.

Wir hätten heute eigentlich den Tag zusammen verbracht, aber seit der Auseinandersetzung und der Sache mit Aiman ist es nicht mehr so. Wann sich das wohl wieder ändert? "Holen wir sie ab?", murmele ich auf dem Weg zum Auto. "Nein, sie kommt nach. Die Adresse kennt sie." "Also warst du schon mal mit ihr dort?" Er verneint es und fährt los. "Aber sie war dort schon oft essen. Sie liebt es dort." Nun schmunzelt er schelmisch. "Und wenn sie erfährt, dass das Restaurant meiner Familie gehört, wird sie mich niemals loslassen." Essen als Bindungsmittel ... Ardan hat mich mit den Nudeln seiner Mutter auch an sich geklebt. Wie lange ich sie nicht mehr gegessen habe. Gott, ich will die Nudeln! "Hoffen wir das mal", schmunzele ich. Ich weiß gar nicht wie sie aussieht. Ich weiß nur, dass sie Delin heißt, ebenfalls Kurdin ist und unsympathisch auf mich wirkt. Aber vielleicht hat sie auf eine andere Nachricht so geantwortet. Aber müsste sie dann nicht auf die andere Nachricht, dass ich mitkomme, auch antworten? Ach, ich sehe ja gleich, was für eine Person sie ist. Die Fahrt über ist es recht still, es sei denn Amir singt irgendwelche kurdischen Lieder. "Wie lange kennt ihr euch? Seit dem Studium?" "Sie ist nicht in meinem Studiengang. Sie ist die Freundin der Freundin meines Kollegen und er hat halt ein wenig über mich geredet, bevor ich kam. Dann hat alles angefangen. Sie ist echt nett und sympathisch." Ich verkneife mir eine kritische Aussage. Sympathisch ... das würde ich noch einmal überdenken, egal wie verliebt er sich anhört.

Wir treten ins Restaurant ein, wo seine Freundin schon sitzen soll. "Da ist sie." Er zeigt auf das schwarzhaarige Mädchen, die mit ihren roten Nägeln auf ihrem Handy herumtippt. Ich will echt nicht gemein sein, aber ich kann nicht anders, als leichte Aversionen zu hegen und innerlich ihr starkes Contouring zu kritisieren. Wir laufen auf den Tisch zu - Amir mit mehr Begeisterung. Anscheinend bemerkt sie uns, denn sie hebt den Blick an und lächelt. Amir umarmt sie - sie hätte ruhig aufstehen können. "Das ist Cana", stellt er mich danach vor. "Hi", lächelt sie. Ich mag ihr lächeln nicht. Das ist ja sowas von aufgesetzt. Ich nicke einfach nur mit zuckenden Mundwinkeln und lasse mich am Vierertisch zwischen Amir und ihr nieder. "Du hast das perfekte Restaurant ausgesucht", sagt sie. Ihre Stimme ist so ... hohl und nasal. Ich habe mir Amirs Freundin echt anders vorgestellt ... weniger so ... na ja, komisch. An seiner Seite hätte ich an jemanden mit weniger Make-up gedacht. "Das beste Restaurant eben", schmunzelt er. Amir wirkt ein wenig anders. Nicht so locker, sondern eher hibbelig. Wie süß. "Weißt du schon, was du holst?" Sie nickt und sagt, dass sie das Wagyu-Steak nimmt." Recht teuer ist es. Ich sollte nicht zu schnell urteilen, denn es kann ja sein, dass sie für sich selber bezahlt, aber oft ist es bei Dates so, dass der Mann bezahlen will und da Amir ein wahrer Gentleman ist, wird auch er darauf bestehen, was Delin doch sicherlich klar ist. Aus reiner Höflichkeit greift man dann doch nicht nach Teurem, aber wie gesagt: vielleicht bezahlt sie ja selbst.

Ich werde einige Sachen von ihr gefragt und egal ich sehr ich mich bemühe, ich finde sie einfach nicht sympathisch. Was sieht Amir in ihr? Falls sie mit Amir kommuniziert, dann wirkt sie ein wenig aufgesetzt und mich stört es, dass sie so pingelig ist. Wenn Amir irgendwas mit Rülpsen sagt, wirkt sie regelrecht eingeschnappt. Wir bestellen, ehe Amir auf die Toilette geht. Sofort zückt sie wieder ihr Handy und tippt herum. Sie ist mir überhaupt nicht sympathisch und das werde ich Amir auch nach diesem Treffen sofort sagen. "Du hast noch zwei andere Brüder?", möchte sie halb bei der Sache wissen. Sollte ihr das nicht schon klar sein? "Ja", antworte ich trocken. Mit wem schreibt sie so intensiv? Ich schaue auf die Wand hinter ihr, die eine Reihe aus Spiegeln besitzt. Da ich nichts erkenne, benutze ich die Lupenfunktion meines Handys und zoome so an ihr Handy. Geduldig warte ich, bis es fokussiert und schieße Fotos davon. Wen hat sie als Herz eingespeichert? Amir doch sicherlich, oder? Ich mache vorsichtshalber mehr Fotos und da sie so vertieft ist, bemerkt sie nichts. Es kann ja sein, dass es ihre Schwester oder beste Freundin ist. Wieso schreibt sie der Person aber von meinen anderen Brüdern? Ich lese mir die Chats durch, die mich echt verdutzen. Schatz ... hm. Mama nennt mich auch Schatz, aber mir wirkt das zu kitschig in diesem Kontext. Mir ist nicht wohl bei der Sache.

Kaum kommt Amir wieder, steht die Komische lächelnd auf und sagt, dass sie ebenfalls auf Toilette muss. Soll ich es ihm zeigen? Mit ihm jetzt reden? Ich will seine Laune nicht verderben, aber jetzt ist es besser, als später. "Amir?" "Ja? Wie findest du sie? Du wirktest recht schüchtern." Er schaut mich voller Hoffnungen an. Oh Mann, das tut mir echt weh. Ich will ihm diese Freude nicht nehmen, aber er verdient nur Gutes. Seine Augen leuchten voller Freude. "Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich ehrlich bin." Ich verziehe das Gesicht leicht, weil er mir leidtut. Seine Augenbrauen heben sich am Ansatz und sein Lächeln fällt. "Aber wieso? Sie ist doch total nett." Es ist faszinierend, wie blind Liebe machen kann und wie relativ alles ist. "Ich ... sie kommt mir total suspekt vor. Und sie schreibt mit irgendwem über Adam und Aiman. Wen hat sie als Herz eingespeichert?" Amir wirkt leicht irritiert. Seine Augen wandern mehrere Male von links nach rechts und dann wieder zu mir. Anscheinend hat er keine Ahnung, wovon ich rede. "Ich weiß es nicht." Seine Stimme wirkt nicht mehr so fest. Ich sehe Unsicherheit in den braunen Augen meines großen Bruders. Ich will ihn nicht so sehen, ich will nur das Beste für ihn! "Ich saß einmal neben ihr und da hat ihr auch jemand geschrieben, der als Herz eingespeichert war. Der Chat war leer und sie meinte, dass ihre beste Freundin eine neue Nummer hat. Ich schaue mir ihr Handy nicht an, weil ich ihr vertraue." Oh Gott, Amir, gebe ich innerlich voller Mitleid von mir.

Man merkt es ihm immer sofort an, wenn er traurig ist oder sich unwohl fühlt. Dabei fährt er sich immer über seinen Nacken und versucht es zu überspielen, aber er hat ebenso Mamas Emotionalität. "Es ist vielleicht auch die beste Freundin? Das kann ja alles ein Missverständnis sein", ringt er sich mit einem Lächeln ab. Als Antwort kriegt er nur ein Schulterzucken meinerseits. "Ich muss aufs Klo." Aufs Klo und vielleicht auf Delin treffen, die verdächtig lange dort ist. Auf meinem Weg begrüße ich Mickael und weitere Köche und öffne ganz langsam die Tür, die ich genauso leise und mit wenig Krach schließe. Sie telefoniert auf der Toilette. Sofort zücke ich mein Handy, um Amir Beweise zu liefern. Damit sie mich nicht bemerkt, bleibe ich an der Wand neben der Tür stehen. Sie spricht wieder. "Nein, ich gebe dir einfach Bescheid und du rufst mich an. Dann lass ich es wie ein Notfall dastehen. Er bezahlt sowieso." Mein Mund öffnet sich empört. Diese Schlampe meint das doch nicht ernst! "Ja, ich kriege das hin. Er wird bald Psychologe. Seine Eltern sind richtig reich!" Meine Eltern würden dich eigenhändig verprügeln, du Miststück! Ich zittere schon leicht vor Wut und spüre die Aufregung im Magen. Was fällt ihr ein, meinen Bruder zu verletzen?! "Klar sieht er gut aus, aber er kommt nicht an Cem ran. Durch ihn finanziere ich mir die Sachen, die Cem gefallen." Dieser Cem wird niemals so gut aussehen, wie Amir!

"Du dreckige Hure!", kreische ich. Das Video beende ich und trete gegen die Klotür, was sie aufkreischen lässt. "Mach die Dreckstür auf, bevor ich die Tür gegen deinen Schädel schlage!" Wie verrückt hämmere ich gegen die Tür, doch sie öffnet sie nicht. "Du wirst nicht ungestraft davonkommen, du billiges Miststück! Das ganze Essen wirst du bezahlen und wenn nicht, rückt die Polizei an. Mal gucken, ob Cem dir das finanziert!", gebe ich am Ende zynisch von mir. Nach meiner Ansage stürme ich aus der Toilette und suche Mickael auf, dem ich das sofort erzähle. "Meu deus, que puta! Ich habe sie gesehen und weiß Bescheid. Ich schicke Kellnerinnen und Kellner dahin", schnaubt er. Immer noch wutentbrannt gehe ich auf Amir zu, doch meine Wut schwindet, als ich seine betrübten Augen sehe. Enttäuschend schüttele ich den Kopf. "Wir lassen uns unser Essen einpacken und fahren woandershin", sage ich dann einfühlsam. Er nickt nur schluckend und will bezahlen, was ich aber verhindere. "Ich habe Bescheid gegeben. Sie bezahlt oder sie kriegt Ärger. Komm, unser Essen dauert sowieso nicht so lange." Wir warten noch ein wenig und sehen, wie all die anderen Schaulustigen, zu, wie dieses Miststück mit den Kellnern und Mickael diskutiert. Kurz danach taucht schon die Security auf, die Delin ziemlich einschüchtern. Hilfesuchend schaut sie sich um und besitzt die Frechheit, Amir zu fixieren. Ich nehme augenblicklich seine Hand. Mit der anderen nehme ich das Essen entgegen und steuere raus, betone jedoch noch, dass die gerade angehaltene Dame zahlt.

Amir ist verstummt. Ich kann nicht glauben, dass ihm das Herz gebrochen wurde. Er hat es überhaupt nicht verdient. Er hat immer gesagt, dass man Frauen wertschätzen soll und ist mit Ardan der größte Gentleman, den ich kennenlernen durfte. Den ganzen Weg über drückt Amir ganz fest meine Hand. Seine Haltung ist angespannt. Ich weiß, dass er innerlich bebt und sich fragt, was er falsch gemacht hat. Aber er hat überhaupt nichts falsch gemacht. Ihr falscher Charakter hat alles gemacht. Vor seinem Auto bleiben wir stehen, doch steigen nicht ein, weil Amir noch meine Hand festhält und ins Leere starrt. Ich schaue mitfühlend zu ihm hoch, sehe seine angespannte Miene. Seine Lippen sind zu einer harten Linie gezogen, seine sich langsam bewegende Brust kann man trotz Dunkelheit erkennen. Ich lege langsam die Tüte auf den Boden und schlinge meine Arme um ihn. "Amir", murmele ich leise. Er bleibt steif stehen. Ich spüre, wie sein Bauch bebt. Er ist total verletzt, will es sich aber nicht anmerken lassen. "Lass uns nach Hause oder irgendwo an einen ruhigen Platz." Mein verletzter Bruder atmet tief durch. "Ja", setzt er leise an. "Lass uns an einen ruhigen Ort. Komm." Ich sehe sein verletztes Lächeln im Abendlicht, was mir das Herz bricht. Ich habe Amir noch nie so gesehen. Er kam immer mit Problemen gut klar, aber hier sieht man, dass es auch ihn nicht unberührt lässt, wenn sein Herz gebrochen wird.

Das Auto füllt sich abgesehen vom gut riechenden Essen mit einer unangenehmen Stille und Frust. Wenn ich wieder an dieses Miststück denke, dann würde ich sie am liebsten verprügeln! Wie kann man einen so dreckigen Charakter haben, so herzlos und so dreist sein? Amir hätte alles für sie getan und wenn ich es nicht bemerkt hätte, dann Mama sicherlich. Wir kommen schnell an einem Platz, nahe der Alster, an und essen schweigend - ich tue es zumindest, da Amir lange in seinem Essen herumstochert. "Ich wollte sie Mama vorstellen", flüstert er. Ich weiß nicht, ob er danach langsam schnieft oder ob es ein tiefes Atmen durch die Nase ist. Es tut mir so leid, dass seine Hoffnungen und Vorstellung auf diese Art und Weise zerstört wurden. Da er nichts essen will, packt er sein Essen auf die Rückbank. Ich tue es ihm nach. Das Essen kann warten. Amir schüttelt fassungslos seinen Kopf. "Was hast du auf der Toilette mitbekommen?" "Willst du es selber hören?", frage ich meinen Bruder vorsichtig. "Eigentlich nicht ... aber ich muss es." Ich zeige ihm die Videoaufnahme, in der man Delins Stimme klar und deutlich hört. Sein Gesicht verzieht sich schon fast weinerlich, doch weinen tut er nicht. Wenn er weinen will, dann soll er es tun. Amir schaut sich gequält das Video zu Ende und hält sich dann die Hände vor sein Gesicht. Ich umarme ihn instinktiv.

"Lass es raus. Es bringt nichts, es krampfhaft zu verstecken." Amir atmet zitternd durch, immer und immer wieder. Seine Hände verlassen seine Augen nicht. "Scheiße, Mann. Verfickte Scheiße!", flüstert er. Ich vermute, dass seine Stimme brechen wird, wenn er sie anhebt. Langsam und schniefend nimmt er die Hände von seinem Gesicht und umarmt mich. Ich sehe keine Tränen, aber vielleicht hat er sie ja weggewischt. "Das hätte ich niemals gedacht. Ich habe sie nie so wahrgenommen. Für mich war sie loyal und ehrlich. Sie ... sie hat mich wegen meines Rufes ausgenutzt für einen anderen. Ich ..." Er spricht nicht weiter, sondern seufzt resigniert. "Ich wurde schamlos ausgenutzt. Hätte sie mich kennenlernen wollen, wenn mein Kollege weniger über mich erzählt hat? Hatte sie gar keine Gefühle für mich?" Seine Stimme zeigt am Ende so viel Verwundbarkeit, so viel Schmerz und Enttäuschung. "Sie hat dich nicht verdient. Es ist allein ihre Schuld." Nickend drückt er mich fester an sich. "Falls du jemals in diese Situation geraten sollst, sag mir sofort Bescheid", knurrt er nun leicht. Oje, sofort habe ich ein mulmiges Gefühl. Wäre er aber auch sauer auf mich? Ich könnte es ihm jetzt beichten, denn gerade habe ich neben des nervösen Bauchgefühls ein irgendwie gutes Gefühl. Soll ich? Ich bewege mich verkrampft auf meinem Sitz, was er zu bemerken scheint und mich deshalb aufmerksam ansieht. "Was ist passiert, Cana?"

"Ich habe einen Freund!", platzt es aus mir.

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Ich weiß, es ist kacke, dass es keine regelmäßigen Updates mehr gibt, aber seit der 12. Klasse habe ich den Fokus verlegt und da jetzt das letzte Jahr ansteht, wird es sicherlich weiterhin so ablaufen.

Wer Verständnis dafür hat: love u
Wer keins hat: haaaa, dadurch kommt es auch nicht schneller haaaa

- Helo

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