Herzdieb
Ich war in Gedankten vertieft gewesen und schloss die Haustür auf, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Hörte nicht einmal das Knarren der alten Holztreppe, als ich zu meiner Wohnung hinaufging. Ich klaubte den Schlüssel aus der Jackentasche und wollte gerade aufsperren, als eine bekannte Stimme mich zusammenzucken ließ.
Ich schaute das Treppenhaus hinauf und sah Alexander, der den Kopf über das Geländer gebeugt zu mir hinab sah.
„Hab' ich dich erschreckt?" Das selbstzufriedene Grinsen auf seinem Gesicht bestätigte meine Vermutung, dass es sich bei seiner Frage um Rhetorik handelte.
„Wie lange lauerst du schon da oben? Ganz schön viel Geduld, nur um mich zu erschrecken", sagte ich spitz und schloss die Tür auf.
Alexander polterte die Treppen hinab und erzählte: „Ich wollte zu Pix. Weißt du, wo er ist?"
Ich schüttelte verneinend den Kopf und wandte mich dem Frontman zu.
„Er hat mir nichts gesagt. Hast du ihn nicht angerufen?"
„Doch", antwortete Alex und grinste wieder, „hat sogar oben in seiner Wohnung geklingelt."
„Soll ich ihm 'was ausrichten?"
Alex überlegte einige Sekunden, schüttelte dann jedoch verneinend den Kopf.
„Nö", sagte er schließlich. „Ich denke ... ich ruf ihn später einfach nochmal an." Er sah nachdenklich die Treppe hinab, drehte den Kopf und fixierte mich wieder. „Und was machst du mit dem angebrochenen Abend?"
Ich hob die schlichte schwarze Hülle aus der Videothek in die Höhe und sagte: „Film schauen. Nichts Aufregendes."
„Hm", brummte Alex, „was hast du ausgeliehen?"
„Einen meiner Lieblinge: V wie Vendetta. Kennst du ihn?"
Alexanders Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.
„Künstler lügen, um die Wahrheit zu sagen, Politiker lügen, um die Wahrheit zu vertuschen", zitierte er und zauberte mir damit ein Lächeln aufs Gesicht. „Das ist ein klasse Film!"
„Hast du Lust, mir Gesellschaft zu leisten?" In meinem Bauch kribbelte es plötzlich.
Irgendwie war mein Mundwerk schneller gewesen als mein Kopf und ich fügte an: „Während du auf Pix wartest."
Alex strich sich durch den kurzen Bart und nickte zufrieden.
„Das ist eine gute Idee! Ist schon ewig her, dass ich den Film gesehen habe."
Er folgte mir in die Wohnung und ließ die Tür ins Schloss fallen. Mein Weg führte direkt ins Wohnzimmer und ich steuerte zielstrebig auf den Fernseher zu. Wie sehr ich mich auf den Film freute!
„Mann, ist das kalt hier! Ist ja schlimmer als draußen!" Alexander war mir auf den Fersen und rieb sich nun über die bloßen Arme. „Hast du die Heizung aus?!?"
„Ich bin den ganzen Tag nicht hier, warum sollte ich dann die Heizung an haben?", fragte ich ihn wahrheitsgemäß und legte den Film in den Player. „Hauptsache, im Badezimmer ist es angenehm!"
Alexander gab einen zischenden Laut von sich, um seine Missbilligung auszudrücken, schritt zum Fenster und drehte das Heizkörperthermostat herum und sagte: „Da machst du dir Pluspunkte bei Pix, wenn der das hört."
„So schlimm ist es jetzt auch wieder nicht!", protestierte ich.
„Ich hab' nur'n T-Shirt an", entgegnete Alexander trocken.
„Warum machst du auch so'was bei dem Wetter!?! Ist ja nicht so, als hätten wir dreißig Grad im Schatten."
Er hatte den Kopf leicht schief gelegt, beide Brauen nach oben gezogen und wollte etwas entgegnen, doch ich kam ihm zuvor. „Willst du 'nen Kaffee gegen die Kälte?"
„Nein, danke", antwortete er mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Mein Herz klopfte dabei quälend.
„Willst du 'ne Decke?", fragte ich und gab mir viel Mühe genervt zu klingen, doch mein Grinsen strafte mich Lügen. „Aber nur, wenn du sie mit mir teilst! Denn offensichtlich gibt es nur eine!"
Alexander lehnte sich auf dem Sofa zurück, streckte die Arme zu beiden Seiten aus, lächelte und zwinkerte mir zu.
„Das Angebot kann ich ja schlecht ausschlagen."
Ich seufzte theatralisch, klappte den Ottomanen hoch und zog eine schwarz-weiß karierte Wolldecke daraus hervor und schmiss sie Alex zu. Dann griff ich nach der Fernbedienung des DVD-Players, wählte den Film aus, drückte auf Play und ließ sie auf den Tisch fallen. Ich warf einen kritischen Blick auf Alex, der die Decke bereits über sich ausgebreitet hatte.
„Du musst mir aber ein bisschen Platz machen, sonst sitz ich da so gequetscht!"
„Selbstverständlich!", sprach Alex und rückte auf.
Ich löschte das Licht, tapste zurück zur Couch und streifte mir die Schuhe ab, bevor ich unter die Wolldecke krabbelte.
„Remenber, remember", flüsterte ich leise und zog mir die Knie an die Brust und umschlang meine Beine mit beiden Armen.
Alex sprach nicht. Er lehnte sich lässig zurück auf die Couch und widmete der Mattscheibe seine Aufmerksamkeit, als der Vorspann erklang. Und wir lauschten der leisen behutsamen Stimme einer Frau. Eves Stimme:
Remember, remember the fifth of November ... was ist mit dem Mann? ... wer war er wirklich? Was für ein Mensch war er? ... Man sagt uns, wir sollen der Idee gedenken und nicht des Mannes ... Aber man kann eine Idee nicht küssen, man kann sie nicht berühren oder umarmen. Ideen bluten nicht, sie fühlen keinen Schmerz und sie lieben nicht. Und es ist nicht eine Idee die, ich vermisse. Es ist ein Mann ... einen Mann, den ich niemals vergessen werde ...
Verzweifelt kämpfte ich gegen die Müdigkeit an, während meine Lider immer schwerer wurden. Ich wollte unbedingt den Film bis zum Ende schauen, wollte Eve und V zusammen tanzen sehen
Ich zog mir die Decke bis zum Kinn und lehnte müde den Kopf an Alexanders Schulter. Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie er sich in meine Richtung neigte und mich ansah. Ich achtete nicht auf seinen Blick. Er zog seinen Arm unter der Decke hervor und legte ihn vorsichtig um mich. Mein Kopf rutschte auf seine Brust und ich brummte leise und blinzelte heftig, damit ich wach blieb.
Ich hörte sein Herz schlagen. Leise und gleichmäßig wie ein steter Tropfen, der gegen ein Fenster klopfte. Es beruhigte mich, es war mir so vertraut ... Er war mir so vertraut. Ein wohlig warmes Gefühl flutete mein Inneres, als ich die Augen schloss. Es fühlte sich an, als wäre ich zuhause ... so vertraut ... so geborgen ... Endlich war ich zuhause...
Seine Hand fuhr quälend langsam meinen Bauch hinauf. Liebkoste jeden Zentimeter während der Erkundung. Seine Finger malten kleine Kreise auf meine Haut und lösten einen wohligen Schauer in mir aus. Ich spürte seine Lippen an meinem Hals.
Heiß und feucht.
Sog seinen Duft ein, hörte seinen Atem direkt an meinem Ohr.
Es brauchte nur eine kleine Neigung meines Kopfes und unsere Lippen fanden einander. Der Kuss schmeckte süß und war anregend. Ich wollte immer mehr davon. Wollte immer mehr von ihm spüren. Das aufdringliche Brennen in meinem Unterleib raubte mir den Verstand. Sein heißer Atem auf meiner Haut, die spielerischen Berührungen machten mich fast wahnsinnig. Schürten nur das Verlangen nach ihm. Alles an meinem Körper schrie nach ihm. Mein ganzes Denken, ja sogar mein ganzes Dasein schien mir, für den Moment, nur für diesen einen Augenblick gemacht zu sein – und endlich war er da.
Ich schlug die Augen auf und starrte für einige Sekunden verwirrt vor mich. Mein Atem ging schneller, mein Herz raste, doch ebenso plötzlich wie ich erwacht war, kam die Erkenntnis: Es war nur ein Traum gewesen.
In meinem Bauch herrschte ein seltsam mulmiges Gefühl, als mir dies bewusst wurde. Nur ein Traum.
Ich schloss wieder die Augen in der Hoffnung, ich würde einfach erneut einschlafen. Würde weiterträumen oder konnte mich zumindest weiter dieser Fantasie hingeben, doch eine strenge Stimme in meinem Innern, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Jennyfers hatte, tadelte mich. Ich atmete tief durch und versuchte, meinen schnellen Herzschlag zu beruhigen.
Erst jetzt wurde ich mir der Decke bewusst und raffte mich verwundert auf. Ein neuer Morgen war angebrochen und ich lag auf der Couch im Wohnzimmer, der Fernseher war aus und Alexander scheinbar verschwunden. Ich musste noch während des Films eingeschlafen sein.
Eine tiefe Traurigkeit erfüllte mich auf einmal. Ich fühlte mich plötzlich verlassen, so unbedeutend klein und verdammt einsam. Wie ich hier saß: Alleine, in einem fremden Haus, in einer fremden Stadt! Meine Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen, meine Brust und meine Kehle waren wie zugeschnürt.
Was war nur los mit mir? Gestern war noch alles in Ordnung gewesen.
Gestern ...
Ich spürte, wie Tränen meine Wange hinab rannen und schniefte leise. Wenn ich nur nicht eingeschlafen wäre! Es hätte ein so schöner Abend werden können ... doch eigentlich war es ein schöner Abend gewesen.
Wir hatten kaum miteinander gesprochen, nur stumm da gesessen und den Film geschaut und doch, ich war schon lange nicht mehr so zufrieden mit der Situation gewesen – und mit mir.
Wieder quollen Tränen aus meinen Augen hervor. Mir fiel das Atmen schwer und ich versuchte, mich zusammenzureißen. Wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht und tadelte mich für mein dämliches Selbstmitleid. Um meinem Gefühlsausbruch ein Ende zu setzen, erhob ich mich, um ins Bad zu gehen. Dass ich mich plötzlich so elend fühlte, schob ich auf die Hormone. Was sonst konnte der Grund für mein Emotionschaos sein?
Ich brauchte die Zeit im Bad und genoss es, mich ein bisschen hübsch zu machen. Während ich mein widerspenstiges Haar bändigte, hörte ich via Handy mein Lieblingsalbum von ASP. Es tröstete mich ein wenig, heiterte mich auf und ließ mich meine Sorgen vergessen. Ich konnte, als ich fertig war, sogar wieder lächeln, als ich in den Spiegel sah, und so ging ich schnurstracks ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Ich hatte mich für eine schwarze Jeans und ein Carmenshirt entschieden und war gerade fertig geworden, als es an der Tür klingelte.
Ich ging hinüber in den Flur und öffnete, ohne in den Türspion zu schauen, und staunte nicht schlecht. Dort stand Alex und irgendetwas war anders. Ich sah es auf den ersten Blick, ich wusste nur nicht, was es war.
„Servus, Joanne", er lächelte nervös.
„Hi, Alex!" Ich trat zur Seite, damit er an mir vorbei in die Wohnung gehen konnte, doch der Frontmann rührte sich nicht.
„Ich – hab' den Film gestern Abend mitgenommen und ihn zurückgebracht. Ich hoffe, du bist nicht sauer."
„Ach, quatsch. Es ärgert mich nur, dass ich es nicht bis zum Ende geschafft habe. Wann bist du gegangen?"
„So gegen zehn", meinte er sachlich.
„War Pix da?"
„Pix?", er sah mich verwirrt an, schien sich dann jedoch zu erinnern. „Oh, also ... ich hab' nicht mehr nachgesehen. Bin direkt nach Hause gegangen."
„Achso."
Eine seltsame Stille folgte.
„Willst du nicht reinkommen?", fragte ich ihn, aber Alexander zögerte.
„Bei dem Wetter in der Bude sitzen? Komm schon, Joanne, es ist unser letzter Tag vor der Generalprobe!" Er lächelte einladend und streckte mir die Hand entgegen.
Mein Herz begann, einen Takt schneller zu klopfen. Ich sah ihn an, in diese wunderbaren braunen Augen, die mich galant anblickten und erkannte noch etwas anderes darin. Ich verstand nur nicht, was.
Ich griff nach dem Schlüssel und der Geldbörse, die auf der kleinen Kommode neben dem Eingang stand, fasste Alex' Hand und zog die Tür hinter mir zu.
Alexander hatte nicht übertrieben. Draußen war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien warm auf uns herab, das städtische Treiben nahm seinen alltäglichen Lauf, doch die Gesichter der vielen Leute schienen weniger streng, weniger gestresst zu sein, als sonst.
Wir nahmen ein spätes Frühstück bei Coffee Dreams ein und genossen das Wetter auf der kleinen Hofterrasse. Wir sprachen nicht viel und ich hinzu zu sehr meinen Gedanken nach. Morgen würde die Generalprobe stattfinden und dann würde ich für ein paar Tage nach Hause fahren. Noch einmal ging ich die Dinge in meinen Kopf durch, die ich noch nicht eingepackt hatte.
Alexander rührte geistesabwesend in seinem Kaffee. Das Geräusch zog meine Aufmerksamkeit an und da fiel mir zum ersten Mal eine Veränderung auf.
„Du hast deine Ringe vergessen", stellte ich nüchtern fest.
Alex sah auf seine Hand hinab, doch dann schüttelte er den Kopf, bevor er sagte: „Nein, es war an der Zeit, sie abzulegen und das Vergangene ruhen zu lassen."
Ich stockte kurz. War es vielleicht zu unverschämt, nachzufragen?
„Jessy?"
„Nein", sagte er und sah mir so tief in die Augen, dass es mir fast unangenehm war, „das hatte mit Jessy nichts zu tun."
Ich nahm einen Schluck Kaffee, um seinen Blick zu entkommen und erinnerte mich an das, was er mir vor vielen Wochen über Megaherz, seinen Freund und seiner ehemaligen Verlobten erzählt hatte.
Eine peinliche Stille folgte wieder, doch Alexander wusste auch diese Situation zu meistern.
„Bist du schon aufgeregt wegen der Tour?"
Ich sah auf, lächelte und erwiderte.
„Und wie! Aber ich freue mich auch schon sehr darauf. Besonders auf die Festivals."
„Das wird sicher eine tolle Zeit!"
„Du hast es vermisst, auf der Bühne zu stehen, hm?", hakte ich schmunzelnd nach.
Alexander nickte nachdenklich.
„Das neue Programm ist so anders", sagte er jedoch leise, „ich hab ein wenig Respekt vor den Reaktionen, die da kommen werden."
„Ach, das ist nach den zwei ersten Gigs vergessen!", beruhigte ich ihn. „Dann liegen dir die Mädels wieder zu Füßen und alles ist beim Alten."
Alex grinste verschmitzt und es stand ihm ausgesprochen gut.
Nur noch ein paar Wochen ... In ein paar Wochen würde alles vorbei sein. Die Zeit mit den Jungs war wie im Fluge vergangen. Unaufhörlich und ohne, dass ich sie halten konnte.
Ich spürte, wie meine Gedanken wieder drohten in eine melancholische Stimmung abzugleiten und wollte dagegen wirken.
„Los, trink aus!", forderte ich Alex auf. „Ich hätte noch Lust auf ein Eis, gibt es hier in der Nähe ein Eiscafé?"
Alexander gehorchte, nickte und antwortete: „Zwei Straßen weiter am Park gibt es ein Café."
„Das trifft sich ja super!"
Wir schlenderten die Straße hinab und hielten kurz am besagten Café an. Ich gönnte mir ein Bällchen Zitrone und folgte Alexander, der uns in den Park führte. Wir kamen am Kunstpavillon vorbei und alberten miteinander herum.
Die düsteren Gedanken hatte ich verdrängt und meine Laune war auf einem Höhepunkt und ich schien Alex damit anzustecken.
„Hey, pass auf!"
In meiner Euphorie hatte ich die Fahrradklingel überhört, Alexander riss mich aus der Bahn des Fahrers. Zog mich an sich heran und ich quietschte überrascht.
„Hoppla!", meinte ich grinsend, als der Sportler an uns vorbeibrauste.
„Was würdest du nur ohne mich machen, Joanne, wenn ich dich nicht immer retten würde?", witzelte Alex, ohne den Arm von meiner Schulter zu nehmen.
„Immer?!", hakte ich nach und tat erbost.
„Hast du den Vorfall vor dem Moonlight schon vergessen?"
„Ach, das meinst du", sagte ich und sah unschuldig zur Seite.
„Oder, dass du fast im See ertrunken wärst?"
„Weil du mich reingezogen hast!", protestierte ich sofort.
„Dafür hab ich dich ja auch gerettet."
Der Schalk saß ihm in den Augen, das konnte ich selbst durch die blaugetönten Brillengläser erkennen. Wir ärgerten uns gegenseitig noch so lange, bis wir den Neptunbrunnen erreicht hatten. Ich setzte mich auf die niedrige Mauer und ließ meine Hand durch das Wasser gleiten.
Alexander zögerte.
„Du wirst mich nicht wieder 'reinstubsen, wenn ich mich zu dir setze?" Er hatte eine Braue nach oben gezogen und es kostete ihn offensichtlich viel Selbstbeherrschung, nicht zu grinsen.
„Wenn du mir keinen Grund dazu lieferst!", antwortete ich frech und tätschelte den Stein neben mir, um Alex zum Platz nehmen aufzufordern.
Er kam dieser Geste nach. Vorsichtig, doch er nahm Platz.
Wir schwiegen eine Weile und ich knabberte am letzten Stück meiner Eiswaffel, während ich die ausgelassene Stimmung genoss. In der Ferne drang das Gejohle von Kindern an mein Ohr und man konnte hier und da einen Spaziergänger mit seinem Hund beobachten.
„Was wirst du nach der Tour machen?"
Alexanders Stimme riss mich wieder in die Gegenwart. Ich überlegte kurz, doch eigentlich war es offensichtlich. Ich hatte so viele neue Eindrücke hier gewonnen. War um viele Erfahrungen reicher geworden. Die Zusammenarbeit mit Eisbrecher hatte mir die nötige Auszeit verschafft, die ich mir erhofft hatte.
„Ich werde mit der Arbeit an meinem neuen Album beginnen. Ich freue mich schon darauf, die vielen neuen Ideen in ein Konzept einzuweben."
Alexander schwieg eine Weile, bevor er den Faden wieder aufnahm: „Hat dir München gefallen?"
„Es ist eine schöne Stadt, ja", sagte ich wahrheitsgemäß, „hat seinen ganz eigenen Charme."
„Magst du nicht hierbleiben?" Mein Magen zog sich ruckartig zusammen. „Bei ... mir?"
Mein Herzschlag schien, einen Takt lang auszusetzen. Panik überfiel mich plötzlich wie ein wildes Raubtier, das sich unbemerkt an mich herangepirscht hatte. Ich war aufgesprungen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Ich zitterte wie ein Blatt im Wind und sah fassungslos auf Alexander hinab und schüttelte den Kopf.
Alex, zu perplex von meiner unvorhersehbaren Reaktion, versuchte offensichtlich, mir zu folgen.
„Was spricht dagegen, es nicht einmal zu versuchen, Joanne. Ich meine ... warum nicht-"
„Du fragst, warum?", unterbrach ich ihn entrüstet. „Ist das dein Ernst!?"
In seinem Gesicht zeichnete sich Unverständnis ab und ich spürte, wie vor Zorn und Scham meine Wangen heiß wurden. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich plötzlich so wütend auf Alex war. Vielleicht weil ich mich wirklich in ihn verliebt hatte – trotz allem und weil er einfach nicht so war, wie ich es mir wünschte.
„Du bist unzuverlässig, fickst alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist und willst mir vermutlich jetzt erzählen, dass alles anders wird?"
Ich konnte förmlich sehen, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. Nichts von der Coolness, die sonst seinen Charme ausmachte, war geblieben. Nun stand ihm nur noch Fassungslosigkeit und blankes Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
„Das ... das", versuchte Alex, zu erklären, „das bin nicht ich."
„Nein?!", meine Wut stieg ins Unermessliche. Diese Ausrede war einfach zu dämlich. „Dann habe ich den wahren Alexander Wesselsky wohl nie kennen gelernt!", giftete ich weiter. „Denn so bist du schon, seit ich die kenne. Du nimmst keine Rücksicht auf deine Freunde, du hast keine Rücksicht auf Jessy genommen, warum sollte es bei mir anders sein?"
Einen Herzschlag lang hielt ich den Atem an. Wenige Sekunden, in denen ich hoffte, seine Antwort wäre sinnig und würde mich gleichermaßen überzeugen. Ich hätte ihm so gerne geglaubt.
Doch Alexander fand keine Worte und das machte mich umso wütender.
„Wenn es nach dir gegangen wäre, hättest du mich doch schon nach wenigen Wochen flach gelegt, oder etwa nicht?"
„Aber", verteidigte Alexander sich, „das war bevor "
Er verstummte. Mein Herz pochte wild in meiner Brust und ich begann zu beben.
„Bevor was?", hakte ich scharf nach.
Stille.
Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bevor Alexander fortfuhr: „Bevor ich mein Herz an dich verlor'."
Seine Stimme klang leise und gekränkt, doch darin war plötzlich eine Kälte, die mir einen Schauer über den Rücken jagte. Einen Bruchteil einer Sekunde sah er mir in die Augen. Ein winziger Augenblick, der ausreichte, dass ich mich schlecht und verachtenswert fühlte.
Von der Wut, die gerade noch in mir getobt hatte, war nichts geblieben. Ich versuchte, zu schlucken, doch mein Mund war furchtbar trocken. Betreten sah ich zu Boden. Alexander hingegen erhob sich, wandte sich von mir ab und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Verwirrt und verstört blieb ich zurück und sah ihm nach. Das leise friedliche Plätschern des Brunnens in den Ohren und geschockt von meiner derart heftigen Reaktion.
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