Epilog


»Haru oder ich?«, fragte Nivia und donnerte mit der Faust auf den Tisch in Mutter Naturs Schoß. »Sag es mir, Gry! Wer hat dich getötet? War es Haru? Oder war ich es wirklich selbst, so wie er mir gesagt hat?«

Mit gekräuselten Lippen trat Gry zum Tisch und streifte sich in einer theatralischen Geste den roten Fellmantel von den Schultern. Unordentlich warf er ihn über die Lehne des Stuhls Nivia gegenüber, ehe er sich darauf nieder ließ.

Er stützte die prallen Backen in seine Hände und betrachtete sie neugierig. »Deine Laune ist ja ... frostig. Hast du deine Niederlage etwa noch immer nicht verdaut? Ich fand es wieder Mal sehr amüsant, deiner Suche nach der Wahrheit zuzuschauen und ein Teil davon zu sein. Das ganze Leid, das dich hat trauern lassen ... Du enttäuscht tatsächlich nie, was den Unterhaltungsfaktor angeht. Darin bist du wahrlich unübertrefflich.« Die Art und Weise, wie sie ihre Krone verlor, amüsierte ihn einfach jedes Mal aufs Neue zu sehr, obwohl es immer auf unterschiedlichen Wegen stattfand. Das brachte ihm ein wenig Genugtuung, war es doch schließlich immer und immer wieder sie, die ihn hinters Licht führte und ihm die Krone stahl.

Nivias Augen zogen sich zu zwei gefährlichen Schlitzen zusammen und bohrten sich in ihn. »Wie schön, dass du dich am Scheitern anderer so erfreuen kannst. Ich werde dich zu gegebener Stunde daran erinnern.«

»Nun, nicht am Scheitern jedermanns, aber du musst doch zugeben, dass deine Geschichte es wirklich verdient hat, erzählt zu werden«, foppte Gry. »Das ganze Drama, der Spaß, die Trauer –«

»Gry!« Ungeduldig trommelte Nivia mit ihren Fingern auf der Echtholzplatte des Tisches herum. »Meine Geduld neigt sich dem Ende entgegen. Wärst du jetzt so freundlich und würdest meine Frage beantworten, ehe ich dich in meine Rachepläne miteinbeziehe?«

Gry prustete in seine Faust. »Schon wieder auf der Suche nach der Wahrheit. Manche Dinge ändern sich wohl nie«, sagte er, und als er befürchtete, Nivia würde ihn jeden Moment einen Kopf kürzer machen, fügte er hinzu: »Na Haru natürlich.«

Seit Nivia Tidus und ihm gefolgt war, war ihre miserable Laune kaum zu ertragen. Aber die Tatsache, dass Haru sie belogen, betrogen und hintergangen hatte, nagte an ihr.

»So, wie er es eigentlich immer ist ...« Nachdenklich fuhr er sich mit der Hand an das Kinn. Als er eine Entscheidung getroffen hatte, beugte er sich über den Tisch zu ihr hinüber und senkte seine Stimme. »Ich glaube, es ist etwas Persönliches. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass er mich nicht sonderlich mag. Scheint ein Akt der Leidenschaft zu sein, den er sich jedes Mal aufs Neue mit Eifer aussucht.

»Dieser Mistkerl!«, stieß Nivia hervor, als sie begriff, dass nichts, was sich zwischen Haru und ihr abgespielt hatte, der Wahrheit entsprach. »Er hat mich angelogen.«

Gry verdrehte die Augen und wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als Tidus den Kopf zu den beiden steckte und sich räusperte.

»Warum flüstert ihr? Wir sind doch alleine oder sprecht ihr über mich?« Der Junge zog einen weiteren Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich auf seine Knie.

»Na wenn das nicht unser jammernder Sonnenschein ist, der Mann der nächsten Stunde«, foppte Gry und legte einen Arm um ihn, wobei seine Schultern unter dem Gewicht zusammensackten.

Beleidigt verschränkte Tidus die Arme vor der Brust und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich jammere nur, wenn Nivia die Krone trägt. Das ist mir einfach viel zu kalt. Da holt man sich ja Frostbeulen. Jetzt jedoch«, er streckte seine motivierte Faust in die Luft, »jetzt beginnt endlich meine Zeit. Ich kann die frischen Blumen schon riech–«

»Hey, Tidus!«, unterbrach Nivia ihn, als hätte sie ihm gar nicht richtig zugehört. Sie konnte einfach nicht vergessen, dass Haru sie belogen und gelinkt hatte, um an ihre Krone zu gelangen. Ein elendiger Betrüger war er in ihren Augen und sie sinnte auf Rache. »Bist du bereit, dich mit dem Frühling anzulegen? Bist du bereit, ihn zu schlagen und seinen Platz einzunehmen?« Entschlossen schob Nivia den Stuhl zurück und stand auf, die Hände zu Fäusten geballt. Ein Plan hatte sich in Unterbewusstsein geschlichen und war zu einem Entschluss gewachsen. »Ich jedenfalls habe noch eine Rechnung mit ihm offen und ich werde dir mit allem was ich habe zur Seite stehen. Lasst uns mit der Jagd auf sein Taschentuch beginnen!«

»Ha!« Grys Faust traf den Tisch und ließ Tidus neben ihm zusammenzucken. »Ich unterbreche dein kriegerisches Gerede ja nur ungern, aber mir fällt da gerade etwas ein, wo du von Rechnungen sprichst ...«

Ende

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