A.I.M

Der Termin bei A.I.M. verlief reibungslos, so wie ich es erwartet hatte. Sie waren begeistert von dem Material, das wir präsentiert hatten, und konkretisierten die Planung für das Marketing.

Wir legten den Namen für das Album fest: Neuanfang.

Am Abend zuvor hatten wir alle darüber abgestimmt und der Titel hatte 4:3 gegen Herzblut gewonnen. Danach wurde die Singlefrage geklärt.

Alexander hatte darauf gepocht, dass 5. März die erste Singleauskopplung werden würde und wir dafür einen Clip drehen wollten. Ich stimmte dem widerwillig zu, bestand jedoch darauf, ein weiteres Video für Tanz mit mir zu drehen und dieses mit auf's Album zu packen. Das wiederum missfiel Alex zwar („Ich kann gar nicht tanzen!"), aber er stimmte schließlich zu.

Es war abzusehen, dass wir bis spätestens Anfang April mit allem durch waren und im Sommer mit der Tour starten konnten. Das hatte den Vorteil, dass unser Management die Möglichkeit hatten, diverse Festivals anzufragen und diese mit in die Daten aufnehmen zu können. Je mehr Auftritte wir zusammen hatten, desto besser war dies für die geplante Live DVD, auf die ich mich insbesondere freute.

April und Mai würden also harte Monate werden, in denen wir nicht nur einige Termine in Clubs für Release Partys haben würden, sondern auch für allerhand Autogrammstunden und Interviews diverser Musikmagazine eingeplant wurden. Die Proben mussten irgendwie parallel dazu stattfinden, doch ich war optimistisch, dass uns dies gelingen würde.

Das hieß nun allerdings, dass wir Gas geben mussten, wenn das Veröffentlichungsdatum festgelegt wurde.


Nach einem anstrengenden Tag im Studio hatten Alex, Pix und ich uns einen Abstecher in eine nah gelegene Kneipe gegönnt. Wir hatten den Jungs Bescheid gesagt, falls sie dazu stoßen wollten, doch bis auf Dodo war keiner nachgekommen.

„Na, ihr drei? Wart ihr fleißig?", fragte er und nahm an unserem Tisch Platz.

„Und ob!", antwortete Pix ad hoc. „Wenn's weiterhin so flutscht, dann sind wir schon in vier Wochen fertig."

„Naja, nicht ganz!", meinte ich wahrheitsgemäß und grinste. „Aber in sechs!"

„Je schneller, desto besser. In Pix' Folterkeller werd' ich noch verrückt!", sprach Alex und nahm einen kräftigen Schluck Bier.

„Sei froh, dass die Studioarbeit nicht auf den Sommer fällt", antwortete Jochen dagegen.

„Bin ich! Und wie."

„Noch fünf Monaten, dann stehst du wieder auf der Bühne, Checker!"

Alex grinste und nickte.

„Wird auch Zeit, ich bin sicher schon eingerostet."

Pix zog betont die Brauen nach oben und sagte: „Auf den Tag warte ich noch, an dem du vor Publikum stehst und nichts zu sagen hast. Eher lernen Kaninchen schreiben."

Ich kicherte amüsiert.

„Ich war eben in unserem Forum unterwegs. Die Fans sind am mosern, dass es dieses Mal kein Street Team gibt und sich A.I.M. um alles selbst kümmert."

Pix zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Was spricht denn gegen Street Teams, zusätzlich?", fragte ich verwirrt.

„Hab' ich auch gesagt. Ich mach auch noch'n paar Flyer fertig, wenn ihr Herz daran hängt."

„Na, wartet ab, ihr bekommt dieses Jahr auch noch euer Fett weg mit der Kommerzkeule!", sagte ich lachend und griff nach meinem Bananenweizen. „Jetzt, wo ihr mit den bösen Buben von den Majors dealt. Da kennt die Szene plötzlich keine Toleranz mehr."

„Hat nie einer von uns behauptet, dass wir schwarz sind, oder Pix?" Jochen schüttelte verneinend den Kopf, und Alex fuhr fort: „Das Einzige, was wir immer sein werden, ist Blau-Weiß!"

„Blau-Weiß?", fragte ich grinsend und da fiel es mir ein. „Bayrisch?!"

„Ur-Bayrisch!", sagte er lachend und prostete in die Runde. „Na dann, auf eine gute Tour."

„Und viel Knete durch unser kommerzielles Album!", lachte Pix und wir stießen an.


Die restliche Arbeit im Studio verlief wie gewohnt. Wir hatten einen Song nachträglich aus der Setlist gestrichen, weil wir einfach nicht zufrieden mit seiner musikalischen Struktur waren, doch ansonsten nahmen die Dinge ihren Lauf.

Wir ackerten einen Track nach dem anderen ab. Ich war verblüfft über die Disziplin, die Alexander plötzlich an den Tag legte. Zumal ich wusste, wie sehr ihm die Arbeit ihm Studio zuwider war. Sein vorbildliches Verhalten stimmte mich positiv und ließ mich sogar unsere anfänglichen Schwierigkeiten vergessen.

Es war einfach perfekt und ich war traurig, als sich alles dem Ende zuneigte. Doch es war unaufhaltsam. Der Tag kam, an dem Pix seinen PC herunterfuhr und sagte: „So, das war's dann!"

„Für's erste", ergänzte ich.

„Für's erste", bestätigte Pix, „bist du zufrieden, Alex?"

„Joar, lief doch gut", antwortete der Frontmann, „Wir sind schließlich zwei Wochen früher fertig, als angenommen."

„Wir wären schon seit sechs Wochen fertig, wenn du dir mal Gesangsunterricht nehmen würdest!", witzelte Pix.

„Um das auszugleichen, ist deine Technik da", konterte Alex.

„Das funktioniert aber auch nur bis zu einem gewissen Grad-"

„Ihr benehmt euch manchmal wirklich wie ein altes Ehepaar", unterbrach ich die Neckereien der beiden Freunde.

„Bei fast zehn Jahren Zwangsehe ist das doch nicht verwunderlich."

„Zwangsehe!?!" Pix scheuchte uns aus dem Kontrollraum, löschte das Licht und schloss ab. „Ich weigere mich strikt dagegen, dass mich irgendwer mit dir verheiratet! Selbst, wenn der Papst persönlich hierherkommt und dein Kleid näht!"

„So ist das, aber du hast dir schon Gedanken darum gemacht, wer das Kleid tragen wird?" Alexander lachte und folgte mir die Treppe hinauf.

„Nein, aber es ist ja wohl selbstverständlich, dass es nicht der Männlichere von uns beiden ist."

„Du weißt, wie man verletzen kann", sprach Alex theatralisch und faste sich mit der Rechten an die Brust.

„Schluss jetzt!" Mir taten schon die Seiten weh vor lauter Lachen. „Wir wollten uns morgen wegen des Videodrehs zusammensetzen. Wann geht's los?"

„Ein bisschen später vielleicht als sonst", meinte Pix. „Ich habe noch andere Verpflichtungen morgen."

„Verpflichtungen, von denen deine Ehefrau nichts weiß?!", fiel Alex dazwischen und versuchte sauer dreinzublicken.

„RUHE!", mahnte ich beide, bevor ihre Diskussion von neuem begann. „Ist sechs in Ordnung?"

„Ja, das schaffe ich."

„Gut", sagte ich begeistert.

„Dann um sechs bei mir morgen!"


Ich war überpünktlich – wie immer. Um Viertel vor sechs stand ich vor Pix' Tür und er ließ mich rein. Er dirigierte mich ins Wohnzimmer, erkundigte sich nach meinem Getränkewunsch und verschwand kurz in der Küche. Nach ein paar Minuten kam er mit einem Glas Sprudel zurück.

„So früh schon da, das bin ich ja gar nicht gewohnt, Jo", sagte er und nahm neben mir Platz.

„Ich weiß", gab ich zurück, „aber ich war schon fertig. Ich muss mich ja nicht alleine unten langweilen."

„Nein, da hast du Recht", er griff nach der Fernbedienung der Stereoanlage und schaltete diese ein, damit im Hintergrund leise Depeche Mode laufen konnte, während wir plauderten.

Es folgte ein unterhaltsames Gespräch, in dem mir Pix etwas von seinen Nebenprojekten erzählte und dass er gerade an einen Soundtrack für eine Animeserie komponierte. Ich merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging und Jochen anscheinend auch nicht, denn wir wurden uns beide erst bewusst, dass es bereits kurz vor sieben war, als Pix' Handy auf dem Tisch vibrierte.

Er griff nach dem Mobiltelefon und hielt es sich nach kurzer Begutachtung ans Ohr.

„Servus, Alex!"

Der Griff um mein Glas war auf einmal deutlich fester geworden und ich starrte in die klare Flüssigkeit, während meine Aufmerksamkeit bei dem Telefonat war. Ich konnte die Worte nicht verstehen, die aus dem Telefon drangen, doch ich erkannte Alex' Stimme und sie war begleitet von albernem, weiblichem Kichern.

Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus, als ich Pix brummen hörte und so stellte ich mein Glas auf den Couchtisch und lauschte weiter.

„Okay. Ja, schon gut. Wir hör'n uns morgen, ja? Bis dann – mach ich! Tschöö." Pix drückte das Gespräch weg und ließ das Handy in seine Tasche gleiten. „Alex, kommt nicht. Hat mir grad' abgesagt."

Ich spürte augenblicklich, wie meine Augen feucht wurden, sprang vom Sofa auf, kehrte Pix den Rücken und tat so, als ob ich aus dem Fenster sehen würde. Ein schweres Gewicht drückte auf meinen Brustkorb und meine Kehle schnürte sich zu, während ich versuchte, die Tränen wegzublinzeln. Das penetrante Stechen in meiner Brust machte jegliches Verdrängen unmöglich. Ich wusste nicht einmal genau, warum ich so empfindlich reagierte. War es, weil Alex uns schon wieder versetzt hatte, oder war es der Gedanke, dass er in jenem Augenblick mit irgendeiner unbedeutenden Tussi rummachte, was mich so sehr verletzte?

Ich war wütend auf mich selbst. Wütend, weil er mir nicht egal war, wütend, weil ich keinerlei Recht hatte, mich so aufzuführen und es trotz allem nicht verhindern konnte und nicht zuletzt einfach nur wütend über Alexanders unreifes Verhalten.

„Joanne?" Pix Stimme klang überrascht, doch seltsam sanft.

Ich drehte mich ihm erst zu, als ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte und stellte im selben Moment fest, dass ich vor Rage zitterte. Ich konnte Pix nicht in die Augen sehen, doch es war auch nicht nötig gewesen.

„Ach, Joanne", seufzte er, „hast du vielleicht einmal mit dem Gedanken gespielt, Alex einfach zu sagen, was du für ihn empfindest?"

Mein Magen krampfte sich zusammen und ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Doch als ich ihn ansah – Alexanders besten Freund, da wurde mir augenblicklich klar, dass jegliches Leugnen sinnlos war.

„Und was soll das bringen?", fragte ich ihn stattdessen trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

Pix sah mich einige Sekunden verwirrt an, bevor er antwortete: „Weißt du, er hat kein Herz aus-"

„Was soll ich denn mit jemanden wie ihn, Pix?", unterbrach ich Jochen. „Jemand, der so unreif ist. So ... so rastlos und unzuverlässig ist und dem alle anderen Leute in seiner Umgebung scheiß egal sind?"

Er sah mich mit einem entgeisterten Gesichtsausdruck an und ich musste tief durchatmen, um mich etwas zu beruhigen.

„Entschuldige, dass ich gerade dich anmaule. Ich geh' besser runter. Dann kommt ja heute eh nichts mehr zustande."

Pix schien verstanden zu haben, was mich plötzlich so in Rage gebracht hatte, oder er war einfach nur höflich, weil er mich bis zur Tür begleitete.

„Tut mir leid, Joanne", sagte er, als ich hinausging.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob er sich für den geplatzten Termin oder für seinen Freund entschuldigte. Doch eigentlich spielte dies keine Rolle.

Du musst dich nicht entschuldigen, Pix ... Gute Nacht!" Und mit den Worten wandte ich mich um, ging die Treppe hinunter und verschwand in meiner Wohnung.

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