48. 𝑊𝑖𝑒 𝑒𝑠 𝑔𝑒𝑠𝑐ℎ𝑎ℎ

„Charlie wird sich freuen dich zu sehen", meinte Naomi in das unangenehme Schweigen hinein.
„Glaub ich kaum."
„Oh doch", widersprach sie ihm.
„Er wird mich erschiessen, weil ich dich so lange alleine gelassen habe."
„Es wäre eigentlich noch viel länger gewesen. Ich bin so froh, dass du Wilkinson nicht enttäuscht und dein Wort gehalten hast. Nur deswegen hat er dir geholfen. Nur seinetwegen bist du jetzt frei."

Das konnte Alec nicht leugnen. Er verdankte dem Inspektor viel. Auch wenn er ihn Jahrelang ganz schön in den Wahnsinn getrieben hatte, war er doch zu einem vertrauenswürdigen Mann geworden.
Ganz im Gegensatz zu Fred.
Er saß nicht mehr im Gefängnis. Einerseits weil er geholfen hatte Higa und Kent zu verurteilen und andererseits weil Alec sich für ihn eingesetzt hatte.

Er war ihm nichts schuldig, noch wollte er vor ihm angeben. Er wollte ihn einfach nur loswerden. Laut Maurice hatte es den Jungen nach Mexiko verschlagen. Mehr wusste Alec nicht. Er hatte ihn seit den Gerichtsverfahren nicht mehr gesehen. Es sollte ihn auch nicht mehr kümmern, was aus Frederic wurde.
Er hatte seine Naomi und damit war er seit langer, langer Zeit wieder zufrieden.

Er würde wieder zu Geld kommen, darüber machte er sich auch keine Gedanken. Doch eines war sicher: Alec würde niemals wieder in seinem Leben stehlen.
„Sag mal, Alec, wie bist du eigentlich an Higas Geld heran gekommen?"
Er musste erneut grinsen.
Sollte er Naomi und damit der ganzen Welt die Wahrheit sagen? Oder sollte er sich etwas cooles ausdenken, damit sie mehr Futter für ihren Sender bekam?

Er hatte seit seiner Freilassung jeden Tag Radio Hero gehört. Nicht nur, um Naomis Stimme zu hören, sondern auch um auf dem laufenden zu bleiben was die HKS Group betraf.
„Ich habe ihn getäuscht", sagte Alec absichtlich so knapp, dass Naomi ungeduldig herum zappelte.
„Wie das?"

„Ich habe ihn betäubt, wodurch er einen ganzen Tag verschlafen hat. Durch intensives beobachten, ist mir ein kleines Zeitfenster in seinem geregelten Tagesablauf aufgefallen. In dieser Zeit, habe ich mich in sein Haus geschlichen und sein Geld gestohlen. Alles was ich tun musste, war seine Uhren, Geräte und Kalender umzustellen. Der Typ war so voller Panik um sein Vermögen, dass er nicht gemerkt hat, dass er einen ganzen Tag zu spät dran war."

„Er war zu spät?"
„In meiner Ankündigung schrieb ich, dass ich der HKS Group in drei Tagen die Macht nehme, also ihr Geld. Daran habe ich mich auch gehalten, aber für Higa waren es nur zwei Tage, weil er einen verschlafen hat."
„Und wie hast du ihn betäubt?"
„Ich weiß von Fred, dass Higa und Kent gerne mal einen Sherry oder ähnliches trinken. Ich habe einfach die Getränke in ihren Büros mit einem kleinen Schlafmittel versehen."

Sie verzog undeutlich das Gesicht. War sie verwirrt?
„Das muss unheimlich aufwendig gewesen sein. Schließlich hängen ja auch dutzende von Mitarbeitern an Higa. Seine ganzen Bodyguards und die Diener. Ich gehe mal nicht davon aus, dass er selbst seinen Rasen mäht."
Alec lachte bei der Vorstellung, versicherte ihr aber recht zu haben.
„Wie hast du sie getäuscht?"
„Wie gesagt, es gab nur ein kleines Zeitfenster, in dem er nur wenige Menschen um sich hatte. Diese paar Leute habe ich auch getäuscht, sonst hätte alles nicht funktioniert."

Nun sah Naomi tatsächlich wieder besorgt aus. Ihre Augen wurden glänzend und auf einmal bereute Alec seine Entscheidung ihr alles erzählt zu haben.
„Wann hast du das alles eingefädelt?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Ist das wichtig, Naomi?"
Er wartete auf ihre Antwort, die natürlich nicht kam.

„Jetzt schau nicht so. Ich habe dich absichtlich nicht in jedes Detail eingeweiht, um dich zu beschützen. Je weniger du von dem Plan wusstest, desto besser für dich."
„Und das soll mich jetzt trösten?"
Sie klang verbittert.
„Versteh mich nicht falsch. Eigentlich ist es egal, wie du es getan hast. Ich wünschte nur du hättest dir helfen lassen. Immer machst du alles im Alleingang."

„Ich versichere dir, Naomi, ab jetzt ist das vorbei. Von nun an will ich alles mit dir teilen."
Auf einmal verzog sie die Mundwinkel zu einem Schmunzeln.
„Dann fang doch gleich mal mit dem Geld an, dass du den Mistkerl abgenommen hast."
„Ich fürchte das geht nicht", entgegnete Alec und zog sich den dunklen Anzug aus. Darunter trug er bloß eine Shorts.

Während Naomi von seinem verschwitzten Oberkörper abgelenkt wurde, warf er die Kluft zurück ins schwankende Schlauchboot und stellte sich genau vor sie.
„Das Geld ist bis auf den letzten Dollar weg. An diejenigen, die es mehr brauchen als ich. Doch vielleicht magst du dich ja mit mir begnügen?"

Es war ein Funke in ihren Augen, der Alec auf die kommende Reaktion vorbereitete.
Sie versuchte ernst zu gucken, konnte aber kaum das Grinsen unterdrücken, als sie die Hand gegen seine Brust drückte und ihn mit Schmackes von Bord schubste. Dabei fiel er schon fast von selbst. Nur diesmal nicht ungeschickt oder trottelig, sondern elegant mit ziemlich viel Körperkontrolle. Verstellen hatte Alec jetzt nicht mehr nötig und anscheinend waren da auch keine Koordinationsprobleme mehr.

Das kalte Wasser empfing ihn mit einem lauten Platscher und bespritzte das Schlauchboot und die Badeplattform der Night Runner, die immer noch ganz gemütlich vor sich hin schaukelte.
Alec tauchte wieder auf und schüttelte genüsslich grinsend den Kopf. Diese Abkühlung kam ihm gerade recht und das wusste Naomi auch. Er schwamm zum Boot zurück und watschelte direkt wieder zu seinem Mädchen zurück. Dabei verteilte er kleine Wassertropfen auf dem hellen Holzboden.

„Wie wäre es, wenn wir aufhören in der Vergangenheit zu leben, Naomi. Den Tipp hat mir mal Maurice gegeben, als ich nichts außer meiner Rache kannte und so sehr unter der Vergangenheit gelitten habe. Ich will kein Dieb mehr sein. Vor allem will ich mich nicht mehr andauernd mit dir streiten."
Damit war Naomi voll und ganz einverstanden.

Hannes war inzwischen wieder nach oben auf die Brücke gestiegen und schaltete den brummenden Motor ein. Gerade als er ziemlich kräftig Gas gab, bäumte sich die Night Runner vorne auf und schubste Naomi mit einem kräftigen Schub auf Alec. Nun klebte sie an seinem nassen Körper und wurde sofort knallrot. Sie blickte in seine lebendigen grauen Augen, die zärtlich zu ihr herunter schauten, während sich seine kräftigen Arme um sie legten.

„Ich habe dich vermisst, Naomi", gestand er frei heraus.
Alec blinzelte kurz zur Brücke hinauf und sah das breite Lächeln in Hannes Gesicht, als er sich zu ihnen hinunter beugte. Alec würde ihm später danken und drückte Naomi an sich.
Zum ersten Mal hatte er den Wunsch sein Innerstes nicht mehr zu verstecken und verspürte eine gewisse Befreiung, als er Naomi seine Gefühle gestand und sie anschließend innig küsste.

Naomi entspannte sich sofort in seiner Umarmung und erwiderte den intensiven Kuss. Es war als hätte sie endlich Vollkommenheit gefunden. Was sie ursprünglich für Liebe gehalten hatte, war nur noch eine blasse Erinnerung. Der Augenblick zählte für sie, nicht mehr die chaotische Lebensweise und die Sorgen aus früheren Tagen.

Naomi war froh das Geheimnis um den Nachtdieb gelüftet zu haben. Sie würde seine Geschichte zu Ende erzählen und ihn damit für immer in den Köpfen der Menschen als Helden behalten. Dann würde Night Runner von der Bildfläche verschwinden. Sein Name würde bloß noch auf dem Heck eines eleganten Motorschiffes stehen, welches als einziges an den mutigen Jungen von der Straße erinnern würde.

Nur ein paar Menschen würden wissen was aus ihm geworden war. Seine Freunde und vor allem Maurice, der sich mit einem kleinen Bungalow auf Kuba zu Ruhe gesetzt hatte und alle paar Monate von Naomi und Alec Besuch bekommen würde.





- Ende -

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