Im Studio
Kapitel 1 Im Studio
Das Wiedersehen war einfach toll.
Als ich zu Pix' Wohnung hinaufgegangen war, hatte Alexander mir die Tür geöffnet und ich fiel ihm in die Arme.
„Servus, Joanne. Na, so lange warst du doch gar nicht weg." Er lachte.
„Nicht?", fragte ich unschuldig. „Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich hab' mich so gelangweilt zuhause, aber ich hab' einige neue Ideen im Schlepptau!"
„Das klingt doch gut", meinte Alexander und schloss die Tür hinter mir, nachdem ich ihn losgelassen hatte.
Ich trat ins Wohnzimmer, wo die anderen Jungs bereits abhingen, und begrüßte auch sie mit einer Umarmung, damit es nicht so sehr auffiel.
Wir sprachen eigentlich kaum über unsere Arbeit an diesem Abend. Sondern waren mehr damit beschäftigt, über private Dinge zu reden. Dominik erzählte mir stolz von den großen Augen, die sein dreijähriger Sohn gemacht hatte, als er an Heiligabend sein Bobby Car ausgepackt hatte. Achim erklärte, dass eine verbrannte Weihnachtsgans nur bei Mutter schmeckte und Alexander erzählte, wie die Jungs zusammen Silvester bei „Mutter Theresa" verbracht hatten.
„Wer ist Mutter Theresa?", fragte ich neugierig in die Runde.
„Ach, Anna wirst du noch bald Kennenlernen", sagte Pix. „Sie ist die gute Seele, die uns auf der Tour begleitet, um Dodo zu unterstützen."
„Alte Schulfreundin von mir", ergänzte Alex.
„Apropos Tour", meinte ich plötzlich und erinnerte mich an das kurze Telefonat, mit meinem Manager zwischen den Feiertagen, „am Fünfzehnten sind wir zu A.I.M geladen. Routinemäßig, aber vielleicht sollten wir bis dahin noch den Rohbau der beiden ausstehenden Songs fertig haben."
„Das ist zu schaffen", meinte Pix gelassen und ignorierte Alexanders Grummeln. „Das heißt, in den nächsten Tagen ist Studioarbeit angesagt, Alex. Da nützt kein Herumdrucksen mehr."
„Ja, ja", maulte dieser und lehnte sich auf dem Sofa zurück.
„Nix ja, ja", meckerte Jürgen spaßig dazwischen, „wird Zeit, dass ihr 'ranhaltet. Meine Gitarre ist ja schon ganz eingestaubt!"
„Dann hast du deine Freundin aber nicht im Griff", feixte Achim.
Die Jungs lachten und ich schüttelte grinsend den Kopf.
Es war heute nicht so spät geworden, wie sonst. Immerhin hatten wir in den nächsten Wochen einen strengen Terminplan. Es tat mir ein wenig leid. Ich hatte mich gefreut, die Jungs wiederzusehen, und mir war nicht nach Auflösung dieser Versammlung. Doch die Pflicht mahnte mich zur Vernunft und ich lehnte Jürgens Einladung ab, noch einen mit ihnen zu trinken, und verabschiedete mich zeitig von der Runde, denn ich wollte morgen fit sein. Auch wenn es nur die Voraufnahmen waren, wollte ich mein Bestes geben.
„So, das reicht jetzt!", schrie Pix, drehte den Sound ab und sprang wütend von seinem Mischpult auf.
Dodo war in der Bewegung erstarrt und beobachtete seinen tobenden Bandkollegen, wie dieser aus dem Kontrollraum rauschte und die Tür einfach hinter sich offenließ.
So zornig hatte er Pix noch nie gesehen. Er stritt sich gelegentlich mit Alex, es war die Würze, die ihre Freundschaft ausmachte, doch eigentlich war immer der Frontmann der Typ gewesen, der dann wütend wie ein Stier wurde. Jochen war gelassener und es war schwer, ihn auf die Palme zu bringen ... Offensichtlich war es heute so weit.
Ob es daran lag, dass Pix sein Soloprojekt für einige Tage auf Eis gelegt hatte, oder ob es eine neue Differenz zwischen ihm und Alex gab, konnte Dodo nicht sagen. Er stand einfach nur da, verblüfft über Jochens überraschendes Verhalten und sah durch die Glasscheibe hinein in den Aufnahmeraum, in dem Alexander und Joanne mit schuldbewussten Mienen ausharrten.
Ihre Herumalberei war zu Beginn ihrer Arbeit noch ganz amüsant gewesen, doch mittlerweile waren sie bereits Stunden hier unten an den Aufnahmen beschäftigt und noch zu keinem verwertbaren Material gekommen. Ein bisschen konnte Matthias Pix' Rage verstehen.
Sie opferten beide ihre Zeit, denn auch er hatte sich für ein paar Tage unbezahlten Urlaub genommen und weder Alex noch Jo waren bei der Sache. Anstatt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, blödelten sie herum und nahmen keine der Anweisungen von Pix wirklich ernst.
Nach ein paar Minuten kam Jochen zurück und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Er sah noch immer wütend aus, doch er hatte sich anscheinend zumindest ein bisschen beruhigt.
„Dodo?"
„Ai, Chef?" Matthias lächelte aufmunternd, doch Pix ignorierte es.
„Geh da rein und bau' die Mikros um! Ich will, dass sie sich ansehen."
Dodo zögerte und sah Pix dabei zu, wie dieser wieder vor seinem Rechner Platz nahm und die letzte Datei resettete.
„Und du meinst, das bringt was?", fragte er kritisch.
„Sollen wir wetten?", erwiderte Pix, ohne den Blick von seinem Monitor zu wenden.
„Um 'nen Kasten?"
Zu Matthias Verblüffung drehte sich Pix zu ihm um und hielt ihm seine Rechte entgegen. Er ergriff sie verwundert und grinste dann siegessicher.
„Um einen Kasten und 'ne Packung Twix", ergänzte Jochen trocken und widmete sich wieder seinem Rechner, um die Vorbereitungen für den nächsten Song zu treffen.
Dodo hingegen gehorchte und betrat den Aufnahmeraum.
Ich musste mich abwenden, um mein Grinsen zu verbergen, denn ich wusste ganz genau, dass hinter der verspiegelten Scheibe Pix in seiner Mixstube kurz vorm Platzen war. Ich atmete einmal tief durch und mied bewusst Alex' Blick, um diesen nicht eine erneute Vorlage für Scherze zu bieten.
Das Fass war randvoll und ich wollte es nicht zum Überlaufen bringen. Alexander hingegen blätterte durch unser Script, lächelte unschuldig vor sich hin und wartete geduldig auf weitere Anweisungen.
Ich wusste nicht, wie viele Stunden wir heute bereits an den Aufnahmen waren, doch etwas Gutes im Kasten hatten wir bisher noch nicht, dafür allerdings jede Menge Spaß. Sie Stimmung war gut, Alexanders Laune auf dem Höhepunkt und ich war nicht ganz unschuldig, da ich mich ausgiebig an seinen Scherzen und Blödeleien beteiligt hatte.
So einen ausgelassenen Tag hatte ich ewig nicht erlebt und die Arbeit war mir schon lange nicht mehr so gelassen und entspannt von der Hand gegangen.
Nur einem war das Lachen inzwischen vergangen: Pix war am Rand der Verzweiflung und die Tatsache, dass Alexander und ich uns prächtig amüsierten, ohne dabei produktiv zu sein und damit seine Zeit stahlen, hatte ihn wirklich sauer gemacht. Alex' letzte Aktion war offensichtlich zu viel gewesen, denn seit einigen Minuten war es still aus dem Kontrollraum.
Ich traute mich auch nicht, etwas zu sagen. Jeder Ton, den wir hier drinnen sprachen, war draußen zu hören. Pix' Stimme hingegen drang nur zu uns, wenn er die entsprechenden Knöpfchen drückte.
Weitere Minuten vergingen und ich konnte mir geradezu bildlich vorstellen, wie Jochen zusammen mit Dodo hinter der Glasscheibe stand und am Ausrasten war.
Ich schürzte die Lippen und warf Alex flüchtig einen Blick zu. Er zwinkerte frech und ich widmete mich wieder dem Text in meiner Hand, um ihn nicht zu einem weiteren provokanten Spruch zu reizen.
Die Tür ging plötzlich auf und ich hatte so fest mit Pix gerechnet, dass ich zu perplex war, als ich Dodo erkannte. Er sah etwas besorgt drein, ignorierte Alexanders Sticheleien und begann, die technischen Instrumente umzustellen. Ich trat einen Schritt zurück, als er auf meine Seite kam, einige Kabel zog, den Mikrofonständer umstellte und anschließend wieder damit begann, die Kabel wieder anzuschließen.
„Ihr solltet euch ein bisschen mehr zusammenreißen", nuschelte Dodo, nachdem er fertig war. „Pix ist auf Hundertachtzig."
„Der soll sich mal nicht so d'ranstellen!", antwortete ihn Alex in normaler Lautstärke, doch Dodo unterbrach ihn.
„Es ist immerhin euer Job!" Er zog die Tür hinter sich zu, noch bevor Alex kontern konnte und so knurrte dieser nur mürrisch.
Bei mir allerdings hatte diese Mahnung eine Wirkung. Dodo hatte Recht. Bei allem Spaß, den wir trieben, hatten wir nicht unsere Arbeit zu vernachlässigen. Mein schlechtes Gewissen wurde noch verstärkt, als Pix' genervte Stimme ins Studio drang und uns ankündigte, was er anspielen würde und dazu aufrief, endlich mit dem Unsinn aufzuhören.
Peinlich berührt schob ich die Kopfhörer auf meine Ohren und nahm den Platz vor dem Mikro ein, wobei ich überrascht feststellte, dass Dodo außer der Position nichts geändert zu haben schien. Ich stand nun Alexander gegenüber.
Das Intro von Herzdieb erklang. Perplex über diesen abrupten Wechsel suchte ich in unserem Script nach dem Text, um den Randnotizen meinen Part entnehmen zu können, und sah aus den Augenwinkeln, dass Alex es mir gleich tat. Wir hörten uns das Stück einmal komplett an, bevor Pix es nochmal einspielte.
„Und nun mit der nötigen Ernsthaftigkeit, bitte!", mahnte er und ich wagte, gar nicht zu Alexander hochzuschauen.
Der langsame, elektrische Sound drang erneut in meine Ohren und ich schloss einige Sekunden die Augen, um mich hinein zu fühlen. Alex' dunkle, angenehme Stimme erklang, sang den ersten Part und fluchte dann.
Ich schlug die Augen auf und grinste.
„Zu hoch, nochmal von vorn!", bat er und Pix spielte den Song erneut ein.
Er wiederholte die Zeilen einige Male und schüttelte dann verärgert den Kopf.
„Lass uns den Part tauschen, Joanne", sagte er schließlich.
Ich zog einen Stift aus meiner Tasche und begann, auf dem Skript herum zu kritzeln.
„Komplett? Bis ‚wieder sehen'?", fragte ich.
Alex ging den nächsten Part durch, der eigentlich meiner war, und sagte dann: „Ja, komplett."
„Ready?", Pix' Stimme klang schon etwas entspannter.
„Jupp", antwortete ich ihm und augenblicklich drang wieder die Musik aus dem Kopfhörer.
Ich sah zu Alex hinauf, der konzentriert über dem Skript brütete, und hätte beinahe meinen Einsatz verpasst.
Ich:
„Die Zeit steht still, die Sehnsucht steht.
Ich bin allein und warte auf dich.
Komm und heil mich, denn ich weiß nicht,
ob wir uns wieder sehen."
Alexander nickte zufrieden und zwinkerte mir zu, bevor er die nächsten Strophen weiter sang:
Alex:
„Klammheimlich still und ohne Laut.
Ein Tropfen Blut, auf schweißnasser Haut.
Komm und heil mich, komm befrei' mich,
dann tut es nicht so weh."
Beide:
„Ich hol mir dein Herz, heut' Nacht,
noch schlägt es in dir, ganz leise und sacht.
Es muss so rein sein, doch bald wird es mein sein.
Dann schlägt es tief in mir.
Ich hol mir dein Herz."
Eine kurze Pause folgte. Nur am Rande nahm ich Pix Lob wahr. Ich hatte alles um mich herum ausgeblendet. War voll und ganz in diesem Song gefangen und in den Emotionen, die darin verwoben waren. Ich hatte Jochen vergessen, ich hatte Dodo vergessen. Hier gab es nur mich und Alexander, der den nächsten Part anstimmte.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich erwiderte den Blick aus diesen samtenen braunen Augen und hatte plötzlich das Gefühl, dass Alexander jedes Wort, das er sang, ernst meinte.
Alex:
„Der Schmerz brennt tief in meiner Brust.
Ich bin verloren, du hast es gewusst.
Komm und heil mich, denn ich weiß nicht,
ob wir uns wieder seh'n."
Ich:
„Die Ewigkeit, ein Augenblick."
Ich streckte die Hand in seine Richtung. Es war der erste Moment nach seiner Strophe, dass er den Blickkontakt abbrach, um meine Hand zu ergreifen.
„Reich mir die Hand, hol mich ins Leben zurück."
Ein Lächeln bildete sich auf seinen schmalen Lippen und mir war, als wollte er meine Hand nicht loslassen. Ein seltsames kribbelndes Gefühl erfüllte mich plötzlich, doch ich schob es beiseite, um mich weiter auf den Text konzentrieren zu können.
„Komm und heil mich,
komm befrei' mich.
Dann tut es nicht so weh."
Beide:
„Ich hol mir dein Herz, heut' Nacht,
noch schlägt es in dir, ganz leise und sacht.
Es muss so rein sein,
doch bald wird es mein sein.
Dann schlägt es tief in mir."
Ein musikalisches Solo folgte. Eine kurze Verschnaufpause, die Alex mit einer Improvisation füllte, mit einer Leidenschaft, die mich zutiefst beeindruckte und mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Alex:
„Ich sink' tiefer, immer tiefer,
bis ich mich in dir verlier'!
Alex:
„Ich hol mir dein Herz,
ich hol mir was mir gehört, heut Nacht!
Es muss so rein sein,
doch bald wird es mein sein.
Dann schlägt es tief in mir."
Ich
„Ich schenk dir mein Herz, heut' Nacht.
Es muss so rein sein,
Von nun an, wird's dein sein.
Dann schlägt es tief in dir!"
Matthias stand staunend vor dem verspiegelten Fenster und starrte in den Aufnahmeraum hinein, in denen Joanne und Alexander ihre gesangliche Bestleistung ablieferten. Ungläubig schüttelte er den Kopf und drehte sich zu Pix um, der die Aufzeichnung im Auge behielt.
„Woher hast du das gewusst?", fragte er schließlich und sah wieder in den kleinen Raum, in dem die beiden Künstler gemeinsam den Refrain anstimmten.
„Das ist doch offensichtlich", sagte Pix und legte einen der unzähligen Schalter um. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass es dir nicht aufgefallen sei, Dodo? Das sieht ein Blinder mit Krückstock!"
Matthias zog nachdenklich die Brauen zusammen.
„Du meinst, zwischen denen läuft was?"
„Nein", widersprach Pix und lachte, „ich meine, die gehören zusammen. Sie wissen es selbst nur noch nicht."
„Du bist ein Spinner!" Nun lachte auch Dodo.
„Ein Spinner, dem du einen Kasten Bier schuldest!", erinnerte sein Freund ihn und zog sich das Mikrofon heran. „Und 'ne Packung Twix!"
Matthias murrte nur.
Mein Herz klopfte heftig, während die Musik leise verklang. Ich zitterte ein wenig, vermutlich von der Anstrengung. Pix' Stimme drang euphorisch aus dem Kopfhörer, lobte und bereitete uns zugleich auf das nächste Stück vor.
„So, das war das Vorspiel, jetzt kommt 'was Ernstes!"
„Und was ist mit dem Nachspiel?", witzelte ich.
„Das gibt's bei Alex nicht", Pix' Stimme klang boshaft.
„Hast du 'ne Ahnung!", protestierte Alexander lachend und ich stimmte mit ein.
Ich streifte Alex' Blick, aus diesen wunderbaren braunen Augen, die mich nachdenklich musterten, und lächelte beinahe verlegen.
Die restlichen Aufnahmen klappten super. Natürlich hatten wir das ein oder andere Mal mehrere Anläufe gebraucht, doch als wir am Abend Feierabend machten, hatten wir gleich drei komplette Songs im Kasten. Das war eine ordentliche Leistung, auch wenn Pix der Meinung war, dass wir bereits viel früher hätten fertig sein können, wenn wir von Anfang an mit der nötigen Ernsthaftigkeit herangegangen wären.
Alexander schob diesen Tadel mit seinem unermüdlichen Frohmut zur Seite. Wir besuchten im Anschloss eine Bar um die Ecke, um den guten Abend ausklingen zu lassen. Nach einer Weile stießen auch Dominik und Achim zu uns und der Wirt teilte uns einen ruhigen Tisch zu, an dem wir gelassen auf den gelungenen Tag anstoßen konnten.
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