16. September, Susanne

16. September, Susanne

Leise vor sich hin kichernd ließ sich Susanne von Markus den Gehweg entlang ziehen. Sie fühlte sich gelöst und frei und hatte noch die Musik im Ohr, die sie soeben auf der Hochzeit von Markus' Cousine gehört hatte. Unwillkürlich ließ sie seine Hand los und drehte sich ausgelassen ein paar Mal um die eigene Achse, so dass ihr Kleid fröhlich hin und her schwang.

Lächelnd sah Markus ihr zu. Er war immer so niedlich. Im Vorüberwirbeln hauchte sie ihm eine Kusshand zu, bis ihr plötzlich schwindlig wurde und sie gestolpert wäre, hätte Markus' ausgestreckte Hand sie nicht aufgehalten.

„Hoppla", rief er lachend aus, „Ich glaube, du hast ein wenig mehr getrunken, als du gewohnt bist."

So ein Quatsch, dachte Susanne, sie hatte doch nur ein wenig Sekt getrunken...drei oder vier Gläser...oder waren es fünf gewesen? Und eins davon Wein? Markus' kräftiger Arm um die Taille gab ihr Halt.

„War doch nur ganz bisschen Sekt", kicherte sie schließlich.

„Na, dann können wir ja noch weiter tanzen gehen", schlug Markus belustigt vor.

„Klar", brachte Susanne begeistert heraus und versuchte gleich wieder los zu tanzen.

„Hiergeblieben." Sein eiserner Griff ließ sie nicht los. „Ich bringe dich jetzt nach Hause."

Im Licht der Straßenlaterne sah er mit seinem Lächeln unwiderstehlich aus und forsch nahm Susanne sein Gesicht in ihre Hände und zog es zu sich herunter, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss zu geben. Für einen Moment standen sie engumschlungen auf dem Gehweg. Dann löste sich Markus vorsichtig.

„Das heben wir uns besser mal für zu Hause auf", wisperte er in ihr Ohr. Seine Lippen kitzelten und sie musste daher lachen. Markus schmunzelte und bugsierte sie zur nächsten Bushaltestelle, wo er sie sanft auf den Sitz schob. Ohne Vorwarnung überkam Susanne auf einmal eine bleierne Müdigkeit und sie lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe des Unterstandes.

„Bus kommt in zwanzig Minuten", verkündete Markus und setzte sich neben sie.

Susanne drehte sich zu ihm, ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken und schloss die Augen. Gott, was war sie müde. Und irgendwie fuhr ihr Kopf auf einmal Karussell, daher riss sie sicherheitshalber die Augen wieder auf. Direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite stand eine große Uhr. Es war...Susanne blinzelte...war es wirklich schon halb 3 Uhr? Sie sah zum Abgleich auf ihre Armbanduhr, doch die Zeit stimmte. Der Schock ließ sie sofort nüchtern werden und entsetzt sah sie Markus an.

„Ich sollte spätestens um 1.oo Uhr anrufen, damit sie mich abholen."

„Oh oh..." entfuhr es Markus und besorgt fragte er: „Kriegst du Ärger?"

„Scheiße!", fluchte Susanne, die gar nicht zugehört hatte. „Die lassen mich nicht noch einmal so lange weg." Und dann, mit wachsender Erkenntnis:„Ich kann sie doch jetzt nicht mitten in der Nacht anrufen. Die schlafen ja schon längst."

„Komm doch einfach mit zu mir", schlug Markus vor. „Kannst auch mein Bett haben. Die Matratze von Pierre steht eh noch im Zimmer."

Erleichtert ging Susanne auf seinen Vorschlag ein, denn so würden ihre Eltern gar nicht mitkriegen, wie viel später sie im Bett gelandet war.

„Na, dann komm. Dann brauchen wir den Bus nicht mehr."

Entschlossen zog Markus sie hoch. Wieso hatte er bloß noch so viel Energie, wunderte sich Susanne, er hatte doch auch getrunken. Oder nicht? Irgendwie bekam sie alles nicht mehr so richtig zusammen. Aber es war eine schöne Feier gewesen und sie hatte viel getanzt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit waren sie endlich bei Markus zu Hause und leise schloss er die Tür auf und lauschte.

„Ich glaube, Ines schläft", stellte er in verhaltenem Tonfall fest – Susanne konnte sich noch vage darin erinnern, dass sie um kurz nach Mitternacht von jemandem nach Hause gefahren worden war – und auf Zehenspitzen schlichen sie die Treppen hinauf.

Susanne verschwand sofort im Bad, wo sie sich mit ein wenig schlechtem Gewissen von dem Make-up-Entferner von Markus' Mutter bediente und klatschte sich danach ein wenig Wasser ins Gesicht, aber sie hatte immer noch das Gefühl, nicht ganz klar im Kopf zu sein. Es war wohl doch ein wenig zu viel durcheinander gewesen, realisierte sie schließlich, ohne sich jedoch daran zu stören. Stattdessen begann sie vergnügt zu kichern, als sie daran dachte, dass sie nun ohne Erlaubnis bei Markus übernachtete, denn ihre Eltern waren in dieser Hinsicht recht streng.

Tänzelnd verließ sie das Bad und warf im Flur Markus, der bereits seinen Anzug zugunsten Shorts und T-Shirt getauscht hatte, einen übermütigen Luftkuss zu. Sobald sie wieder Markus' Zimmer betrat, lachte sein Bett sie jedoch verheißungsvoll an, so dass sie sich am liebsten in voller Montur darauf hätte fallen lassen, aber zähneknirschend entledigte sie sich doch noch ihres Abendkleides. Ein bisschen zu spät sah sie sich verlegen um, aber Markus war ihr nicht ins Zimmer gefolgt. Rasch igelte sich Susanne unter der Bettdecke ein und war dann im Nu eingeschlafen.

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Als sie erwachte, zeigte der Wecker kurz vor 9 Uhr. Susanne gähnte ausgiebig und fasste sich dann an die schmerzende Stirn. Im Tageslicht, das ungebremst ins Zimmer fiel, sah sie Markus noch tief und fest schlafen. Einer seiner Arme lag entspannt über dem Kissen und seine sonst so sorgsam gestylten Haare waren zerzaust.

Susanne ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen in dem Versuch, etwas zu finden, was sie kurz überstreifen konnte, entdeckte aber nur ihr Abendkleid, das über dem Schreibtischstuhl hing, obgleich sie sich nicht daran erinnern konnte, letzte Nacht dergleichen Sorgfalt an den Tag gelegt zu haben. Lautlos tapste sie hinüber und schlüpfte hastig wieder hinein, ohne sich im Augenblick die Mühe zu machen, den Reißverschluss am Rücken zu schließen. Sie warf Markus einen vorsichtigen Blick zu, aber er schlief noch immer.

Das Dröhnen ihres Schädels hielt sie jedoch im Moment davon ab, die Möglichkeit zur Zweisamkeit schätzen zu können und außerdem spürte sie die Notwendigkeit, nun unverzüglich ihre Eltern anzurufen. Leise verschwand sie hinunter ins Wohnzimmer und wählte zögernd und bedächtig Ziffer um Ziffer. Ihre Mutter nahm schon nach dem ersten Klingeln ab.

„Susanne!" klang es erleichtert aus dem Telefonhörer, „Gott sei Dank!"

„Ist was passiert?", fragte Susanne erschrocken.

„Wir haben uns Sorgen gemacht! Wo bist du denn?"

Die Stimme ihrer Mutter wechselte von Besorgnis zu etwas, das in Susannes Ohren nach Vorwurf klang. „Warum hast du nicht angerufen?"

In dem Bemühen, beruhigend auf ihre Mutter einzuwirken, gab Susanne lässig zurück:

„Alles in Ordnung. Ich bin bei Markus. Ich ...", sie druckste ein bisschen herum, „Ich habe erst kurz nach halb 2 auf die Uhr gesehen. Und da wollte ich euch nicht mehr wecken und bin deshalb mit zu Markus gefahren."

„Ja, glaubst du denn, wir können schlafen, wenn wir nicht wissen, wo unsere Tochter abgeblieben ist?!", reagierte ihre Mutter entgeistert. „Wir dachten, dir wäre etwas passiert!"

Susanne sog überrascht die Luft ein, denn daran hatte sie überhaupt nicht gedacht.

„Ich wollte euch doch nur nicht wecken", wiederholte sie noch einmal zaghaft.

Ihre Mutter stöhnte laut. Dann sprach sie offenbar mit jemandem neben sich. „...bei Markus" hörte Susanne von fern aus dem Telefon und fühlte sich schrecklich. Es kam ihr vor, als hätte der schöne gestrige Abend vor einer Ewigkeit stattgefunden. Aus den Augenwinkeln sah sie jemanden ins Wohnzimmer huschen.

„Susanne?"

Ihr Vater war nun in der Leitung. Er klang ruhig, aber bestimmt. „Da reden wir noch drüber. Mach dich jetzt bitte auf den Weg nach Hause."

„Okay", stimmte Susanne niedergeschlagen zu und legte den Telefonhörer mit einem leisen Klicken zurück auf die Gabel. Als hätte er nur auf das Ende des Telefonats gewartet, erschien Markus an ihrer Seite. Sein Haar hing ihm verwuschelt in die Stirn, aber Susanne hatte jetzt keinen Blick dafür, wie süß er damit aussah.

„Ärger bekommen?", fragte er mitfühlend und zog sie sanft an sich. Susanne nickte nur wortlos und lehnte sich an seine Brust. Die Kopfschmerzen waren nun noch stärker geworden, sie war außerdem noch immer müde und wünschte daher aus tiefstem Herzen, das unangenehme Gespräch mit ihren Eltern aufschieben zu können.

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