Kapitel 102

Lewis Capaldi - Hold Me While You Wait

Ich bin in einem negativen Gefühlschaos. Wut, Trauer und Resignation schwirren umher und geben mir mit jedem Wirbel mehr dieser Empfindungen. Der Grund trägt einen schönen Namen: Ardan. Ardan, was mache ich nur mit dir? Es ist nach Mitternacht und ich weiß, dass du all die Nachrichten auf deinem Sperrbildschirm gelesen hast. Um diese Uhrzeit gibt es keine Untersuchungen mehr und ich weiß doch, dass du nach deinen Angina Pectoris Anfällen nicht schlafen kannst, aus Angst. Wieso meldet er sich nicht, statt sich zu isolieren? Ich tue ihm doch nichts. Ich gebe ein kleines Seufzen von mir, als ich die Decke wegschlage. Ich kann sowieso nicht schlafen, dann beschäftige ich mich in der Küche oder so. Die Tür öffne ich nur einen Spalt weit, weil Yasmins Tür nachts gerne zu knarzen beginnt. Hoffentlich wacht keiner der Eltern auf, da ich nicht weiß, was ich als Begründung nehmen soll. Ich könnte zwar einfach sagen, dass ich nicht schlafen kann, aber so wie ich die beiden kenne, weiß ich, dass sie mir helfen wollen und sich um mich sorgen. Wie es morgen mit Mama sein wird? Ich vermisse sie. Ich will wieder ihre Aufmerksamkeit kriegen. Wie lange das noch so weitergehen wird? Wie unser Silvester sein wird? Es ist ja schon bald. Die Ferien sind nah. Wird es Ardan bis dahin gut gehen? Ich frage mich seit Stunden, wie es zwischen uns sein wird, wenn er entlassen wird. Wie wird unser nächstes Treffen? Wie werden wir aufeinander reagieren? Wie wird es enden?

Ich tapse leise die Treppen hinab und schalte das Blitzlicht meines Handys ein, um die Lichter nicht anzuschalten. Es ist so still hier, da will ich niemanden stören. Im Kühlschrank gibt es Pudding, den ich mir nehme, genau wie den Löffel aus der Schublade, dann aber zusammenzucke, weil jemand oben die Treppen hinunterkommt. Mit dem Pudding stehe ich mitten in der Küche, warte, bis die Person in die Küche kommt und erkenne anhand Silhouette Ramzi, der das Licht anschaltet. Durch die plötzliche Helle kneife ich meine Augen zusammen. "Willst du unseren Kühlschrank ausrauben?", fragt er mich. Es beruhigt mich, dass ein typischer Ramzi-Spruch gekommen ist. "Ihr habt guten Pudding da." Ich zucke schmunzelnd mit meinen Schultern und deute mit meinen Augen auf den Schokopudding. Er soll doch bitte noch einen Spruch raushauen. Es lockert mich auf. "So, so, du kommst nur hierhin, um unseren Pudding zu klauen, du kleine Puddingdiebin." Wie gut es tut, dass er so ist. Ich lächele. "Willst du auch?" Nun schnappt Ramzi empört nach Luft. "Jetzt darf ich mir nicht einmal allein einen Pudding aus meinem Kühlschrank nehmen! Ich sollte dich hier hochkant rausbefördern." Ich kichere, wegen seiner nasalen Aussprache.

Diese Konversation tut mir so unfassbar gut. Ramzi zieht seine Shortbund hoch und watschelt breitbeinig auf mich zu, um mir meinen Löffel und den Pudding zu klauen. "Bevor ich noch die Polizei alarmiere", murrt er. Ich hebe belustigt und ergebend meine Hände, bevor ich mir wieder Pudding aus dem Kühlschrank hole und mir einen Löffel aus der Schublade nehme. "Komm, lass uns ins Wohnzimmer." In der Küche ist es sowieso zu kühl. Wie kann er in diesen Shorts nicht frieren? Ich lege Pudding und Löffel auf dem Couchtisch ab, um die Tagesdecke, die auf der Sofalehne liegt, auszubreiten. Ramzi macht sich auf dem Sofa breit und denkt gar nicht daran, aufzustehen. "Gut, wenn du es so willst", summe ich bescheiden, bevor ich mich auf seine Beine setze und er ein Drama beginnt. "Um Gottes Willen, du kleiner Fettsack wiegst mehr, als ich heute gestemmt habe! Wie viel Pudding hast du gefressen?" Ramzi fängt an zu hyperventilieren und anscheinend verschlimmere ich es, indem ich durch seine hellbraune Mähne fahre. "Das sage ich Ardan", murrt er. Ouh. Ich entziehe meine Hand abrupt aus seinem Haar. Es zieht sich in meiner Magengegend zusammen und meine Laune sinkt leicht. Ihm böse sein, kann ich nicht. Er weiß ja nicht, was los ist. Ramzi bemerkt anhand meines Gesichtes, dass etwas nicht stimmt und setzt sich langsam auf. Um es ihm zu erleichtern, hebe ich mein Becken kurz an.

"Was ist passiert?", fragt er mich nun sanft. Ich will nicht, dass meine Gefühle jetzt hochkommen und ich kämpfe gerade sehr damit, es irgendwie zu unterdrücken - sei es durch das leichte Schaukeln oder das Zudrücken meiner Hände. Er schlüpft vorsichtig unter die Decke. Ich spüre seine besorgten Augen, die meine angespannte und gleichzeitig gekränkte Haltung mustern. "Cana, gibt es ein Problem?" Ich nicke, obwohl ich es nicht wollte. Ich kann es ihm nicht sagen. Ardan will es nicht. "Was ist passiert?", möchte er besorgt wissen. Die Sanftheit seiner Stimme macht mich noch sensibler, genau wie sein Arm, der sich um mich legt. "Es ist die Tage so stressig ..." Was soll ich ihm bloß sagen? "Wieso denn?" Wenn ich es dir doch bloß sagen könnte, Ramzi. "Keine Ahnung, die Dinge spitzen sich einfach zu und dann war ja noch die Sache mit Didem, was mich schon eine längere Zeit belastet hat." "Wieso das?" Ich seufze. "Sie hat es irgendwie mitbekommen und mich darauf angesprochen. Sie hat mir indirekt damit gedroht, dir zu erzählen, dass ... du weißt schon ... er und ich zusammen sind", flüstere ich am Ende. "Ich wollte das unbedingt verhindern, weil ich nicht wollte, dass du verletzt wirst, was am Ende ja doch irgendwie passiert ist", nuschele ich gegen Ende leicht trotzig. Ramzi hätte es nicht auf diese Wege erfahren sollen, aber andererseits weiß ich gar nicht, wie ich es ihm hätte sagen sollen.

Wir schweigen nun. Ob es daran liegt, dass ich indirekt eine Wunde geöffnet habe oder einfach nur so, weiß ich nicht. Aber es tut gut, dass Ramzi mich tröstet und meinen Oberarm tätschelt. "Und wie läuft es zwischen euch beiden?", möchte Ramzi leise wissen. "Gut." Viel will ich nicht preisgeben, weil es zum einen intim ist und zum anderen Ardans Probleme sind, die niemand weiß. Ich bin ja in diesem Teufelskreis gefangen. Entweder bemerkt Ramzi, dass ich nicht viel dazu sagen will oder ihm fällt keine weitere Frage ein, weshalb wir wieder in ein Schweigen verfallen. Schläft Ardan oder liegt er wach im Bett? "Hast du mit ihm geschrieben?", frage ich Ramzi, was er mir bestätigt. Diese Antwort sorgt für ein verärgertes Gefühl in mir. Wieso ignoriert dieser Junge mich?! "Was denn genau?", bemühe ich mich neutral zu fragen. Wieso tut er das? Wozu hat er mich denn, wenn er es ablehnt, mit mir zu reden? "Ich habe gefragt, was passiert ist, ob es ihm gut geht und ob ich ihn morgen besuchen kommen kann." Und mir kann er nicht antworten? Jetzt ist meine kleine Müdigkeit verschwunden, weil es mich so ärgert, dass Ardan mir aus dem Weg geht. Es ärgert mich genauso sehr wie es mich traurig macht. "Okay, wir gehen morgen gemeinsam", murmele ich. Da ich mich irgendwie Ablenken will, schalte ich einfach den Fernseher an, bis wir beide beschließen, schlafen zu gehen.

Je öfter ich daran denke, dass ich gleich Ardan sehe, desto mulmiger wird mir. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, ob ich mich distanziert oder doch normal geben soll. Mein Nachtragen steht auf derselben Stelle wie meine Sorge um ihn. Er ist krank, er hat Probleme und deshalb verhält er sich so, aber ich kann das doch nicht permanent auf mir sitzen lassen. Ardan muss sich diese Eigenschaft abgewöhnen - dringend! Jetzt sind wir auf dem Parkplatz des Krankenhauses angekommen. Ardan liegt laut Ramzi auf seinem Zimmer. Mir hätte er ja eh nicht geantwortet. Der Fakt lässt mich die Augen verdrehen. Meine Laune muss sich wohl auf Ramzi übertragen haben, denn er ist auch nicht gerade redselig. Wie es wohl wäre, wenn Yasmin mitgekommen wäre? Sie wollte, aber ich meinte, dass sie nachkommen soll, weil wir vermutlich etwas bereden werden. Ob es der Wahrheit entspricht, weiß ich nicht. Ich kann nicht wissen, wie Ardan gleich reagieren und handeln wird. Wenn ich an meine frühere Unachtsamkeit denke, muss ich den Kopf schütteln. Ich habe nicht realisiert, dass Ardan herzkrank ist, obwohl ich ihn auf der Kardiologie-Station besucht habe. Aber habe ich gewusst, dass ich mich auf dieser Station befinde? Nein, die anderen aber schon, weil sie sich gewundert haben, dass er aufgrund seines Schwächeanfalls dort landet. Daran erinnere ich mich.

Zimmer 3A, hier sind wir nun. Ich lasse Ramzi den Vortritt, warum auch immer. Ich schaue direkt in seine grünen Augen, als Ramzi die Tür öffnet. Er wirkt müde, meine Schultern sinken. "Ramzi", gibt Ardan in einem müden, aber erfreuten Ton von sich, als er sich langsam aufsetzt. Ramzi nimmt ihn in den Arm und macht dabei taubenähnliche Geräusche. Es beruhigt mich, dass Ramzi sich nicht anders verhält, obwohl er von uns beiden Bescheid weiß. "Wie geht es dir?" "Gut und dir?", fragt Ardan ihn. Ramzi löst sich seufzend und lässt sich auf dem Bett nieder. Ich nehme mir leicht betreten den Stuhl zur Hand. "Auch gut." Ich hoffe, beiden geht es wirklich gut. Es ist still im Raum, die Stimmung ist bedrückt. Dadurch, dass ich mich irgendwie ablenken will, spiele ich an meinem Bettelarmband herum. Die alten Erinnerungen kommen hoch, wie Ardan mit meinem Bettelarmband spielt. Gute, alte Zeiten, von denen ich mir wünsche, dass sie zurückkehren. "Wie lange wirst du noch hier liegen müssen?", will Ramzi wissen. "Spätestens Montag werde ich entlassen, aber vielleicht auch schon morgen." Bald ist meine Matheklausur. Wie da wohl die Stimmung sein wird, wenn wir lernen? Ramzi und er reden noch eine Weile, während ich stumm dasitze und das eine oder andere Mal wegen Ramzi schmunzele oder lache. "Ich gehe dann Mal kurz Yasmin und die anderen abholen. Ich lass mir Zeit." Ich bin Ramzi so dankbar, dass er mir die Möglichkeit bietet, mit Ardan alleine reden zu können. Ich lächele ihn dankend an, ehe er den Raum verlässt.

Da sein Nachbar schläft, muss ich mir keine Sorgen machen, dass er irgendwie zuhört. Ich schaue Ardan hoffnungsvoll an. Wenn er mich auch jetzt abweist, dann will ich nicht mehr hierbleiben. Er redet nicht, ich tue es auch nicht. Etwas enttäuscht senke ich den Blick. Wieso verlässt mich jetzt der Mut, zu reden? "Setz dich zu mir aufs Bett, Mopsi." Mopsi? Obwohl mir der Name so vertraut ist, erröte ich und mein Herz schlägt schneller. Es tut mir so gut, dass er mich mit meinem Kosenamen anredet. Ich stehe so schnell auf, dass ich den Stuhl unbeabsichtigt nach hinten schiebe, vor Wucht. Meine Hoffnungen erblühen gerade. In seinen Augen ist Reue zu sehen. Ich hoffe, er spricht es an. Beim Hinsetzen schauen wir uns in die Augen. Dass er meine Hand greift, macht mich ganz verrückt, obwohl es mir jetzt ebenso vertraut ist. Es tut so gut, so unfassbar gut. "Cana", flüstert er. Meine Lymphknoten kribbeln, ich kriege eine Gänsehaut - wie faszinierend die Liebe doch ist. "Was hat die Ärztin gesagt?", platzt es aus mir heraus. Ich bin durch seine Berührung gerade so energiegeladen, dass mein Bauch bebt. Ich kann mich gerade schwer zurückhalten. "Nichts Besorgniserregendes." "Wirklich?", hauche ich. Habe ich den Blick falsch gedeutet? "Ja, es ist nichts, was ich schon nicht wusste. Sie meinte, es war wieder ein Angina Pectoris Anfall und dass es diesmal etwas stärker war, weshalb ich dieses Mal für eine Zeit auf den Sport verzichten muss." Ouh.

Deshalb hat er genickt. Er muss wieder eingeschränkt Leben. "Ich ... oh Gott", seufze ich am Ende, als ich mir die Hände vor mein Gesicht halte. "Was ist los?" Diese kleine Nachricht der Erleuchtung bringt alles in mir wieder durcheinander. Zwar bin ich erleichtert, aber gleichzeitig kommen neue Gedanken hoch, die ich irgendwie in Worte fassen muss. "Ich bin ... verwirrt." Ich glaube das drückt meine aktuelle Lage gut aus. "Wieso?" "Wegen dir", gebe ich unbeabsichtigt lauter von mir. Die letzten Tage war er so abweisend und dann wollte er am Freitag für mich da sein, war dann erschüttert und nun ist er wieder der Alte. Ich dachte, wir werden diskutieren. Ich dachte, ich muss mit der Konsequenz rechnen, dass wir weiterhin diese Distanz behalten werden, aber nein ... Ardan ist wieder Ardan. "Ich kann es schwer erklären. Du warst die Tage so anders. So distanziert und das hat mich wütend und fertiggemacht. Jetzt bist du es nicht mehr, jetzt wirkt es so, als ob alles wieder gut und normal ist und das verwirrt mich." Erst nach meiner Erzählung bemerke ich, wie Ardans Gesicht leichte Zerknirschtheit zeigt. Es kommt mir jetzt ein wenig komisch vor, dass ich das eine oder andere Mal dachte, dass Ardan so apathisch ist, dass es ihm nicht so nahe gehen würde, aber genau das tut es.

Seine Lippen spalten sich langsam. Ich schaue ihn gebannt dabei zu, wie er etwas ansetzen will. Was will er sagen? "Das ..." Ardans Augen schauen von mir zu unseren Händen, bevor er seine Augen schließt und ich seine Wimpern aus diesem Winkel zu sehen bekomme. Ich habe ihn vermisst. Und wie ich ihn vermisst habe. "Wenn ich entlassen werde, dann holen wir die Tage nach. Komm her." Es sind so einfache Worte und so einfache Berührungen, die mich beruhigen und glücklicher machen. So glücklich, dass meine Augen tränen. Endlich kann ich ihn wieder umarmen - es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich es nicht getan habe. Meine Lasten verpuffen Stück für Stück und das nur durch eine Umarmung! Ich schließe meine Arme fester um seinen Rumpf, ziehe seinen sanften Duft ein, den ich so vermisst habe. Wie sehr ich mich nach seiner Entlassung sehne, damit wir endlich wieder etwas unternehmen können. Wieso bin ich nur so ungeduldig? "Es tut mir leid, Cana. Es tut mir so leid." Und schon verpuffen noch mehr Lasten. Es ist vorbei. Es ist alles wieder gut. Aber ich verspüre immer noch ein Gefühl der Verwirrung. "Wieso hast du es überhaupt gemacht?" "Weil ich dumm und irrational gehandelt habe. Meine Emotionen haben mich überschwemmt. Auch ich komme manchmal nicht gegen diese Dämonen an", wispert er am Ende niedergeschlagen.

Ich weiß nicht, wie ich mich jetzt fühlen soll. War es dumm von mir, wütend auf ihn zu sein, weil er mit sich selbst zu kämpfen hatte? Habe ich zu wenig an ihn gedacht? Ich denke nicht. Ich will mir nicht die Schuld geben, denn ich wollte ihm helfen und da er jetzt wieder reden will, kann ich es wieder versuchen. Die jetzige Situation kommt mir so erleichternd vor, aber gleichzeitig fühle ich mich immer noch wie in einer schweren Aufgabe, die mir gelöst vorkommt, aber mein Bauchgefühl mir sagt, dass es falsch ist und dass ich es noch einmal bearbeiten soll. Am besten ist es, wenn ich heute noch einmal vor dem Schlafengehen darüber nachdenke ... wenn ich Mama nicht sehe und mir darüber auch wieder Gedanken mache. Ramzi ist bestimmt schon auf den Weg zurück, also wäre es besser, wenn ich mich wieder auf den Stuhl setze. Auch ich komme manchmal nicht gegen diese Dämonen an. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Ardan fühlt. Was er fühlt, sind sicherlich Angst und Trauer und vielleicht auch Wut, aber wie es sich für ihn anfühlt, werde ich wohl niemals herausfinden. Habe ich solche Dämonen? Ich weiß es gar nicht. Sind meine Körperkomplexe meine Dämonen? Ich denke eher nicht. Sobald er ein Spenderherz bekommt, wird es hoffentlich vorbei sein. Dann ist alles wieder gut. Dann fängt ein neuer Abschnitt an.

Als ich das Haus betrete, fühle ich mich entlasteter. Ramzi weiß Bescheid und Ardan hat endlich wieder den Kontakt zu mir aufgenommen. Eigentlich sollte ich mich jetzt wieder besser fühlen - das tue ich auch ein wenig -, aber irgendetwas liegt mir noch auf der Seele. Nur kann ich nicht genau entschlüsseln, was es ist. Ich weiß nur, dass ich deshalb so ruhig bin. Mama und Baba sind noch nicht zu Hause, aber im Wohnzimmer sitzen Amir und Adam. Wo Aiman wohl steckt? "Warst du gestern bei Yasmin?" Ich bestätige Adams Frage. "Wir waren gestern und heute bei Ardan im Krankenhaus." Adams Augen weiten sich. "Wie? Wieso?" Er dreht sich zu mir. Weil er Herzkrank ist. "Ihm geht es nicht gut, aber er wird spätestens Montag entlassen." "Hättest du mir gestern Bescheid gegeben. Wir gehen ihn morgen auf jeden Fall besuchen." Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich summe nur, bevor ich mich zwischen beide setze. Die Fernsehserie interessiert mich gar nicht, aber das ist immerhin besser, als die Wand oben in meinem Zimmer anzuschauen. Ich will nachdenken, aber wenn ich mich dazu beschließe, dann klappt es irgendwie nicht. Vielleicht später. Amir erzählt mir, dass seine Freundin mich kennenlernen will. Ich nicke nur apathisch. Der Tag hat einen schönen Verlauf genommen, aber ich bin noch nicht ganz zufrieden - wenn ich das so ausdrücken kann. Geht es Ardan wirklich gut? Wie wird unser Treffen? Worauf muss er jetzt verzichten?

"Cana? Was ist?" Mein Blick gleitet träge zu Amir. Was soll ich ihm sagen? Wie würde er reagieren, wenn er von meiner Beziehung Bescheid wüsste? Er ist doch der verständnisvolle, ruhige große Bruder, den sich alle wünschen. Wie würde er jetzt reagieren? Adam ist neben mir und steht mir eigentlich zur Seite. Dieses Verheimlichen ermüdet mich, aber meine Angst weckt mich immer wieder auf. "Wo ist Mama?", will ich in einem leisen Ton von Amir wissen. Ich muss zugeben, dass es mir wie ein leichter Entzug vorkommt, dass Mama sich mehr um Aiman kümmert, als um mich. Das liegt jedoch daran, dass sie aufgrund ihrer Arbeit sowieso weniger Zeit hat und die Zeit, die sie mir sonntags und schichtweise schenken konnte, gibt es zur Zeit nicht mehr. "Sie ist noch auf der Station. Gibt es was zu bereden?" Ich verneine es, doch ich spüre, wie ich mir eigentlich etwas von der Seele reden könnte. Nur weiß ich nicht, ob mein Gegenüber meine primitiven Erklärungen verstehen wird. Ich verstehe mich gerade doch selbst nicht einmal. Meine Gefühle befinden sich in einem Auf und Ab. Mal mischen sie sich, mal ist ein Gefühl stärker als das andere. Es ist kein schönes Gefühl. Mal werden meine Augen feucht und Mal fokussieren sich meine Augen nicht einmal auf eine Sache, die sich vor ihnen abspielt. Ich war heute glücklich und erleichtert, aber jetzt spüre ich wieder etwas Verstummendes in mir, das mich traurig macht. Wäre ich doch auf mein Zimmer gegangen. Selbst die Hunde heitern mich nicht auf.

Ich bemerke, dass Amir Adam fragend anguckt und dieser mit einem Schulterzucken antwortet. "Falls du reden willst, komm zu mir ins Zimmer." Ich nicke dankend und genieße das kurze Tätscheln auf dem Hinterkopf, ehe Amir mit Tyson die Treppen hinaufsteigt. Als oben die Tür ins Schloss fällt, bewegt Adam sich ein wenig. "Was ist passiert? Habt ihr euch gestritten?" Ich freue mich, dass ich ihm nicht sagen muss, dass er seine Stimme dämpfen soll, sobald er das Thema Ardan anspricht. "Nein", murmele ich. Na ja, wir hatten irgendwie Streit. "Was ist dann los? Du wirkst so traurig." Noch bevor ich eine Antwort ansetze, seufze ich tief und schließe meine Augen dabei. "Ich weiß es irgendwie auch nicht." Das ist die Wahrheit. Ich kann gerade nur vermuten. Es ist so komisch, wenn man seine Gefühle nirgends einordnen kann. Man fühlt etwas eindeutig, doch die Gefühle zu beschreiben erscheint einem fast unmöglich. "Was ist denn passiert?" Adam legt seinen Arm um mich, damit er mich zu sich ziehen kann. Rocky nimmt derweil auf meinem Schoß Platz. "Die Tage waren so komisch." Ich will ihm erzählen, dass Ardan sich von mir distanziert hat, aber das könnte dafür sorgen, dass Adam anders von Ardan denkt und zudem würde er wissen wollen, wieso Ardan so distanziert war. Wenn ich es ihm nicht sage, dann könnte es den ersten Punkt verschlimmern. Großer Gott, dieses Dilemma ist grausam!

"Ich kann es nicht beschreiben. Ich habe mich diese Tage so ausgelaugt gefühlt. Ich war traurig und im Krankenhaus war ich für einige Stunden dann glücklich, aber das kommt mir jetzt wie ein Schein vor", setze ich langsam an, da ich nichts Falsches sagen kann. Ich will meine Gedanken irgendwie sortieren und rauslassen, damit ich so vielleicht mehr Lasten abwerfen kann. "Es fühlt sich so komisch an, wenn die Gefühle von jetzt auf gleich wechseln. Als ob da jemand in mir sitzt und einen Hebel betätigt. Hattest du das auch schon einmal?" Ich schaue zu ihm. Er verneint es. Kennt Ardan das Gefühl? "Willst du die Tage vielleicht etwas für dich alleine sein?" "Nein." Meine Antwort kommt als leises Murmeln über meine Lippen. Das war ich die Tage oft genug. "Ich denke ... oder ich hoffe, dass mir der Dienstag guttun wird." Ich schlinge meine Arme um meinen Rocky. "Ihr trefft euch?" Ich nicke summend. "Muss für Mathe lernen und er ist ein Mathegenie." Wir haben die ganze Woche Zeit, um Mathe zu lernen. Also hoffe ich, dass wir die Tage entspannt genießen können. Es wird still, aber das macht mir nichts. Ich konnte ein wenig reden und das bisschen Reden hat mir recht gutgetan. "Weißt du, was mit Aiman ist?" "Das weiß weder ich noch Amir. Aiman redet nicht darüber. Er benimmt sich echt komisch. Er hat sich verändert." Wenigstens bin ich damit nicht allein. Ich bin mit der Unwissenheit nicht allein. Ich bin mit meinen Gefühlen nicht allein.

Ich hoffe, dass ich niemals allein bleibe.

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Überdenkt den Abschlusssatz.

- Helo

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