Autogrammstunde

Es war einer dieser stressigen Tage, die ich hasste, aber sie gehörten nun einmal zu meinem Job.

Wir waren Stunden gefahren, wie viele es waren konnte ich gar nicht mehr sagen, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Als wir jedoch vor dem Hintereingang des Elektrofachmarktes standen, war die lange Reise vergessen, denn hier begann der Stress erst richtig.

Ich wäre dankbar gewesen um Jen's Unterstützung, doch leider war es ihr nicht möglich gewesen, mich an diesem Tag zu begleiten. So hielt ich mich also an Dodo, der mich liebevoll mit allem versorgte, was ich wünschte und es zwischendurch sogar schaffte, mich zum Lachen zu bringen.

Wir würden einige Stunden hier verbringen, um Autogramme zu geben. Anschließend ins Hotel fahren, uns etwas ausruhen und abends im Club abhängen, in dem Alexander auflegen würde. Morgen früh ging es dann zeitig weiter in die nächste Stadt, um die Prozedur zu wiederholen.

Es waren einige Tage, die uns für die Proben verloren gingen, doch mittlerweile waren wir ein eingespieltes Team und die kleine Auszeit machte uns keine ernsten Sorgen. Das Vorspielen vor A.I.M. war uns gelungen und nun würde die nächste Hürde unsere Fans sein.

Ich folgte den Jungs aufgeregt in den Fachmarkt, als alle so weit waren. Im Hintergrund lief der Sound des neuen Albums. Wir waren gut gelaunt – trotz der langen Anreise – teilweise sogar euphorisch. Es war seit der gemeinsamen Arbeit mit Eisbrecher das erste Mal, dass ich wieder direkten Fankontakt hatte.

Ich freute mich darauf.

Der Stand war liebevoll dekoriert worden. Unser Albumcover prangte als großes Banner hinter den Stühlen. Der Mediendesigner von meinem Label hatte es geschafft, unsere beiden Bandlogos harmonisierend zu vereinen und gab dem Ganzen in sich lichtenden Nebel die notwendige Dramatik.

Wir nahmen die uns zugewiesenen Plätze ein und den Fans wurde Minuten darauf der Eintritt gewährt.

Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer, als das Gemurmel losging, ich war doch schon sehr gespannt auf die Reaktion der Konsumenten.


Eigentlich war es wie immer gewesen. Unzählige verschiedene Gesichter, darunter einige bekannten, die ich immer wieder sah, viel Smalltalk und das ein oder andere Foto. Es hatte Spaß gemacht und ich bemerkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Doch irgendwann kam einer der Angestellten zu unseren Tisch und verkündete, dass wir nur noch eine Stunde hatten. Ich war ein wenig enttäuscht und zugleich auch dankbar über die Pause und freute mich insgeheim darauf, dass ich die Möglichkeit hatte, im Hotel ein bisschen abzuschalten.

Von irgendwoher hörte ich jedoch plötzlich Stimmen, die meinen Magen veranlassten, sich unangenehm zusammenzuziehen. Ich hatte nur unzusammenhängende Wörter aufschnappen können, doch sie verursachten in mir ein ungutes Gefühl.

Ich schrieb die Widmung zu Ende und unterzeichnete, sah wieder auf und gab der jungen Frau das Album mit einem Lächeln zurück. Sie bedankte sich höflich und verschwand wieder in der Menschenmasse. Nur am Rande nahm ich Alex' Witzeleien wahr, während ich die Reihen der Wartenden nach einem Ohmen absuchte.

Doch da war nichts.

Ich schalt mich für dieses dämliche Verhalten und klinkte mich bei Alex' Smalltalk ein. Ich bewunderte Alexander einfach für seine lässige und offene Art. Es waren Eigenschaften, mit denen ich mich immer schwertat, und jemanden wie ihn an meiner Seite zu wissen, ließ mich meine Sorgen etwas vergessen und machte mein eigenes Verhalten lockerer. Denn egal, was kommen würde. Es gab keine Situation, zu der Alexander keinen flotten Spruch auf den Lippen hatte oder die ihm die Sprache verschlug.

Warum also machte ich mir Sorgen?

Die Antwort auf diese Frage rückte weiter an die Front und bestand aus zwei jungen Männern. Ihre Stimmen waren laut und unverhohlen. Sie trugen beide Fanshirts von Eisbrecher – eine ältere Edition – und ich hatte nach einigen Minuten erkannt, dass sie nicht hier waren, um sich Autogramme abzuholen.

Ich wurde nervös, doch weder Alexander, noch der Rest der Truppe schien von den beiden Herrn Notiz zu nehmen, sondern gingen munter ihrem Job nach.

Wenige Minuten später hatten sie sich in die vorderste Reihe gedrängt. Sie sprachen laut und unverhohlen und ich musste mich immer mehr auf die Personen vor mir konzentrieren. Es dauerte einige Minuten, bis sie den Anfang erreicht hatten und mit Domi zu diskutieren anfingen. Der Bassist jedoch blieb unbeeindruckt, winkte sie durch und kümmerte sich um die Nächsten.

Als sie bei Pix angekommen waren, konnte ich sie bereits nicht mehr überhören, selbst wenn ich es gewollt hätte.

„Das ist nicht Eisbrecher, wie wir sie kennen!", sprach der Linke der beiden zu Pix und schnaubte abfällig. „Wo bleibt der Rock 'n' Roll auf diesem Silberling?"

„Genau!", tönte der Rechte, „Was'n das für ne wischi-waschi CD?"

„Wenn's euch nicht gefällt, dann müsst ihr sie nicht kaufen!", erklärte Pix sachlich und widmete sich dem Nächsten. „Wie wär's, wenn ihr beiden Platz macht für Leute, die wirklich interessiert sind?"

„Wie kam dieser Wandel?", hakte der Linke penetrant nach. „Warum auf einmal einen auf kommerziell machen?"

Ich stöhnte innerlich, schloss für einige Sekunden die Augen und schickte ein Stoßgebet an den Himmel, dass die beiden Herren möglichst bald verschwinden würden.

„Oder liegt's an A.I.M.?", fragte der andere.

Nun wurde auch Alexander auf die Störenfriede aufmerksam, doch er tat ihr Pöbeleien mit Coolness ab.

„Na klar, an A.I.M.", sagte er belustigt, als sie ihn erreicht hatten, „wir haben unsere Seele verkauft, unseren Verstand und die Eier und dafür fährt jetzt jeder von uns 'nen heißen Schlitten!"

Die Jungs lachten einstimmig und auch einige der Fans, doch der Blick des Linken war nun auf mich gerichtet. Er sah mich abfällig an, beinahe so, als wäre ich etwas Widerwärtiges und ich hoffte inständig, dass sie endlich verschwinden mochten.

„Oder liegt's an ihr?", meinte der Linke nun und ruckte mit dem Kopf in meine Richtung. „Takhisis."

Aus seinem Mund klang mein Künstlername beinahe wie ein böses Schimpfwort.

„Hat die euch Jungs weichgekocht?"

Mein Magen zog sich ruckartig zusammen. Am liebsten hätte ich mich abgelenkt, mich mit einem der Fans beschäftigt, doch die beiden Störenfriede standen nun genau vor mir und schirmten mich von den anderen ab.

„Jetzt mal im Ernst", meinte Alex plötzlich und klang sauer, „wenn ihr nichts im Sinn habt, außer hier 'rumzumaulen, dann verzieht euch und macht Platz für die anderen."

Die beiden murrten sauer und der Erste der beiden machte kehrt und drückte sich zurück durch die Menge. Der andere hingegen beäugte mich weiterhin voller Verachtung in den Augen. Er sah zurück zu den Jungs, fluchte leise, drehte sich wieder zu mir und spuckte vor mir auf den Tisch.

Ich wendete mich angewidert ab und verpasste damit den Augenblick, in dem das Chaos ausbrach.

Alexander war wie ein Raubtier aufgesprungen, hatte dabei den Biertisch umgestoßen, der scheppernd umfiel. Die Flyer stoben in die Luft, die CDs knackten unheilvoll, als sie auf dem Boden aufschlugen und in der Menge riefen einige verwundert aus.

Pix war nur Sekunden nach Alex hochgeschnellt und versuchte, diesen zu besänftigen. Ich hob erschrocken den Kopf und sah, dass er den Typen erwischt hatte und zurück zu mir zerrte. Er hatte ihn am Kragen seines Fanshirts zu fassen bekommen und ließ ihn selbst dann nicht los, als Jochen ihn an der Schulter packte und „Beruhige dich doch, Alex!", rief.

„Du wirst dich bei der Dame entschuldigen!", knurrte Alexander zwischen den Zähnen hindurch und zog den Kerl näher herbei.

„NIEMALS!", schrie dieser und versuchte, sich vergebens aus dem Griff zu winden.

Noch nie hatte ich Alex so wütend gesehen. Sein Gesicht war zornesrot und jeder Muskel seines Körpers angespannt. Ganz langsam löste sich die Angststarre von mir und ich fing an, zu begreifen.

„Ist schon gut, Alex!", versuchte ich, die Situation zu beschwichtigen. „Ist ja nichts passiert."

Ich hatte mich erhoben, ihm eine Hand auf den Rücken gelegt, doch das schien ihn nicht zu interessieren. Die Augen des Fans hüpften von Alexander zu mir und wieder zurück. Sein Kopf nahm allmählich die Farbe einer reifen Tomate an und ich bekam langsam Panik.

„Alex, bitte!", flehte ich, „Der ist es nicht wert."

„Entschuldige dich!", sagte Alex bedrohlich, ohne mir Beachtung zu schenken.

„SORRY", schrie der Typ schließlich, als er keinen anderen Ausweg mehr sah. „SORRY, MANN!"

Alexander ließ ihn los und der Typ sank augenblicklich einige Zentimeter in sich zusammen und trat sofort den Rückzug an. Dabei fluchte er laut und mit den übelsten Wörtern. Er war kaum in der Menge verschwunden, da trudelte auch die Security ein und begann, die Traube von Schaulustigen aufzulösen. Doch das Durcheinander ging an mir vorbei. Ich war noch immer zu sehr geschockt von dieser heftigen Reaktion, als dass ich das Drumherum um mich wahrnahm.

„Du bist so ein Trottel!", zischte Pix Alex' ins Ohr, als dieser sich hinabbeugte, um zusammen mit Domi den Biertisch aufzurichten.

Zu meiner Überraschung reagierte er nicht darauf, sondern wandte sich mir zu und hatte bereits wieder ein Lächeln auf den Lippen.

„Lächeln, Joanne!" Seine Hand streifte kaum merklich meine Wange und er zwinkerte mir zu. „Von so einem Idioten lassen wir uns doch nicht den Tag verderben!"

Mein Körper kribbelte angenehm nach der Berührung, aber mein Herz pochte schmerzlich vor Aufregung. Ich hätte am liebsten die Autogrammstunde abgebrochen, doch es war nur noch eine halbe Stunde und die würde ich mich zusammenreißen – der Fans wegen.


Ich war hundemüde, als der Kleinbus vor Pix' Haustür anhielt und Jochen und ich ausstiegen. Diese Woche hatte mich ganz schön ausgelaugt.

Ich verabschiedete mich von Dodo, Alex und Achim und nahm Pix meinen Trolley ab, den er gerade ausgeladen hatte. Er schmiss den Kofferraum zu, Dodo trat auf's Gas und einige Sekunden später war der Van hinter der nächsten Ecke verschwunden.

„Maaan, freu ich mich auf's Bett!", stöhnte ich, während wir die Koffer über den Hof zogen.

„Wie spät ist es?", fragte Pix und ich zog mein Handy aus der Tasche.

„Halb fünf", antwortete ich knapp.

„Na, da sind ja noch ein paar Stunden Schlaf drin, bis es mit den Proben weitergeht."

„Ob das 'was wird morgen?"

„Na, klar", beruhigte Pix mich, als er die Haustür aufschloss, „das letzte Mal lief doch echt klasse. Noch ein paar Kleinigkeiten, etwas Routine und dann könnten wir schon mit der Tour starten."

„Lange ist es ja auch nicht mehr", sagte ich und rechnete die verbleibenden Tage zusammen, „fast vier Wochen."

„Vollkommen ausreichend", meinte der Leadgitarrist, „soll ich deinen Koffer nehmen?"

„Es geht schon, danke Pix!"

Wir erklommen so leise wie möglich die Stufen der knarrenden Treppe und ich verabschiedete mich vor meiner Wohnungstür von Jochen und schlüpfte hindurch. Den Trolley ließ ich unbeachtet im Flur stehen, trottete ins Badezimmer, um mich abzuschminken, und fiel daraufhin todmüde ins Bett.

Die restlichen Wochen waren dagegen wie Erholungsurlaub.


Wir trafen uns abends in einer alten Sporthalle, um die Songs zu proben, gingen ab und an noch einen in die Stammkneipe der Jungs trinken und waren fast immer vor zwölf Uhr daheim.

Und den Rest der Zeit hatte ich Leerlauf. Theoretisch, denn ich nutzte sie, um an meinem neuen Album zu basteln und die Ideen, die in den letzten Monaten in meinem Kopf herangewachsen waren, festzuhalten. Zwar nur stichpunktartig, doch immerhin hatte ich dann etwas Material in der Hand, wenn ich zuhause war.

Zuhause.

Es war ein zwiegespaltenes Gefühl, wenn ich daran dachte. Die ganze Zeit über hatte ich es vermisst: Meine Familie, Jen, meine eigenen vier Wände und natürlich Max und Moritz. Doch ich hatte die Zeit hier bei den Jungs auch genossen und ich fühlte ein wenig Wehmut in mir, wenn ich an den Abschied dachte.

Ich wusste genau, es würde anders sein, wenn ich zurückkehren würde. Die Monate hier hatten mich verändert, die neuen Erfahrungen und Eindrücke hatten mich geprägt, aber es war auch allerhöchste Zeit gewesen. Insgeheim war ich Jennyfer sehr dankbar, die mich vor über einem Jahr auf das Festival geschleppt hatte, nur um Eisbrecher zu sehen. Jen hatte den Stein ins Rollen gebracht und mir den nötigen Anstoß gegeben. Ich schuldete ihr so viel ...

Ich verbrachte meine neu gewonnene Freizeit auch oft damit, durch die Straßen von München zu schlendern. Immerhin kannte ich mittlerweile die Gegend ein wenig und ich nutzte die Gelegenheit, noch einmal die Orte aufzusuchen, an denen es mir besonders gut gefallen hatte. Ich hatte mit dem Abschied begonnen, war daran, mir klar zu machen, dass bald wieder ein neuer Abschnitt für mich beginnen würde.

Als ich durch die nahegelegene Fußgängerzone spazierte, stach mir ein bekanntes Bild in die Augen. Hinter einem der vielen Schaufenster grinste mich ein vertrautes Gesicht an. Bleich, stilisiert mit geröteten Wangen und einem langen Schnurrbart. Im Schaufenster einer Videothek stand eine lebensgroße Figur von V: Schwarz gewandet und das Antlitz mit einer Guy-Fawkes-Maske bedeckt.

Lächelnd ging ich heran. V wie Vendetta war einer meiner Lieblingsfilme und ich hatte ihn schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gesehen. Ich zögerte nicht lange, sondern trat ein.

Remember, remember... es war einfach schon viel zu lange her, dass ich ihn gesehen hatte.

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