Komplikationen
„Servus, Jochen, kann ich reinkommen?"
Alexander stand vor der Tür seines besten Freundes. Er sah fertig aus.
„Klar", antwortete Pix, der den Ernst der Lage sofort verstand, „was ist nun schon wieder vorgefallen?"
„Nichts", gab Alex zurück und trottete lustlos ins Wohnzimmer, „mir war einfach nicht danach... nach Hause zu gehen."
„Dir war nicht danach?", fragte Pix trocken.
„Genau."
Sein Freund seufzte mitleidig, ging in die Küche und holte zwei Flaschen Bier aus der Tür. Als er zurückkam, reichte er Alex eine und nahm selbst auf dem Sofa Platz.
„Die Decken sind im Bettkasten."
„Ich weiß", sagte Alex und öffnete beide Flaschen mit seinem Feuerzeug, „danke!"
Sie stießen kurz an und schwiegen dann eine Weile. Es war Pix, der sich als Erstes regte, um die Stereoanlage einzuschalten, bevor er seinen Freund kritisch musterte.
„Warum bereitest du dem Elend nicht einfach ein Ende, wenn es dich so sehr abnervt, Alex?", fragte er schließlich.
„Weil es durchaus Dinge gibt, die mich nicht nerven – wenn du verstehst, was ich meine", entgegnete dieser, lehnte sich auf das Sofa zurück und zog sich eine Zigarette aus der Packung.
„Das allein macht es auch nicht besser und scheinbar funktioniert es ja nicht!"
„Das ist es eben, Pix, es muss nicht funktionieren. Und genauso ist es gut."
„Wenn es gut wäre", widersprach der Hausherr „dann wärst du jetzt nicht hier, oder?"
Alexander antwortete nicht.
„Denk mal drüber nach! Das hat doch gar keine Zukunft!"
Alex zog an seiner Zigarette, schüttelte den Kopf kaum merklich und sagte schlicht: „Das habe ich auch nie behauptet."
Sie schwiegen beide einen Moment und hingen ihren Gedanken nach.
„Mir kannst du nichts vormachen, ich weiß genau, wovor du Angst hast, Alex."
„Ich habe keine Angst!"
„Nein? Dann hast du die Sache mit Jaqueline überwunden?"
„Vergeben und vergessen!", antwortete Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Weder das eine, noch das andere, du Heuchler!"
Alex sah ihn nicht an, doch er widersprach auch nicht. Es waren die letzten Worte, die die beiden Männer an diesem Abend wechselten, denn Pix trank sein Bier auf einmal aus und ließ seinen Freund dann alleine mit seinen Gedanken zurück.
„Komm herein, magst du 'nen Kaffee?"
„Öhm", ich war irritiert, immerhin waren wir vor einer Viertelstunde verabredet gewesen, „gerne, ist Alex noch nicht da?"
„Das schon", Pix stockte verlegen, „ich... ich weck' ihn gleich nochmal."
Ich folgte ihm verwundert in die Küche, in der er einen Klapptisch am Fenster aufbaute und zwei Stühle aus der Ecke zog. Ich ließ mich auf dem Stuhl am Fenster fallen und sah hinab in den trostlosen Hof.
„Zucker oder Milch?"
„Beides, bitte", antwortete ich und griff nach der Tasse, die er mir hingestellt hatte. „Danke!"
Jochen stellte zwei weitere Tassen unter die Padmaschine und verschwand dann kurz aus der Küche und ließ mich alleine. Gedankenverloren rührte ich in meinen Kaffee um, während ich mich fragte, warum Alexander bei seinem Freund übernachtet hatte. Ich konnte mich dieser Frage nicht lange widmen, denn Pix war nach wenigen Sekunden zurück, zog seine eigene Tasse unter der Maschine hervor und setzte sich zu mir an den Tisch.
Er grinste leicht und sagte: „Heute gibt's Startschwierigkeiten."
„Habt ihr gestern einen über den Durst getrunken?"
„Ach was", er zwinkerte, „ein, zwei Bier vielleicht."
Im Zimmer nebenan krachte es laut. Pix stöhnte und nahm einen großen Schluck Kaffee zu sich. Es rumpelte erneut, ich hörte Alex fluchen und dann ging die Wohnzimmertür auf und er kam hinüber in die Küche geschlurft.
„Kaffee!?", krächzte er und Pix deutete auf die Maschine.
Ich folgte Pix' Hand mit meinem Blick und warf ein fröhliches ‚Morgen' in den Raum. Alexander brummte nur zur Antwort und schwankte zu seiner Tasse, trank einen Schluck der schwarzen Flüssigkeit und verzog angewidert das Gesicht.
Ich sah zu ihm auf und mein Herz klopfte heftig. Er hatte sich nur hastig eine Jeans über die Shorts gezogen und lehnte nun, Oberkörper frei, an der Küchenzeile und nippte mit finsterem Blick an seinem Kaffee. Fasziniert beobachtete ich das Spiel seiner Oberarmmuskeln und wie sich seine muskulöse Brust bei jedem Atemzug hob und senkte.
In meinem Bauch kribbelte es unheilvoll und erinnerte mich an die Sehnsucht, die tief in mir schlummerte. Wie gerne, wäre ich einfach aufgestanden, um ihn zu berühren. Die warme, weiche Haut zu streicheln und mich an ihn zu schmiegen und seinem Duft aufzusaugen. Wie lange schon sehnte ich mich wieder danach, in den Arm genommen und geliebt zu werden. Zärtlichkeiten zu tauschen und Intimitäten.
Mein Herz klopfte heftig und fast schmerzlich, bei dieser Vorstellung und ich ertappte mich dabei, dass ich Alexander die ganze Zeit angestarrt hatte und riss mich von seinem Anblick los. Mein Blick traf den von Jochen, dessen Augen amüsiert funkelten und ich glaubte, zu wissen, dass er genau erkannte, was ich gedacht hatte. Ich sah hinaus aus dem Fenster und versuchte angestrengt, nicht zu erröten.
„Du solltest dir was Überziehen!", sagte Pix zu Alex und mir rutschte das Herz in die Hose. „Bevor ich noch erblinde."
„Danke Pix", raunte Alex schlechtgelaunt, leerte die Tasse, knallte diese auf die Arbeitsplatte und wandte sich um. „Du mich auch!"
Pix lachte schelmisch und ich sah wieder zu ihm. Er grinste. Ich erwiderte es und dankte ihm im Stillen, dass er für sich behielt, was er gesehen hatte.
Die Aufnahmen im Studio liefen ohne Komplikationen an. Es machte Spaß mit Alex und Pix zu arbeiten. Die beiden neckten einander ständig und erinnerten mich mehr als einmal an ein altes Ehepaar. Und doch trotz Spaß und Albernheiten war am Ende des Tages ein beachtliches Stück herausgekommen. Tanz mit mir war ein rockiger Song geworden, der perfekte Opener und mein momentaner Favorit für die Singleauskopplung. Ich musste nur noch die Jungs davon überzeugen.
Zur Feier des erfolgreichen Tages hatte Pix sie alle zusammengetrommelt, für einen gemütlichen Abend und um den Rest der Truppe über die glorreiche Arbeit zu informieren. Für diesen Anlass hatte ich bereits Crémant kaltgestellt und war hinab in meine Wohnung gelaufen, da ich dort den Aperol vergessen hatte. Doch nach einigen Minuten, war ich zurück im überfüllten Wohnzimmer des Leadgitarristen.
„Pix, hast du Sektgläser?"
„Hinter dir im Schrank, oben", antwortete dieser und schob sich das letzte Stück Schokoriegel in den Mund.
Ich sah auffordernd in die Runde und erkundigte mich, wer noch ein Glas haben wollte, doch außer Dodo schien niemand der Jungs sich für den Sekt zu interessieren. So stieß ich mit Dodo alleine an und nippte am Glas und hätte mich fast verschluckt. Dodo hatte das Gesicht verzogen und sah mich angewidert an und sah dabei zum Verzweifeln komisch aus.
„Das ist bitter."
„Na, klar", erwiderte ich lachend und deutete auf die Flasche mit der orangenen Flüssigkeit. „Das ist ein Likör aus Bitterorange."
„Brrrrr" Dodo schüttelte sich, „du kannst mein Glas auch noch haben."
„Hättest mal besser gleich auf mich gehört!", sagte Alexander und grinste genugtuend.
So blieb auch der Rest der Flasche für mich. Bereits nach dem zweiten Glas bekam ich schon das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht.
Ich sah Alex, Domi und Pix dabei zu, wie sie gemeinsam am Refrain zu Schmerzhaft bastelten, ohne wirklich eine Hilfe zu sein. Doch ihr Fleiß und ihr Engagement hatten sich nach dem dritten Bier auch gelegt und am Ende lümmelten wir alle nur noch auf dem Sofa herum.
Irgendwann hatte Pix Matthias dazu verdonnert, Pizza holen zu gehen und der Abend endete, wie die Abende mit den Jungs für gewöhnlich endeten.
Es war kurz nach eins, als Dodo sich als Letztes verabschiedete. Er hatte den Stapel Pizzakartons auf den Arm und wankte aus dem Wohnzimmer. Pix folgte ihm, um die Tür zu öffnen und das Licht im Treppenhaus anzuschalten.
Ich streckte mich genüsslich auf dem Sofa aus, gähnte herzhaft und nahm Alexanders Blick, der an mir haftete war, gar nicht wahr.
„Nicht gähnen!", protestierte Pix, der hereingekommen war und nun ebenfalls gähnte.
„Warum nicht?", fragte ich und versuchte, mich aufzusetzen.
Mir war noch immer schummrig und als ich die leere Flasche Crémant, auf Pix' Wohnzimmertisch betrachtete, dann wusste ich auch wieso.
„Ja, warum eigentlich nicht. Ist immerhin schon spät, ich verzieh mich jetzt auch", sprach Jochen und fügte an Alexander gewandt hinzu: „Bleibst du heute?"
Alex fuhr sich über den kahlen Schädel und schüttelte geistesabwesend den Kopf.
„Nein, ich bring Joanne noch runter und dann hau ich auch ab."
„Alles klar – dann gute Nacht!"
Als Pix verschwunden war, sah ich erwartungsvoll zu Alexander hinüber, der sich gerade vom Sofa erhob.
„Trägst du mich auch?"
Er stockte irritiert.
„Wieso tragen? Muss man dich nach einer Flasche Sekt schon tragen?"
„Na, du hast doch gesagt, du bringst mich runter", nuschelte ich und ließ mich von ihm vom Sofa ziehen. „Außerdem hab' ich die Flasche gar nicht alleine getrunken!"
Alexander grinste schief, legte eine Hand auf meine Hüfte, bugsierte mich aus Jochens Wohnung und zog die Tür hinter uns zu. Es war eine angenehme Berührung und ich genoss sie.
„Pass auf bei den Stufen!", mahnte Alex.
„Ich dachte, du wolltest aufpassen?", antwortete ich frech und lehnte mich, ohne nachzudenken an seine Brust.
Sein Herz klopfte schnell und obwohl ich noch immer berauscht vom Alkohol war, nahm ich dies ganz deutlich wahr. Sein Atem war unregelmäßig und zu meiner Überraschung konterte er nicht auf meine Neckerei.
„So, hier sind wir", sagte er nüchtern und löste sich von mir.
Alles in mir sträubte sich dagegen. Einige Sekunden stand ich verwirrt da, nicht fähig meine Gefühle zu ordnen, bis Alexanders Worte an mein Hirn vorgedrungen waren und ich wortlos den Wohnungsschlüssel aus meiner Tasche zog.
Meine Hände zitterten so stark, dass es mir fast unmöglich war, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Alex war hinter mir. So nah, dass ich seine Wärme spüren konnte. Ich fühlte, wie er sich zu mir hinunterbeugte. Sein Gesicht berührte mein Haar, er sog die Luft ein.
Mein Herz klopfte heftig, die Tür sprang auf und ich wandte mich vorsichtig zu ihm um. Alexanders Gesicht, war so nah an meinem, dass ich ganz deutlich die Maserung seiner braunen Iriden erkennen konnte. Ich lächelte etwas schüchtern und nuschelte leise: „Es ist auf!"
Sein Blick ging an mir vorbei auf die Tür, die bereits einen Spalt breit geöffnet war, und wieder zurück zu mir, bevor er sagte: „Dann gute Nacht, Joanne."
Gute Nacht.
Sonst nichts. Seine Stimme klang angenehm in meinen Ohren. Seine Nähe war so wohltuend. Noch immer sah Alex mich an, doch er rührte sich nicht. Mein Herz schlug Purzelbäume und in meinem Kopf drehte es sich noch immer, dank des Aperols. Meine Hand hatte schon die Türklinke ergriffen, doch eine unwiderstehliche Macht zog mich zu Alex hin. Mir war ganz schummrig und ich wusste nicht, ob das von dem Gefühlschaos in mir oder von dem Restalkohol kam, der mich noch immer berauschte.
Ich zögerte. Suchte noch einmal seinen Blick aus den samtenen, braunen Augen. Alex lächelte. Dieses charmante lässige Lächeln, das seine Art ausmachte und mir wurde ganz heiß dabei. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein beinahe raubtierhafter Ausdruck über sein Gesicht. Er beugte sich hinab zu mir, immer näher. Seine Linke fand den Weg durch mein Haar, strich meinen Hals hinauf bis zu meinem Ohr und ich schloss die Augen.
Alexanders Lippen legten sich auf meine. Nicht behutsam oder bedächtig, sie waren fordernd. Er küsste mich mit einer Wildheit, die mich alles ringsum vergessen ließ, die meine Leidenschaft entfachte sowie ein tief in mir schlummerndes Verlangen, welches sich im Wesentlichen zwischen meinen Beinen abspielte.
Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung und ich erwiderte diese Zärtlichkeit zu gerne. Viel zu lange, hatte ich mich danach gesehnt. Viel zu lange danach verzehrt.
Ich hörte, wie die Haustür aufschlug und ließ mich von Alexander in die Wohnung drängen. Er gab der Tür einen saftigen Tritt, ohne auch nur eine Sekunde seine Aufmerksamkeit von mir zu nehmen, und diese fiel knallend in den Rahmen. Währenddessen machten seine Hände mich fast verrückt. Sie hatten wie von allein den Weg unter mein Shirt gefunden, drückten mich gierig an seinen harten, muskulösen Körper.
Er schien sich gut in dieser Wohnung auszukennen, denn Alexander fand den Lichtschalter im Schlafzimmer auf Anhieb, schob mich weiter in den Raum hinein und küsste mich währenddessen so stürmisch, dass ich kaum zu Atem kam. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten wie Konfetti im Wind und das brennende Verlangen in meinem Unterleib rückte immer mehr in den Vordergrund. Ich wollte seine Hände auf meinem Körper spüren, wollte seine Haut berühren, die rauen Lippen küssen. Ich wollte einfach mehr von ihm, doch der Augenblick schien sich quälend langsam dahinzuziehen.
Der Bettkasten drückte schmerzhaft gegen meine Waden und meine Beine knickten ein, doch Alex fing mich mit einer routinierten Bewegung auf.
Es war der erste Moment, in dem mir Zweifel das Rückgrat hinaufkrochen.
Er legte mich sanft ab, wie vermutlich etliche Frauen zuvor und sah einen Moment lang zufrieden auf mich herab und zog sich dann das eigene T–Shirt über den Kopf, um es unachtsam auf den Boden fallen zu lassen.
Der herrliche Anblick seines nackten Oberkörpers lenkte mich für einen Augenblick von meinen Gedanken ab. Er war ein perfekter Mann und ich brauchte jetzt einen Mann, an etwas anderes zu denken war kaum möglich für mich.
Er beugte sich hinunter zu mir, schob den Stoff meines Shirts zur Seite und überhäufte die zarte Haut mit Küssen. Heißen, feuchten Küssen, die langsam und quälend meinen Bauch hinaufkrochen. Es war eine so wohltuende Berührung, dass ich ein genüssliches Seufzen nicht unterdrücken konnte.
Alex rückte zu mir auf, zog mir mit einer gekonnt flüssigen Bewegung das Shirt über den Kopf und küsste mich wieder. Ein unheilvoller Schauer lief durch meinen Körper, obwohl ich mich diesen zärtlichen Liebkosungen so gerne hingeben wollte. Mein Herz raste und zum ersten Mal wurde ich mir bewusst, dass ich zitterte. War es der Alkohol, die Aufregung oder die Angst, die mich plötzlich überfiel. Ich wusste nicht, woher sie kam, noch was sie ausgelöst hatte, doch sie verdrängte jeden erotischen Gedanken mit einem Schlag aus meinem Kopf. Und da war da plötzlich noch etwas: Jessy.
Mein Körper verkrampfte sich unter ihm. Alex schien es bemerkt zu haben, denn er hielt inne und zögerte.
„Was ist los?"
Ja, was war eigentlich los mit mir.
Meine Kehle war wie zugeschnürt, mein Mund trocken. Meine Wangen wurden heiß und ich wünschte mir, dass Alex doch das Licht ausgelassen hätte. Was sollte ich ihm sagen, wo ich selbst keine Antwort darauf hatte. Vor einigen Minuten noch war mir alles egal gewesen, als hätten meine Triebe im Vordergrund gestanden und jetzt hätte ich am liebsten die Zeit zurückgedreht. Nur eine halbe Stunde ...
„Ich kann nicht", flüsterte ich und drehte den Kopf weg.
Das war einfach so furchtbar dämlich und unreif.
Alex ließ von mir ab und musterte mich einige Sekunden verwundert. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, doch dann erhob er sich.
„Okay." Seine Stimme klang ungläubig und verwirrt und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er sein T–Shirt vom Boden fischte.
Ich setzte mich im Bett auf, ignoriert das unerträgliche Brennen, das von meinem Unterleib ausging, unterdrückte die Lust und das Verlangen und suchte vergeblich nach einer Erklärung, nur wollte mir leider nichts einfallen. Schließlich war es Alexander, der die Stille durchbrach.
„Gute Nacht, Joanne."
„Gute Nacht", antwortete ich leise und sah ihm nach.
Seine Schritte im Flur verklangen, die Tür wurde ins Schloss gezogen. Alex war gegangen und ich verfluchte meinen Anstand. Ich verfluchte meinen Verstand, sowie mein Gewissen, denn ich war mir schrecklich bewusst, dass es ein sehr peinliches Wiedersehen werden würde.
„Oh, Jen, ich hätt's so gerne getan!", jammerte ich ins Telefon.
Bei der Erinnerung an gestern begann mein ganzer Körper erneut, zu Kribbeln und das ziehende Verlangen in meinem Unterleib war schier unerträglich.
„Warum hast du dann ‚nein' gesagt?", Jenny klang etwas genervt, doch ihre Stimme hatte die gewohnte Strenge inne.
„Warum?", fragte ich sie überrascht.
War das nicht offensichtlich? Nach all dem, was ich Jen über Alex erzählt hatte. Außerdem gab es eine ganze Menge vernünftiger Gründe dafür, es nicht zu tun. Von der Tatsache, dass wir zusammen arbeiten mussten mal abgesehen.
„Ja, warum?", ritt Jennyfer weiter darauf herum. „Was wär' denn dabei gewesen? Mit deiner Aktion hast du jetzt alles nur noch viel komplizierter gemacht."
Ich begann, zu erröten. Mein Herzklopfen beschleunigte sich um einen Takt, als ich auf die Uhr sah. In knappen zwei Stunden würde Alexander wieder vor der Tür stehen, da wir verabredet waren, um an dem nächsten Song zu arbeiten. Das würde ein unangenehmes Treffen werden und mir war allein schon bei dem Gedanken unbehaglich zumute.
„Wie soll ich mich nur verhalten, Jen? Das wird furchtbar peinlich."
„Zieh dir 'was Aufreizendes an. Sag ihm, dass du gestern etwas vorschnell reagiert hast und dass du's wieder gutmachen wirst." Ich konnte Jennyfer sogar durch Telefon grinsen hören. „Dann benehmt ihr euch, wie erwachsene Menschen und seit beide zufrieden! Wo ist da das Problem?"
„Du bist so doof!", antwortete ich ihr auf den wenig hilfreichen Tipp.
„Warum, Joanne? Was ist denn dabei? Es ist nur Sex!"
Mein Herz schmerzte bei dem Gedanken. Konnte Jennyfer das nicht verstehen oder stellte ich mich wirklich so schlimm an? So nüchtern das alles aus dem Munde meiner Freundin klang, so einfach war es für mich nicht. Ich verzehrte mich nach einem Mann, keine Frage, aber ich wollte ihn nicht nur für eine Nacht. Ich sehnte mich nach so viel mehr, als nur nach Sex. Ich sehnte mich nach Geborgenheit, nach Zärtlichkeit und Liebe und es waren alles Dinge, die ich zu Alexander nicht zulassen durfte.
Es konnte einfach nicht funktionieren. Außerdem waren wir Geschäftspartner und nicht zuletzt war da noch ...
„Und was ist mit Jessica?"
Jennyfer schnaubte am anderen Ende der Leitung, bevor sie antwortete: „Was hat dich das denn zu interessieren, Jo? Es kümmert Alex doch offensichtlich auch nicht."
Ich seufzte leise.
„Joanne?"
„Ja?", fragte ich kaum hörbar.
„Du wirst es nicht tun, hm?"
„Bestimmt nicht, Jennyfer!"
Dieses Mal seufzte meine Freundin.
„Dir ist einfach nicht zu helfen."
„Trotzdem Danke, Jen!"
„Was willst du jetzt stattdessen machen?"
Ich überlegte einige Sekunden und sagte: „Ich muss wohl in den sauren Apfel beißen."
„Du musst nicht!", flötete Jennyfer durchs Telefon.
„Ich werd' wohl in den sauren Apfel beißen", korrigierte ich mich.
„Dass du mir morgen ja nicht wieder die Ohren volljammerst!", warnte Jenny mich.
„Bestimmt nicht, Jen."
„Okay... dann halt die Ohren steif und sag mir, wie's gelaufen ist!"
„Mach ich, danke, Jennyfer."
„Bis dann!"
„Tschöö."
Ich sah resigniert zu dem Handy in meiner Hand und schüttelte energisch den Kopf, um die Gedanken, die Jenny in meinen Kopf gepflanzt hatte, zu vertreiben. Es half nur mäßig.
Als es an der Tür klingelte, schlug mein Herz wie ein wild gewordener Schlagzeuger. Meine Hände waren etwas feucht und meine Vermutung wurde bestätigt, als ich durch den Spion blickte. Alex war heute pünktlich.
Ich atmete einmal tief durch, zwang mich zu einem Lächeln und öffnete die Tür.
„Hi!", begrüßte ich ihn fröhlich und fragte mich gleichzeitig, ob das nicht zu viel geheuchelte Euphorie war.
„Servus, Jo!", sagte Alex und begrüßte mich – wie immer – mit einer Akkolade.
Ich reagierte etwas steif und offensichtlich war es ihm aufgefallen, doch er überspielte dies mit seiner charmanten Lässigkeit.
„Ich hab uns 'was vom Bäcker mitgebracht. Hast du schon gefrühstückt?" Er deutete mein Kopfschütteln richtig, lächelte und fügte hinzu: „Prima, machst du uns einen Kaffee dazu?"
Ich war erleichtert, dass er es mir so einfach machte, und ging darauf ein. Als ich mit zwei dampfenden Tassen Kaffee zurück ins Wohnzimmer kam, saß Alexander bereits auf der Couch. Er riss die drei Tüten vom Bäcker auf, damit ich einen besseren Überblick hatte und mich bedienen konnte, doch irgendwie fehlte mir an diesem Morgen der Appetit.
Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen und das Schweigen war mir unangenehm. Doch es half alles nichts und schließlich hatte ich mir vorgenommen, zumindest den vernünftigen Teil von Jennyfers Rat zu beherzigen: Ich würde mich wie ein erwachsener Mensch benehmen und Unannehmlichkeit aus der Welt schaffen.
„Also ... das mit gestern " Es stellte sich als schwieriger heraus, als ich es angenommen hatte. „Das ... das ist so peinlich", schloss ich und sah in die Tiefen meiner Kaffeetasse.
„Nur ein bisschen."
Ich konnte Alex förmlich lächeln hören und riskierte einen Blick in sein Gesicht. Er grinste tatsächlich und ich spürte, dass ich errötete.
„Ein bisschen?", fragte ich verunsichert und schlug wieder die Augen nieder.
„Ja, ein bisschen. Zumindest für dich", sagte er witzelnd und nahm einen Schluck Kaffee. „Wobei, wenn ich es mir genau überlege, für mich eigentlich auch. So einen Korb hab' ich noch nie bekommen."
Ich wäre am liebsten im Boden versunken, doch als ich Alex erneut ansah, erkannte ich, dass er es mit Humor nahm.
„War ich wirklich so schlecht?", fragte er dann. „Ich dachte immer, ich versteh' was davon."
Es war wie ein Schlag vor den Kopf. Ich war geschockt und peinlich berührt zugleich. Mir fehlten die Worte, doch Alexander fing laut an, zu lachen, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
„Du musst nicht darauf antworten, das war ein Scherz!"
Irgendwie, war mir trotz allem noch etwas unwohl.
„Dann bist du nicht sauer?", hakte ich schließlich nach.
Alexander seufzte und das Lachen verschwand aus seinem Gesicht.
„Nein, ich bin nicht sauer. Am besten vergessen wir die Sache und machen dort weiter, wo wir gestern Abend stehen geblieben sind", sagte er ernst und tippte mit dem Zeigefinger auf das Notizbuch, das er von mir bekommen hatte.
Ich nickte zustimmend und war gleichzeitig ungemein erleichtert. Immerhin kamen wir nun auf das zurück, wovon ich etwas verstand.
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