Erinnerungen

Jennyfer quietschte am Telefon. Gerade hatte ich ihr von der Unterhaltung mit Alexander von gestern Morgen erzählt.

„Er ist also doch ein guter Kerl, auch wenn er ein Problem mit Frauen hat!", sagte sie und ich rollte mit den Augen.

„Naja, irgendwoher muss ja auch sein Spitzname kommen", meinte ich gleichgültig und nutze die Gelegenheit für einen Themenwechsel.

Es funktionierte, denn Jen wurde hellhörig.

„Spitzname? Was für'n Spitzname denn?"

„Checker", antwortete ich und ließ mich auf das Sofa in meiner Wohnung fallen.

„Ooooh", ertönte es am anderen Ende der Leitung, „so nennen ihn die Jungs?"

„Eigentlich nur Dodo, wenn ich mal Recht überlege."

„Verstehe", eine kleine Pause folgte, „Also nehmt ihr 5. März?"

Ich stöhnte. Wie konnte ich nur Jennyfers Hartnäckigkeit unterschätzen?

„NEIN!"

„Stell dich nicht so an Jo."

Ich antwortete ihr nicht, sondern äffte sie auf meiner Seite der Leitung stumm nach.

„Jetzt mal im Ernst", versuchte es meine Freundin aufs Neue, „das ist DER perfekte Song: Es war eure erste gemeinsame Arbeit und mit ihm hat alles begonnen! Erinner' dich an den genialen Auftritt auf dem Festival."

„Ich erinnere mich", sagte ich gelangweilt.

„Na, also", Jen's Stimme klang triumphierend, „das ist Schicksal!"

Ich lachte höhnisch. Doch da mir bewusst war, dass Jennyfer nicht aufgeben würde, bevor ich ein Zugeständnis gemacht hatte, tat ich ihr den Gefallen.

„Ok, ok, machen wir's so: Wir schauen uns erst mal an, was bei dem Album noch tolles 'rausspring, und wenn nichts Optimales dabei ist, können wir immer noch auf 5. März zurückgreifen."

Meine Freundin brummte leise am Telefon.

„Warte mal ab, wenn ich zu Weihnachten hochkomme, dann spiel ich dir die erste Version von Tanz mit mir vor. Das ist ein cooler Track und er würd' ein tolles Video hergeben!"

„Na gut, bis Weihnachten ist es ja nicht mehr lange. Wie kommst du hoch, Jo? Soll ich dich wieder abholen?"

„Nein, ich hab' schon 'nen Flug gebucht. Ich lasse meinen Kram hier."

„Ok. So, Jo, ich muss jetzt Schluss machen. Die Mittagspause ist gleich 'rum."

„Na dann, wir hören uns die Woche noch."

„Jupp. Bye!"

„Tschöö, Jen."

Ich schaltete das Handy aus und ließ es auf das Sofa plumpsen, schlenderte ins Badezimmer und zog mir das feuchte Handtuch vom Kopf. Mein rückenlanges Haar klatschte mir nass auf die Schultern und ich schüttelte mich leicht, bevor ich zum Föhn griff.

Ich brauchte etwa eine halbe Stunde im Bad und als ich herauskam und auf die Uhr sah, musste ich verwundert feststellen, dass es bereits nach ein war.

Alexander sollte schon hier sein. Meine innere Unruhe ließ mich nicht entspannen und nach weiteren fünf Minuten hatte ich mein Handy wieder gezückt und Alex' Nummer gewählt, doch ich erreichte nur die Mailbox. Verwirrt drückte ich ab.

Alexanders war selten pünktlich, doch mittlerweile war er bereits seit über einer Stunde überfällig und das war schon lange nicht mehr der Fall gewesen.

Einen Moment blieb ich im Wohnzimmer stehen, überlegte und kurz darauf hatte ich meinen Entschluss gepackt. Ich schnappte mir Schal, Handschuhe und Mantel, schlüpfte in die Boots und zog die Wohnungstür hinter mir zu. Seit gestern wusste ich, dass Alex nur zwei Straßen weiter wohnte. Ich würde ihn einfach abholen.

Draußen war es eisig und ich musste den Kragen meines Mantels hochschlagen. Der Wind blies mir erbarmungslos ins Gesicht und meine Haut schmerzte bereits. Ich war nur einige Minuten gegangen und doch verfluchte ich – angesichts des Wetters – meine Ungeduld.

Ich betrat den Flur des Mehrparteienhauses, als eine ältere Dame herauskam und erklomm den zweiten Stock. Bevor ich klingelte, vergewisserte ich mich noch, dass ich an der richtigen Tür stand. Drinnen war es ruhig, doch dann hörte ich Schritte dahinter.

„Ach, du bist es, Joanne", Alexander wirkte überrascht, aber er bat mich herein und schloss die Tür hinter mir. „Was machst du denn hier?"

„Ich dachte, wir könnten irgendwo zusammen mittagessen. Komm ich ungelegen?" Mir war sein Unbehagen direkt aufgefallen. „Soll ich später wieder-"

„Nein, schon ok", unterbrach er mich und führte mich ins Wohnzimmer. „Setz' dich doch noch kurz, ich bin gleich fertig."

Er hatte kaum die Tür hinter mir geschlossen, als Jessicas Stimme dumpf dahinter ertönte.

„Was soll das?!?" Sie klang ziemlich wütend. „Bringst du deine Huren nun auch mit hierher? Soll ich euch noch das Bett machen gehen?"

„Reg dich ab, Jessy!", brüllte Alex zurück. „Zumal es dich nichts angeht!"

„Und ob mich das, etwas angeht! Das ist gegen unsere Abmachung!"

„Ooooh, als ob du dich immer an unsere Abmachungen halten würdest."

„Ich will die hier nicht noch einmal sehen, dass das klar ist!"

Eine Tür fiel ins Schloss, vermutlich die Haustür. Dann war es still.

Nun war es an mir, sich unbehaglich zu fühlen. Verkrampft saß ich auf der Couch und lauschte, während ich darüber nachdachte, wie mich gleich Alexander gegenüber verhalten sollte.

Sollte ich einfach so tun, als hätte die Diskussion nicht gehört?

Nach einigen Minuten ging die Wohnzimmertür auf und Alex trat herein, ohne die Miene zu verziehen. Der starke Duft seines Aftershaves verriet mir, dass er aus dem Bad kam. Er ging um den Couchtisch herum, ergriff die beiden darauf liegenden Silberringe und steckte sie sich an.

„Wohin möchtest du essen gehen, Jo?"

Er tat also so, als wäre nichts gewesen und ich ging darauf ein. So blieb mir eventuell eine peinliche Situation erspart.

„Bei Coffee Dreams? Ich hätte wirklich Lust auf einen ihrer warmen Bagels."

„Gut, dann können wir ja im Anschluss zu dir. Ist Pix zu Hause?"

„Hm, ich weiß nicht."

„Ok", meinte Alex und zog sich Jacke und Kappe über und schnappte sich sein vollgestopftes Notizbuch, „wir werden's ja sehen."

Ich hakte nicht nach, warum er zu spät kam. Mir war es schon unangenehm genug, dass Alexander sich offensichtlich wegen mir mit Jessica gestritten hatte. Meine Abneigung gegen sie jedoch verstärkte sich. Sie war eine unmögliche Person und ihre arrogante Art machte mich richtig wütend.

Doch was wusste ich schon über sie?

Vielleicht war ihr Verhalten begründet?

Vielleicht hatte sie berechtigterweise so reagiert?

Es stand mir nicht zu, über Jessica zu urteilen und ich schalt mich für diese unfairen Gedanken.

Nach dem kleinen Imbiss trudelten wir in meiner Wohnung ein und Alexander präsentierte mir stolz, was er in den vergangenen Tagen an Material zusammengesucht hatte. Es war ein winziges Notizbuch, etliche lose Seiten, diverse Briefe, auf dessen Rückseite hastig etwas gekritzelt war, doch im Großen und Ganzen war ich beeindruckt von dem Inhalt.

„Wow, also das Zeug reicht mindestens für drei weitere Alben", lachte ich und nahm einen Schluck von meinem Coffee-to-go.

„Man muss es halt noch sinnig zusammenbasteln!", grinste Alex und fuhr fort, „ganz so einfach wird's also nicht."

„Das bekomm ich hin! Ich werd' für's basteln bezahlt", scherzte ich und der Frontmann stimmte mit ein.

„Na dann fang mal an zu puzzeln! Ich geh hoch, mal schauen, ob Pix da ist, vielleicht will er sich zu uns setzen!"

„Okay, bis gleich."

Er verschwand im Flur und lehnte die Haustür nur an.

Ich griff nach dem kleinen Notizbuch, das auf dem Tisch lag, und begann darin zu blättern. Auf den Seiten standen viele unzusammenhängende Textzeilen, ganze Verse oder der ein oder andere Vermerk.

Die Thematik war sich jedoch sehr ähnlich und wich nicht von den vorherigen Eisbrecher Alben ab. Vereinzelt waren Sätze durchgestrichen, Anmerkungen hinzugefügt oder es fehlte mal eine Seite, deren ausgefranste Überreste in der Mitte des Buches davon erzählten.

Als ich durch das Buch blätterte, fielen zwei zusammengefaltete DIN A4 Seiten heraus und landeten auf dem Boden. Ich griff nach den Blättern und klappte sie neugierig auf.

Es handelte sich um einen vollständigen Songtext und er machte den Eindruck, als sei er vollkommen durchgearbeitet und bereits ins Reine geschrieben.


Ich hab gelogen für dich
die Welt betrogen
für dich
hab ich den Traum gelebt,
der jetzt zu Ende geht.

Ich war ganz oben für dich
ich ging zu Boden
für dich
hab ich den Halt verloren
doch ich hab mir geschworen.

Refrain:
Die Hölle muss warten
es ist noch nicht an der Zeit
für mich zu gehen
trotz all meiner Taten
die Hölle muss warten
es ist noch nicht Zeit
für mich zu gehen

Ich hab gelogen für dich
mich selbst verbogen
für dich
hab ich die Angst für dich gespürt
mich selbst ins Nichts entführt.

Ich wär gestorben für dich
als gäb's kein Morgen
für mich
hab ich die Zeit verloren
doch ich hab mir geschworen.

Refrain

Denn nach allem was geschah
ich bin immer noch da
es gibt noch so viel für mich zu tun

ganz egal was auch kommt
ich nehm alles in Kauf
was auch immer geschieht
ich geb nie auf.

Refrain


Meine Kehle war wie zugeschnürt und ein schweres Gewicht drückte auf meine Brust. Ich versuchte, den Klos in meinem Hals herunterzuschlucken, während ich die Zeilen las, doch es wurde immer schwerer. Die Schrift verschwamm vor meinen Augen, als diese immer feuchter wurden.

Ich schniefte leise und strich mir die Tränen aus den Augen und schloss diese für einige Sekunden.

Ich wusste, warum ich so empfänglich für diese Worte war und warum sie mich so tief berührten. Es war ein so trauriger und gleichzeitig so schöner Song.

Im Geiste konnte ich Alex' tiefe Stimme hören, die langsam und wehklagend sang, begleitet von Streichern und Schlagzeug mit einer bitter-süßen Melodie.

„Joanne?"

„Ja?", sagte ich heiser und schlug die Augen auf.

Alexander stand im Türrahmen und sah mich verwirrt an.

„Alles in Ordnung?"

„Das hier ist wunderschön!", sprach ich und hob schwach die beiden Seiten hoch, die ich in der Hand hielt.

Alex nahm neben mir Platz und sah auf das Papier in meiner Hand. Er lächelte gequält und sagte leise: „Der ist schon sehr alt. Mindestens zehn Jahre"

„Er berührt mich sehr."

Er zögerte kurz.

„Passt allerdings nicht in unser Konzept", meinte er schließlich.

„Ja, leider", bestätigte ich, „aber den musst du in euer nächstes Album packen. Das wäre eine herzzerreißende Ballade."

Ich schloss die Augen und summte die Melodie, die in meinem Kopf entstanden war, und sang leise den Refrain vor mich hin.

Alexander sprang plötzlich vom Sofa auf und zog damit wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Er stand am Fenster und sah hinaus, stumm und reglos. Ich dachte mir nichts dabei und fragte ihn fast vorwurfsvoll: „Wie kannst du einen so guten Text zehn Jahre lang unter Verschluss halten?"

Alexander rührte sich nicht, doch nach einigen Sekunden antwortete er: „Es ist meine Version von 5. März."

Mein Herz zog sich zusammen. Ich ließ die Blätter zurück auf den Tisch gleiten und lauschte gespannt. Doch es dauerte weitere Sekunden, bevor Alexander wieder sprach.

„Du hast mich mal gefragt, warum Megaherz zerbrach. Erinnerst du dich?"

„Ja, natürlich", flüsterte ich leise.

„Wir waren zu fünft", begann Alex, „Pix, Mike, Erik und mein bester Freund Andreas. Andy und ich kannten uns schon seit unserer gemeinsamen Zeit aus der Schule. Wir hatten schon immer zusammen Musik gemacht, bis ich 'was mit seiner Freundin hatte.

Danach folgten einige Monate Funkstille, doch irgendwann hatten wir uns wieder zusammengerafft und Megaherz gegründet. Und damit hatten wir zum ersten Mal Erfolg. Sogar kleine Hits und es lief richtig gut."

Er machte eine kurze Pause und ich dachte schon, das war alles, was er darüber zu erzählen hatte. Also hakte ich vorsichtig nach.

„Und was ist dann passiert?"

Alexander zuckte, drehte mir noch immer den Rücken zu und sah aus dem Fenster. Er starrte einige Sekunden hinaus, ohne auch nur anzudeuten, dass er mir antworten würde, und als er sprach, war seine Stimme seltsam rau.

„Er hat sich revanchiert."

Ihre Augen waren verheult und rot gewesen. Ihr Anblick schockte ihn, noch nie hatte er sie in einen vergleichbaren Zustand gesehen. Sein Herz schmerzte, er wollte das Leid von ihr nehmen, das sie plagte. Wollte sie in die Arme schließen und sie trösten. Er ging auf sie zu, doch irgendwas war anders.

„Fass mich nicht an!", kreischte sie hysterisch.

Er war stehen geblieben. Angst lähmte ihn, denn er konnte es einfach nicht begreifen.

„Was – was ist nur geschehen, Jaqueline?" Er versuchte, seine Stimme ruhig klingen zu lassen, versuchte, sie zu besänftigen, doch es wirkte kaum.

„ICH BIN SCHWANGER!" Es klang wie ein Vorwurf und es lief ihm dabei eiskalt den Rücken hinab.

Er wagte es kaum zu atmen, doch sein Herz machte einen verräterischen Hüpfer. Wie sehr hatte er sich das gewünscht. Wie sehr hatten sie beide sich ein Kind gewünscht, doch das Entsetzen über ihre Reaktion hielt ihn davon ab, sich zu freuen. So hatte er Jaqueline noch nie gesehen. So sauer, so wütend und gleichzeitig aufgelöst. Etwas stimmte nicht. Sein Gehirn versuchte verzweifelt, zu verstehen, was da vor sich ging und dann packte ihn das Grauen. Ihre Verzweiflung konnte nur eines bedeuten.

„Es ist nicht mein Kind?" Ihm kam die Frage nur schwer über die Lippen und er spürte, wie Wut und Adrenalin in seinen Körper strömten, doch er zwang sich dazu, Ruhe zu bewahren.

Jaqueline schüttelte den Kopf und es vergingen qualvolle Sekunden, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Doch – aber ich – ich", ihre Stimme versagte für einen Moment. Für einen quälend langen Moment. „Andy und ich ... wir ..."

„Wir?", brachte er nur heiser hervor, ohne es zu verstehen.

„Jah." Jaqueline nickte und Tränen tropften auf den Fußboden. „Es ist ... aus mit uns, Alex ..."

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und er spürte gar nicht, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Er verstand einfach nicht, was er falsch gemacht hatte. Er verstand einfach Jaquelines Vorwürfe und ihren Hass nicht. Doch in diesem einem Moment, in dem Moment, als sie Andreas' Namen in den Mund genommen hatte, brannte ein Feuer in ihm und versenkte alle anderen Emotionen.

Es interessierte ihn nicht, was seine Verlobte fühlte – ihn interessierte nicht mehr, warum sie so ungerecht zu ihm war, denn er konnte an nichts denken. An nichts außer dem weißglühenden Hass auf Andreas. Andreas, sein Bandkollege – Andreas, sein Freund und mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Mit einem Mal wurde ihm klar, dass Andy ihm den Seitensprung mit seiner Jugendliebe nie verziehen hatte. Er hatte ihn getäuscht, er hatte geheuchelt und nach alle den Jahren nur auf den richtigen Moment gewartet. Auf den Moment, an dem er ihm selbst all das zerstören konnte, was ihm je etwas bedeutet hatte.

„Jaqueline", sprach er und versuchte, möglichst wenig Zorn und Enttäuschung in seine Worte zu legen, „lass uns darüber sprechen! Lass uns gemeinsam eine Lösung finden."

„Eine Lösung!", kreischte sie. „Es gibt keine Lösung mehr, Alex. Es gibt schon lange kein wir mehr! Worüber sollen wir jetzt noch reden?"

Es schnürte ihn die Kehle zu und er glaubte, an all den Gefühlen zu ersticken, die ihn in diesem Moment heimsuchten. Es graute ihm davor, daran zu denken. Er wollte Jaqueline nicht loslassen. Nicht jetzt – nicht nachdem sie endlich mit dem Glück gesegnet worden waren, wonach sie sich so sehr gesehnt hatten.

„Bitte!", flehte er.

Er konnte einfach nicht verstehen, wie sie da so kalt vor ihm stehen konnte. Er konnte nicht begreifen, was nur in ihr vorging.

„Nein, Alex. Das führt zu nichts! Nicht nachdem, was geschehen ist."

Er schloss die Augen. Es war einfach so furchtbar ungerecht. Jaqueline wandte sich um und ging. Doch bevor die Tür ins Schloss fallen konnte, fiel ein kleiner, schwerer Gegenstand schwer zu Boden. Dann zog sie die Tür hinter sich zu, ohne noch einmal zurückzublicken.

Alexander schwankte wie in Trance durch den Flur, blieb exakt an derselben Stelle stehen, an der Jaqueline noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte und starrte auf den Boden. Er beugte sich vor und hob den kleinen, silbernen Gegenstand auf, ohne es wirklich wahrzunehmen. Schloss so fest die Faust darum, dass er einen Abdruck in seiner Handinnenfläche hinterließ.

Es war ihr Verlobungsring.

Jaqueline war gegangen und sie ließ Alexander alleine zurück. Ließ ihn zurück mit einem unerträglichen Gefühl von Hass. Hass auf Andreas. Hass auf Megaherz, doch vor allem Hass auf sich selbst.

Sie ließ ihn zurück – alleine – und unglaublich verletzt.

„... mit meiner damaligen Verlobten, die ein Kind von mir erwartete ..."

„Du bist Vater?", fragte ich überrascht, denn davon hatte er in all den Wochen, in denen wir gemeinsam arbeiteten nie etwas erwähnt.

Doch zu meinem Entsetzen schüttelte er den Kopf.

„Nein – sie hat sich dagegen entschieden."

Der Ton seiner Stimme war wie ein Faustschlag in meine Magengrube. So gekränkt, so verbittert und mit einem Mal verstand ich. Es war wie ein fehlendes Puzzlestück, das es unmöglich machte, das Bild zu erkennen. Die melancholischen Lyrics, die Gleichgültigkeit gegenüber Jessica, das alles ergab nun für mich einen Sinn.

Es tat mir im Herzen weh, ihn so niedergeschlagen zu sehen und in dem Moment wollte ich nichts sehnlicher, als ihn trösten. Ihm ein kleines bisschen von seinem Leid nehmen, das auf ihm lastete, um sein herzliches Lachen wieder vernehmen zu können.

Alex stand noch immer mit dem Rücken zu mir und sah wieder aus dem Fenster. Meine Füße hatten sich wie von selbst bewegt, bis ich direkt hinter ihm stand und ihn umarmen konnte. Er zuckte ein wenig zusammen, als ich mich an ihn schmiegte, den Kopf an seinen Rücken legte und mit meinen Armen seine Brust umschloss, doch er sagte nichts.

Sein Herz hämmerte in einem schnellen Takt gegen seinen Brustkorb, doch seine Muskeln entspannten sich ein wenig. Er griff mit seiner rechten, nach einer meiner Hände, drückte sie sanft und ich genoss die Berührung.

Einige Minuten standen wir einfach nur da, ohne ein Wort zu wechseln und jeder in seine eigene Welt versunken. Es war Alexander, der sich als Erstes rührte. Er hob meine Hand an seinen Mund, sodass seine Lippen meinen Handrücken nur ganz flüchtig berührten.

„Danke, Joanne!", sagte er leise.

Dann löste er sich von mir und verließ den Raum, ohne mich noch einmal anzusehen. Verwirrt und zittrig sah ich ihm nach.

Mein Herz pochte, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Die Stelle, an der seine Lippen meine Haut gestreift hatten, kribbelte noch immer ein wenig und der kühle Duft seines Aftershaves haftete noch an mir.

Ich atmete tief durch und versuchte, mich zu beruhigen, versuchte das Kribbeln aus meinem Körper zu bannen, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Doch ich konnte weder das Zittern meiner Hände, noch das aufgeregte Schlagen meines Herzens kontrollieren.

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