5. 𝑆𝑡𝑎ℎ𝑙𝑚𝑢𝑠𝑘𝑒𝑙𝑛 𝑢𝑛𝑑 𝑊𝑎𝑠𝑐ℎ𝑏𝑟𝑒𝑡𝑡𝑏𝑎𝑢𝑐ℎ
Am nächsten Tag verschwand Naomi wieder in ihrer üblichen Unsichtbarkeit. Niemand interessierte sich mehr für Night Runner. Alle außer Simon. Er war wie immer Feuer und Flamme, wenn ihn jemand etwas über den Nachtdieb fragte.
Doch Naomi erzählte ihm nicht, dass sie ihm am vergangenen Abend schon wieder gesehen hatte.
Sie würde keine ruhige Minute mehr haben.
Andererseits wollte sie Simon noch einmal nach dieser E-Mail fragen. Es war zwar sehr unwahrscheinlich, dass sie eine Antwort erhalten würde, wenn sie Night Runner eine Nachricht schickte, aber sie wollte ihm so gerne danken und ihn etwas länger sehen, als nur ein paar Minuten. Vielleicht würde er ihr sogar ein paar Fragen beantworten.
Natürlich keine Fragen zu seiner Identität, aber seine Fans wollten sicher wissen, was er für Hobbys und Interessen hatte. Vielleicht könnte Naomi ihn um ein Interview bitten. Selbst wenn sie dieses niemals veröffentlichen würde. Es genügte ihr, allein die Antworten auf ihre tausend Fragen zu bekommen.
Ach was, in was für einer Traumwelt lebte sie eigentlich?
Sie wurde sehr schnell daraus befreit, als sie mittags mit Diana und Hannes über den Campus schlurfte, um in der Cafeteria etwas zu essen.
Ihre Freunde gingen quatschend voraus und Naomi ging träumend hinterher. Sie überlegte sich, welche Fragen sie Night Runner wohl stellen könnte, ohne ihm zu nahe zu treten. Die wichtigste Frage war wohl, warum er stahl. Wollte er sich nur selbst bereichern? Oder liebte er das Risiko?
In Gedanken versunken bemerkte sie nicht, dass jemand ihren Namen rief. Als das harte Leder ihre Stirn traf, war es bereits zu spät.
Zack! Der Basketball war direkt an ihren Schädel geflogen. Er kam mit zwei Hüpfern auf dem Boden auf und rollte wieder zurück aufs Spielfeld.
„Autsch!"
Naomi rieb sich die schmerzende Stirn. Das hatte verdammt weh getan.
„Hey, bist du in Ordnung?"
Sie schaute auf und sah den sportlich gekleideten Jungen vor ihr halb verfluchend und halb neugierig an. Es war Fred. Seine blonden Haare klebten ihm schwitzig im Gesicht und unter dem ärmellosen Trikot kamen starke Arme zum Vorschein. Er war echt ein Hingucker. Er sah nicht so gut aus wie James, aber er war definitiv einen zweiten Blick wert.
„Es tut mir so leid. Das war keine Absicht."
Naomi grinste schon wieder.
„Macht doch nix. Dieser Holzkopf hat es verdient. Ich hätte einfach mehr auf meine Umgebung achten sollen."
„Nao!"
Auch Hannes und Diana hatten bemerkt was geschehen war und kamen zurück gelaufen.
„Bist du okay?"
Naomi nickte fleißig. Sie würde es überleben, obwohl...jetzt hatte sie Kopfschmerzen.
Die Jungs auf dem Spielfeld riefen nach Fred. Er entschuldigte sich noch einmal höflich, nahm den Ball auf und lief dann zurück.
„Ach ja...vielleicht sollte ich doch dem Basketballclub beitreten", seufzte Naomi abwesend.
„Hä?", kam es von Hannes und Diana gleichzeitig.
„Dein James spielt da aber nicht mit", klärte Diana ihre Freundin auf, die immer noch dem süßen Fred hinterher schaute. Wann war er denn so erwachsen geworden?
Sie rieb sich grinsend die Stirn und antwortete: „Ich weiß."
Diana tauschte einen Blick mit ihrem Freund, schüttelte den Kopf und schob Naomi dann am Rücken Richtung Cafeteria.
Dort herrschte unheimlicher Lärm, weil James - immer noch Naomis Schwarm - sich wieder einmal zum Essen mit seinen Freunden getroffen hatte.
Die Blicke sämtlicher weiblicher Wesen klebten an ihm. So auch Naomis goldbraune Augen.
Immer noch seufzend schlürfte sie ihren Drink und schmachtete den gut aussehenden Typ an.
„Wieso hat er eigentlich keine Freundin?"
„Vielleicht hat er schon eine", meinte Hannes auf die Frage seiner Freundin hin.
„Meinst du deshalb sind ihm alle Mädchen an der Uni egal?"
„Ja, oder er ist schwul."
Naomi prustete den Saft über den Tisch.
Das konnte unmöglich wahr sein. Wenn James tatsächlich schwul war, dann...dann...wäre sie jahrelang jemanden vom anderen Ufer hinterhergelaufen? Wie peinlich wäre das denn?
„Er ist nicht schwul", widersprach sie mit Überzeugung.
Ihre Freunde machten sich etwas lustig über sie. Naomi blendete sie aus und fuhr damit fort James zu beobachten.
„Warum sprichst du ihn dann nicht an?"
„Das hat doch damit nichts zu tun, Hannes, ich will einfach nicht zum Gespött der Uni werden, wenn er mir einen Korb gibt."
„Aber so wirst du ihn auch nicht für dich gewinnen", sagte Diana kauend und schob sich schon den nächsten Löffel Reis in den Mund.
„Es genügt mir, ihn aus der Ferne zu betrachten."
„Und wenn ihn dir jemand vor der Nase wegschnappt?"
Darauf wusste Naomi keine Antwort. Diese Möglichkeit hatte sie nie ernsthaft in Betracht gezogen, da James bisher an niemandem Interesse zeigte.
„Dann ist das auch nicht schlimm. Sie hat ja noch Night Runner", zog Hannes sie auf.
„Sehr witzig. Ich bin zwar ein absoluter Fan von ihm, aber ich bezweifle dass man das Liebe nennen kann."
„Und warum wirst du dann so rot, Nao?", fragte Diana spitzbübisch und zog sanft an Naomis Wange.
„Hör doch auf!", beschwerte sich diese. „Kein Wunder dass sie rot sind, wenn du so dran herum zerrst."
Hannes und Diana lachten, wobei sie ihre Köpfe zusammensteckten. Hannes glatte Haare waren mal ausnahmsweise zurück gekämmt und seine lange Nase stieß gegen die kleine Stupsnase von Diana.
Dann erhob sich Hannes geschäftig und räumte sein Tablett auf.
„Ich muss los. Der Schwimmkurs fängt gleich an."
Ja richtig, Hannes Leidenschaft war das Schwimmen. Dabei kam es nicht darauf an, ob er tauchte oder Wassersport machte. Er war eine kleine Wasserratte. Wenn er nicht Journalismus studieren würde, hätte Naomi ihm geraten Wettkampfschwimmer zu werden. Sie konnte sich kaum jemanden vorstellen, der schneller schwamm als Hannes.
Das erklärte auch seine schlanke Figur. Und auch die langen Gliedmaßen brachten ihm einen Vorteil, obwohl er mit seiner Größe auch gut Handballer hätte werden können. Doch Ballsport hatte ihn nie interessiert - sehr zum Leidwesen von Diana. Sie hatte eine Schwäche für rennende Jungs.
Naomis Schwäche war ganz einfach mit einem Namen zu beschreiben: J A M E S. Er konnte machen was er wollte, selbst die Uniform der Straßenreinigung würde ihm gut stehen.
Hannes verließ die beiden Mädchen und Diana beugte sich mit einem schelmischen Grinsen zu ihrer besten Freundin hinüber.
„Sollen wir dem Schwimmbad einen kleinen Besuch abstatten? Ich hörte James macht dort neuerdings auch mit."
„Waaaas?"
Naomi war hin und weg. Diana wusste, wie sie ihre Freundin ködern konnte. Dabei wollte sie bloß Hannes in Badehose sehen. Nicht dass sich Naomi von James etwas anderes erhoffte.
„Aber werden da nicht alle Mädchen hingehen?"
„Sie werden nicht reinkommen. Wir aber schon, wenn wir uns zwei Ausweise der Putzkolonne mopsen."
Diana war wirklich einfallsreich. Hoffentlich klappte das auch.
Schnell aß Naomi ihre Lunchbox auf und beeilte sich mit Diana zur Schwimmhalle zu kommen.
Tatsächlich konnten sie sich unbemerkt zwei Ausweise aus der Putzkammer holen und ihre Straßenschuhe gegen Badelatschen eintauschen. Ihre Taschen sperrten sie in ein Schließfach und dann schlichen sie hinaus in die große Schwimmhalle. Dort traf sich nicht nur regelmäßig der Schwimmclub, sondern auch einige andere Studenten, die mit einer Sondergenehmigung hier schwimmen durften auch ohne Clubmitglied zu sein. Ansonsten kam man während Clubaktivitäten nicht in die Halle hinein.
Naja anscheinend doch. Diana hatte so ihre Mittel und Wege. Naomi fühlte sich schon ein bisschen komisch dabei so etwas Verbotenes zu tun. Ob Night Runner sich auch manchmal schlecht dabei fühlte, wenn er irgendwo einbrach und etwas stahl?
Vermutlich nicht. Diebe haben kein Gewissen.
„Wo sind sie denn?"
„Komm mit, der Club trifft sich meistens in der zweiten Halle."
Kaum eine Minute später drückte Diana ihre kleine Nase an die Türscheibe. Die breite Doppeltür war der einzige Zugang zur zweiten Halle.
„Gleich geht sie auf und du hast eine gebrochene Nase", warnte Naomi.
Zum Glück kam keiner.
„Nao, guck doch!", forderte Diana ihre Freundin auf und zog sie ebenfalls zur Scheibe hin.
Naomi war gezwungen ihre Nase ebenfalls an die Scheibe zu drücken. Dafür war sie schließlich auch hergekommen. Sofort fiel ihr James ins Auge. Er stand gar nicht weit weg und das rothaarige Mädchen konnte ihn in all seiner Pracht bewundern. Wie sexy er doch war in seiner blauen Badehose und den Schlappen. Noch war er trocken und hörte aufmerksam einem anderen Jungen aus dem Club zu.
„Wooahh, er sieht so gut aus."
Diana stimmte in Naomis Quietschen mit ein. Sie sahen einander grinsend an und dachten den Jackpot gewonnen zu haben.
„Das ist das Paradies, meine Liebe. Jungs in Badehose, etwas Schöneres gibt es nicht."
Naomi kicherte albern und nickte.
„Wo ist Hannes?"
„Der schwimmst schon längst seine Bahnen", antwortete Diana stolz.
Naomis Interesse blieb nicht lange bei Hannes. Sie suchte erneut nach James, der inzwischen auf der anderen Seite des Beckens stand. Würde er auch gleich einfach schwimmen, oder was hatte er vor?
Jemand stieg aufs zehn Meter Sprungbrett und stahl Naomis Aufmerksamkeit.
„Wow", entschlüpfte es ihr, als sie den schlanken aber überraschend kräftigen Körper von Alec sah.
„Vergiss Fred oder James, was die Figur angeht lässt Alec sie alle im Schatten stehen."
„Hä?"
Verwirrt sah auch Diana zu Alec hinauf. Er stellte sich mutig an die Spitze des Bretts und schaute unter sich auf das bläulich schimmernde Wasser.
„Du hast recht. Ich hätte nicht gedacht, dass unser unscheinbarer Alec so attraktiv wäre."
„Ja er geht immer irgendwie unter."
Alecs schwarze Haare waren vorne so lang, dass sie ihm zeitweise in die Augen fielen. Warum kämmte er sie sich ständig ins Gesicht? Es wirkte immer als ob er sich verstecken wollte.
Er wippte leicht auf und ab. Seine ebenso schwarze Badehose reichte ihm bis zu den Knien und hüpfte im Takt mit auf und ab.
„Er will doch nicht wirklich springen."
„Warum nicht?", fragte Naomi verwirrt.
„Das kann doch nur schief gehen. Alec ist so ein Tollpatsch. Jemand sollte ihn aufhalten, bevor er sich noch wehtut."
Diana übertrieb. Zwar war Alec hin und wieder ungeschickt, aber er würde doch wohl noch von einem Sprungbrett springen können.
Da, er setzte an. Er schwang ganz professionell die Arme an den Seiten und hob ein Bein zuerst an.
Bis dahin war das Ganze absolut fehlerfrei und wirkte so, als wäre er der Gott des Schwimmbads.
Dann rutschte der andere Fuß seitlich weg, Alec geriet ins Taumeln und fiel seitlich vom Brett. Diana verbarg das Gesicht. Sie konnte das Unglück nicht mitansehen.
Gut dass Alec zur Seite fiel, sonst hätte er sich wirklich noch am Brett verletzt.
Wild mit den Armen fuchtelnd stürzte er in die Tiefe und klatschte unsanft mit dem Rücken aufs Wasser.
Ein Zischen ging durch die Halle. Die anderen Schwimmer hatten das Ganze auch gesehen und kamen nun halb lachend und halb besorgt zu Alec. Dieser tauchte leicht verdattert wieder auf und schwamm zum Beckenrand.
„So typisch. Wie konnte ich etwas anderes erwarten", murmelte Diana kopfschüttelnd und kümmerte sich wieder um Hannes.
Doch Naomis Augen blieben noch einen Moment bei Alec. Das hatte vielleicht unangenehm geklatscht. Bestimmt tat ihm jetzt der Rücken weh. Wie konnte jemand nur so tollpatschig sein? Trotzdem bewunderte Naomi seinen Mut sich da oben hinzustellen und hinunter zu springen.
Als er aus ihrem Blickfeld verschwand, konnte Naomi ihre Aufmerksamkeit wieder James schenken. Dieser hatte sich ebenfalls wie ein Weltstar auf dem Zehner postiert. Naomi fieberte begeistert seinem Sprung entgegen.
James nahm die Sprunghaltung ein, hob das Bein und sprang mit einem perfekten Rückwärtssalto ins Wasser. Es gab sogar Beifall. Tja, daran erkannte man eben ein Genie. James war perfekt in allem was er machte.
Wo war Alec? Er sollte sich davon eine Scheibe abschneiden.
„Nao pass auf!", warnte Diana panisch.
Es war zu spät. Die Tür ging auf und wieder hatte Naomi eine Beule an der Stirn.
Sie sah auf in ein Paar aschgraue Augen, die unter schwarzen Ponysträhnen hervor lugten. Mit Alec hatte sie überhaupt nicht gerechnet.
Erschrocken wich sie zurück und rutschte dabei mit einem Schlappen weg. Den Halt verlierend, drohte sie nach hinten zu fallen, da schoss ein kräftiger Arm nach vorne. Irgendwie wand er sich um ihren Rücken und hielt sie fest. Dann fand sich Naomi in Alecs starken Armen wieder.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Der sonst so tollpatschige Typ hatte sie mal eben so aufgefangen und das nur mit einem Arm. Das kalte Wasser tropfte von seinen feuchten Haaren auf ihre Wange. Er war überhaupt klitschnass. Das dunkle Handtuch hing nur locker über seinem Kopf. Als Naomi sich seines überaus freien und nassen Körpers bewusst wurde, spürte sie ihre Wangen rot werden.
Sie ruderte panisch mit den Armen und dachte überhaupt nicht darüber nach, dass das unheimlich anstrengend für ihn sein könnte. Doch Alec ließ sie nicht fallen. Er hielt sie einfach fest, als hätte er Muskeln aus Stahl.
Naomis Augen wanderten von seinem Gesicht, an seinem Hals hinunter, wo eine silberne Kette hing. Dann entdeckte sie den überaus trainierten Bizeps und den schmucken Waschbrettbauch. Nicht einmal James hatte so einen schönen Körper. Naomi wollte das nur ungern zugeben, aber Alec war absolut heiß. Von Kopf bis Fuß.
„Langsam wird es schwer", sagte er ganz beiläufig.
„Huh?"
Zuerst kapierte sie gar nichts und starrte ihn weiterhin an.
Dann wurde sie sich auf einmal darüber ihm klaren, dass er sie immer noch festhielt und sie mit ihrem ganzen Gewicht auf seinem Arm hing.
Schnell richtete sie sich auf und Alec zog seinen Arm zurück.
„Was habt ihr beide hier zu suchen?"
„Ähm...also das ist so...", begann Diana und suchte verzweifelt nach der richtigen Antwort.
Alec hob abweisend die Hand.
„Spar dir die Ausreden. Verschwindet einfach, bevor Theo euch sieht."
Damit ging er an Naomi vorbei und kümmerte sich nicht weiter um die Mädchen.
Theo war der Clubführer und würde es sicher nicht einfach tolerieren, wenn sich zwei Außenstehende in die Halle wagen.
„Na los, Nao, tun wir was er sagt, bevor wir wirklich Ärger bekommen."
Naomi nickte und folgte Diana aus dem Schwimmbad hinaus.
Sie hatte gar nicht gewusst, dass Alec auch im Schwimmclub war. Sie wusste eigentlich gar nichts über ihn. Es war ihr so peinlich, dass er sie so überrumpelt hatte. Sie fasste sich an die immer noch glühenden Wangen. Ihr war total heiß. Kein Wunder, es waren bestimmt fast vierzig Grad in der Halle.
Deshalb war sie ganz froh diese wieder verlassen zu dürfen, bevor sie einen Hitzschlag bekam.
Außerdem würde ihr bis morgen sicher ein Hörnchen wachsen.
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