30. September, Kathi
Kathi
Ich war zu früh dran, aber das machte nichts. Lächelnd lehnte ich mich mit dem Rücken an die verblasste grüne Tür des Gartenhäuschens und freute mich schon darauf, Sascha mit meiner Idee zu überraschen.
Neugierig sah ich umher. Es war ruhig hier, keine Menschenseele war zu sehen. Zugegeben, es war natürlich noch ziemlich früh für einen Samstag und außerdem war es Ende September, da gab es sicherlich nicht mehr viele Leute, die ihr Gartenhaus aufsuchten. Blätter wirbelten umher und machten den beginnenden Herbst unverkennbar. Es wurde schnell kühl, wenn man sich nicht mehr bewegte und ich stellte meinen Jackenkragen hoch, um dem Wind zu trotzen, und schob dann die Hände in die Jackentaschen.
Ich dachte an den Geburtstag meiner Mutter heute Abend – auf den ich wenig Lust verspürte, denn es waren ja ohnehin nur Erwachsene zugegen, aber natürlich erwartete Mama, dass ich dabei war – und deshalb hatte ich mich mit Sascha extra früh verabredet. Ich zog eine missmutige Grimasse angesichts der Tatsache, dass ich mich heute blöderweise schon früh wieder von meinem Freund trennen musste, statt den ganzen Abend auszukosten.
In der Ferne sah ich Sascha um die Ecke biegen und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Ich strahlte und ging ihm winkend entgegen. Ein Lächeln glitt über Saschas Züge, als er mich erblickte, und er blieb auf seine Krücke gestützt stehen, bis ich ihn erreicht hatte. Vorsichtig umarmte ich ihn, bedacht, ihn nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, und gab ihm einen Kuss.
„Du bist ja früh hier", bemerkte Sascha angenehm überrascht und gemeinsam gingen wir zur Datsche hinüber, während ich ihn kritisch musterte und schmunzeln musste. Sascha bekam meinen Blick mit und warnte scherzhaft:
„Lach nicht! Ich weiß, es sieht furchtbar aus."
Er trug immer noch Gips und hatte von seiner Hose das eine Hosenbein abgeschnitten, so dass die eine Seite wie ein Shorts auf seiner Hüfte saß, während das andere Bein lang geblieben war. „Aber ich hab nichts anderes, das über den Gips passt. Und für kurze Hosen ist es mir jetzt doch zu kalt."
„Ich lach ja gar nicht", protestierte ich und musste meinen Worten zum Trotz nun doch lachen.
Sascha hob drohend eine Krücke, grinste jedoch ebenfalls, schloss die Tür auf und humpelte hinein.
„Frierst du eigentlich unter dem Gips?", wollte ich wissen und folgte ihm mit meinem Rucksack ins Innere.
„Nee, aber es juckt manchmal wie Hölle. Nächste Woche kommt er endgültig ab. Zum Glück."
Er ließ seine Sporttasche auf den Boden plumpsen und sah unzufrieden auf sein Gipsbein hinunter.
„Dann sehe ich bestimmt komisch aus, mit einem Bein so dünn wie ein Stöckchen. Die Ärztin hat gesagt, ich muss dann erst mal wieder die Muskeln trainieren."
„Jedenfalls kannst du dann wieder deine normalen Hosen tragen", lachte ich und sah mich nach etwas um, womit ich den Tisch abwischen konnte. Neben der Spüle hing ein Geschirrtuch, mit dem ich in großen Bewegungen über den Tisch fuhr und ich nieste, als der Staub aufwirbelte. Sascha hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen und sah mir interessiert zu.
„Was wird das, wenn es fertig ist?"
„Abwarten", tat ich geheimnisvoll und legte das Tuch achtlos neben die Spüle.
„Kann ich nicht", feixte Sascha, hielt mich am Hosenbund fest und zog mich zu sich heran. "Musst du eigentlich immer noch diesen Typen küssen?"
Besitzergreifend legte er seine Hand auf meinen Po.
Wo kam diese Frage jetzt auf einmal her? Ich zog es vor, darauf nicht zu antworten und tat so, als hätte ich nichts gehört. Ich hatte immer noch Schuldgefühle wegen der Knutscherei in der Schule vor ein paar Wochen. Nicht mal Susi wusste davon. Ich hatte an Sascha gedacht und war entsprechend aktiv gewesen. Mit einem Lächeln, das hoffentlich nicht so falsch aussah, wie es sich anfühlte, verkündete ich:
„Ich habe eine Überraschung. Setz dich und mach die Augen zu."
Sascha gehorchte und ich schob seine Hände fort, warnte: „Nicht blinzeln!" und holte verschiedene Dinge für ein Frühstück aus meinem Rucksack, die ich möglichst leise auf den Tisch stellte. Dazu noch eine Kerze und ein paar Servietten, und dann öffnete ich unverfroren die Schränke auf der Suche nach Geschirr.
„Kann ich gucken?" wollte Sascha wissen und spielte mit den Fransen seiner abgeschnittenen Jeans.
„Gleich."
Ich hatte gefunden, was ich gesucht hatte und deckte rasch noch Teller, Besteck und Gläser. Streichhölzer wären noch gut gewesen, aber die fand ich auf die Schnelle nicht. „Jetzt!", kommandierte ich und Sascha öffnete die Augen, die beim Anblick des gedeckten Tisches gleich noch ein wenig größer wurden.
„Wow! Das nenn ich eine Überraschung!" gab er beeindruckt von sich und ließ seinen Blick über die Tafel schweifen.
„Gibt es etwas zu feiern?"
„Uns", grinste ich und freute mich, dass meine Idee Gefallen fand. Ich setzte mich auf einen Stuhl ihm gegenüber und hob auffordernd das Glas, dann stießen wir miteinander an.
„Auf einen schönen Tag!"
Es dauerte nicht lange und wir hatten einen Großteil des Essens verspeist.
„Was würden wir eigentlich machen, wenn ich hier leben würde?" erkundigte ich mich.
„Hast du vor, einzuwandern?", flachste Sascha und fuhr dann sofort enthusiastisch fort: "Ich würde dich mit zu den Spielen der Union nehmen..."
Ich machte ein fragendes Gesicht und hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
„Union Berlin, Fußball. Mein Lieblingsverein. Da ist immer eine Wahnsinnsstimmung im Stadion!"
Die Begeisterung war seiner Stimme anzuhören, doch ich reagierte nur verhalten und gab zu:
„Ich war noch nie bei einem Fußballspiel."
Mir fiel der Schal ein, der bei ihm im Zimmer hing. Das war also Union Berlin. Himmel, ich wusste noch nicht mal, wo Herta BSC in der Tabelle stand oder Bayern München. Fußball hatte mich noch nie interessiert und es wurde schlichtweg langweilig, wenn die Jungs in der Schule nach dem Wochenende aus dem Diskutieren der Fußballergebnisse nicht mehr heraus kamen.
„Dann wird es aber mal Zeit!", entschied Sascha energisch, ohne auf meine desinteressierte Reaktion einzugehen und ergänzte anschließend seine Aufzählung:
„...wir würden in die Disko gehen, im Sommer segeln und zum FKK-Strand..."
Ich runzelte die Stirn. „Das ist ein Scherz, oder?"
„Ich scherze nie, wenn es um die Disko geht", erwiderte Sascha mit einem breiten Grinsen.
Ich verdrehte die Augen, grinste dann ebenfalls. "Blödmann, du weißt, was ich meine! Den FKK-Strand natürlich!"
Sascha fing laut an zu lachen.
„Davon haben wir hier viele. Bist du etwa prüde?", neckte er.
„Also...ich... äh..." Ich spürte, wie ich rot wurde. Allein die Vorstellung...
"Wir haben richtig schöne Strände", erläuterte Sascha weiter und weidete sich an meiner Verlegenheit. Machten das echt so viele? Auch Jugendliche? Ich hielt den Blick gesenkt und spielte unangenehm berührt mit meinem Glas.
Schließlich hatte Sascha ein Einsehen und beendete das Thema, um stattdessen von der Zukunft zu phantasieren:
„Zusammen studieren...vielleicht ein Kind kriegen...", er zwinkerte mir scherzhaft zu, woraufhin ich ihn überrascht unterbrach:
„Während des Studiums?"
„Warum nicht? Ist doch normal."
Er bemerkte meinen überraschten Blick.
„Bei euch nicht?"
„Nee, eher nicht. Ich meine, wo soll das Kind denn bleiben, während des Studiums?", entgegnete ich.
„Krippe natürlich." Er machte eine Pause. „Aber ich nehme mal an, das habt ihr nicht?"
Ich schüttelte den Kopf. „Nur Kindergarten. Die Mütter sind ja zu Hause", erläuterte ich. Und schränkte dann ein: "Jedenfalls meistens." Wie verschieden der Alltag in unseren beiden Ländern doch war. "Schließlich brauchen die Kinder doch ihre Mutter, wenn sie klein sind."
„Verweichlicht seid ihr", konterte Sascha, jedoch ohne einen Hauch von Kritik. „Ist doch gut, wenn Kinder früh mit anderen Kindern zusammen sind, anstatt allein zu Hause."
„Tja, weiß nicht..." sinnierte ich gedankenverloren, denn darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
„Und was würden wir machen, wenn ich bei dir leben würde?", drehte Sascha den Spieß jetzt um.
Ich krauste die Lippen und dachte nach.
„Ins Kino gehen. In Konzerte. Zum Wannsee. Shoppen?" Ich zwinkerte ihm zu. „Jemand zum Tragen der Tüten wäre klasse."
Als Antwort darauf schnaubte Sascha nur belustigt.
„Nach Paris fahren und auf den Eiffelturm steigen." Ich kam ins Schwärmen. „Sacre Coeur, Champs Elysees, Croissants..." Genauso wie Susi hätte ich zu gerne einmal Paris besucht...
Sascha hatte einen Moment lang einen sehnsuchtsvollen Ausdruck im Gesicht, aber als ich ihn dann ansah, hob er seine Augenbrauen und setzte eine leicht selbstgefällige Miene auf.
„Ich habe noch etwas hinzuzufügen. Nach Leningrad fahren, Ermitage, Weiße Nächte, Newski Prospekt, Isaakskathedrale..."
Ich stutzte. „Soll das jetzt ein Wettstreit werden?"
Doch mein Freund schüttelte nur grinsend den Kopf. Ich ignorierte daher seine Bemerkungen und ergänzte:
„Zusammen einen Tanzkurs machen."
Sascha riss gespielt melodramatisch die Augen auf und verkündete resolut:
„Ich hasse Tanzen."
„Das ist aber auch Sport", gab ich zu bedenken.
„Nie im Leben! Das ist Schränke schieben." Sascha konnte es nicht lassen zu widersprechen.
„Ich bin doch kein Schrank!" entgegnete ich empört, ohne ihm jedoch ernsthaft böse zu sein.
Sascha ließ langsam den Blick von meinen Füßen zu meinen Schultern wandern, bevor er das Offensichtliche feststellte:
„In der Tat, du bist kein Schrank." Anzüglich setzte er hinzu: „Denn dafür bist du zu kurvig."
Ich steckte ihm frech die Zunge raus und für einen Moment sahen wir uns einfach nur an. Wenn wir nicht schon zusammen wären, hätte ich mich spätestens jetzt in ihn verguckt, so wie er mich gerade anschaute, mit funkelnden Augen unter den Ponyfransen, die ihm immer wieder zurück ins Gesicht rutschten. Schließlich brach Sascha zuerst die Stille:
„Nun aber genug geredet. Mir wird langsam kalt und ich brauche jemandem zum Wärmen..."
„Ist das nicht sonst mein Part", kicherte ich.
„Wollte schon immer mal mit dir die Rollen tauschen", konterte Sascha leichthin. „In der Tasche da ist eine Decke, magst du die mal rausholen?"
Ich stand auf, zerrte die Decke aus der Tasche und deutete fragend auf die Gartenstuhlauflagen, auf denen wir es uns schon einmal gemütlich gemacht hatten. Sascha schüttelte jedoch den Kopf.
„Ich hatte vor Ewigkeiten hier drüben mal etwas Platz gemacht", erklärte er und humpelte hinüber in einen angrenzenden Raum, der offenbar den Schlafraum der Familie Kortmann dargestellt hatte. Mit Schwung zog er die staubbedeckte Tagesdecke zur Seite und ließ sich auf die Matratze fallen. Ich folgte ihm mit der Wolldecke, warf sie lässig über ihn und krabbelte dann selbst darunter.
„So kann man es aushalten", murmelte Sascha, zog mich an sich und verschloss meine Lippen mit einem Kuss.
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