Im Club
„Meinst du hier?", fragte Jen mich.
„Sieht ganz so aus", antwortete ich ihr sarkastisch und betrachtete die Leuchtreklame, die mit Neonlichtern den Namen des Clubs verkündete.
„Und wo soll ich hier bitte Parken!?!"
„Fahr doch mal da runter, vielleicht ist hier irgendwo ein Parkhaus."
„Ja toll. Dann müssen wir noch 'nen Kilometer laufen, bis wir da sind", moserte Jennyfer.
„Maul nicht rum! Ich hab' dir gleich gesagt, dass wir ein Taxi nehmen sollten!", antwortete ich ihr, während wir die Straße hinabfuhren. „Da vorne ist doch 'ne Parklücke."
„Ha, ha – da pass' ich nie rein."
„Jennyfer!", protestierte ich, als sie tatsächlich an dem freien Parkplatz vorbeifuhr und dem Straßenverlauf weiter folgte. „Du fährst 'nen Kleinwagen! Damit passt du sogar auf einen Motorradstellplatz!
„Aber das war zu eng!"
Ich seufzte genervt, wurde jedoch von Jen unterbrochen, bevor ich weiter fluchen konnte.
„Da vorne sind noch Parkplätze frei und sieh mal: Da ist sogar 'ne Bank."
Jennyfer bog auf den Platz ein und stellte sich in eine freie Reihe, wobei sie es tatsächlich schaffte, genau auf der Parkbegrenzung zu stehen. Sie störte sich allerdings nicht daran, schaltete den Motor aus und das Innenlicht an. Fast synchron griffen wir nach unseren Taschen und zogen die Beutel mit dem Make-up heraus, um uns noch einmal frisch zu machen.
„Freust du dich schon Asp wieder zu sehen?", fragte Jen, nachdem sie ihren Lippenstift nachgezogen hatte.
„Und wie! Ich hab' Alex extra darum gebeten, ihm nichts zu verraten."
Alexander Spreng, besser bekannt als Asp, war ein alter Bekannter von mir. Vor vielen Jahren schon hatte mich dieser Szene-Veteran unter seine Fittiche genommen. Ich hatte ihn einige Wochen als Vorband begleiten dürfen, als ich noch in den Kinderschuhen meiner Karriere steckte. Er hatte mich unterstützt, hatte mich aufgebaut und noch dazu inspiriert. Asp war einer der beliebtesten Musikkünstler der Szene, nicht zuletzt weil er seine Meinung vertrat, seinem Stil treu blieb und nie kommerziell gewirkt hatte. Er leitete sein eigenes kleines Label und hatte sogar Angebote von A.I.M oder Universal Media abgelehnt, nur um sein eigener Herr zu sein und um der alleinige Verantwortliche seiner Werke zu bleiben. Asp war ein Multitalent: Er designte, er textete, er komponierte und organisierte alles selbst und er war von Anbeginn mein großes Idol gewesen.
Ich freute mich riesig, ihn wieder zu sehen, denn heute feierte er seine After Show Party im Moonlight.
„Bevor wir reingehen, muss ich aber noch zum Automaten", Jens Kopf ruckte hinüber zur Bank und ich nickte, warf einen letzten prüfenden Blick in den kleinen Spiegel meiner Puderdose und klappte diese zu.
Wir klaubten unsere Sachen zusammen, stiegen aus und Jennyfer verriegelte den Wagen. Die Glöckchen, die ich in jede Reihe des Schnürsenkels der 40-Loch Boots gefädelt hatte, klimperten hell bei jedem Schritt. Ich liebte diesen silbernen Klang und genoss es, durch die kalte Nachtluft zu gehen. Weder der schwarze Spitzenrock, noch die verzierte Korsage wärmten mich, also zog ich meine Jacke enger um den Körper, während wir auf die Bank zusteuerten.
Ich folgte Jen hinein und betrachtete ihr Outfit genauer, als sie am Geldautomaten stand. Ihr kurzes Kleid, war verspielt und hatte nach hinten eine Schleppe, die fast auf den Boden hing. Es hatte keine Ärmel und über den glatten Stoff trug sie ein blutrotes Mieder, um ihre Taille zu betonen. Es stand ihr gut doch, vor allem das rote Haarband rundete das Gesamtbild ab.
„So, nun kann's losgehen!", sagte Jennyfer euphorisch, steckte die Geldbörse in die Tasche und kam zu mir. „Die erste Runde geht auf mich! Und ich such den ersten Flirtkandidat aus!"
„Willst du das nicht lieber mir überlassen?", fragte ich grinsend und hakte mich bei ihr ein.
„Wenn ich mich darauf verlasse, dass du endlich mal den ersten Schritt machst, Jo, dann wirst du sicher alleine nach Hause gehen."
Ich lachte hell und antwortete: „Ich werde heute nur mit einem nach Hause gehen und das bist du Jen! Dass das gleich klar ist."
„Warte erst mal ab, bis ich dich abgefüllt hab'!" Jennyfer kicherte albern und steckte mich tatsächlich damit an.
„Nix gibt's – bis auf zwei, drei Cola-Bier."
„Und Erdbeer Daiquiri?", fragte Jen unschuldig.
„UND Erdbeer Daiquiri!", bestätigte ich und wir brachen beide in lautes Lachen aus.
Unser Gelächter hallte durch die Straße und aus den Augenwinkeln sah ich, wie zwei Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf uns aufmerksam wurden. Ich dachte mir nichts dabei und alberte weiter mit Jennyfer herum, bis die beiden die Seite wechselten und dann direkt auf uns zukamen.
Mir war etwas mulmig zumute, versuchte jedoch, mir nichts anmerken zu lassen und zog mir die Jacke enger um die Schultern. Die Glöckchen an meinen Boots bimmelten hell und für einen Augenblick war es das einzige Geräusch, das durch die dunkle Straße hallte.
„Joar, is' denn heit scho' Weihnachten?" Einer der Männer verlangsamte seinen Schritt und ich spürte, wie Jennyfers Griff um meinen Arm fester wurde.
Ich beschloss, die Herren zu ignorieren, und zog Jen mit mir nach rechts, um an den beiden vorbei zukommen, doch diese wechselten daraufhin ebenfalls die Seite des Fußweges, so dass wir wieder genau auf sie zu steuerten.
In meinem Bauch begann es zu prickeln. Es war Unbehagen, vermischt mit einer ordentlichen Portion Angst.
„Na, haben die Ladys heute schon was vor?" Der Linke der beiden grinste selbstgefällig, als wir unsere Schritte verlangsamten, denn zwischen uns waren nur noch ein paar Meter.
Jennyfer hob kühn den Kopf und erwiderte in einem Ton, der arroganter nicht hätte sein können: „Ich wüsste nicht, was euch das angeht!"
In den Augen der beiden Jungs funkelte die Angriffslust und ich verfluchte meine Freundin für ihre halsbrecherische Art am liebsten erwürgt. Doch da ich gerade andere Sorgen hatte, drängte ich sie nach links um die Straßenseite wechseln zu können, aber wieder wurde uns der Weg versperrt.
„Vielleicht habt ihr ja Lust, 'nen Abstecher zu uns zu machen", sagte der andere und kam noch näher.
„Träum weiter!", zischte Jen aufgebracht.
„Jen, lass uns-"
„Ganz schön vorlaut die Kleine. Was sagt denn deine Freundin dazu?" Ihre Blicke richteten sich auf mich, doch Jennyfer hätte mir nicht einmal das Wort überlassen, wenn ich es beansprucht hätte.
„Wahrscheinlich dasselbe wie ich: Haut ab und pöbelt jemand anderen an!"
„Nanananananaaa, sei doch nicht so ein Spielverderber, Blondie!"
Die beiden waren inzwischen direkt vor uns. So nah, dass ich dringend das Bedürfnis hatte, etwas Abstand zu gewinnen, aber Jennyfer – dieser Sturkopf – kam gar nicht auf die Idee, zurückzuweichen. Ich ließ ihren Arm los und ging angewidert einen Schritt zurück, als der Größere der beiden mir zu aufdringlich wurde.
„ICH GEB DIR GLEICH BLONDIE, DU HIRNI!"
Die beiden Jungs lachten, doch es war ein Ton, der mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Mein Herz raste vor Aufregung. Ich sah die Straße in beiden Richtungen hinab, aber wir waren vollkommen alleine. Lediglich das Werbeschild am Ende der Straße ließ ahnen, dass dort ein kleiner Imbiss war, doch vielleicht gab es dort noch einen Verkäufer.
„Ein borstiges Kätzchen, was Mitch?"
„Raaaawr", äffte sein Kumpan und machte eine provozierende Geste Richtung Jennyfer.
„Aber eigentlich ist mir die andere viel lieber."
„Du sagst es, Heiko."
Das Blut schien mir in den Adern zu gefrieren und ich wünschte mir ein bisschen von dem tollkühnen Mut, der in Jennyfer schlummerte.
„Mach dich vom Acker, Babe!", der Mann mit dem Namen Heiko hatte Jen gepackt und wirbelte sie trotz ihres Widerspruchs herum.
„WAS FÄLLT DIR EIN, DU MISTKERL?!? FASS MICH NICHT AN!"
„Jen, bleib ruhig", versuchte ich sie, doch vor allem mich zu beruhigen, „da hinten ist ein Kiosk."
„Genau, geh 'was trinken, Babe, wir bringen dir deine Freundin auch heil zurück", witzelte Heiko.
Jennyfer ließ sich allerdings nicht so schnell abwimmeln und ich nutzte die Gelegenheit, mich an den beiden Männern vorbeizudrängen und steuerte den Kiosk an, blieb jedoch stehen, als Jen mit Heiko zu ringen anfing.
„Das reicht jetzt!", schrie dieser und stieß Jennyfer von sich. „VERSCHWINDE!"
„Komm, Jo!" Ich wollte ihr folgen, da packte mich einer von ihnen am Handgelenk und hielt mich fest.
„Du bleibst!"
„FINGER WEG!", zischte ich.
Ich war überrascht von der Lautstärke und dem Selbstbewusstsein, dass ich plötzlich an den Tag legte, denn innerlich starb ich bereits den Heldentod. Mitch war zwar einen Kopf größer und deutlich kräftiger als ich, doch überraschenderweise gehorchte er.
„Stell dich nicht so an!", meinte Heiko.
Er war plötzlich hinter mir und ich schauderte. Sie hatten mich eingekesselt und aus den Augenwinkeln sah ich gerade noch, dass Jennyfer endlich meine Worte beherzigte und Richtung Kiosk davon eilte.
Ich versuchte, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, zwängte mich zwischen den beiden hindurch und folgte Jen, im zügigen Schritt. Dabei zwang ich mich dazu, nicht zu rennen, denn diesen Triumph wollte ich ihnen nicht gönnen.
Die beiden Kerle blieben mir jedoch auf den Fersen. Waren jeweils rechts und links von mir und Heikos widerlicher Atem schwappte mir entgegen, als er sagte: „Du willst doch nicht schon gehen. Keine Lust auf ein bisschen Spaß?"
Ich reckte mein Kinn in die Luft und zog die Brauen in die Höhe.
„Was verstehst du unter ‚Spaß'?"
Heiko sprang mir in den Weg und ich war gezwungen, stehen zu bleiben. Jennyfer war bereits aus meinem Sichtfeld verschwunden. Vermutlich war sie gerade in den Kiosk gehuscht. Der Größere der beiden machte eine obszöne Geste und sein Kumpel lachte amüsiert.
Als Antwort hielt ich ihnen meinen Mittelfinger ins Gesicht und ihr Lachen wurde breiter. Mit rasendem Herzklopfen nutzte ich den Moment ihrer Unachtsamkeit, überquerte die leere Straße und zwängte mich zwischen den parkenden Autos hindurch auf den Fußweg. Der Kiosk war nur noch wenige Meter entfernt, aber zumindest Heiko war hartnäckig genug, um mir hinterher zu eilen.
„Komm schon, Babe? Du willst doch noch nicht wirklich gehen!"
Er packte mich an der Schulter, zog mich zurück. Die Angst, die ich vor einigen Sekunden noch verspürt hatte, wurde verdrängt von der Wut. Vielleicht gab mir das Licht des nahen Kiosks Sicherheit, vielleicht war es aber auch nur die Dreistigkeit des Fremden, der mich genügend auf die Palme brachte.
„Ich sagte, du sollst mich nicht anfassen!", rief ich lauter, wandte mich zu ihm und schlug seine Hand von meiner Schulter.
Das dreckige Grinsen auf seinem Gesicht verschwand und er kam nun ebenfalls wütend auf mich zu, doch dieses Mal wich ich nicht zurück.
„Gut, wie du willst: Schluss mit lustig."
Meine Kehle schnürte sich zu und ich hoffte, dass Jen sich nicht allzu viel Zeit ließ. Er trat einen weiteren Schritt zu mir heran, ignorierte den Ruf von Heiko, der noch immer auf der anderen Seite stand und sah zu mir herab. Seine Augen funkelten wütend und mein Herz schlug mir bis zum Hals.
„Belästigt dich der Kerl etwa, Joanne?", Heikos Züge versteinerten, er wich zwei Schritte zurück und blickte auf etwas hinter mir.
Alexander trat zwischen mich und den Fremden, schirmte mich vor dessen Blicken ab und ich war so erleichtert, dass ich hätte weinen können. Ich fand jedoch keine Worte.
„Keep cool, Alter!" Heiko hatte die Hände auf Brusthöhe erhoben und wich vor Alex zurück, der um einiges größer war als er selbst. „War doch nur'n Spaß!"
„Komisch, ich sehe hier nur niemanden lachen!", entgegnete er ernst und in einem Ton, der schneidend scharf wie eine Klinge war.
Erst jetzt fiel mir auf, wie bedrohlich er auf den Fremden wirken musste. Um zwei Köpfe größer als dieser, selbstbewusst und in unheilvolles Schwarz gekleidet und doch empfand ich Genugtuung, als ich feststellte, dass Heiko nun eben das spürte, was mich vor wenigen Minuten fast gelähmt hätte: Angst.
„Bin ja schon weg!", sagte er und wandte sich zum Gehen. „Konnt' ja nicht wissen, dass sie 'nen Macker hat!"
Er spurtete über die Straße, auf deren anderer Seite Mitch wartete und gemeinsam verschwanden sie in der Dunkelheit. Alexander grummelte wütend etwas vor sich hin, bevor er sich zu mir umdrehte und besorgt musterte.
„Alles in Ordnung?"
Ich nickte zaghaft und offensichtlich strafte mich meine Körpersprache Lügen, denn Alex kam auf mich zu, legte mir einen Arm um die Schultern und wir wandten uns zum Gehen um. Erleichtert lehnte ich mich an ihn und folgte ihm, ohne auf den Weg zu achten. Jetzt erst spürte ich, wie sehr ich zitterte und wie schnell noch immer mein Herz klopfte.
„Danke ... oh je, wie mein Herz rast!", gestand ich schließlich nach einigen Metern und versuchte das Zittern zu unterdrücken.
„Doch nicht etwa wegen mir", scherzte Alex und plusterte die Brust auf.
Ich musste lachen und allmählich löste sich die Beklommenheit von mir.
„Na klar, wegen dir!" Ging ich auf seinen Witz ein. „Du bringst mich doch immer ganz aus dem Konzept!"
„Ach, Joanne", sagte er lachend und drückte mich noch ein bisschen fester an sich heran, „du weißt, was ein Mann hören will."
Wir lachten einstimmig und ich entspannte mich wieder. Den Kiosk, der nur beleuchtet, jedoch verschlossen war, hatten wir schon hinter uns gelassen und als wir um die Ecke bogen, kam Jennyfer uns bereits entgegen gehechtet.
Sie keuchte, als sei sie einen Marathon gelaufen. Ihr Haar war zerzaust, das Make-up ein wenig verschmiert, kam sie schlitternd vor uns zum Stehen.
„Gott – sei – Dank", presste sie zwischen der Atemnot hindurch. „Verfluchter – Kiosk – hat zu!"
„Schon gut, Jen. Beruhige dich wieder."
„Beruhigen?!?", ächzte sie. „Was hätt' ich denn tun sollen, wenn ich Alex nicht getroffen hätte?"
„Aber ich war da", besänftigte Alexander sie mit seiner tiefen, angenehmen Stimme.
Jennyfer wollte protestierten, doch Alex hatte seinen freien Arm um ihre Schultern gelegt und schob uns beide die Straße hinunter.
„Könnte der Abend besser anfangen?", fragte er, als das Schild der Diskothek bereits in Sichtweite war. „Gleich zwei hübsche Damen im Arm und noch gar nicht im Club angekommen."
Jennyfers düsterer Blick löste sich auf und wurde von einem Grinsen ersetzt.
„Und der Abend hat noch nicht einmal begonnen", meinte Jen und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
„Und der Abend hat noch nicht begonnen", bestätigte Alexander munter.
Als wir in das Licht der Straßenlaterne traten und die dunkelromantische Musik von der Diskothek an mein Ohr drang, hatte ich die Pöbelei bereits vergessen.
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