25. Juli, Sascha
25. Juli, Sascha
Ich hatte den ganzen Tag auf dem Wasser verbracht und kehrte nun zufrieden nach Hause zurück. Ferien zu haben war doch etwas Schönes, obwohl es genau genommen ja gar keine Ferien mehr waren, woran mich die Arbeit als Erntehelfer, die ich dann doch aufgenommen hatte, jeden Tag erinnerte. Ich lächelte versonnen vor mich hin, bei diesem Wetter würde ich jeden Nachmittag nach Potsdam fahren, so viel war sicher, denn was gab es da Schöneres als zu segeln und zu schwimmen? Nur schade, dass Kathi nicht dabei sein konnte, zu gern hätte ich ihr mein Juwel einmal gezeigt. Zumindest konnte ich am Wochenende ja Rainer mal wieder mitnehmen, oder auch Carsten...
Ich musste unwillkürlich grinsen bei dem Gedanken, dass auch zwei, drei ehemalige Mitschülerinnen sofort begeistert mit von der Partie wären. Bislang hatte ich außer engen Freunden allerdings noch niemanden auf der Dreamer mitgenommen.
Ich fuhr mir mit der Hand über die schweißnasse Stirn, die Luft hier drin im Lift war heiß und stickig, aber beim Öffnen der Tür wehte kühle Luft aus dem Treppenhaus hinein. Ich verließ den Fahrstuhl, lehnte mich einen Moment mit dem Rücken an die Haustür und ließ zufrieden den Tag noch einmal Revue passieren. Dann angelte ich den Haustürschlüssel aus der Hosentasche und schloss auf. Radiomusik floss in den Flur, als ich durch die Tür schlüpfte, aus der Küche hörte ich das Klappern von Geschirr, vermutlich war Mutti gerade beim Abwasch. Mein rascher Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich das Abendessen verpasst hatte.
„Sascha, bist du das?"
Muttis Stimme klang aufgeräumt, offenbar war meine Verspätung unerheblich. Ich streckte dennoch meinen Kopf in die Küche.
„Hi! Habe leider auf dem Boot die Zeit vergessen."
Mutti war in der Tat beim Abwasch, das frisch gewaschene Geschirr stapelte sich bereits neben der Spüle. Ich sollte meine Hilfe beim Abtrocken anbieten, fuhr es mir durch den Kopf, hatte aber wenig Lust darauf.
Mutti warf mir einen entspannten Blick zu.
„Das dachten wir uns schon. Soll ich dir noch etwas warm machen?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Brauchst du nicht, ich habe unterwegs schon etwas gegessen."
Bevor sie noch etwas hinzufügen oder mich um das Abtrocknen bitten konnte, zog ich mich rasch zurück. Als ich durch den Flur schlüpfte, hielt mich die Stimme meines Vaters auf.
„Sascha? Kommst du mal bitte?"
Ich unterdrückte ein Seufzen. Ich wollte nur in mein Zimmer, mich auf mein Bett werfen und mich den schönen Dingen des Lebens widmen. Mit einem unwilligen Gesichtsausdruck trat ich über die Türschwelle ins Wohnzimmer.
Vater stand auf, als er mich sah, und legte die Zeitung sorgfältig gefaltet auf die Sofalehne.
„Ich habe gehört, du hast eine Freundin?", begann er leutselig und trat einige Schritte auf mich zu, bis er mir direkt gegenüber stand. Die Frage traf mich unvorbereitet.
„Wer sagt das?", gab ich überrascht von mir und fragte mich, worauf das Gespräch hinauslaufen würde.
„Frau Holzer hat dich ziemlich beschäftigt...", er schmunzelte, „...an der U-Bahn-Station gesehen."
Ich ließ langsam die Luft aus meinem Mund entweichen, steckte die Hände in die Hosentaschen und wartete auf das, was noch kommen würde. Es ließ nicht lange auf sich warten.
"Kann es sein, dass das Mädchen von drüben ist?"
Seine Jovialität war einem ernsten Gesichtsausdruck gewichen. Jetzt hatte er es also erfahren, leider früher, als ich gehofft hatte. Es abzustreiten kam mir jedoch nicht in den Sinn.
„Sie ist aus West-Berlin, na und?", antwortete ich angriffslustig.
Auf dem Gesicht meines Vaters zogen sich die Augenbrauen zusammen und formten ein V über der Nase.
„Na und ist alles, was du dazu zu sagen hast?", schnaubte er. „Dir ist doch wohl klar, dass du damit deine Zukunft auf's Spiel setzt!"
Ich zog eine Grimasse. Als wenn ich das nicht wüsste.
„Tut es nicht, wenn du es für dich behältst", konterte ich und sah ihn um Verständnis werbend an.
„Du bist in der Öffentlichkeit mit diesem Mädchen gesehen worden. Damit ist die Angelegenheit in der Welt und ich werde einen Teufel tun, hier für dich zu lügen."
Seine Stimme wurde mit jedem Wort drohender.
„Anscheinend haben wir dir doch zu viel Freiraum gelassen. Ich werde es nicht dulden, dass du mir durch Kontakte zum Klassenfeind meine lang erarbeitete Stellung kaputt machst!"
Enttäuschung über die fehlende Unterstützung, wenngleich nicht unerwartet, mischte sich mit dem Ärger, immer auf irgendetwas Rücksicht nehmen zu müssen. Natürlich wollte ich meinem Vater nicht schaden, aber...
„Das ist mein Leben. Du kannst mir nicht vorschreiben, wen ich zu lieben habe", gab ich gepresst zurück und funkelte ihn wütend an.
Vaters Gesicht verdüsterte sich noch mehr. „Du wirst dieses Mädchen nicht mehr treffen, hast du mich verstanden?!", forderte er streng.
Ich sah ihn entgeistert an, das konnte er unmöglich verlangen. Sich im Verborgenen treffen, ja, wenn es sein musste, aber auf keinen Fall würde ich mit Kathi Schluss machen. Unverwandt seinen Blick haltend schüttelte ich den Kopf und gab ein leises, aber entschlossenes Nein von mir.
Diese Reaktion hatte er nicht erwartet und ich sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Der Zorn färbte seine Wangen rot und er brüllte:
„Ich verbiete dir, sie weiter zu treffen! Habe ich mich klar genug ausgedrückt?!"
Mit stummem Kopfschütteln weigerte ich mich, seiner Forderung Folge zu leisten. Er konnte mich nicht zwingen, ich war volljährig.
Der Schlag seiner Faust traf mich unerwartet und ich rang nach Luft. Fassungslos sah ich ihn an, während sich der Schmerz in mir ausbreitete.
Der erneute Schlag in die Magengegend ließ mich vorneübergekrümmt auf die Knie sinken. Der Schmerz trieb mir Tränen in die Augen und instinktiv schlang ich die Arme um den Bauch. Der dritte Hieb traf mich am Rücken. Dieses Mal konnte ich einen Aufschrei nicht mehr verhindern und leicht benebelt fragte ich mich, wie weit er noch gehen würde. Erinnerungen an frühere Wutanfälle stellten sich ein, aber handgreiflich war er bisher niemals geworden. Ich musste mich zur Wehr setzen, aber erschrocken registrierte ich die Unfähigkeit, mich aufzurichten.
Sekunden später hörte ich ein ersticktes „Horst!"
„Das ist dir hoffentlich eine Lehre", zischte mir der Mann, der achtzehn Jahre lange mein Vater gewesen war, ins Ohr und ließ von mir ab.
Vorsichtig erhob ich mich, ignorierte den entsetzten Gesichtsausdruck meiner Mutter und schleppte mich wortlos in mein Zimmer, wo ich die Tür abschloss und mich auf dem Bett zusammenrollte. Wie ich ihn hasste!
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